…und wieder guckt hier keiner hin
Das Plakat unterliegt anderen Wirkungsgesetzen als etwa Radio oder TV
Das Plakat unterliegt anderen Wirkungsgesetzen als etwa Radio oder TV… und wieder guckt hier keiner hinVon Wolfgang KoschnickIm dritten und letzten Beitrag zum Thema Plakatforschung geht es ums Grundsätzliche: Noch immer sind die Forschungsmethoden mit oder ohne technische Messgeräte umstritten. Plakatstellen werden von «allen» wahrgenommen. Wirkungsforschung muss hier deshalb von einem Massenmedium ohne definiertem Zielpublikum ausgehen.
Für die Plakatforscher fangen die richtigen Probleme dort an, wo die Probleme der anderen Mediaforscher bereits gelöst sind. Und deshalb gilt es, in der Plakatforschung Fragen zu beantworten, die es in der «normalen» Mediaforschung gar nicht gibt. Das hängt mit den Besonderheiten der Aussenwerbung zusammen:
Die «normalen» Werbeträger haben «normale» Nutzer (Leser, Fernsehzuschauer, Radiohörer, Kinobesucher), die bei ihrem Medienkonsum auch Werbekontakt haben. Beim Plakat gibt es das nicht. Der Werbeträger «Anschlagstelle» per se hat überhaupt kein Publikum. Niemand nutzt eine Anschlagstelle, wenn kein Plakat drauf ist. Der Werbeträger ist für die Werbung nichts wert, wenn kein Werbemittel vorhanden ist. Bei «normalen» Werbeträgern ist das Gegenteil der Fall. Man kann also in der Plakatforschung keinerlei Anhaltspunkte für die Nutzung des Werbemittels «Plakat» aus der Nutzung des Werbeträgers «Anschlagfläche» gewinnen.
Eine Tageszeitung ist überall in ihrem Erscheinungsgebiet das gleiche Blatt. Eine Zeitschrift ist überall gleich, egal ob man sie in Zürich, Luzern, Bern oder Basel liest. Das Programm eines Radio- oder Fernsehsenders kommt bei jedem Hörer und jedem Seher genauso wie bei jedem anderen Hörer oder Seher an. Die Gleichartigkeit der Werbeträger ist ihr Charakteristikum. Deshalb sind ihre Publika relativ einfach zu messen und auch zu vergleichen.
Verschiedenartigkeit als Grundmerkmal
Beim Plakat ist das anders. Die eine Plakatstelle steht mitten im Getümmel des Zürcher Flughafens. Da kommen täglich Hunderttausende vorbei. Die andere steht in einer Kleinstadt, in der nicht viel los ist, aber es kommen immer noch einige tausend Leute daran vorüber.
Keine Plakatstelle gleicht der anderen. Die Verschiedenartigkeit der Werbeträger ist das Merkmal der Aussenwerbung. Doch man braucht nun einmal für den Werbeträger «Anschlagstelle» die gleichen Werte wie für jeden anderen Werbeträger. Man braucht vor allem Kontakte und auf der Basis der gewählten Kontaktdefinition Reichweiten und Kontakthäufigkeiten, die auf gleichem Niveau erhoben werden.
Wie soll man das jedoch tun, wenn sich der Werbeträger «Anschlagstelle» so radikal von allen anderen Werbeträgern unterscheidet? Die Antwort fällt genau so einfach aus wie die Lösung schwer fällt: Indem man sich auf eine Reihe von Konventionen und Kompromissen einigt. So funktioniert nun einmal die Mediaforschung für alle Gattungen. Lupenreine Lösungen, die allen Ansprüchen der Puristen gerecht werden, gibt es in der kommerziellen Forschung sowieso nicht.
Gleichstellung der Plakatstelle mit anderen Medien
Man muss sich also auch in der Plakatforschung zunächst über einen Schlüsselbegriff der Mediaforschung einigen: die Kontaktdefinition. Mit ihrer Hilfe werden alle isoliert, bei denen absolut klar ist, dass sie eine Anzeige oder einen Werbespot garantiert nicht sehen oder hören können. Alle anderen haben eine – je nach Lage hohe oder auch geringe – Kontaktchance. Für Printmedien ist als Kontaktchance mit einer Anzeige in der Schweiz beispielsweise definiert, wer in einer Befragung angibt, dass er eine Zeitschrift XY «gelesen oder durchgeblättert» hat.
Für die Plakatforschung muss also eine Kontaktdefinition gefunden werden, die auf demselben Messniveau bestehen kann wie die Kontaktdefinition der Leserschaftsforschung. Welche Kontaktdefinition erfüllt diesen Zweck? Genügt es, wenn jemand zweihundert Meter vor einer Anschlagstelle steht? Oder müssen es hundert Meter sein? Oder gar nur zwanzig? Ist ein Kontakt von fünf Sekunden besser als einer, der gerade mal eine halbe Sekunde anhält? Oder ist die Kontaktdauer egal?
Unterschiedliche Definitionen des Begriffs Kontakt
Immer dann, wenn leichthin von «Plakatforschung» die Rede ist, wird damit in Wahrheit «Anschlagstellenforschung» gemeint. Denn es handelt sich ausschliesslich um die Erforschung der Kommunikationsleistung des Werbeträgers «Anschlagstelle» im intermedialen Wettbewerb. Und die zentrale Frage dabei lautet: Wie unterscheiden sich die verschiedenen Anschlagstellen im Hinblick auf die von ihnen generierten Werbeträgerkontakte voneinander?
Einige Unterschiede sind so offensichtlich, dass man darüber nicht viel nachdenken muss. Natürlich ist eine riesige Leuchtfläche über den ganzen Times Square viel besser zu sehen als ein kleiner Zettel, der irgendwo in einer dunklen Seitenstrasse an einer Wand klebt. Aber entfaltet eine Anschlagfläche, die frontal zum fliessenden Strassenverkehr steht, wirklich eine höhere Kommunikationsleistung als eine, die parallel zum Verkehr steht und die man beim raschen Vorüberfahren vielleicht noch gerade so aus dem hintersten äusseren Augenwinkel wahrnimmt?
Bei diesen Detailfragen geht es um verschiedene Aspekte ein- und desselben Problems: Wie definiert man den «Kontakt» in der Plakatforschung? Die Praxis hat verschiedene Ansätze gefunden. Den einfachsten Weg beschreitet die Plakatwertung Österreich (PWÖ). Sie sagt: Wenn jemand in einer Entfernung von weniger als 80 Metern und in einem Winkel von über 30 Grad an einem Plakat vorbeikommt, hat er Kontakt. Punkt. Ob ein konkret daran vorbeigehender oder -fahrender Mensch diesen Kontakt auch wirklich hat oder nicht, ist egal.
Plakatforschungsmodelle von einfach bis sophisticated
So einfach kann man sich das machen. Die Definition des Kontakts in der Leserschafts- oder der Fernsehforschung ist ja auch nicht komplizierter festgelegt. Und die Österreicher haben sich gesagt: Es ist relativ egal, welche Kontaktdefinition man zu Grunde legt. Hauptsache, es wird für alle Plakatstellen des ganzen Landes derselbe Massstab angelegt.
Andere Forschungsvorhaben haben sich die Sache etwas schwerer gemacht und eine empirisch gestützte Kontaktdefinition gefunden. Die engherzigste Definition hat die deutsche Plakatmediaanalyse (PMA) mit ihrer «Plakatabfrage anhand erinnerter Wege» in einem persönlichen Interview mit Gedächtnisstützen gewählt. Wie bereits in der zweiten Folge dieser Artikelreihe gezeigt wurde (WW 7/01), hat sich sogar erwiesen, dass die empirisch erhobenen Daten der PMA falsch sind und korrigiert werden müssen.
Das ist ohnehin die Krux der Sache. Empirisch ergeben sich oft Erkenntnisse, die objektiv gar nicht stimmen können. Die Schweizer Privatradios machen sich manchmal einen Jux daraus und befragen Passanten danach, wie sie zu diesem oder jenem Thema beim letzten Volksentscheid gestimmt haben. Sie fragen allerdings nach einem Thema, über das gar nicht abgestimmt wurde. Und siehe da: Die Leute geben in ihren Antworten trotzdem ganz genau Auskunft über ihr Abstimmungsverhalten.
Am Rande bemerkt: Die Leserforschung hat ihren Kontaktbegriff ebenso wenig empirisch getestet wie alle übrigen Werbeträger. Warum auch? Weshalb also sollten die armen Plakatforscher noch katholischer sein als der Papst? Der Kontaktbegriff wurde überall in der Mediaforschung durch Übereinkunft festgelegt. Und dabei lag weltweit stets dieselbe Überlegung zu Grunde: Zu prüfen ist lediglich, wie man den Kontaktbegriff fassen will. Soll er ganz «hart» oder eher «weich» gefasst sein? Eine weiche Kontaktdefinition, in die auch die sanfteste Andeutung eines Kontakts noch mit hineingenommen wird, ist vor allem bei den Anbietern der Anschlagstellen beliebt. So können sie zeigen, dass ihre Stellen besonders viele knallharte Kontakte generieren und besonders hohe Reichweiten erzielen. Dafür können sie dann auch höhere Preise berechnen. Die Werbetreibenden und ihre Agenturen sehen natürlich lieber eine harte Kontaktdefinition. Schliesslich müssen sie jeden Kontakt bezahlen. Bei richtig «harten» Kontakten sehen sie das noch ein. Aber für die ganz labberigen würden sie am liebsten überhaupt nichts zahlen.
Kontaktdauer wird bei der Plakatforschung oft überschätzt
Zwischen den beiden Extremen PWÖ und PMA liegt die ganze Vielfalt der realitätsnahen Plakatforschung vieler Länder: In Grossbritannien hat man mit der Blickbewegungskamera festgehalten, wie die Passanten ihre Blicke in der Nähe von Plakatstellen schweifen lassen; denn es ist ja wohl ziemlich klar, dass ein Passant, der drei Meter an einer Plakatstelle vorbeigeht, eine höhere Kontaktchance hat als einer, der mit Höchstgeschwindigkeit und womöglich noch auf der gegenüberliegenden Strassenseite im Auto vorbeifährt und weder nach rechts noch nach links schaut.
Dasselbe gilt für den Einfluss der Anschlagstellenzahl. Es ist schon möglich, dass es sich auf den Kontakt auswirkt, wenn eine Anschlagstelle irgendwo allein auf weiter Flur oder im Pulk zusammen mit fünf anderen steht. Aber wie sich das genau auswirkt, kann man nicht wissen. Möglicherweise haben die Passanten Kontakt mit jeder einzelnen von ihnen. Möglicherweise aber auch nicht. Ohne empirische Untersuchung kann man das nicht wissen.
Oft überschätzt wird hingegen die Bedeutung der Kontaktdauer: Ob jemand in fünf Minuten an einer Plakatstelle vorüberschlendert oder in nur fünf Sekunden vorbeihastet. Der Erste hat zwar 300 Sekunden lang Kontakt und damit sechzigmal so viel wie der Zweite. Aber um von der Werbebotschaft auf dem Plakat erreicht zu werden, reichen die fünf Sekunden aus.
Zu klären wäre indes folgender Sachverhalt: Welche Dauer reicht zum Kontakt? Die durchschnittliche Beachtungsdauer bei Anzeigen liegt überhaupt nur bei 1,7 Sekunden. Bei Plakaten müsste man von einer eher noch kürzeren Beachtungszeit ausgehen können. Das dürfte sich wohl nur mit Hilfe einer empirischen Untersuchung feststellen lassen.
Durch die Kontaktdefinition wird festgelegt, unter welchen Umständen und welchen Voraussetzungen wie viele Personen Berührung mit Werbebotschaften auf Plakatflächen haben. Wenn man es einzig und allein als Aufgabe der Plakatforschung ansähe, die Kommunikationsleistung des Werbeträgers Anschlagfläche zu erforschen, könnte man sich mit der Einzelstellenbewertung zufrieden geben.
Diejenigen Eigenschaften von Anschlagstellen, die der Generierung von Plakatkontakten förderlich sind, müssen für jede einzelne Stelle bezeichnet und quantifiziert werden. Und man hätte so genaue Daten über die Kommunikationsleistung aller Werbeträger der Aussenwerbung. Mehr braucht man für die Bewertung der Kommunikationsleistung des Werbeträgers im Grunde nicht.
Will man jedoch darüber hinaus noch herausfinden, welche Personen Kontakt mit Anschlagstellen haben – will man also personenbezogene Daten über den Kontakt mit Anschlagstellen erheben, muss man diese zusätzlichen Daten separat erheben.
Mobil ist, wer jung ist
und viel Geld hat
Man kann trefflich darüber streiten, wie hoch – oder gering – der Erkenntniswert personenbezogener Daten zur Plakatnutzung ist. Man kann sogar argumentieren, ihr Erkenntniswert – und das heisst in der Mediaplanung: ihre Planungsrelevanz – sei eher gering zu schätzen.
Warum? Kontakt mit Plakatstellen haben nur Leute, die sich ausser Haus aufhalten. Und wer ist das? So ziemlich alle. Jeder ist ab und zu mal draussen. Nur die ganz Alten und die ganz Jungen – beide für die Kommunikationsleistung von Werbeträgern nicht sonderlich relevant – sind etwas weniger lange im Freien. Das läuft auf eine tautologische Festlegung hinaus: Die Mobilen sind öfter draussen als die Immobilen. Das braucht man eigentlich nicht mühselig zu erheben.
So bestätigen denn auch alle Plakatforschungen weltweit immer dieselbe Binsenweisheit: Plakate sprechen primär die mobilen Bevölkerungsschichten an. Und in den mit der Mobilität verbundenen demographischen Ausprägungen – eher männlich, eher jung, eher höheres Haushalteinkommen und eher gehobener Bildungsgrad – lassen sich darum höhere Reichweiten- und GRP-Werte erzielen. Braucht man wirklich umständliche Forschung – die ja zu allem Überfluss auch noch richtig teuer ist –, um wieder und wieder solche Binsenwahrheiten ans Licht zu zerren?
Die PMA in Deutschland betreibt einen gehörigen Aufwand, um personenbezogene Daten nach den drei Medien Grossfläche, Ganzstelle und City-Light-Poster (CLP) zu differenzieren. Und was ist dabei herausgekommen? Zwischen den drei Werbeträgertypen lassen sich keine nennenswerten Zielgruppenabweichungen feststellen. Das Plakat erreicht überall dieselben Leute, egal in welcher Gestalt es daherkommt (die
CLP erreichen in den Städten zwar höhere Leistungswerte, aber das liegt ausschliesslich daran, dass sie auf dem Land gar nicht vorkommen).
Die ganze Veranstaltung dient dazu, zielgruppenbezogene Daten zu erheben. Und ausgerechnet bei den zielgruppenorientierten Informationen liefert sie keinerlei Differenzierung. Und sie tut das nicht, weil sie das nicht leisten kann. Das Zielpublikum der Aussenwerbung ist überall das gleiche.
Die Werbeträger der Aussenwerbung sind nun einmal ein klassisches Massenmedium ohne Zielgruppe. Ihr Publikum sind im Prinzip «alle». Genau dies ist das Unterscheidungsmerkmal zu vielen anderen Werbeträgern: Eine Zeitschrift für Hobbygärtner oder für Goldfischzüchter ebenso wie ein Herrenmagazin oder eine Frauenzeitschrift ist nun einmal ein idealer Werbeträger für Botschaften, die sich an genau umrissene Zielgruppen richten. Genau das sind die Werbeträger der Aussenwerbung nicht.
Wenn man nun aber trotzdem personenbezogene Daten erheben will, dann wird das auf jeden Fall eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Die internationale Plakatforschungsgemeinde hat sich eine Menge Erhebungsmodelle einfallen lassen, um zu personenbezogenen Daten zu kommen. Ziemlich sicher ist dabei nur, dass der grosse Aufwand den Datenertrag kaum rechtfertigt. Da kreisst der grosse Berg gewaltig und hat doch nur ein paar mickrige Datenmäuslein geboren.
Technische Geräte sind nicht über alle Zweifel erhaben
Im Prinzip bieten sich drei verschiedene Methoden an: (1) Befragungen, (2) Beobachtungen (technische Messungen) und (3) die Verwendung vorhandener Verkehrszählungsdaten. Keine dieser Methoden hat bisher zu wirklich überzeugenden Resultaten geführt.
Bei Befragungen hat sich in der Vergangenheit in vielen Fällen gezeigt: Die Leute machen falsche Angaben darüber, ob und wie sie Plakate sehen. Oft können sie sich nicht verlässlich daran erinnern, ob sie tatsächlich Kontakt zu einer Aussenwerbestelle gehabt haben.
Der grosse Vorteil von Befragungen ist ja gerade die schier grenzenlose Flexibilität des Instrumentariums. Wenn zu restriktive Fragen zu Verzerrungen führen, kann man die Fragestellung so lange variieren, bis bessere Ergebnisse herauskommen.
Das Instrument der Befragung hat den unabweisbaren Vorzug, dass es ungemein kostengünstig ist. Wenn die eine Frage verkehrt misst, dann nimmt man eben eine andere. Setzt man hingegen technisches Gerät ein und stellt dann fest, dass die teuren Geräte nicht gescheit messen, bleibt man auf den hohen Kosten sitzen.
Der Trend bei den moderneren Verfahren der Mobilitätsanalyse wie allgemein in der Mediaforschung geht eindeutig hin zur Beobachtung durch technische Messung. Das hat vor allem zwei Gründe.
Erstens: Die Beobachtung durch technische Messung ist ein Verfahren auf demselben Genauigkeitsniveau wie es die Zuschauerforschung mit Telecontrol oder neuerdings auch die Hörerforschung mit Radiocontrol praktiziert. Die wahren Probleme entstehen bei dieser Methode erst jenseits der Messgenauigkeit dieser Geräte. Diese hat ihre Akzeptanz bislang jedoch nicht beeinträchtigt.
Zweitens: Mit der technischen Messung mit Hilfe von Verfahren wie dem Geographical Positioning System (GPS) gibt es im Bereich der Plakatforschung bislang nur wenige – positive oder negative – Erfahrungen. In der Navigation hat es sich indes bestens bewährt. Heute wird die Technik nur beim britischen Postar-Forschungsmodell eingesetzt. Man weiss also bislang so gut wie gar nichts über die Tücken des Systems in der Mediaforschung.
Das Vorgehen dabei ist leicht nachzuvollziehen. Jeder Befragte bekommt ein GPS-Gerät, das er auf allen Wegen mit sich führt. Es kann an seiner Kleidung oder im Automobil angebracht werden. Das Navigationssystem bestimmt jederzeit seinen Standort beziehungsweise seine Bewegungen und kann so ermitteln, wann eine Person Plakatkontakte erzielt; denn die Standorte aller Anschlagstellen sind ja bereits zuvor bekannt.
Schon jetzt kann man allerdings sagen, dass es mit GPS und anderen technischen Messverfahren zwei grosse Problembereiche gibt: Erstens funktionieren sie nicht in grossen Gebäuden wie Bahnhöfen und ähnlichen Objekten. Das sind immerhin die am meisten frequentierten und kontaktintensiven Stätten in der gesamten Aussenwerbung. Und zweitens gibt es häufiger mal Probleme in Häuserschluchten, das heisst überall dort, wo Hauswände den Kontakt des GPS-Geräts zu ihren Satelliten behindern. Und Hauswände gibt es nun einmal in Städten, wo Aussenwerbung besonders wirkungsmächtig ist.
Verkehrszählungsdaten sind verlässlicher und billiger
Leider wird auch das Problem umso grösser, je genauer die Messung sein soll. Wenn man einen Standort nur so ungefähr und auf ein paar hundert Meter genau bestimmen soll, geht das noch einigermassen leicht von der Hand. Aber wenns genauer werden soll, dann stört schon jedes Haus und jeder Baum und jeder Strauch …
In Deutschland hat der Fachverband Aussenwerbung (FAW) vor Jahren einmal den Versuch unternommen, Daten aus der Raumplanung für die Aussenwerbung zu nutzen. Dazu entwickelte man das «Braunschweiger Modell zur Ermittlung der Verkehrsfrequenzen» und griff auf Daten aus Verkehrszählungen zurück. Demgegenüber arbeiten andere Verfahren mit Frequenzstichproben, die direkt an den Plakatstellen erhoben werden, und sind damit unabhängig von der Verfügbarkeit geeigneter Verkehrszählungsdaten der öffentlichen Hand. Erfahrungsgemäss unterscheiden sich Verkehrszählungsdaten, die für einzelne Städte vorliegen, stark in ihrer Qualität, Vollständigkeit und Aktualität.
Auch der praktische Nutzen der niederländischen Buitenreclame ergibt sich vor allem aus dem glücklichen Umstand, dass den Holländern zur Mobilitätsanalyse Daten der offiziellen Verkehrszählungen der niederländischen Raumplanungs- und Vermessungsbehörde zur Verfügung stehen.
Sie ermittelt mit jährlich 120000 Befragten relevante Daten zum Verkehrsverhalten der Holländer. Aus diesen Zählungen kennt man jeweils den Anfangs- und den Endpunkt der zurückgelegten Wege – nicht jedoch den Weg selbst.
Da die Zählungsdaten über das «Routenwahlverhalten» der Bevölkerung nicht direkt für
die Plakatforschung verwendet werden können, entwickelte das Marktforschungsinstitut Intomart ein Modell. Es basiert auf einer Stichprobe von 7000 Personen. Für die Personen in
dieser Stichprobe werden nach einem komplizierten Verfahren Routen ausgerechnet, die sie wahrscheinlich und unter der Annahme, dass sie sich von
einem bestimmten Ausgangspunkt aus für den jeweils «leichtesten» Weg entscheiden, wählen werden. Einfacher ausgedrückt: Aus den Verkehrsströmen der offiziellen Verkehrszählungen errechnet man Wahrscheinlichkeiten für Plakatstellenkontakte. Diese Wege werden sodann auf eine digitale Landkarte übertragen.
Es gibt eigentlich keinen grösseren Idealfall als den, dass man Daten aus einer Verkehrszählung oder aus einer Volkszählung verwenden kann. Die sind zwar nicht speziell für die ganz besonderen Bedürfnisse der Plakatforschung erhoben worden. Aber sie lassen sich ohne grosse Bedenken dafür nutzbar machen. Und sie stellen einen unglaublich kostengünstigen Weg der Datenerhebung dar.
Für die Plakatforscher fangen die richtigen Probleme dort an, wo die Probleme der anderen Mediaforscher bereits gelöst sind. Und deshalb gilt es, in der Plakatforschung Fragen zu beantworten, die es in der «normalen» Mediaforschung gar nicht gibt. Das hängt mit den Besonderheiten der Aussenwerbung zusammen:
Die «normalen» Werbeträger haben «normale» Nutzer (Leser, Fernsehzuschauer, Radiohörer, Kinobesucher), die bei ihrem Medienkonsum auch Werbekontakt haben. Beim Plakat gibt es das nicht. Der Werbeträger «Anschlagstelle» per se hat überhaupt kein Publikum. Niemand nutzt eine Anschlagstelle, wenn kein Plakat drauf ist. Der Werbeträger ist für die Werbung nichts wert, wenn kein Werbemittel vorhanden ist. Bei «normalen» Werbeträgern ist das Gegenteil der Fall. Man kann also in der Plakatforschung keinerlei Anhaltspunkte für die Nutzung des Werbemittels «Plakat» aus der Nutzung des Werbeträgers «Anschlagfläche» gewinnen.
Eine Tageszeitung ist überall in ihrem Erscheinungsgebiet das gleiche Blatt. Eine Zeitschrift ist überall gleich, egal ob man sie in Zürich, Luzern, Bern oder Basel liest. Das Programm eines Radio- oder Fernsehsenders kommt bei jedem Hörer und jedem Seher genauso wie bei jedem anderen Hörer oder Seher an. Die Gleichartigkeit der Werbeträger ist ihr Charakteristikum. Deshalb sind ihre Publika relativ einfach zu messen und auch zu vergleichen.
Verschiedenartigkeit als Grundmerkmal
Beim Plakat ist das anders. Die eine Plakatstelle steht mitten im Getümmel des Zürcher Flughafens. Da kommen täglich Hunderttausende vorbei. Die andere steht in einer Kleinstadt, in der nicht viel los ist, aber es kommen immer noch einige tausend Leute daran vorüber.
Keine Plakatstelle gleicht der anderen. Die Verschiedenartigkeit der Werbeträger ist das Merkmal der Aussenwerbung. Doch man braucht nun einmal für den Werbeträger «Anschlagstelle» die gleichen Werte wie für jeden anderen Werbeträger. Man braucht vor allem Kontakte und auf der Basis der gewählten Kontaktdefinition Reichweiten und Kontakthäufigkeiten, die auf gleichem Niveau erhoben werden.
Wie soll man das jedoch tun, wenn sich der Werbeträger «Anschlagstelle» so radikal von allen anderen Werbeträgern unterscheidet? Die Antwort fällt genau so einfach aus wie die Lösung schwer fällt: Indem man sich auf eine Reihe von Konventionen und Kompromissen einigt. So funktioniert nun einmal die Mediaforschung für alle Gattungen. Lupenreine Lösungen, die allen Ansprüchen der Puristen gerecht werden, gibt es in der kommerziellen Forschung sowieso nicht.
Gleichstellung der Plakatstelle mit anderen Medien
Man muss sich also auch in der Plakatforschung zunächst über einen Schlüsselbegriff der Mediaforschung einigen: die Kontaktdefinition. Mit ihrer Hilfe werden alle isoliert, bei denen absolut klar ist, dass sie eine Anzeige oder einen Werbespot garantiert nicht sehen oder hören können. Alle anderen haben eine – je nach Lage hohe oder auch geringe – Kontaktchance. Für Printmedien ist als Kontaktchance mit einer Anzeige in der Schweiz beispielsweise definiert, wer in einer Befragung angibt, dass er eine Zeitschrift XY «gelesen oder durchgeblättert» hat.
Für die Plakatforschung muss also eine Kontaktdefinition gefunden werden, die auf demselben Messniveau bestehen kann wie die Kontaktdefinition der Leserschaftsforschung. Welche Kontaktdefinition erfüllt diesen Zweck? Genügt es, wenn jemand zweihundert Meter vor einer Anschlagstelle steht? Oder müssen es hundert Meter sein? Oder gar nur zwanzig? Ist ein Kontakt von fünf Sekunden besser als einer, der gerade mal eine halbe Sekunde anhält? Oder ist die Kontaktdauer egal?
Unterschiedliche Definitionen des Begriffs Kontakt
Immer dann, wenn leichthin von «Plakatforschung» die Rede ist, wird damit in Wahrheit «Anschlagstellenforschung» gemeint. Denn es handelt sich ausschliesslich um die Erforschung der Kommunikationsleistung des Werbeträgers «Anschlagstelle» im intermedialen Wettbewerb. Und die zentrale Frage dabei lautet: Wie unterscheiden sich die verschiedenen Anschlagstellen im Hinblick auf die von ihnen generierten Werbeträgerkontakte voneinander?
Einige Unterschiede sind so offensichtlich, dass man darüber nicht viel nachdenken muss. Natürlich ist eine riesige Leuchtfläche über den ganzen Times Square viel besser zu sehen als ein kleiner Zettel, der irgendwo in einer dunklen Seitenstrasse an einer Wand klebt. Aber entfaltet eine Anschlagfläche, die frontal zum fliessenden Strassenverkehr steht, wirklich eine höhere Kommunikationsleistung als eine, die parallel zum Verkehr steht und die man beim raschen Vorüberfahren vielleicht noch gerade so aus dem hintersten äusseren Augenwinkel wahrnimmt?
Bei diesen Detailfragen geht es um verschiedene Aspekte ein- und desselben Problems: Wie definiert man den «Kontakt» in der Plakatforschung? Die Praxis hat verschiedene Ansätze gefunden. Den einfachsten Weg beschreitet die Plakatwertung Österreich (PWÖ). Sie sagt: Wenn jemand in einer Entfernung von weniger als 80 Metern und in einem Winkel von über 30 Grad an einem Plakat vorbeikommt, hat er Kontakt. Punkt. Ob ein konkret daran vorbeigehender oder -fahrender Mensch diesen Kontakt auch wirklich hat oder nicht, ist egal.
Plakatforschungsmodelle von einfach bis sophisticated
So einfach kann man sich das machen. Die Definition des Kontakts in der Leserschafts- oder der Fernsehforschung ist ja auch nicht komplizierter festgelegt. Und die Österreicher haben sich gesagt: Es ist relativ egal, welche Kontaktdefinition man zu Grunde legt. Hauptsache, es wird für alle Plakatstellen des ganzen Landes derselbe Massstab angelegt.
Andere Forschungsvorhaben haben sich die Sache etwas schwerer gemacht und eine empirisch gestützte Kontaktdefinition gefunden. Die engherzigste Definition hat die deutsche Plakatmediaanalyse (PMA) mit ihrer «Plakatabfrage anhand erinnerter Wege» in einem persönlichen Interview mit Gedächtnisstützen gewählt. Wie bereits in der zweiten Folge dieser Artikelreihe gezeigt wurde (WW 7/01), hat sich sogar erwiesen, dass die empirisch erhobenen Daten der PMA falsch sind und korrigiert werden müssen.
Das ist ohnehin die Krux der Sache. Empirisch ergeben sich oft Erkenntnisse, die objektiv gar nicht stimmen können. Die Schweizer Privatradios machen sich manchmal einen Jux daraus und befragen Passanten danach, wie sie zu diesem oder jenem Thema beim letzten Volksentscheid gestimmt haben. Sie fragen allerdings nach einem Thema, über das gar nicht abgestimmt wurde. Und siehe da: Die Leute geben in ihren Antworten trotzdem ganz genau Auskunft über ihr Abstimmungsverhalten.
Am Rande bemerkt: Die Leserforschung hat ihren Kontaktbegriff ebenso wenig empirisch getestet wie alle übrigen Werbeträger. Warum auch? Weshalb also sollten die armen Plakatforscher noch katholischer sein als der Papst? Der Kontaktbegriff wurde überall in der Mediaforschung durch Übereinkunft festgelegt. Und dabei lag weltweit stets dieselbe Überlegung zu Grunde: Zu prüfen ist lediglich, wie man den Kontaktbegriff fassen will. Soll er ganz «hart» oder eher «weich» gefasst sein? Eine weiche Kontaktdefinition, in die auch die sanfteste Andeutung eines Kontakts noch mit hineingenommen wird, ist vor allem bei den Anbietern der Anschlagstellen beliebt. So können sie zeigen, dass ihre Stellen besonders viele knallharte Kontakte generieren und besonders hohe Reichweiten erzielen. Dafür können sie dann auch höhere Preise berechnen. Die Werbetreibenden und ihre Agenturen sehen natürlich lieber eine harte Kontaktdefinition. Schliesslich müssen sie jeden Kontakt bezahlen. Bei richtig «harten» Kontakten sehen sie das noch ein. Aber für die ganz labberigen würden sie am liebsten überhaupt nichts zahlen.
Kontaktdauer wird bei der Plakatforschung oft überschätzt
Zwischen den beiden Extremen PWÖ und PMA liegt die ganze Vielfalt der realitätsnahen Plakatforschung vieler Länder: In Grossbritannien hat man mit der Blickbewegungskamera festgehalten, wie die Passanten ihre Blicke in der Nähe von Plakatstellen schweifen lassen; denn es ist ja wohl ziemlich klar, dass ein Passant, der drei Meter an einer Plakatstelle vorbeigeht, eine höhere Kontaktchance hat als einer, der mit Höchstgeschwindigkeit und womöglich noch auf der gegenüberliegenden Strassenseite im Auto vorbeifährt und weder nach rechts noch nach links schaut.
Dasselbe gilt für den Einfluss der Anschlagstellenzahl. Es ist schon möglich, dass es sich auf den Kontakt auswirkt, wenn eine Anschlagstelle irgendwo allein auf weiter Flur oder im Pulk zusammen mit fünf anderen steht. Aber wie sich das genau auswirkt, kann man nicht wissen. Möglicherweise haben die Passanten Kontakt mit jeder einzelnen von ihnen. Möglicherweise aber auch nicht. Ohne empirische Untersuchung kann man das nicht wissen.
Oft überschätzt wird hingegen die Bedeutung der Kontaktdauer: Ob jemand in fünf Minuten an einer Plakatstelle vorüberschlendert oder in nur fünf Sekunden vorbeihastet. Der Erste hat zwar 300 Sekunden lang Kontakt und damit sechzigmal so viel wie der Zweite. Aber um von der Werbebotschaft auf dem Plakat erreicht zu werden, reichen die fünf Sekunden aus.
Zu klären wäre indes folgender Sachverhalt: Welche Dauer reicht zum Kontakt? Die durchschnittliche Beachtungsdauer bei Anzeigen liegt überhaupt nur bei 1,7 Sekunden. Bei Plakaten müsste man von einer eher noch kürzeren Beachtungszeit ausgehen können. Das dürfte sich wohl nur mit Hilfe einer empirischen Untersuchung feststellen lassen.
Durch die Kontaktdefinition wird festgelegt, unter welchen Umständen und welchen Voraussetzungen wie viele Personen Berührung mit Werbebotschaften auf Plakatflächen haben. Wenn man es einzig und allein als Aufgabe der Plakatforschung ansähe, die Kommunikationsleistung des Werbeträgers Anschlagfläche zu erforschen, könnte man sich mit der Einzelstellenbewertung zufrieden geben.
Diejenigen Eigenschaften von Anschlagstellen, die der Generierung von Plakatkontakten förderlich sind, müssen für jede einzelne Stelle bezeichnet und quantifiziert werden. Und man hätte so genaue Daten über die Kommunikationsleistung aller Werbeträger der Aussenwerbung. Mehr braucht man für die Bewertung der Kommunikationsleistung des Werbeträgers im Grunde nicht.
Will man jedoch darüber hinaus noch herausfinden, welche Personen Kontakt mit Anschlagstellen haben – will man also personenbezogene Daten über den Kontakt mit Anschlagstellen erheben, muss man diese zusätzlichen Daten separat erheben.
Mobil ist, wer jung ist
und viel Geld hat
Man kann trefflich darüber streiten, wie hoch – oder gering – der Erkenntniswert personenbezogener Daten zur Plakatnutzung ist. Man kann sogar argumentieren, ihr Erkenntniswert – und das heisst in der Mediaplanung: ihre Planungsrelevanz – sei eher gering zu schätzen.
Warum? Kontakt mit Plakatstellen haben nur Leute, die sich ausser Haus aufhalten. Und wer ist das? So ziemlich alle. Jeder ist ab und zu mal draussen. Nur die ganz Alten und die ganz Jungen – beide für die Kommunikationsleistung von Werbeträgern nicht sonderlich relevant – sind etwas weniger lange im Freien. Das läuft auf eine tautologische Festlegung hinaus: Die Mobilen sind öfter draussen als die Immobilen. Das braucht man eigentlich nicht mühselig zu erheben.
So bestätigen denn auch alle Plakatforschungen weltweit immer dieselbe Binsenweisheit: Plakate sprechen primär die mobilen Bevölkerungsschichten an. Und in den mit der Mobilität verbundenen demographischen Ausprägungen – eher männlich, eher jung, eher höheres Haushalteinkommen und eher gehobener Bildungsgrad – lassen sich darum höhere Reichweiten- und GRP-Werte erzielen. Braucht man wirklich umständliche Forschung – die ja zu allem Überfluss auch noch richtig teuer ist –, um wieder und wieder solche Binsenwahrheiten ans Licht zu zerren?
Die PMA in Deutschland betreibt einen gehörigen Aufwand, um personenbezogene Daten nach den drei Medien Grossfläche, Ganzstelle und City-Light-Poster (CLP) zu differenzieren. Und was ist dabei herausgekommen? Zwischen den drei Werbeträgertypen lassen sich keine nennenswerten Zielgruppenabweichungen feststellen. Das Plakat erreicht überall dieselben Leute, egal in welcher Gestalt es daherkommt (die
CLP erreichen in den Städten zwar höhere Leistungswerte, aber das liegt ausschliesslich daran, dass sie auf dem Land gar nicht vorkommen).
Die ganze Veranstaltung dient dazu, zielgruppenbezogene Daten zu erheben. Und ausgerechnet bei den zielgruppenorientierten Informationen liefert sie keinerlei Differenzierung. Und sie tut das nicht, weil sie das nicht leisten kann. Das Zielpublikum der Aussenwerbung ist überall das gleiche.
Die Werbeträger der Aussenwerbung sind nun einmal ein klassisches Massenmedium ohne Zielgruppe. Ihr Publikum sind im Prinzip «alle». Genau dies ist das Unterscheidungsmerkmal zu vielen anderen Werbeträgern: Eine Zeitschrift für Hobbygärtner oder für Goldfischzüchter ebenso wie ein Herrenmagazin oder eine Frauenzeitschrift ist nun einmal ein idealer Werbeträger für Botschaften, die sich an genau umrissene Zielgruppen richten. Genau das sind die Werbeträger der Aussenwerbung nicht.
Wenn man nun aber trotzdem personenbezogene Daten erheben will, dann wird das auf jeden Fall eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Die internationale Plakatforschungsgemeinde hat sich eine Menge Erhebungsmodelle einfallen lassen, um zu personenbezogenen Daten zu kommen. Ziemlich sicher ist dabei nur, dass der grosse Aufwand den Datenertrag kaum rechtfertigt. Da kreisst der grosse Berg gewaltig und hat doch nur ein paar mickrige Datenmäuslein geboren.
Technische Geräte sind nicht über alle Zweifel erhaben
Im Prinzip bieten sich drei verschiedene Methoden an: (1) Befragungen, (2) Beobachtungen (technische Messungen) und (3) die Verwendung vorhandener Verkehrszählungsdaten. Keine dieser Methoden hat bisher zu wirklich überzeugenden Resultaten geführt.
Bei Befragungen hat sich in der Vergangenheit in vielen Fällen gezeigt: Die Leute machen falsche Angaben darüber, ob und wie sie Plakate sehen. Oft können sie sich nicht verlässlich daran erinnern, ob sie tatsächlich Kontakt zu einer Aussenwerbestelle gehabt haben.
Der grosse Vorteil von Befragungen ist ja gerade die schier grenzenlose Flexibilität des Instrumentariums. Wenn zu restriktive Fragen zu Verzerrungen führen, kann man die Fragestellung so lange variieren, bis bessere Ergebnisse herauskommen.
Das Instrument der Befragung hat den unabweisbaren Vorzug, dass es ungemein kostengünstig ist. Wenn die eine Frage verkehrt misst, dann nimmt man eben eine andere. Setzt man hingegen technisches Gerät ein und stellt dann fest, dass die teuren Geräte nicht gescheit messen, bleibt man auf den hohen Kosten sitzen.
Der Trend bei den moderneren Verfahren der Mobilitätsanalyse wie allgemein in der Mediaforschung geht eindeutig hin zur Beobachtung durch technische Messung. Das hat vor allem zwei Gründe.
Erstens: Die Beobachtung durch technische Messung ist ein Verfahren auf demselben Genauigkeitsniveau wie es die Zuschauerforschung mit Telecontrol oder neuerdings auch die Hörerforschung mit Radiocontrol praktiziert. Die wahren Probleme entstehen bei dieser Methode erst jenseits der Messgenauigkeit dieser Geräte. Diese hat ihre Akzeptanz bislang jedoch nicht beeinträchtigt.
Zweitens: Mit der technischen Messung mit Hilfe von Verfahren wie dem Geographical Positioning System (GPS) gibt es im Bereich der Plakatforschung bislang nur wenige – positive oder negative – Erfahrungen. In der Navigation hat es sich indes bestens bewährt. Heute wird die Technik nur beim britischen Postar-Forschungsmodell eingesetzt. Man weiss also bislang so gut wie gar nichts über die Tücken des Systems in der Mediaforschung.
Das Vorgehen dabei ist leicht nachzuvollziehen. Jeder Befragte bekommt ein GPS-Gerät, das er auf allen Wegen mit sich führt. Es kann an seiner Kleidung oder im Automobil angebracht werden. Das Navigationssystem bestimmt jederzeit seinen Standort beziehungsweise seine Bewegungen und kann so ermitteln, wann eine Person Plakatkontakte erzielt; denn die Standorte aller Anschlagstellen sind ja bereits zuvor bekannt.
Schon jetzt kann man allerdings sagen, dass es mit GPS und anderen technischen Messverfahren zwei grosse Problembereiche gibt: Erstens funktionieren sie nicht in grossen Gebäuden wie Bahnhöfen und ähnlichen Objekten. Das sind immerhin die am meisten frequentierten und kontaktintensiven Stätten in der gesamten Aussenwerbung. Und zweitens gibt es häufiger mal Probleme in Häuserschluchten, das heisst überall dort, wo Hauswände den Kontakt des GPS-Geräts zu ihren Satelliten behindern. Und Hauswände gibt es nun einmal in Städten, wo Aussenwerbung besonders wirkungsmächtig ist.
Verkehrszählungsdaten sind verlässlicher und billiger
Leider wird auch das Problem umso grösser, je genauer die Messung sein soll. Wenn man einen Standort nur so ungefähr und auf ein paar hundert Meter genau bestimmen soll, geht das noch einigermassen leicht von der Hand. Aber wenns genauer werden soll, dann stört schon jedes Haus und jeder Baum und jeder Strauch …
In Deutschland hat der Fachverband Aussenwerbung (FAW) vor Jahren einmal den Versuch unternommen, Daten aus der Raumplanung für die Aussenwerbung zu nutzen. Dazu entwickelte man das «Braunschweiger Modell zur Ermittlung der Verkehrsfrequenzen» und griff auf Daten aus Verkehrszählungen zurück. Demgegenüber arbeiten andere Verfahren mit Frequenzstichproben, die direkt an den Plakatstellen erhoben werden, und sind damit unabhängig von der Verfügbarkeit geeigneter Verkehrszählungsdaten der öffentlichen Hand. Erfahrungsgemäss unterscheiden sich Verkehrszählungsdaten, die für einzelne Städte vorliegen, stark in ihrer Qualität, Vollständigkeit und Aktualität.
Auch der praktische Nutzen der niederländischen Buitenreclame ergibt sich vor allem aus dem glücklichen Umstand, dass den Holländern zur Mobilitätsanalyse Daten der offiziellen Verkehrszählungen der niederländischen Raumplanungs- und Vermessungsbehörde zur Verfügung stehen.
Sie ermittelt mit jährlich 120000 Befragten relevante Daten zum Verkehrsverhalten der Holländer. Aus diesen Zählungen kennt man jeweils den Anfangs- und den Endpunkt der zurückgelegten Wege – nicht jedoch den Weg selbst.
Da die Zählungsdaten über das «Routenwahlverhalten» der Bevölkerung nicht direkt für
die Plakatforschung verwendet werden können, entwickelte das Marktforschungsinstitut Intomart ein Modell. Es basiert auf einer Stichprobe von 7000 Personen. Für die Personen in
dieser Stichprobe werden nach einem komplizierten Verfahren Routen ausgerechnet, die sie wahrscheinlich und unter der Annahme, dass sie sich von
einem bestimmten Ausgangspunkt aus für den jeweils «leichtesten» Weg entscheiden, wählen werden. Einfacher ausgedrückt: Aus den Verkehrsströmen der offiziellen Verkehrszählungen errechnet man Wahrscheinlichkeiten für Plakatstellenkontakte. Diese Wege werden sodann auf eine digitale Landkarte übertragen.
Es gibt eigentlich keinen grösseren Idealfall als den, dass man Daten aus einer Verkehrszählung oder aus einer Volkszählung verwenden kann. Die sind zwar nicht speziell für die ganz besonderen Bedürfnisse der Plakatforschung erhoben worden. Aber sie lassen sich ohne grosse Bedenken dafür nutzbar machen. Und sie stellen einen unglaublich kostengünstigen Weg der Datenerhebung dar.