A. Michael Spence: Fragmente der neuen Welt

Wirtschaftsnobelpreisträger Prof. A. Michael Spence sorgt mit einem neuen Buch für Aufsehen: Zusammen mit Ex-Briten-Premier Gordon Brown und Star-Ökonom Mohamed A. El-Erian fordert er, die Fragmentierung der Weltordnung anzuerkennen – und aus ihren Teilen etwas Neues zu bauen.

(Bild: zVg. / Bearbeitung: Silvan Borer)
(Bild: zVg. / Bearbeitung: Silvan Borer)

m&k Werbewoche.ch: A. Michael Spence, die Entstehungsgeschichte Ihres neuen Buchs «Permacrisis: A Plan to Fix a Fractured World» könnte wie ein beliebter Witz beginnen: «Kommen drei Leute in eine Bar …» – und bei diesen drei Leuten handelt es sich um einen Nobelpreisträger, einen britischen Premierminister und einen Ökonom von Weltrang.

Prof. A. Michael Spence: Naja, wenn Sie eine Bar als Metapher benutzen möchten, müsste es eine digitale Bar sein (lacht). Gordon Brown, Mohamed A. El-Erian und ich führten die Gespräche, die schliesslich zum Buch wurden, nämlich virtuell – während der Covid-Pandemie. Mohamed spielte dabei eine zentrale Rolle: Wir kennen uns seit mehr als 15 Jahren, ich habe viel von ihm gelernt; und er wiederum kennt Gordon schon ewig. Während der Pandemie telefonierten oder zoomten die beiden häufig miteinander und tauschten sich aus, zunächst über die britische, dann über die globale Wirtschaft. Mohamed interessierte sich für meine Perspektiven zu bestimmten Themen, also lud er mich ein, an den Unterhaltungen teilzunehmen. Daraus wurde ein Diskurs von zwölf oder 13 Monaten …

 

… den Sie dann in Buchform festzuhalten entschieden?

Ja, wobei Mohamed direkt nach dieser Entscheidung eine treffende Frage stellte: «Hat eigentlich irgendjemand Notizen gemacht?» (lacht) Natürlich hatte das niemand getan. Also haben wir das Terrain aufgeteilt und Leitlinien formuliert: Welche neuen Wachstumsmodelle und -prognosen gibt es? Welche Implikationen haben politische Veränderungen für die Weltwirtschaft? Mit welchen Herausforderungen, aber auch Chancen sehen wir uns konfrontiert? Welche Fehler machen wir aktuell? Gibt es eine Möglichkeit, positive Trends zu stärken und negative Trends zu mitigieren? Natürlich wollten wir nicht, dass es für die Leser:innen klingt, als hätten drei Autoren mit ganz unterschiedlichem «Sound» individuelle Essays geschrieben, aus denen man am Ende ein Buch zusammengebastelt hat. Wir holten also Reid Lidow ins Boot – ein unglaublich talentierter Autor, den Gordon von früheren Projekten kennt. Er machte aus unserem «Expertensprech» elegante und vor allem verständliche Formulierungen, und dann dauerte es nur acht Monate, bis der Verlag mit der Distribution des Werks beginnen konnte.

«Wir leben in einer Welt, in der eine Überlappung globaler Schocks stattfindet.»

 

Das ist bemerkenswert, insbesondere, weil das Buch sich einer Verflechtung enorm komplexer Probleme widmet – Sie sprechen daher schon auf dem Titel von einer «Permacrisis», einer Dauerkrise. Warum haben Sie diesen Begriff gewählt?

Weil wir in einer Welt leben, in der nicht nur immer häufiger lokale Krisen auftreten, sondern auch eine Überlagerung globaler Schocks stattfindet. Nehmen Sie allein die Wirtschaft: Auf die asiatische Finanzkrise folgte das Platzen der «Dot-Com-Blase», «9/11», dann die globale Finanzkrise, dann die Staatsschuldenkrise in Europa – und schliesslich die Covid-Pandemie, die nicht nur viele Menschen ihr Leben, sondern auch viele Unternehmen ihre ökonomische Grundlage kostete. Oder sehen Sie sich den Klimawandel an: Es kommt zu so vielen Naturkatastrophen in so kurzer Abfolge, dass wir keine Pläne mehr für die nächsten 30, 40 Jahre zu schmieden brauchen, sondern wir jetzt handeln müssen! Und dann der Krieg in der Ukraine … Wenn unser Buch als Taschenbuch erscheint, müssen wir wahrscheinlich noch einen neuen Krieg im Nahen Osten mit in die Analysen aufnehmen. Die erste Dimension einer Permakrise ist also eine Verschiebung der Ereignisstruktur von «Auf A folgt B folgt C» hin zu «A und B und C passieren gleichzeitig, überall, und interferieren miteinander».

 

Und die zweite Dimension?

Das wäre ein fundamentaler, struktureller Wandel – der wird als Komponente von Permakrisen gerne übersehen. Aber es sind nicht nur die sich überlagernden Schocks, die eine Permakrise konstituieren, sondern auch Veränderungen in der Weltwirtschaft und den Institutionen, die sie bisher geprägt und reguliert haben. Die Transformation von Lieferketten, der Handel mit Energie, die Akkumulation wirtschaftlicher Macht in Territorien, die bisher als Schwellenländer bezeichnet – und behandelt – wurden … all das sind wohl irreversible Entwicklungen, teilweise evoziert von den genannten externen Ereignissen, teilweise historisch oder politstrategisch motiviert. In der Kombination beider Dimensionen liegt die fundamentale Frage unseres Buchs: Wie finden wir uns in einer Welt zurecht, die gerade erst in ihrer Entstehung befindlich ist? Und wie machen wir – als Politiker:innen, als Banker:innen oder Wirtschaftsführer:innen – das Beste daraus? Wissen Sie: Wir können entweder deprimiert auf die Erosion der uns bekannten Ordnung blicken oder das Gute in dem, was kommt, zu sehen versuchen. Die Entscheidung ist uns überlassen.

 

In Ihrem Buch tun Sie Letzteres – es hat daher einen durchaus optimistischen Unterton.

Das Wachstum neuer Märkte ist nichts per se Negatives, ebenso wie die wissenschaftlichen und technologischen Innovationen, die aus Krisen hervorgehen können. Denken wir an den Hyperboost, den die Entwicklung einer neuen Klasse von Impfstoffen durch die Pandemie erfahren hat – davon könnten wir in Zukunft noch enorm profitieren. Den gedanklichen Shift hin zu einer «Krise als Ressource» müssen wir aber erst einmal vollziehen, denn er liegt nicht gerade im menschlichen Naturell (lacht).

 

Weil Sie neue Märkte in bisherigen Schwellenländern ansprechen: Ist die Zeit, in der «der Westen» den Takt und die Regeln vorgibt, an ihr Ende gekommen? Und wenn dem so wäre, war dann Globalisierung nie wirklich inklusiv?

Gute Frage. Globalisierung war inklusiv, solange wir stärker davon profitiert haben als andere. Solange unsere «Zulieferer» keine allzu grossen Begehrlichkeiten angemeldet haben, hat es uns nicht gestört, dass ein Knowhow- und Technologietransfer stattfindet, dass sie einen Teil des Kuchens abbekommen und sich dadurch die Ungleichheit auf dem Planeten vermindert. Aber wollten wir wahre, vollkommene Gleichheit? Nein. Wir wollten den Grossteil des Profits für uns und wir wollten bestimmen. Das ist kein moralisches Urteil, sondern einfach die Beobachtung, die ich als Ökonom gemacht habe. Dass das einerseits unsere Zulieferer immer selbstbewusster macht, weil wir uns in eine immer grössere Abhängigkeit von ihnen begeben, und es andererseits gravierende innenpolitische Folgen hat, wenn wir Arbeitsplätze in der Produktion ins günstige Ausland verlagern, das haben wir nicht hinreichend bedacht. Länder werden mutiger, aggressiver, wenn sie nicht mehr auf uns als «Abnehmer» angewiesen sind, sondern sich die Verhältnisse kehren; und Menschen werden frustriert, wenn sie ihren Beruf verlieren. «Warum werden wir nicht zu der Party eingeladen, die ihr auf unsere Kosten feiert?» – das ist die Frage, die sich Nationen und einzelne Individuen gleichermassen stellen, und in dieser Frage – ob sie nun nach Populismus klingt oder nicht – liegt Sprengkraft.

«Globalisierung war inklusiv, solange wir stärker davon profitiert haben als andere.»

 

Sie und Ihre Mitautoren sprechen von der Emergenz einer «multipolaren Welt», in der die Blöcke und Allianzen von einst Makulatur werden. Kann man diesen Begriff im wissenschaftlichen Diskurs überhaupt noch benutzen – oder haben Autokraten wie Wladimir Putin und Xi Jinping ihn nicht längst zu einem politischen Kampfbegriff gemacht?

Wir können den Begriff ja auch einfach aus unserem Vokabular streichen – Problem gelöst (lacht)! Aber Spass beiseite: Wenn wir multipolar sagen, dann meinen wir eine in permanenter Bewegung befindliche Varianz von politischen und wirtschaftlichen Interessenzentren, die in Bereich X miteinander kooperieren, in Bereich Y aber absolut konträre Ansichten haben können. Menschen wie Putin und Xi meinen eher neue, aber durchaus verfestigte Machtzentren – China und sein vermeintlicher Einflussbereich als Pol, Russland und sein vermeintlicher Einflussbereich als Pol etc. Aber das ist keine Entwicklung, keine adäquate Abbildung unserer Welt – aus wenigen Blöcken werden in dieser Vorstellung einfach viele Blöcke, die entweder miteinander verbündet sind oder sich als Gegner betrachten. Wir wiederum denken, dass die BRICS-Staaten vielleicht interessiert sind, mit den USA beim Thema Klimawandel eng zu kooperieren, sich aber an der Dominanz des US-Dollars stören. Die Weltpolitik wird damit … naja, sie wird zumindest nicht übersichtlicher (lacht). Aber man muss künftig eben kontinuierlich austarieren, wo man gemeinsamen Boden findet, anstatt in Absolutismen zu sprechen.

 

Das hat allerdings nicht nur wirtschafts-, sondern auch sicherheitspolitische Aspekte.

Absolut. Wir vertrauen einander nicht mehr. Zahlreiche Staats- und Regierungschef:innen arbeiten hart daran, dass die Situation nicht ausser Kontrolle gerät, aber auch in sicherheitspolitischen Fragen ist der Einfluss, den der Westen nach Ende des Kalten Krieges hatte, drastisch gesunken. Und – selbst wenn es da andere Stimmen geben mag – ich glaube, dieser Einfluss war tatsächlich gut für die Erde. Die Ordnungsmächte, die die Geschicke der Welt zu lenken versuchten, waren weitestgehend benevolent. Die G7 – für eine Weile mit einem deutlich moderateren Russland die G8 –, der UN-Sicherheitsrat, IWF oder Weltbank … wollten die globale Gemeinschaft vor Schaden bewahren. Sie konnten aber nur funktionieren, solange es ein Mindestmass an internationalem Konsens gab. Dadurch erhielten sie Macht und Mandat. Heute würde es nicht mehr funktionieren, dass ein europäisches Land China in Währungsfragen überstimmen kann; heute kann die UN kaum noch Resolutionen verabschieden, weil ständig irgendjemand irgendetwas blockiert. Die grossen Institutionen sind Papiertiger geworden.

 

Können wir die Institutionen denn reformieren – oder ist es, wie Sie vorhin gesagt haben, realistischer, dass wir nur noch über partikuläre Themen verhandeln, wenn es sich gerade für mehrere Akteure anbietet?

Kurz- bis mittelfristig wird der Begriff Allianz ein Synonym für «gleiches Interesse im gleichen Moment» sein. Ich weiss, dass das nicht schön ist – und Gordon würde einwenden, dass Pragmatismus keine Entschuldigung ist, um nicht mit aller Kraft an einer Wiederherstellung multilateraler Institutionen zu arbeiten. Da stimme ich ihm zu, aber das dauert. Und bis dahin müssen wir daran festhalten, dass niemand seine nationale Wirtschaft mutmasslich gegen die Wand fahren will; dass also Handel die Tür zu breiterer Kooperation wieder aufstossen könnte, wenn die Zeit reif ist. Vielleicht machen wir es bei besagtem Handel aber diesmal besser und gestalten ihn wirklich inklusiv, sonst fühlt sich am Ende garantiert wieder jemand abgehängt … und wir bekommen neue Probleme.

 

Handel zwischen Russland und Europa hat den Ukraine-Krieg nicht verhindern können.

Richtig. Aber prinzipiell würde ich sagen: Wenn man enge, wirtschaftliche Verflechtungen mit anderen Staaten hat, dann überlegt man sich zumindest zwei Mal, ob man etwas tut, das diese Verflechtungen gefährdet. Sie sind … besser als nichts.

 

Eine der Leitideen von Fukuyamas «Ende der Geschichte» Anfang der 1990er-Jahre war, dass Kapitalismus als Exportmodell quasi inhärent die Demokratie als Erfolgsmodell beinhaltet … und alle Länder Letztere adaptieren werden. Nun merken wir: Kapitalismus und Demokratie kommen ohne einander aus.

Wir haben gehofft, dass Länder, die ihre Wirtschaft entwickeln, mit zunehmender Prosperität auch ihre Regierungssysteme reformieren – dass sie «wirtschaften wie wir» und damit «werden wie wir». Es kam anders.

 

Warum?

Weil wir in der Hoffnung, dass nach dem Kalten Krieg endlich «alles gut» wird, zunächst die Mannigfaltigkeit – das Spektrum – kapitalistischer Modelle vernachlässigt haben. Es gibt nicht den «einen» Kapitalismus, den Sie jedem beliebigen Land aufoktroyieren können. Sicher ist nur, dass Extreme nirgendwo funktionieren – radikaler Liberalismus, der die Wirtschaft ohne Regulationen walten lässt, ist ebenso zum Scheitern verurteilt wie Planwirtschaft. Denn Letzterer fehlt es an Anreizen zum individuellen Engagement: Da können Sie sich auf Adam Smiths Schriften verlassen oder sich in die katastrophalen Politexperimente der jüngeren chinesischen Geschichte vertiefen. Wissen Sie, wie die chinesische Wirtschaft ihren ersten «Boom» erlebte? Indem man die Bauern motivierte, mehr zu produzieren, als es ihre Quoten vorgaben, und ihnen versprach, dass sie die Überproduktion auf dem freien Markt anbieten dürften. So viel zum Thema Planwirtschaft. Wie auch immer, zurück zu meinem Punkt vom Anfang: Wir sind lange davon ausgegangen, dass es eine Art «Median-Kapitalismus» gibt, bei dem sich nach und nach alle Nationen treffen werden. Wir haben auch geglaubt, es gibt eine «Median-Demokratie». Beides ist falsch. Von den extremen Modellen, die wir genannt haben – und die a priori zum Scheitern verurteilt sind –, einmal abgesehen, werden andauernd überall die Regler und Spektren verschoben, die Grenzen ausgelotet, die Parameter neu evaluiert. Damit müssen wir uns abfinden.

«Wir vermögen nicht zu prognostizieren, ob der KI-Schub in einer S-Kurve mündet oder andauert.»

 

Sie beschäftigen sich in Ihrem neuen Buch auch mit den Folgen von künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Ich muss Ihnen die zugehörige Gretchenfrage stellen: Wird KI unsere Produktivität boosten – oder eine Menge Arbeitsplätze obsolet machen?

Das abschliessende Urteil können wir erst in einigen Jahren fällen, denke ich. Noch gibt es zu viele Variablen in der Gleichung. Ich habe gerade zusammen mit James Manyika von McKinsey ein Paper in «Foreign Affairs» publiziert, wo wir uns mit genau dieser Frage beschäftigen: James versteht viel mehr von der Technologie als ich, aber wir sind einer Meinung, was die möglichen Folgen einer immer breiteren Anwendung betrifft. Initial werden wir überall in der Wirtschaft einen enormen Produktivitätsschub beobachten, aber wir vermögen nicht zu prognostizieren, ob dieser Schub in einer S-Kurve mündet – also auf einem gewissen Plateau zum Erliegen kommt – oder immer weiter andauert.

 

Haben Sie eine Vermutung?

Nun: Generative KI unterscheidet sich von älteren Spracherkennungs- oder Bilderkennungsalgorithmen durch ihre breite Anwendbarkeit und ihre Zugänglichkeit. Man braucht keinerlei Ausbildung, um mit Chat GPT zu interagieren, simple Prompts zu schreiben und die KI als Assistenz zu verwenden. Ich denke, das wird zumindest für eine Weile die primäre Funktion sein: Assistenz. Nicht vollständige Automatisierung, die menschlichen Input obsolet macht. Der Computer schreibt die erste Version einer Software, der Ingenieur verbessert sie. Der Computer schreibt einen Draft eines Patientenberichts, die Ärztin ergänzt wichtige Details. Und so weiter.

 

Es geht also nicht darum, den Softwareingenieur oder die Ärztin zu ersetzen. Es geht darum, ihnen lästige Arbeit abzunehmen, damit sie mehr Zeit haben, ihr Fachwissen gezielter einzusetzen.

Das ist richtig. Das ist die optimistische Prognose, die ich vertrete – und für die wir auch im Buch plädieren. Ich kenne selbstverständlich Erik Brynjolfssons «Turing-Falle» und, angewandt auf KI, die verzerrte Wahrnehmung von Automatisierung, der CEOs oder HR-Leader:innen nicht auf den Leim gehen dürfen. Zuerst bauen wir eine Maschine, die uns, wenn wir ihr Fragen stellen, das Gefühl vermittelt, dass wir nicht mit einer Maschine sprechen. Daher scheint es uns naheliegend, den Output der KI mit dem des Menschen zu vergleichen; irgendeine Benchmark muss es ja geben. Aber wenn wir daraus schliessen: «Die KI ist schneller und besser – lasst uns die Menschen loswerden», dann gefährden wir Unternehmen viel stärker, als dass wir ihnen etwas Gutes tun.

 

Wieso?

Weil die erhöhte Produktivität, die KI gewährleisten kann, keinen «Überschuss» an Output generieren wird, sondern jene Lücken füllen wird, die anders nicht zu füllen wären. Die USA und viele europäische Staaten leiden unter eklatantem Fachkräftemangel und Überalterung – ein hervorragender Zeitpunkt also, die Arbeitskraft, die wegfällt, via KI zu kompensieren.

 

In verschiedenen Interviews der vergangenen Monate haben Sie gesagt, dass Ihr neues Buch kein Patentrezept für die Dauerkrise der Gegenwart biete. Es könne als Gesprächsanstoss oder Weckruf verstanden werden, aber es beinhalte keine perfekte Lösung. Fragen Sie sich manchmal, was passieren könnte, wenn globale Leader:innen diesen Weckruf nicht hören?

Lassen Sie mich vorausschicken: Ich war immer jemand, der den Mut von Wirtschaftsführer:innen und Politiker:innen bewundert hat. Als Wissenschaftlicher habe ich es gut: Ich «muss» nur forschen, schreiben und Vorträge halten. Aber Regierungsoberhäupter und CEOs müssen in einem System mannigfaltiger Interdependenzen agieren und bei jeder Entscheidung auf dutzende Faktoren Rücksicht nehmen. Das ist eine veritable Kunst – man braucht nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch Charakter und Talent, um das gut zu machen. Nun zu Ihrer Frage: Wenn diejenigen, die die Entscheidungen treffen, ihr Handeln nicht an die Tatsachen anpassen – wenn sie sich der neuen Un-Ordnung der Welt entgegenstemmen, anstatt darin innovative Opportunitäten auszuloten –, könnte es unangenehm werden. Ich mag nicht über Katastrophen oder völligen Stillstand der Wirtschaft fabulieren, das entspricht mir nicht. Aber wir würden so wenig von dem Potenzial, das selbst in dieser Dauerkrise verborgen liegt, nutzen, dass es eine schreckliche Verschwendung wäre! Bei all den negativen Nachrichten dieser Tage dürfen wir nicht einfach die Hände in den Schoss legen – dürfen nicht wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und warten, ob wir verspeist werden. Wir müssen uns klarmachen, dass herausfordernde Umstände positive Lösungen katalysieren können, und entsprechend mutig agieren. Wir sollten nicht die Daumen drücken, dass die Welt von selbst angenehmer und einfacher wird. Wir sollten uns die Daumen drücken, dass wir sie angenehmer und besser zu machen vermögen.


Andrew Michael Spence ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Im Jahr 2001 erhielt er zusammen mit George A. Akerlof und Joseph E. Stiglitz den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für ihre Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten, insbesondere der Adversen-Selektion. Spence war Professor an der Harvard University (Graduate School of Business), vorher war er an der Stanford University.

In ihrem Buch «Permacrisis: A Plan to Fix a Fractured World» zeichnen Wirtschaftsnobelpreisträger A. Michael Spence, der ehemalige britische Premierminister Gordon Brown und Star-Ökonom Mohamed A. El-Erian ein pragmatisches Bild der Gegenwart – ohne dabei in Pessimismus zu verfallen. Ein erfrischendes Plädoyer für Resilienz und Innovationsgeist.

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