Kein Ende des «Psycho-Scheiss»
IP Multimedia hat zu einem Trendtalk über «Real Life Soaps» geladen – daraus wurde eine Abrechnung
IP Multimedia hat zu einem Trendtalk über «Real Life Soaps» geladen – daraus wurde eine AbrechnungVon Andreas Panzeri«Viele von uns sind süchtig danach und andere hassen sie. Doch keiner kann ihnen entkommen!», hiess es in der Einladung der IP Multimedia zum Trendtalk über «Real Life Soaps». Diskutiert wurde in illustrer Runde über die Quotenjagd mit solchen Shows «zwischen Selbstdarstellung und Überlebenstraining».
«Es kommt nicht darauf an, wie eine Sache ist, sondern wie eine Sache wirkt», hat Tucholsky einmal gesagt. Diese Weisheit diente der Gesprächsrunde als Ausgangspunkt für ihre Diskussion über «Big Brother» und seine Schwestersendungen.
Um gleich zu Beginn der Talkshow ein bisschen Action ins Geschehen zu bringen, wollte dazu Gesprächsleiter Gerry Reinhard von Radio Z wissen, was seine Gäste denn von einer Entwicklung hielten, bei der die Containersendung «Big Brother» in Deutschland künftig ein ganzes Jahr lang dauern soll, wobei es um eine Siegerprämie von fünf Millionen Mark gehen könnte.
«Da ist noch nichts entschieden», meinte dazu lapidar Torsten Prenter, Programmleiter von RTL 2. Mit einem Blick in die Zukunft des Fernsehens verriet er aber erste Details über die Sendung «Der Club». So wird bald einmal die Update-Version der Proletenshow «Big Brother» heissen.
Wie andere Spin-offs aus dieser Schmuddelecke der TV-Programmschaffenden soll dieses Format noch mehr mit den Möglichkeiten der Interaktivität spielen. Dazu soll «Der Club» mehr zuverlässig kalkulierbare Abwechslung bieten, indem die fixen «Insassen» im Clubhaus regelmässig ihre Wunschgäste einladen können.
Als weitere Blutsbrüder der «Big»-Sendung wird bei RTL 2 momentan auch über eine Arztpraxis als Senderahmen oder sogar eine Schule nachgedacht. Grundsätzlich dürfte sich bei all diesen futuristischen TV-Konzepten allerdings kaum viel ändern. Zumindest hat Prenter anlässlich dieser Talkshow im fernsehgeschichtsträchtigen Studio Bellerive noch nichts Konkretes aus dem Container gelassen, mal abgesehen von der Prophezeiung, dass es die Quizshows bald wieder zurück in die Prime Time schaffen.
Die restlichen Talkgäste haben diese No-News in Sachen Zukunft in der weiteren Folge des Trendtalks zum Anlass genommen, umso eingehender über den Istzustand zu reden beziehungsweise ausgiebig und lustvoll über «Big Brother» zu lästern.
Real Life TV ist nicht das
Gleiche wie Reality TV
«Wir haben noch nichts von einem Mehrumsatz bei unserem Kaugummiverkauf gespürt», witzelte Alex Minder, Geschäftsleiter Stimorol. Diese Marke sponsert den aufs Finale zusteuernden «Big Brother» von TV 3. Bei der nächsten Staffel will Stimorol nicht mehr dabei sein. «Das hat aber nichts mit Erfolg oder Misserfolg zu tun. Es gehört zum Konzept von Stimorol, dass wir nur bei völlig neuen Sachen als Sponsor mitwirken. Uns interessiert die Initialzündung», präzisierte Alex Minder.
Kein Hehl aus seiner Geringschätzung für «Big Brother» machte Andy Lehmann. Der Geschäftsleiter Optimedia legte aber Wert auf die Unterscheidung, dass er seine persönliche Meinung nie in ein Geschäft seiner Kunden einbringen würde. «Wenn solche Sendungen viel Zuschauer haben und meine Kunden dort Werbung schalten wollen, dann ist das wunderbar», meinte er.
Als Vierte in der Runde hat IP Multimedia Karin Böhme-Dürr eingeladen. Die Dozentin für Medienwissenschaften an der Universität Düsseldorf gibt demnächst ein Sachbuch zur Trendentwicklung rund um das Phänomen «Big Brother» heraus.
Unter dem Titel «Hinter verschlossenen Türen» will Böhme den Erfolg des international gefragten «Big Brother»-Konzepts ergründen. «Wie hat alles zusammenspielen müssen, dass der Erfolg so gross ist, wie er heute ist?», fragte sie und suchte eine erste Antwort wissenschaftlich korrekt bereits im Begriff «Real Life TV», den die Medienforscherin an Stelle von «Reality TV» in ihrem Buch verwenden will.
Klar wurde auch, dass am Erfolg von «Big Brother» nicht nur die verantwortlichen TV-Anstalten, sondern auch alle anderen Medien passiv und aktiv beteiligt sind. Die NZZ begleitet das Phänomen mit Fachartikeln. Der Blick macht eine Story aus dem Liebeskummer von Janines allein zu Hause fernsehendem Freund.
«Psycho-Scheiss» aus dem
Container ist Wahnsinn
Und sonst? Man wisse aus verschiedenen Untersuchungen, dass junge Menschen Vorbilder suchen. Diese könnten sie in der Schule oder gar Kirche aber immer weniger finden. Schon drei- bis dreizehnjährige Kinder würden deshalb heute regelmässig «Big Brother» schauen, wurde als These in den Raum gestellt. Und was lernen sie dort, ausser beim Mobben trotzdem ein freundliches Gesicht zu machen?
Für Karin Böhme-Dürr ist bei dieser Frage klar, dass auch «Charaktere, die vom Zuschauer abgelehnt werden, eine didaktische Hilfe darstellen können». Weniger wissenschaftlich wollte es Alex Minder sehen: «Früher schaute man dem König aufs Leben. Heute eben seinen Nachbarn», kommentierte er.
«Nur wir Alten diskutieren dauernd über Sinn oder Unsinn der Show im Container. Die Jungen schauen einfach oder sie schauen es nicht», philosophierte Lehmann, mittlerweile der ewigen Fachsimpeleien um diese neue TV-Reality leicht überdrüssig. Und bezüglich einer immer wieder durchschimmernden Geringschätzung des Publikums meinte er: «Mein Sohn, ein Wirtschaftsstudent, hat keine Probleme damit, heute bei ‹Big Brother› und morgen beim ‹Literarischen Quartett› reinzuzappen.»
Der Mediaspezialist plädierte deshalb dafür, dass «Big Brother»-Fans nicht als Psychopathen behandelt werden sollen. Weniger gespielt als echt ärgerte sich Lehmann aber in der Talkrunde, als Karin Böhme-Dürr über die psychologischen Folgeschäden für ehemalige Mitmobber im Container sprechen wollte.
Was passiert mit Motzhenne Conny oder Bulle Remo, wenn sie von ihrer Berühmtheit plötzlich wieder in die Vergessenheit versenkt werden?
«Quatsch», meinte dazu Lehmann und schimpfte: «Solcher Psycho-Scheiss ist ja Wahnsinn im Vergleich zu echten Problemen, zum Beispiel von Leuten, die arbeitslos sind.» Lehmann fand solche Diskussionen «mit der Psychologie gespielt». Moderator Gerry Reinhard brachte das Streitgespräch dann aber wieder auf den Punkt: «Auch nach einer Woche Pfadilager kommt ein Kind gestört nach Hause.»
Brutalere Realityversionen schaden dem Sponsorenimage
Etwas sachdienlicher für die zahlreich anwesenden Werbeleute wurde schliesslich der Nutzen analysiert, den potenzielle Sponsoren oder Werbetreibende mit Spotschaltungen rund um solche «Real Life Soaps» erwarten dürfen. Gemäss dem Vorsatz: «Stimorol will dort einsteigen, wo ein Trend am Entstehen ist», zeigt sich Alex Minder rückblickend glücklich über sein Engagement bei «Big Brother», denn der Trend hat voll gezündet.
Bezüglich der neuen Idee mit fünf Millionen Mark Gewinn für den Sieger im einjährigen Containerknast ist Lehmann von Optimedia allerdings skeptisch, ob hier nach wie vor ein sinnvolles Umfeld für die Werbung vorhanden ist. Eine so grosse Kiste könnte nur noch von entsprechend ebenfalls grossen Sponsor-firmen wie zum Beispiel Banken finanziert werden. Und diese hätten mit der Sendung wohl wenig am Hut.
«Es ist entscheidend, womit eine bestimmte Marke in Verbindung gebracht wird. Wenn ich etwas sponsere, will ich wissen, in welcher Form ein Imagetransfer auf meine Marke stattfindet», äussert sich auch Stimorol-Chef Minder skeptisch gegenüber ständig brutaleren Versionen der Mobbinggames oder sonst noch zu erwartenden Realityshows.
Dieser Aussage setzte RTL-Mann Prenter zwar entgegen, dass allein die TV-Station die Verantwortung für einen Inhalt habe und nicht der Sponsor. «Wichtig ist die Kontaktgruppe», meinte er.
Prenter wurde in der Schlussrunde aber allgemein überstimmt: «Wer als Sponsor etwas unterstützt, unterstützt es auch inhaltlich. Das wirkt werbemässig ähnlich wie bei Testimonials!»
«Es kommt nicht darauf an, wie eine Sache ist, sondern wie eine Sache wirkt», hat Tucholsky einmal gesagt. Diese Weisheit diente der Gesprächsrunde als Ausgangspunkt für ihre Diskussion über «Big Brother» und seine Schwestersendungen.
Um gleich zu Beginn der Talkshow ein bisschen Action ins Geschehen zu bringen, wollte dazu Gesprächsleiter Gerry Reinhard von Radio Z wissen, was seine Gäste denn von einer Entwicklung hielten, bei der die Containersendung «Big Brother» in Deutschland künftig ein ganzes Jahr lang dauern soll, wobei es um eine Siegerprämie von fünf Millionen Mark gehen könnte.
«Da ist noch nichts entschieden», meinte dazu lapidar Torsten Prenter, Programmleiter von RTL 2. Mit einem Blick in die Zukunft des Fernsehens verriet er aber erste Details über die Sendung «Der Club». So wird bald einmal die Update-Version der Proletenshow «Big Brother» heissen.
Wie andere Spin-offs aus dieser Schmuddelecke der TV-Programmschaffenden soll dieses Format noch mehr mit den Möglichkeiten der Interaktivität spielen. Dazu soll «Der Club» mehr zuverlässig kalkulierbare Abwechslung bieten, indem die fixen «Insassen» im Clubhaus regelmässig ihre Wunschgäste einladen können.
Als weitere Blutsbrüder der «Big»-Sendung wird bei RTL 2 momentan auch über eine Arztpraxis als Senderahmen oder sogar eine Schule nachgedacht. Grundsätzlich dürfte sich bei all diesen futuristischen TV-Konzepten allerdings kaum viel ändern. Zumindest hat Prenter anlässlich dieser Talkshow im fernsehgeschichtsträchtigen Studio Bellerive noch nichts Konkretes aus dem Container gelassen, mal abgesehen von der Prophezeiung, dass es die Quizshows bald wieder zurück in die Prime Time schaffen.
Die restlichen Talkgäste haben diese No-News in Sachen Zukunft in der weiteren Folge des Trendtalks zum Anlass genommen, umso eingehender über den Istzustand zu reden beziehungsweise ausgiebig und lustvoll über «Big Brother» zu lästern.
Real Life TV ist nicht das
Gleiche wie Reality TV
«Wir haben noch nichts von einem Mehrumsatz bei unserem Kaugummiverkauf gespürt», witzelte Alex Minder, Geschäftsleiter Stimorol. Diese Marke sponsert den aufs Finale zusteuernden «Big Brother» von TV 3. Bei der nächsten Staffel will Stimorol nicht mehr dabei sein. «Das hat aber nichts mit Erfolg oder Misserfolg zu tun. Es gehört zum Konzept von Stimorol, dass wir nur bei völlig neuen Sachen als Sponsor mitwirken. Uns interessiert die Initialzündung», präzisierte Alex Minder.
Kein Hehl aus seiner Geringschätzung für «Big Brother» machte Andy Lehmann. Der Geschäftsleiter Optimedia legte aber Wert auf die Unterscheidung, dass er seine persönliche Meinung nie in ein Geschäft seiner Kunden einbringen würde. «Wenn solche Sendungen viel Zuschauer haben und meine Kunden dort Werbung schalten wollen, dann ist das wunderbar», meinte er.
Als Vierte in der Runde hat IP Multimedia Karin Böhme-Dürr eingeladen. Die Dozentin für Medienwissenschaften an der Universität Düsseldorf gibt demnächst ein Sachbuch zur Trendentwicklung rund um das Phänomen «Big Brother» heraus.
Unter dem Titel «Hinter verschlossenen Türen» will Böhme den Erfolg des international gefragten «Big Brother»-Konzepts ergründen. «Wie hat alles zusammenspielen müssen, dass der Erfolg so gross ist, wie er heute ist?», fragte sie und suchte eine erste Antwort wissenschaftlich korrekt bereits im Begriff «Real Life TV», den die Medienforscherin an Stelle von «Reality TV» in ihrem Buch verwenden will.
Klar wurde auch, dass am Erfolg von «Big Brother» nicht nur die verantwortlichen TV-Anstalten, sondern auch alle anderen Medien passiv und aktiv beteiligt sind. Die NZZ begleitet das Phänomen mit Fachartikeln. Der Blick macht eine Story aus dem Liebeskummer von Janines allein zu Hause fernsehendem Freund.
«Psycho-Scheiss» aus dem
Container ist Wahnsinn
Und sonst? Man wisse aus verschiedenen Untersuchungen, dass junge Menschen Vorbilder suchen. Diese könnten sie in der Schule oder gar Kirche aber immer weniger finden. Schon drei- bis dreizehnjährige Kinder würden deshalb heute regelmässig «Big Brother» schauen, wurde als These in den Raum gestellt. Und was lernen sie dort, ausser beim Mobben trotzdem ein freundliches Gesicht zu machen?
Für Karin Böhme-Dürr ist bei dieser Frage klar, dass auch «Charaktere, die vom Zuschauer abgelehnt werden, eine didaktische Hilfe darstellen können». Weniger wissenschaftlich wollte es Alex Minder sehen: «Früher schaute man dem König aufs Leben. Heute eben seinen Nachbarn», kommentierte er.
«Nur wir Alten diskutieren dauernd über Sinn oder Unsinn der Show im Container. Die Jungen schauen einfach oder sie schauen es nicht», philosophierte Lehmann, mittlerweile der ewigen Fachsimpeleien um diese neue TV-Reality leicht überdrüssig. Und bezüglich einer immer wieder durchschimmernden Geringschätzung des Publikums meinte er: «Mein Sohn, ein Wirtschaftsstudent, hat keine Probleme damit, heute bei ‹Big Brother› und morgen beim ‹Literarischen Quartett› reinzuzappen.»
Der Mediaspezialist plädierte deshalb dafür, dass «Big Brother»-Fans nicht als Psychopathen behandelt werden sollen. Weniger gespielt als echt ärgerte sich Lehmann aber in der Talkrunde, als Karin Böhme-Dürr über die psychologischen Folgeschäden für ehemalige Mitmobber im Container sprechen wollte.
Was passiert mit Motzhenne Conny oder Bulle Remo, wenn sie von ihrer Berühmtheit plötzlich wieder in die Vergessenheit versenkt werden?
«Quatsch», meinte dazu Lehmann und schimpfte: «Solcher Psycho-Scheiss ist ja Wahnsinn im Vergleich zu echten Problemen, zum Beispiel von Leuten, die arbeitslos sind.» Lehmann fand solche Diskussionen «mit der Psychologie gespielt». Moderator Gerry Reinhard brachte das Streitgespräch dann aber wieder auf den Punkt: «Auch nach einer Woche Pfadilager kommt ein Kind gestört nach Hause.»
Brutalere Realityversionen schaden dem Sponsorenimage
Etwas sachdienlicher für die zahlreich anwesenden Werbeleute wurde schliesslich der Nutzen analysiert, den potenzielle Sponsoren oder Werbetreibende mit Spotschaltungen rund um solche «Real Life Soaps» erwarten dürfen. Gemäss dem Vorsatz: «Stimorol will dort einsteigen, wo ein Trend am Entstehen ist», zeigt sich Alex Minder rückblickend glücklich über sein Engagement bei «Big Brother», denn der Trend hat voll gezündet.
Bezüglich der neuen Idee mit fünf Millionen Mark Gewinn für den Sieger im einjährigen Containerknast ist Lehmann von Optimedia allerdings skeptisch, ob hier nach wie vor ein sinnvolles Umfeld für die Werbung vorhanden ist. Eine so grosse Kiste könnte nur noch von entsprechend ebenfalls grossen Sponsor-firmen wie zum Beispiel Banken finanziert werden. Und diese hätten mit der Sendung wohl wenig am Hut.
«Es ist entscheidend, womit eine bestimmte Marke in Verbindung gebracht wird. Wenn ich etwas sponsere, will ich wissen, in welcher Form ein Imagetransfer auf meine Marke stattfindet», äussert sich auch Stimorol-Chef Minder skeptisch gegenüber ständig brutaleren Versionen der Mobbinggames oder sonst noch zu erwartenden Realityshows.
Dieser Aussage setzte RTL-Mann Prenter zwar entgegen, dass allein die TV-Station die Verantwortung für einen Inhalt habe und nicht der Sponsor. «Wichtig ist die Kontaktgruppe», meinte er.
Prenter wurde in der Schlussrunde aber allgemein überstimmt: «Wer als Sponsor etwas unterstützt, unterstützt es auch inhaltlich. Das wirkt werbemässig ähnlich wie bei Testimonials!»