«Die kreative Qualität in den Kinosälen kann einem Kinovermarkter doch nicht völlig egal sein»

ADC-Präsident Frank Bodin äussert sich im Interview mit Werbewoche.ch zu Plänen von Weischer.Media, in der Schweiz den Cannes-Nachwuchswettbewerb Young Lions nur noch in einer Kategorie durchzuführen.

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Der Schweizer Cannes-Lions-Repräsentant Weischer.Media/Werbeweischer hat in der vergangenen Woche überraschend mitgeteilt, künftig den Nachwuchswettbewerb Young Lions nur noch in der Kategorie «Media» zu unterstützen. Der Art Directors Club Switzerland, welcher die Vorausscheidung für den internationalen Wettbewerb organisiert und durchführt, hat sich für eine Reaktion drei Tage Zeit gelassen und antwortete am Freitag mit einem Paukenschlag: Der Verein der führenden Kreativen fordert in einem offenen Brief, dass Weischer.Media die Repräsentation abtritt und fortan der ADC Switzerland als Repräsentant auftritt. Werbewoche.ch hat ADC-Präsident Frank Bodin zu den Plänen, das Cannes-Heft selbst in die Hand zu nehmen, befragt.

 

Werbewoche.ch: Frank Bodin, was ist Ihnen als ADC-Präsident spontan durch den Kopf gegangen, als Sie vom Vorhaben von Weischer.Media, die Young Lions Competition auf eine Kategorie zu reduzieren, gehört haben?

Frank Bodin: Genau das, was im offenen Brief steht. Der ADC Switzerland hat in der Vergangenheit eng mit Weischer.Media zusammengearbeitet. Der ADC führte mit weiteren Partnern jedes Jahr den Qualifikationswettbewerb – die Young Creatives Awards – in vier Kategorien in der Schweiz durch. Die Gewinner-Teams qualifizieren sich jeweils für die Young Lions Competition in Cannes und messen sich dort mit den Besten aus Ländern aus aller Welt.

 

Wenn die Kategorien wegfallen: Verlieren die Young Creative Awards an Relevanz oder gar die Daseinsberechtigung?

Die Young Creatives Awards werden als Qualifikationswettbewerb durchgeführt und sind somit an Cannes gekoppelt.

 

An der Durchführung der Young Creatives Awards als reiner Nachwuchswettbewerb ohne Cannes-Anbindung hätte der ADC kein Interesse?

Nein, denn die Aussicht der Nachwuchstalente, an das grösste Festival nach Cannes reisen zu dürfen und sich mit den Besten der Welt zu messen, macht den Wettbewerb ja aus. Das ist durch nichts ersetzbar.

 

Sie schreiben im offenen Brief, Weischer.Media hätte bisher auf grosse Unterstützung des ADC Switzerland zählen können. Wie muss man sich diese Unterstützung vorstellen?

Die Repräsentanz eines Landes ist mit viel Aufwand und Kosten verbunden. Da darf man Weischer.Media für das bisher Geleistete auch danken. Der Schweizer Qualifikationswettbewerb macht nur einen Teil aus, wenn auch einen sehr wichtigen – es fallen Kosten für die Organisation der Events an, Personal, Infrastruktur und dann müssen ja auch noch die Reisen der Gewinnerteams nach Cannes finanziert werden. Der ADC hat mit weiteren Partnern und Sponsoren vor allem personelle Ressourcen und Infrastruktur zur Verfügung gestellt und die Young Creatives Awards organisiert. Weischer.Media hat sich im Gegenzug als Sponsor finanziell an den Kosten des ADC beteiligt.

 

Welchen Effekt oder welche Reaktion erhoffen Sie sich vom offenen Brief?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder nimmt Weischer.Media ihren Entscheid zurück und spart nicht auf Kosten der Schweizer Talente. Oder Weischer.Media überträgt die Repräsentanz der Schweiz einem anderen Unternehmen oder einer anderen Organisation.

 

Geht es nach Weischer.Media, findet der Wettbewerb ja statt – einfach nur mit einer Kategorie?

Als Repräsentantin des gesamten Festivals kann man sich nicht ernsthaft auf sein Kerngeschäft berufen und alle andere Disziplinen einfach weglassen. Ausserdem gehört zum Kerngeschäft eines Kinovermarkters nicht nur Media, sondern auch die Kategorie Film (lacht). Und im digitalen Zeitalter auf die Kategorie Digital zu verzichten, ist sowieso nicht nachvollziehbar. Monokulturen waren noch nie nachhaltig. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Es geht hier nicht um ein kreatives Anliegen – es geht um ein Branchenanliegen. Die Cannes Lions sind längst nicht mehr nur ein Kreativ-Festival, sondern ein Kreativ- UND Tech-Festival. Das ist eine gegenseitige Befruchtung. Darum ist das Cannes Festival weiterhin für die ganze Branche wichtig, weil ein Ort des sich Auseinandersetzens, des Austausches und Lernens.

 

Im offenen Brief steht, dass der ADC notfalls einspringen würde als Repräsentant?

Der ADC hat ja längst mit der Planung des nächsten Qualifikationswettbewerbs begonnen. Eigentlich hätte dieser Ende August lanciert werden sollen. Weischer.Media wollte dann aber eine Verschiebung in den Januar 2020 – wir sind aber davon ausgegangen, dass er stattfindet. Darum ist es naheliegend, dass der ADC Switzerland sich anbietet, die Repräsentanz per sofort zu übernehmen. In diesem Fall würden wir den attraktivsten Wettbewerb für junge Talente voraussichtlich doch noch im Januar durchführen können. Und vielleicht sogar in fünf Kategorien.

 

Die Rede war aber nur von vier Kategorien?

Die genauen Gründe, warum die Kategorie PR bislang nicht durchgeführt wurde, kenne ich nicht. Natürlich müssen genügend Teams für die Qualifikation zusammenkommen, sonst lohnt sich der Aufwand nicht. Aber mir gegenüber wurde ein grosses Interesse von führenden PR Agenturen in der Schweiz bekundet – der Bund der Public Relations Agenturen der Schweiz (BPRA) hat den offenen Brief mitunterzeichnet.

 

Wieso ist dem ADC die Durchführung des Nachwuchswettbewerbes so wichtig?

Der ADC ist das Qualitätslabel der kommerziellen Kommunikation in allen Disziplinen, von Digital über Film bis zu spezifischen Craft-Kategorien. Qualität bedeutet für die Auftraggeber letztlich Investitionssicherheit. Einerseits tut der ADC das, indem er jährlich die besten Kommunikationsmassnahmen juriert, diskutiert und prämiert als Benchmarks für Agenturen und Auftraggeber. Und andererseits fördert der ADC die Qualität der Mitarbeitenden in Agenturen, indem er sich stark für Aus- und Weiterbildung engagiert. Zum Beispiel mit der AdSchool, einem berufsbegleitenden CAS. Oder mit der Creative Week in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste. Oder eben mit der Durchführung des Young Creatives Awards für Cannes und übrigens auch mit einem Bootcamp für die Gewinner-Teams, damit sie die Cannes-Bedingungen schon vor Cannes in Echtzeit durchmachen können. Da wir ohnehin nahe an den Jungen dran sind und den Wettbewerb in der Vergangenheit durchgeführt haben, ist der Vorschlag, die Schweiz-Repräsentation von Weischer.Media zu übernehmen, ja nicht ganz abwägig. Das birgt auch einiges an finanziellen Risiken für den ADC. Aber die nehmen wir in Kauf, denn das ist wichtig für unsere Branche.

 

Also würde der ADC auch finanziell für alles aufkommen, was Weischer bisher gezahlt hat?

Wenn Weischer die Repräsentanz an uns abtritt, dann liegt es an uns, für alle Kosten aufzukommen. Der ADC hätte aber insofern den Vorteil, dass er bereits über Infrastruktur, Personal und Erfahrung verfügt.

 

Könnte der ADC das überhaupt finanziell stemmen?

Auch wenn die Kosten an uns hängenblieben: Erste Gespräche offenbaren eine grosse Solidarität. Verschiedene Partner und Auftraggeber haben den Wettbewerb schon bisher mitgetragen und uns weiterhin Unterstützung zugesichert. Im Notfall gibt’s nur vegetarische Bratwurst und Bürli bei der ADC Gala nächstes Jahr (lacht).

 

Sprechen wir hier von einer kurzfristigen Notlösung oder von einem langfristigen Engagement?

Nein, bei einem derartigen Engagement kann es nicht um eine kurzfristige Notlösung gehen. Wir müssten ja unsere Infrastruktur ausbauen – das macht man nicht für ein, zwei Jahre. Wir sprechen hier von einem langfristigen Commitment des ADC Switzerland. Daher hat unsere Reaktion auch drei Tage gedauert. Media.Weischer hatte uns ihre Entscheidung in einem Meeting einen Tag vor Publikmachung kommuniziert. Wir haben sofort mit Überlegungen und Gesprächen begonnen und sind zum Schluss gekommen: Wenn wir diesen Wettbewerb retten möchten, dann muss irgendjemand die Repräsentanz von Media.Weischer übernehmen.

 

Täuscht der Eindruck, oder könnte die neuste Entwicklung auch eine Chance sein? Man hat ja das Gefühl, dass die Branche und der ADC nicht unbedingt glücklich war mit Weischer.Media als Repräsentant. Man fühlte sich als Anhängsel von Deutschland, kritisierte die fehlende Vertretung in der Jury, war unglücklich mit der fehlenden PR-Kategorie bei den Jungen…

Wichtig: Es geht nicht um ein Bashing von Weischer.Media, sondern es geht nur um die angemessene Repräsentanz unseres Landes. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden von Weischer.Media bis hin zu Florian Weischer schätze ich persönlich sehr. Natürlich gab es Bedenken in der Branche, dass die Schweiz zum Anhängsel von Deutschland werden könnte, weil Weischer.Media ja auch Deutschland repräsentiert und die entscheidenden Kontakte nicht in der Schweiz sind, sondern in Deutschland. Dazu gehört auch das leidige Thema der Anzahl Jury-Mitglieder vor Ort. Aber das ist nicht nur ein Thema in der Schweiz, sondern auch in anderen kleineren Ländern.

 

Ist der Plan, die Repräsentanz zu übernehmen, mit diesem Brief beschlossene Sache oder geht es in erster Linie darum, Druck auszuüben?

Lamentieren liegt dem ADC nicht. Der Brief ist ein konkretes Lösungsangebot.

 

Gehen Sie davon aus, dass Weischer.Media auf das Angebot eingeht und die Repräsentanz dem ADC übergibt?

Die Repräsentanz der Schweiz sollte eine Freude für alle Beteiligten sein. Wir sprechen bei Cannes über das grösste Stelldichein von Agenturen, Tech-Unternehmen und Auftraggebern weltweit. Und der in der heutigen Zeit so wichtigen Schnittstelle zwischen Technologie und Kreativität. Da zu sagen, wir beschränken uns nur noch auf Mediaagenturen, weil dort zusammen mit den Auftraggebern die Mediaentscheidungen gefällt werden… das kann es nicht sein. Die kreative Qualität in den Kinosälen kann einem Kinovermarkter doch nicht völlig egal sein. Darum haben wir ein Angebot gemacht. Jetzt schauen wir mal.

 

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