Blüten und Perlen: Wie gut ist «neu»?
Sarah Pally, Linguistin und Partnerin bei der Agentur Partner & Partner, nimmt in ihrer Kolumne «Blüten und Perlen» die (Werbe-)Sprache unter die Lupe. Dieses Mal dreht sich alles um «Neu!».
Haben Sie schonmal «Neu!» in einem Störer verwendet? Wenn Sie in der Werbebranche arbeiten: Vermutlich schon. Vermutlich haben Sie es mit gemischten Gefühlen getan – denn bei vielen Konzepter:innen und Kreativen gilt: Neu ist ja nett, aber nicht sonderlich relevant. Wirklich?
Ist «neu» nicht Relevanz schlechthin? (Ok, vielleicht gleich hinter «Sale»). Klar, das ist so richtig unkreativ und abgedroschen und einfach. Aber wir reden ja auch von Verkaufen und nicht von Kunst. Schliesslich fallen wir ständig alle auf irgendeinen Kram mit Neuheitswert herein – die neue Kollektion, den «latest Shit», irgendeinen Hype oder Trend.
Gönn dir
Denn neu bedeutet eben auch «gönn dir». Neu ist im Zweifelsfall besser. Neu ist aufregend. Neu ist zwar ein bisschen plump, aber auch ein bisschen geil. Neu ist ein süsses Versprechen. Neu schürt Erwartungen. Neu ist kurz und prägnant. Neu ist so weiss, rein, unberührt und überraschend wie frisch gefallener Schnee an einem klirrend kalten Morgen im frühen Dezember im Flachland. Neu bringt Augen zum Leuchten und Kreditkarten zum Glühen. Und am nächsten Tag? Genau: Schnee von gestern! Aus meinen Augen! Aus meinem Sinn!
Darum hat die Skepsis gegenüber dem kleinen Wörtchen eben doch seine Berechtigung, denn es ist das Memento Mori unter den Werbebotschaften: Wenn «neu» dein bestes Argument ist, dann siehst du schnell alt aus. Oder anders gesagt: Sei nie nur neu.
Neu und gut
Neu und gut sind zwei verschiedene Wörter. Sie bedeuten nicht dasselbe. Neu suggeriert nur so etwas wie gut – aber es ist nicht automatisch gut. Neu kann sogar richtig schlecht sein und gewaltig nerven. Diese Applikationen zum Beispiel, bei denen ständig irgendwelche Features und die UX oder das Design ändert, because you can? Nervt. Aber wenigstens wird einem dabei nicht langweilig und das scheint schon die halbe Miete zu sein. Zumindest erhöht es die Nutzungsdauer, weil die User:innen alles wieder neu suchen müssen.
Neu kann auch heissen, «die Verpackung sieht zwar hübscher aus, aber eigentlich mache ich einfach die Öffnung der Tube grösser, damit du mehr verbrauchst und schneller nachkaufst» oder «die Verpackung sieht zwar hübscher aus aber hat dafür für den gleichen Preis weniger drin, weil irgendwer das neue Verpackungsdesign ja zahlen muss». Mit der suggestiven Kraft von «neu» wird also auch munter geblendet, eben weil sie so stark ist. Das ist ein bisschen wie eine Giftmüllhalde zu beschneien, damit die Kiddies was zum Runterrutschen haben. Juhuuu!
Und manchmal, aber nur sehr manchmal, ist «alt» auch schon so verdammt gut, dass neu kaum besser sein kann: Wenn dein alter Wein in den immergleichen alten Schläuchen einfach genau das ist, was die Welt braucht, dann stick halt with it.
Wie neu ist «neu»?
Solange also irgendwas neu ist, ist «neu» als Verkaufsargument zumindest aus rechtlicher Sicht legitim. Mitunter stellt sich aber die Frage, wie lange man etwas Neues als neu verkaufen darf. Wie beim Neuschnee kommt es natürlich auf die Bedingungen an: Wie warm ist es, wird es reinregnen, wie viele Autos sind schon durchgefahren, wie viele Kinder haben die Schneedecke schon durchwühlt, wie viele Hunde schon …, wie viel Dreck aus den Kaminen schlägt sich nieder – und so weiter.
Die beste Antwort ist: Aus rechtlicher Sicht darf Neuschnee wahrscheinlich länger als Neuschnee bezeichnet werden, als aus wohlmeinender Sicht – an was orientieren Sie sich?
Fast ein Jahrzehnt lang analysierte Benno Maggi in seiner Kolumne «Was bedeutet eigentlich» branchenverwandte Begriffe und kommentierte sie mit persönlicher Note. Seit 2025 führt seine Kollegin Sarah Pally in ihrer Kolumne «Blüten und Perlen» diese Tradition weiter – mit neuen Impulsen und gewohnt präzisem Blick auf die Entwicklungen der Branche. Sie bringt dabei ihre eigene, stärker linguistisch geprägte Perspektive ein und setzt neue thematische Akzente. Pally ist Teilhaberin der Agentur Partner & Partner in Winterthur. Sie ist seit 15 Jahren mit den Themen Contentmarketing, Text/Konzept und Storytelling im Kommunikations- und Marketingbereich unterwegs.