KI und die Schweiz: Studie zeigt Chancen, Wettbewerb fördert Talente
Eine neue Studie von W.I.R.E., unterstützt von Microsoft Schweiz und dem ETH AI Center, zeigt das Potenzial von KI für Gesellschaft und Wirtschaft in der Schweiz. Gleichzeitig fördert der Schweizer Wettbewerb Künstliche Intelligenz junge Talente wie Divij Haralalka und Andrea D’Ignazio, die mit ihrer Europa-Park-Anwendung überzeugten.
Junge Talente begeistern mit kreativen Anwendungen
Der Schweizer Wettbewerb Künstliche Intelligenz bot jungen Talenten unter 20 Jahren die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten im Bereich KI unter Beweis zu stellen. In der Kategorie «Creative Coding» setzten sich Divij Haralalka und Andrea D’Ignazio mit ihrer Anwendung «Thriller Route Optimizer» durch, die Besucherinnen und Besuchern des Europa-Parks hilft, alle Bahnen ohne Wartezeiten zu nutzen. Diese innovative Lösung überzeugte die Jury. Der Preis wurde von Fiona Könz, Projektleiterin am ETH AI Center in Zürich, überreicht. Der renommierte Wettbewerb, organisiert vom ETH AI Center, wurde von der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich und dem Kanton Schwyz initiiert und in Zusammenarbeit mit dem Bundeswettbewerb Künstliche Intelligenz durchgeführt. In der Kategorie «AI for Good» gewannen Sonja und Lena Merkli mit ihrer KI-Anwendung «Ingredient Scanner». Beide Siegerteams erhielten einen Gutschein im Wert von 2000 Franken.
Studie: Produktivitätsgewinne dank KI
Laut Studie erwarten 68 Prozent der Befragten, dass die Produktivität in Unternehmen durch den Einsatz von KI in den nächsten fünf Jahren zunehmen wird – 27 Prozent rechnen sogar mit einer starken Zunahme. Diese Produktivitätsgewinne durch KI werden von knapp der Hälfte der Befragten bereits in den nächsten zwei Jahren erwartet. Der Grossteil der restlichen Befragten rechnet immerhin in den nächsten fünf Jahren mit einer spürbaren Produktivitätssteigerung.
Gesteigerte Innovationsfähigkeit
Neben Produktivitätsgewinnen wird häufig betont, dass KI die Innovationsfähigkeit von Unternehmen steigern kann. Dies zeigen auch die Umfrageergebnisse: 86 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass Organisationen ihre Innovationskraft durch den Einsatz von KI deutlich fördern können. Die Rentabilität ist eng mit den Produktivitätsgewinnen und der Innovationsfähigkeit verknüpft. Auch hier erwartet die Mehrheit der Befragten (73 Prozent) eine Zunahme, allerdings gehen nur 9 Prozent von einer starken Zunahme aus.
Vielseitige Einsatzmöglichkeiten von KI
Die Studie zeigt, dass Künstliche Intelligenz zahlreiche Anwendungsgebiete eröffnet, um zukünftige Herausforderungen in der Schweiz zu meistern:
An erster Stelle ragt der Ausbau der Forschungsexzellenz mit 87 Stimmen hervor. Dies deutet darauf hin, dass die Schweiz ihr bereits international bekanntes Renommee in der Forschung dank KI weiter stärken und ausbauen könnte.
Auf dem zweiten Platz folgt der Fachkräftemangel mit 72 Stimmen. Diese Erkenntnis steht im Einklang mit den Ergebnissen der durchgeführten Expert:inneninterviews. In diesen wurde betont, dass KI zwar den Fachkräftemangel nicht vollständig beheben kann, jedoch durch ihre ergänzende Technologie die negativen Auswirkungen erheblich reduzieren könnte.
Den dritten Platz belegt der zunehmend grösser werdende Wachstums- und Innovationsdruck, der von 58 Befragten genannt wurde. Ähnlich wie beim Ausbau der Forschungsexzellenz könnte KI auch hier eine tragende Rolle spielen, indem sie Unternehmen dabei unterstützt, innovativer und wettbewerbsfähiger zu werden.
Weitere Optionen wie der Erhalt und die Förderung der Schweizer Bildungsqualität, der Umgang mit dem Klimawandel und die Erhöhung der Standortattraktivität erhielten in der Studie ebenfalls signifikante Aufmerksamkeit.
Potenzial für wirtschaftliches Wachstum und Produktivität
Aus Sicht der befragten Organisationen dürfte die wirtschaftliche Produktivität durch KI in den nächsten fünf Jahren ansteigen: 68 Prozent gehen von einer Zunahme und 27 Prozent sogar von einer starken Zunahme aus. Nur eine Minderheit von 5 Prozent glaubt an keine Veränderung und niemand geht davon aus, dass die Produktivität gar abnehmen könnte. Diese Einschätzung steht im Kontrast zu den bisher nicht messbaren Produktivitätsgewinnen.
Breites Spektrum von Anwendungsfeldern
Bei der Frage nach den KI-Anwendungsbereichen, die den grössten Mehrwert für die Schweizer Wirtschaft bieten, zeigt sich zunächst ein breites Spektrum von Einsatzmöglichkeiten. Das grösste Potenzial wurde – wenig überraschend – der (Teil-)Automation repetitiver Aufgaben, der Unterstützung bei der Software-Entwicklung, etwa durch Programmierung, Fehlerbehebung und Dokumentation, sowie der Datenanalyse und -interpretation zugeschrieben. Ein klarer Hinweis auf die künftige Rolle von KI als «Arbeitstool», das im Hintergrund dazu beiträgt, die Effizienz zu steigern und menschliche Tätigkeiten zu unterstützen.
Folgen von KI für die Gesellschaft in der Schweiz
Bei der Einschätzung der Folgen von KI auf die Gesellschaft zeigen sich gegensätzliche Sichtweisen: In Bezug auf die Entscheidungsfähigkeit der Menschen glauben 47 Prozent der Befragten, dass diese Fähigkeit durch den Einsatz von KI zunehmen wird. Die restlichen 53 Prozent erwarten jedoch entweder keine Veränderung oder negative Auswirkungen. Eine differenzierte Analyse der möglichen Einflussfaktoren, die die Entscheidungsfähigkeit beeinflussen, zeigt, dass es einerseits um die Qualität der verfügbaren Informationen geht, andererseits aber auch um die Fähigkeit, diese zu nutzen. KI wird sicherlich zu einer einfacheren und grösseren Dichte von Entscheidungsgrundlagen führen, andererseits können diese, gerade bei generativer KI, fehlerhaft sein. Zudem bringt eine hohe Informationsdichte nicht zwingend mehr Klarheit und könnte stattdessen zu einer weiteren Überforderung beitragen.
KI als Chance für Schweizer KMU
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen insbesondere das Potenzial von KI für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Durch den Einsatz spezialisierter und kleinerer KI-Modelle können auch Unternehmen, die nicht über riesige Datensätze verfügen, von den Vorteilen der Technologie profitieren. Diese Modelle sind energieeffizienter und besser auf spezifische Bedürfnisse zugeschnitten. Dadurch können KMU ihre Effizienz steigern und sind in der Lage, innovative Lösungen entwickeln. Auf der anderen Seite zeigte die Studie einen grossen Bedarf an KI-Wissensvermittlung bei KMU, womit sich die Studien-Ersteller sich künftig vermehrt befassen wollen.
«Mit KI und Gen AI verfügen wir über leistungsstarke Technologien, die einige der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit lösen können. Dabei liegt es in unserer Verantwortung, diese Technologien so einzusetzen, dass sie uns optimal zugutekommen. Der Ausbau der KI- und Gen AI-Fähigkeiten ist essenziell, um die digitale Transformation in der Schweiz zu beschleunigen und die Wettbewerbsfähigkeit sowie Innovationskraft des Landes zu sichern“, so Catrin Hinkel, CEO von Microsoft Schweiz.
«Die prognostizierten wirtschaftlichen Potenziale von KI werden nur dann zu einer langfristigen Wertschöpfung in der Schweiz beitragen, wenn gesellschaftliche und ökologische Anforderungen systematisch berücksichtigt werden», ergänzt Dr. Stephan Sigrist, Studienautor und Gründer vom Think Tank W.I.R.E. «Der Nutzen von KI erschliesst sich für die Schweiz aber nicht allein über Konzerne und Startups, sondern auch durch die Befähigung der KMU. Die Schweiz hat die Chance, sich international als führender KI-Standort zu positionieren, allerdings nur, wenn sie den Mut findet, sich im bestehenden Wettbewerb durch ihre traditionellen und künftigen Stärken zu positionieren.»
9 Thesen zum langfristigen Einfluss von KI
Basierend auf den Erkenntnissen der quantitativen Befragung der Organisationen und den vertiefenden Expertengesprächen, die den mittelfristigen Einfluss von KI in den Mittelpunkt stellen, lassen sich gemäss den Studienverfasser:innen in Verbindung mit weiteren Erkenntnissen bestehender und neuer Studien, vorausschauenden Einschätzungen aus den Vertiefungsgesprächen und dem Verknüpfen von Argumenten neun Thesen zu den langfristigen und weiterführenden Entwicklungen formulieren. Diese liefern Denkanstösse, Inspiration, aber auch kritische Hinweise, die für die grundlegende strategische Planung im Umgang mit KI in den nächsten Dekaden relevant sein könnten.
- The Rise of the «AI-Verse»: KI wird in Zukunft allgegenwärtig sein und sowohl im Hintergrund als auch in direkter Interaktion mit Menschen eingesetzt werden. Die Anwendungen reichen von einfachen Tools bis hin zu komplexen Lösungen für die Spitzenforschung.
- From «Disruption» to Evolution»: Die Integration von KI wird ein evolutionärer Prozess sein, der Zeit benötigt und regulatorische sowie gesellschaftliche Rahmenbedingungen erfordert. Der Erfolg von KI hängt von der Qualität der KI-basierten Leistungen und dem Vertrauen der Menschen ab.
- Rethinking Intellectual Property: Der Wettbewerb um qualitätsgeprüfte Trainingsdaten wird zunehmen. Es gilt, Urheberrechte und Datenschutz zu beachten sowie eine gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit geistigem Eigentum im Zusammenhang mit KI zu führen.
- Small will be Beautiful: Neben großen KI-Modellen werden kleinere, spezialisierte und Open-Source-basierte Modelle an Bedeutung gewinnen. Die Schweiz kann hier eine Schlüsselrolle spielen, insbesondere für KMU.
- From Design to Selection: Generative KI führt zu einer Zunahme automatisch generierter Lösungen. Der Mensch wird zum Selektor und Kurator. Die Schweiz sollte sich auf nützliche KI-Lösungen konzentrieren und nicht von der Optionsvielfalt ablenken lassen.
- The Hidden Longtail of AI: Neben großen KI-Plattformen wird es viele kleine Nischenanbieter geben. Die Schweiz kann ihre Nischenwirtschaft stärken, indem sie KMU und Start-ups den Zugang zu KI erleichtert.
- The Regulator’s Dilemma: KI kann bei der Umsetzung von Regulierungen helfen, birgt aber auch die Gefahr von Bürokratie und Intransparenz. Die Schweiz sollte eine vorausschauende und zurückhaltende Regulierung anstreben, die sowohl Sicherheit als auch Innovation ermöglicht.
- Reverse Societal Impact: Der KI-Einsatz kann zu Kompetenzverlust und verändertem Qualitätsverständnis führen. Die Schweiz sollte komplementäre Fähigkeiten wie kritisches Denken und Kreativität fördern.
- Bot-Bot Normalcy: Die Zunahme von Bot-Bot-Interaktionen erhöht zwar die Effizienz, birgt aber auch die Gefahr von Entkopplung und Realitätsverlust. Die Schweiz sollte sicherstellen, dass der Mensch bei wichtigen Entscheidungen eingebunden bleibt.
Die Studie basiert auf einer Umfrage unter Schweizer Unternehmen und Expert:innen, ergänzt durch Interviews und Fallstudien. Quantitative Daten wurden durch qualitative Analysen ergänzt, um ein vollständiges Bild der aktuellen und zukünftigen Auswirkungen von KI zu zeichnen. Dabei wurden verschiedene Branchen und Unternehmensgrössen berücksichtigt, um die breite Anwendbarkeit der Ergebnisse sicherzustellen. An der quantitativen Befragung nahmen insgesamt 111 Vertreter:innen von Schweizer Unternehmen teil. Darüber hinaus wurden 20 qualitative Interviews mit Expert:innen aus unterschiedlichen Sektoren und Wissensgebieten im direkten und indirekten Umfeld von KI geführt.