Dominik Kaiser: «Wir sind nicht das Problem»
Noch immer gibt es keine TV-Quoten. Im Werbewoche-Interview erzählt 3+-CEO Dominik Kaiser, weshalb er die Datenfreigabe auf dem Rechtsweg verhindert und welche Forderungen erfüllt sein müssen, damit er einer Datenveröffentlichung zustimmt.
WW: Dominik Kaiser, Sie sind nicht der Einzige, der mit den neuen TV-Daten unzufrieden ist. Doch nur Sie gingen vor Gericht, nur Sie sind ständig in den Medien. So gesehen sind Sie ein einsamer Kämpfer …
Dominik Kaiser: Der Eindruck täuscht. Telesuisse kommuniziert ebenfalls medienwirksam; gerade haben zehn regionale TV-Sender ihren Vertrag mit Mediapulse gekündet, weil sie kein Vertrauen in die Korrektheit der Zahlen haben. Aber es stimmt: Goldbach, der Vermarkter der deutschen Privatsender in der Schweiz und auch von uns, wirkt mehr im Hintergrund. Auch wir haben lange gewartet, bevor wir unsere Forderungen öffentlich geäussert haben, denn grundsätzlich gehört das Quoten-Problem nicht in die Medien, sondern müsste anders gelöst werden. Bis Ende März haben wir versucht, eine interne Lösung mit Mediapulse zu finden. Erst als dies nicht funktionierte und weil wir keine Antworten auf unsere Briefe und Forderungen erhielten, gingen wir vor Gericht. Gleich nachdem das Obergericht die superprovisorische Verfügung erteilt hatte, boten wir Mediapulse an, ohne Öffentlichkeit eine Lösung zu finden. Mediapulse hat sich für einen anderen Weg entschieden und ging an die Medien. Seither kommunizieren auch wir offen über das Quoten- Debakel.
Goldbach hält sich, wie angesprochen, sehr zurück. Als Beobachter könnte man den Eindruck gewinnen, man schicke 3+ vor und lasse Sie die Fehde austragen.
Das ist Ihre Interpretation. Goldbach ist im Hintergrund sehr aktiv. Soeben hat das Unternehmen zusammen mit Publisuisse und Mediapulse einen Massnahmenplan mit rund 50 Punkten erstellt. Dieser beinhaltet nahezu alle Punkte, die auch wir fordern. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Es braucht Mut und Durchhaltewillen, den Kopf hinzuhalten. Aufgrund der bisherigen Zusammenar-beit mit Mediapulse und Publica Data glaube ich allerdings, dass dies der einzig richtige Weg ist.
Was meinen Sie damit?
Die Zusammenarbeit war in der Vergangenheit oft nicht konstruktiv. Bereits im alten System haben wir Unregelmässigkeiten in den Daten festgestellt und hinterfragt. Unsere Anfragen wurden in den wenigsten Fällen vollständig beantwortet und wenn immer erst nach mehrmaligem Nachfragen. Ein anderes Beispiel: Wir versuchen seit acht Jahren von Mediapulse gegen Bezahlung die international üblichen und auch im alten System vorhandenen Pindaten zu erhalten – bis heute ohne Erfolg.
Doch in die Umstellung des Messsystems war die Branche einbezogen. Der Verwaltungsrat und die User Commission, die sich beide aus Interessenvertretern zusammensetzen, haben die Umstellung durchgewinkt. Die Diskussionen gingen erst los, als die Daten da waren.
Die Diskussion ging los, nachdem Mediapulse die Daten im Januar veröffentlicht und gleich wieder gesperrt hatte und klar wurde, dass etwas nicht stimmen konnte. Wir haben bereits Ende Januar einen Test des ganzen Systems gefordert. Die User Commission (UC) wurde in viele Entscheidungen nicht einbezogen. So viel ich weiss, wurde in der UC beispielsweise nur eine Zuordnungsregel im Detail besprochen. Die weiteren wurden gar nicht diskutiert oder nur sehr oberflächlich angesprochen. Zuordnungsregeln sind beim neuen Audiomatching- System entscheidend, da das System nicht wie früher direkt weiss, was geschaut wird, sondern oft keine eindeutigen Informationen hat. Bis heute, nach viel Druck, ist der UC nur ein kleiner Teil der Zuordnungsregeln bekannt. Werden Gremien nicht informiert, können sie nicht aktiv mitreden. Dass die UC alles abgesegnet hat, stimmt deshalb nicht.
Ein heikler Punkt. Können Sie dies belegen?
Da 3+ bis anhin keinen Sitz in der UC hatte, verfüge ich über keine Protokolle. Erst seit dem 13. Mai dürfen wir einen Vertreter stellen. Meine Informationen habe ich aus Gesprächen mit Kommissionsmitgliedern.
Trotzdem: Müssten sich die Sender und Vermarkter nicht selbst an der Nase nehmen? Sie hätten reagieren können, bevor die Daten vorlagen.
Ich kann nur für 3+ sprechen. Wir haben letztes Jahr, als Mediapulse informierte, zu wenig insistiert. Wir fragten, ob die Panelhaushalte in der kurzen Zeit repräsentativ rekrutiert werden konnten und pünktlich angeschlossen wurden, ob mit dem Audiomatching die unterschiedlichen Feeds der deutschen Sender abgebildet werden können oder ob sich ein Spielfilm, der gleichzeitig auf drei verschiedenen Sendern läuft, dem richtigen Kanal zuordnen lasse. Die Antwort war stets: kein Problem. Nach welchen Regeln die Signale zugeordnet werden, wurde uns nicht erklärt. Da hätten wir nachfragen und insistieren müssen. Dass wir das letztes Jahr nicht getan haben, ist nachträglich ein grosser Fehler. Gerade beim Beispiel mit dem Film oder der Serie, die auf mehreren Sendern läuft und ohne Werbung wiedergegeben wird, ist es technisch, mit dem Audiosignal alleine, unmöglich zu erkennen, auf welchem Sender diese aufgezeichnet wurde. Das System muss raten. Ausserdem haben wir bis zum Schluss vergeblich gebettelt, dass es wenigstens einen Monat mit Parallelbetrieb geben sollte.
Das angesprochene Problem der Zuordnung liesse sich mit Watermarking umgehen.
Deshalb haben wir uns bereits letztes Jahr für Watermarking eingesetzt. Doch Mediapulse versicherte, das sei nicht nötig, das Watermarking werde wenn, erst später eingeführt. Wir hätten auch hier mehr Druck machen müssen.
Sie betonen stets, 3+ sei an einem konstruktiven Dialog interessiert. Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?
Die Branche braucht Zahlen – nicht nur unsere Kunden und die Agenturen, sondern auch wir selbst. Solange wir keine Daten haben, können wir unsere Programmplanung nicht optimieren und nur schwierig entscheiden, welche Sendungen wir einkaufen oder produzieren sollen. Darum sind wir sehr an einer schnellen Lösung interessiert. Wir haben deshalb zum ersten Mal Ende Januar konkrete Forderungen gestellt, wie man die Glaubwürdigkeit des Systems wieder herstellen könnte, danach einen grossen Aufwand betrieben, um Fehler zu finden, und schliesslich einen Katalog zusammengestellt mit Punkten, die angepasst werden müssten. Grundsätzlich geht es um drei Ebenen: a. entspricht das Panel der Schweizer Bevölkerung und ist damit repräsentativ, b. wird richtig gemessen und funktioniert das System und c. kennt die Branche die Hintergründe und Details der TV-Forschung, ist das System mit anderen Worten transparent. Auf allen Ebenen gibt es grossen Anpassungs- oder Nachholbedarf.
Was unternehmen Sie, damit es möglichst schnell wieder Zahlen gibt?
Wir sind bereit, aktiv mit zuarbeiten. Doch Mediapulse schien bis vor Kurzem wenig daran interessiert. Auch Mediapulse hat bisher nicht bestritten, dass die Verbreitungsarten sowie die Stadt-Land- Verteilung nicht richtig gewichtet sind und dass die PC-only-Haushalte (Haushalten, die über keinen TV verfügen) wie von uns vorgeschlagen abgebildet werden können. Die unbestrittenen Fehler müssen rückwirkend korrigiert werden. Sie führen zu einer merklichen Verzerrung der Zuschauerzahlen im Durchschnitt und zu erheblichen Unterschieden auf der Ebene der Werbeblöcke und Sendungen.
Können Sie dies erläutern?
Wenn wir die Zahlen des Panels mit denjenigen des Bundesamts für Statistik vergleichen, ist zum Beispiel die Landbevölkerung stark überrepräsentiert. Die Anteile der Verbreitungsarten (IPTV, Kabel digital und analog etc.) müssten den Informationen der Anbieter angepasst werden. Und ein dritter Punkt: Solange die TV-Nutzung auf Tablets und Smartphones nicht erfasst werden kann, dürfen die Haushalte ohne Fernseher nicht berücksichtigt werden. Wir wissen von Online-TV-Anbietern wie Zattoo, Teleboy und Wilmaa, dass der weitaus grösste Teil der Web-TV-Nutzung über Tablets und Smartphones erfolgt. Insbesondere bei PC-only-Haushalten wird die TV-Nutzung massiv unterschätzt, wenn Tablets und Smartphones nicht mit erfasst werden.
Das ist allerdings nicht nur ein methodisches Problem, sondern hängt mit Apple zusammen, deren Richtlinien es nicht erlauben, dass Apps untereinander kommunizieren.
Das stimmt und ohne diese ist es nicht möglich, die PC-only-Haushalte repräsentativ zu messen. Deshalb sollte man gar nicht erst so tun, als sei es so. Dass Tablets und Smartphones nicht gemessen werden ist erst seit Anfang Winter bekannt. Wäre das früher bekannt gewesen, hätte man sicher anders entschieden.
Sind das alle Forderungen?
Wir schlagen zudem vor, das System im laufenden Betrieb und über die Rohdaten zu testen. Die Schweiz ist wahrscheinlich das komplexeste Land für Audiomatching. Das Signal muss mit fast 400 TV-Sendern und vielen weiteren Radiosignalen verglichen werden. Der Zweikanalton führt bei einigen Sendern zu einer Verdoppelung, Sender mit länderspezifischen Werbefenstern wie RTL haben drei Feeds (Schweiz, Deutschland, Österreich). Hinzu kommt, dass viele Sendungen mehr oder weniger zeitgleich auf verschiedenen Sendern laufen. Der Test würde zeigen, ob das System auch in schwierigen Situationen die Signale richtig zuordnet. Eine weitere Forderung: Transparenz. Wir wollen, dass die Forschungsgrundlagen offengelegt werden. Wir möchten die Zuordnungs- und Gewichtungsregeln kennen und Einsicht in den New-Establishment- Survey haben, um die Grundlage des Panels zu verstehen. Das entspricht dem internationalen Standard GGTAM (General Guidelines for Television Audience Measurement) der EBU.
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Interview: Isabel Imper und Pierre C. Meier