«CMOs müssen eigentlich Superheld:innen sein» – Sven Reinecke

In einem alten Filmtheater in Lissabon wurde Sven Reinecke von der Faszination für Superman gepackt. Heute, als Direktor des Instituts für Marketing & Customer Insight an der Universität St. Gallen, zieht er eine faszinierende Parallele: CMOs müssen heute Superhelden sein. Im Werbewoche.ch-Interview teilt Reinecke Insights der «CMO Barometer 2024»-Studie und zeigt, warum dieser Vergleich treffend ist.

Sven Reinecke konzentriert sich auf relevante Forschung im Bereich des Marketingmanagements (Strategie, CRM, Preisgestaltung, Entscheidungsverhalten des Managements und Marketingcontrolling) und deren Umsetzung in der Geschäftswelt.

Werbewoche.ch: Sven Reinecke, Ihr persönlicher Superheld aus der Kindheit?

Sven Reinecke: Ganz ehrlich, das war tatsächlich Superman, verkörpert durch Christopher Reeve. Den ersten Film hatte ich damals in einem altehrwürdigen Filmtheater in Lissabon gesehen – und war restlos beeindruckt.

 

Und welcher Mensch verkörpert für Sie nun als Erwachsener die Idee eines Superhelden?

Eine solche Person ist ebenfalls Christopher Reeve. Nach seinem Unfall und seiner Querschnittslähmung vom Hals abwärts hat er sich nicht aufgegeben, sondern war weiterhin als Regisseur und Schauspieler tätig – und hat sich mit seiner Stiftung für Behinderte weltweit eingesetzt. Beeindruckend – und daher ein Superheld.

 

Die diesjährige Serviceplan-Studie «CMO Barometer 2024» führt das Motto «Superheld:innen gesucht!» an. Können Sie uns näher erläutern, wie wir uns diese Superheld:innen vorstellen sollen?

Das Motto «Superheld:innen» ist letztlich ein Ergebnis der Studie: An CMOs werden heute so viele vollkommen unterschiedliche Anforderungen gestellt, dass man eigentlich ein Superheld sein muss, um sie zu bewältigen. Es reicht nicht mehr, sich mit Branding, Positionierung und dem klassischen Marketing-Mix auszukennen – sondern man muss gleichzeitig die gesamte MarTech im Griff haben, die Potenziale der Artificial Intelligence nutzen sowie soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit anstreben.

 

Yvonne Wicht, Vorsitzende des CMO of the Year Council Serviceplan Group Germany, betont, dass KI als Game-Changer die Rolle des CMO erneut verändert. Werden CMOs zu CMTOs (Chief Marketing Transformation Officers)? 

Wir haben gerade eine hochkarätige Veranstaltung im Rahmen unseres «Best Practice in Marketing»-Exzellenzprogramms mit führenden Marketingunternehmen zu diesem Thema durchgeführt. Transformation ist eine wichtige Aufgabe der CMOs. Dafür muss man «weiche» Kompetenzen wie zum Beispiel Agilität, vernetztes Denken und Empathie mit «harten» Qualifikationen wie Daten- und Methodenkompetenz sowie technischem Know-how verbinden. Genau das hat auch das CMO Barometer gezeigt. Aber die oder der CMO muss nicht alles selber können, sondern im Gesamtteam sicherstellen, dass diese Kompetenzen zum Tragen kommen können.

 

Sie haben den Satz «Deutschland jammert» im Vorgespräch erwähnt. Worum genau jammern deutsche CMOs gemäss der Studie?

Die wirtschaftliche Situation wird gemäss CMO Barometer in Deutschland deutlich schlechter als in der Schweiz eingeschätzt – und damit eng verbunden sind auch schlechtere Entwicklungen der Höhe der Marketingbudgets. Das spürt man auch in der Diskussion: Auf einem grossen Treffen von CMOs in München vor kurzem war die Stimmung deutlich gedrückter als das in der Schweiz der Fall ist. Die deutsche Exportwirtschaft ist natürlich auch besonders durch internationale Entwicklungen und die Nachhaltigkeitstransformation gefordert. Und die Schweiz war durch den aufgewerteten Schweizer Franken besser gegenüber Geldentwertung geschützt.

 

Und wie schauen Schweizer CMOs in die Zukunft des Marketings?

Die Mehrheit der Schweizer CMOs guckt durchaus optimistisch in die Zukunft – sowohl bezüglich Wirtschaftsentwicklung als auch hinsichtlich der Höhe ihrer Marketingbudgets.

 

Gibt es weitere Erkenntnisse aus der Umfrage von Schweizer CMOs?

Wenn man ungestützt fragt, dann dominiert für 2024 eindeutig ein Thema: Künstliche Intelligenz. Aber auch Sustainability wird als zentral angesehen. Fragt man gestützt, so ist das Ergebnis ausgeglichener. Dann werden auch andere Themen wie «emotionale Markenführung» sehr hoch gewichtet – aber auch Content & Customer Journey Management. Metaverse wird dagegen kaum (noch) als wichtig angesehen.

 

«Die richtigen Schwerpunkte setzen, nicht jedem Trend hinterherlaufen und vor allem sicherstellen, dass die Basisleistungen korrekt und kundenfreundlich erbracht werden.» Angesichts dieses Zitats von Michael Grund, Head of Department for Marketing & Business Communications HWZ, stellt sich die Frage, ob wir nicht vor lauter Trends die Marketingessenz aus den Augen verlieren. Ist das eine mögliche Gefahr?

So neu sind diese Herausforderungen meines Erachtens nicht. Die klassischen Einsatzgrundsätze des Marketing waren schon immer Schwerpunktsetzung, Harmonisierung und Synchronisierung. Aber wir leben in einer Multioptionsgesellschaft, und die Anzahl der Marketinginstrumente, der Kommunikationsmedien sowie der technischen Möglichkeiten explodiert.

 

Nils Klamma, CMO von Lexus Deutschland, listet Marketing-To-Dos für 2024 auf, die wie eine Einkaufsliste wirken: Brand-Journey, Data, KI, Snack und Nachhaltigkeit. Wenn Sie sich auf einen Aspekt konzentrieren müssten, welcher wäre das?

Leider geht das kaum. KI geht nicht ohne Data, und Branding kaum noch ohne jegliche Nachhaltigkeit. Aus meiner Sicht ist und bleibt das Wichtigste im Marketing der Mehrwert für Kundinnen und Kunden im Vergleich zur Konkurrenz – das ist die Existenzberechtigung des Marketings.

 

Roger Strack, CMO beim deutschen ADAC, betont die Notwendigkeit flexibler und agiler Tests, um Erkenntnisse zeitnah in die Praxis umzusetzen. Sind die Marketingabteilungen Ihrer Meinung nach darauf vorbereitet?

Ja, das sehe ich durchaus so. Mittels digitaler Lösungen kann man viel einfacher als früher Experimente bzw. A/B-Tests durchführen. Ich empfehle auch immer, 5 Prozent des Marketingbudgets bewusst zum Experimentieren und Lernen einzusetzen.

 

Bas Brand, CMO von KWF Netherlands, sieht das Jahr 2024 im Zeichen der Kreativität, trotz des Sturms der KI. Brand bezeichnet dies als Hoffnung. Welche Rolle spielt Kreativität und wie kann man sie in diesen Zeiten am Leben erhalten?

Kreativität heisst für mich, eingespurte Wege zu verlassen und ganz neue Wege einzuschlagen. Das ist sicherlich nicht das, was künstliche Intelligenz besonders gut kann. Aus meiner Sicht ist KI in der Lage, die Ergebnisse eines besseren Brainstormings zu erreichen. Aber auch ein Brainstorming ist lediglich ein mässiges Kreativitätsinstrument: Es bringt nur das hervor, was bereits in den Köpfen der Personen vorhanden ist, was diese häufig schon mehrmals gesehen haben. «Brilliante» Kreativität ist deutlich mehr – und aus meiner Sicht eine Persönlichkeitseigenschaft. Wenn ich mir die Agenturen heute ansehe, dann habe ich keine Angst, dass uns die Kreativität ausgehen wird.

 

Als Wissenschaftler haben Sie die vermeintlichen Erkenntnisse aus der Studie in eine einzige Formel gepackt: Marketingexzellenz = Marketingstrategie x Handwerk x Kreativität. Können Sie uns diese Formel näher erläutern?

Ohne Marketingstrategie ist alles Nichts. D. h., wenn man nicht ein kaufentscheidendes Bedürfnis aus Sicht der Kundinnen und Kunden besser befriedigt als die Konkurrenz, dann wird man nicht erfolgreich sein. Zusätzlich müssen Marketeers ihr Handwerk verstehen, beispielsweise Sozialtechnik für Werbung und Direct Marketing, datenbasierte Methoden und Techniken für das Customer Journey Management. Und Einzigartigkeit lässt sich in der heutigen Zeit nicht ohne Kreativität erzielen. Aber ich habe bewusst die Formel als Multiplikation ausgedrückt: Wenn ein Element fehlt, dann wird man keine exzellente Leistung erreichen können.

 

Woher schöpfen Sie die Energie für Ihr berufliches Schaffen als Wissenschaftler?

Vielleicht ist das ein wichtiger Vorteil, wenn man an einer Universität arbeitet: Subjektiv gesehen werden die Studierenden von Jahr zu Jahr jünger. Und die Doktorierenden an unserem Institut bringen immer wieder so viele tolle Ideen ein, dass man diese gerne mit den Unternehmen in der Marketingpraxis verwirklichen möchte.


Das «CMO Barometer» ist eine umfangreiche, jährliche internationale Studie durchgeführt von Serviceplan Group. Werbewoche.ch hat bereits darüber berichtet. In diesem Jahr war zudem erstmals die University of St.Gallen involviert. Basierend auf einer Online-Befragung von Marketingverantwortlichen aus Unternehmen jeder Branche und Grösse, haben sich im September 2023 insgesamt 767 CMOs aus Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Spanien, Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz, UK und Middle East beteiligt. Die Marketing-Profis teilen dabei exklusiv ihre Einschätzungen für das Marketingjahr 2024.

Sven Reinecke konzentriert sich auf relevante Forschung im Bereich des Marketingmanagements (Strategie, CRM, Preisgestaltung, Entscheidungsverhalten des Managements und Marketingcontrolling) und deren Umsetzung in der Geschäftswelt. Die Weiterbildung von Führungskräften auf hohem Niveau (sowohl in offenen als auch in firmeninternen Kursen) ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Aktivitäten. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Marketingsteuerung («Return on Marketing», Marketingmetriken, Marketing Performance Measurement, Marketing Dashboards). Seine Anwendungsgebiete sind Marketingstrategie, Preismanagement und Branding – sowie Design Thinking in Marketing & Sales.

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