Digitalisierung verschärft Unsicherheiten für Kulturschaffende
Mit der Digitalisierung könnte sich die rechtliche und soziale Situation von Kulturschaffenden weiter verschlechtern. So sind einem neuen Bericht zufolge in der Schweiz Urheberrecht, Persönlichkeitsschutz und Sozialversicherungen ungenügend auf die Veränderungen ausgerichtet.
Künstler:innen müssen sich in einem zunehmend internationalen Umfeld behaupten, wie die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) in ihrem am Dienstag vorgelegten Bericht festhielt.
Kaum eine Kunst oder deren Verbreitung kommt heute ohne digitale Mittel aus, wie die Stiftung im über 500-Seiten starken Bericht betonte. So entstehen durch die Digitalisierung neue Ausdrucksmöglichkeiten und neue Möglichkeiten, Werke einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen.
Die Vorteile digitaler Technologien seien allerdings nur mit zusätzlichem, oft von den Kulturschaffenden selbst getragenem, zeitlichem und finanziellem Aufwand zu haben. So würden soziale Medien wie Instagram oder Tiktok Kunst- und Kulturschaffende zwar eine neue Bühne schaffen, über die sie niederschwellig und gezielt ein Publikum ansprechen können.
«Sie müssen dafür aber permanent soziale Medien mit Content bespielen», sagte Nicolai Ruh von der Hochschule Luzern bei der Vorstellung des Berichts. Das sei auch psychisch eine Belastung. Kunstschaffenden, die diese Bühne nicht nutzten, drohe der Ausschluss vom kulturellen Markt, schrieben die Forschenden im Bericht.
Digitalisierung verschärft Prekarität
Zudem seien immer mehr Kulturschaffende in sogenannt atypischen Arbeitsverhältnissen tätig, mit häufig wechselnden Auftragsgebenden oder in kleinen Pensen mehrfach beschäftigt. Die Sozialversicherungen seien für diese teilweise sehr internationalen Arbeiten in Projekten und auf sozialen Plattformen ungenügend ausgerichtet.
Ein Drittel der Selbstständigerwerbenden im Kulturbereich verfüge über keine Altersvorsorge, betonte TA-Swiss im Bericht. Unter den Bedingungen der Digitalisierung dürfte sich die Lage der Kunstschaffenden weiter verschlechtern.
Künstliche Intelligenz rechtlich nicht geklärt
Gerade in der Auftragskunst stellten Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) ausserdem den Marktwert des Faktors Mensch in Frage, wie der TA-Swiss-Bericht zeigt. Gezeigt habe dies der monatelange Streik von Schauspieler:innen in Hollywood 2023. Sie hatten sich neben angemessenen Honoraren auch dafür stark gemacht, in Filmproduktionen nicht von digitalen Doppelgängern ersetzt zu werden.
Auch in der Schweiz seien entsprechende Fragen nicht vollständig geklärt. Kunstschaffende hätten aber die Möglichkeit, sich zivilrechtlich gegen Ausbeutung ihres Schaffens zu wehren. «Das ist aber für die meisten Kunstschaffenden viel zu teuer», sagte Christoph Hauser von der Hochschule Luzern.
Mehr Ausbildung und raschere Rechtsanpassung
Um die Chancen digitaler Technologien zu nutzen, müssten politische Entscheidungsträger Kulturorganisationen und Kunstschaffende die Entwicklung aktiv begleiten, so TA-Swiss. Dafür müsse etwa in die Ausbildung von Künstler:innen investiert werden. Dazu gehörten neben dem Beherrschen gewisser Werkzeuge auch Kompetenzen im Marketing oder im Rechtsbereich. Ausserdem sollten laut der Studie rechtliche Grundlagen rascher und vor allem regelmässiger angepasst werden. In der Musik müsse insbesondere die Streaming-Frage gelöst werden.
Es sei an den Künstler:innen, mit den neuen Technologien zu spielen und an der Politik, die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich dies zugunsten der Kunst auszahle, sagte Martine von Arx von TA-Swiss.
An der Studie beteiligt waren neben der Hochschule Luzern, der Schweizerische Musikrat und der Think Tank Dezentrum. TA-Swiss hat den gesetzlichen Auftrag, die Folgen neuer Technologien abzuschätzen. Ziel ist es, Parlament, Bundesrat und der breiten Bevölkerungen Entscheidungsgrundlagen zu liefern. (SDA/swi)