Mobile Marketing: zum Hype gesellt sich Vorsicht

MOBILE MARKETING Schweizer Firmen verzeichnen stark wachsende Zugriffszahlen auf ihre Mobile Websites. Gleichzeitig realisieren sie: Mit zu aggressivem Marketing schiesst man übers Ziel hinaus. MK hat einige Grossunternehmen wie Coop, Migros, UBS und Swisscom zu ihrer Mobile-Strategie befragt. 
Young Ladies Using Their Phones
Immer mehr Menschen nutzen ein Smartphone. Dies stellt Schweizer Unternehmen bei ihrer Marketing-Strategie vor grosse Herausforderungen. Dieser Artikel erschien in der aktuellen Ausgabe von «Marketing & Kommunikation». Weitere spannende Infos aus dem Digital-Bereich und andere Themen gibt es hier.————————————-Ob Detailhändler, Bank, Telekom-Firma, Krankenkasse, Auto- oder Milchverkäufer: Derzeit bringen die meisten grossen Schweizer Unternehmen ihre Mobile Websites auf Vordermann, pröbeln an den neuen Mechanismen und versuchen sich mit verschiedenen Marketingaktivitäten zu profilieren. Noch kein Thema ist die mobile Präsenz für Unternehmen wie Swiss Life, ABB, Axpo oder Siemens. Auf die MK-Anfrage ausführlich geantwortet haben indes Coop, Migros, UBS, Swisscom, Helsana, Amag und Swissmilk.Coop: zweistelliges Wachstum bei App-NutzungFür Urs Meier, Mediensprecher von Coop, ist die Ausgangslage klar: «70 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer besitzen ein Smartphone und bei der jungen Zielgruppe ist dieses mit über 90 Prozent Durchdringung das primäre Device.» Beim aktuellen Kundenprogramm «Disney» stamme bereits ein Drittel des Traffics über Mobile Devices. Auch bei der App-Nutzung stellt Coop ein zweistelliges Wachstum fest. «Smartphones sind zu einem wichtigen Research-Kanal geworden, während der Kaufakt eher über Tablets stattfindet», stellt Meier fest, «Mobile wird insbesondere mit der Payment-Erweiterung an Bedeutung gewinnen und ermöglicht zudem individuelle und standortbasierte Kommunikation.»Jedenfalls richtet heute Coop alle neuen Webauftritte konsequent Multidevice-fähig aus. «Push ist ein wichtiges Kommunikationsinstrument, um gezielt Impulse auszulösen», erläutert Urs Meier, «die Ansprache ist auch mittels Services möglich, wie digitales Couponing, digitale Geschenkkarte, Passabene, Weinberater oder Onlineshopping bei Coop@home.» Bei der Festtagskampagne streut Coop gezielt mobile Ads mit Tagesangeboten – jeweils am Morgen, wenn die Leute zur Arbeit fahren, und am Abend, wenn sie zu Hause auf dem Tablet und Mobile surfen. Bereits gute Erfahrungen gemacht habe Coop mit App-Werbung und Frequency Capping, sprich: Coop spielt gewisse Formate nur einmal pro User aus.Messbares Kundenverhalten«Der digitale Kanal ist wichtig für den Detailhandel, weil On- und Offline verschmelzen», sagt Migros-Sprecherin Martina Bosshard. «Das Kundenverhalten wird über verschiedene Wege messbar. Individualisiertes Marketing ist unabhängig vom Ort möglich.» Derzeit agiert Migros mit verschiedenen Aktivitäten auf MobileDevices, etwa mit MegaJackpot, dem Kundenbindungsprogramm Cumulus, Produkten, Services wie Geschenkkarten oder dem Filialfinder. Gute Erfahrungen mit Werbung auf Mobile Sites habe Migros auf den eigenen Kanälen gemacht, auf Apps wie Websites, sagt Martina Bosshard, dann auch auf Facebook und Google.Ralph Heidemann von der UBS-Medienstelle sagt: «Mobile Marketing wird für uns immer wichtiger, da sich auch unsere Zielgruppen immer mehr auf den mobilen Kanälen bewegen. Allerdings wird auf unsere Webseite immer noch zu rund 85 Prozent von Desktop-Geräten zugegriffen.» Bei Kampagnen, je nach Zielgruppe und gebuchten Kanälen, könne das aber auch ganz anders sein. «Insgesamt steckt Mobile Marketing immer noch in den Kinderschuhen und auch wir experimentieren noch viel mit diesem Kanal», sagt Heidemann. «Für uns als Bank wird auch Mobile Banking via unserer Mobile Banking App immer relevanter. Die Nutzerzahlen haben sich hier letztes Jahr fast verdoppelt und die App wurde insgesamt fast 400 000-mal gedownloaded.»Als jüngste Aktivität verweist Ralph Heidemann auf die eben zu Ende gegangene Jugendkampagne, die einen grossen Anteil mobilen Traffic generiert: «Hier war Mobile Marketing auch ein grosses Thema in unserem Media­plan. Aber nicht nur bei den jungen Zielgruppen, sondern auch bei der aktuell laufenden E- und Mobile-Banking-Kampa­gne setzen wir auf diesen Kanal.» Mit Ads gute Erfahrungen gemacht hat die UBS auf iPad-Apps. Hier erreiche man den Nutzer meist zu einem guten Zeitpunkt und die UBS sei hier mit Werbung in den meisten Fällen exklusiv präsent. «Sonst haben wir die Erfahrung gemacht, dass Facebook-Ads und andere Text-Bild-Kombinationen mobile besser funktionieren als Display-Werbeformen. Insbesondere Twitter funktioniert für uns sehr gut – hier waren wir eines der ersten Schweizer Unternehmen, welche die neuen Werbeformate einsetzten», sagt Heidemann.Parallele NutzungOlaf Schulze, Mediensprecher der Swisscom, stellt fest: «In den Analytics-Zahlen sehen wir, dass, ganz unabhängig von der Altersklasse, immer mehr Kunden unsere Seiten und Services mit einem Smartphone besuchen. Mobile Marketing wird demnach immer wichtiger und nimmt im Marketingmix eine immer grössere Rolle ein.» Bei Swisscom seien alle Seiten für mobile Endgeräte optimiert. «Unsere aktuellste Kampagne ist die Weihnachtskampagne. Wir sprechen unsere Kunden über verschiedene Mobile Banner an und beobachten einen Trend in Richtung Second Device Usage.» Das heisse, die Zielgruppe schaue sich einen TV-Spot an und informiere sich gleichzeitig via Tablet über die Produkt­details.«Im Bereich Mobile Marketing haben wir bisher sehr gute Erfahrungen auf Social-Media-Kanälen gemacht. Vor Kurzem haben wir sehr erfolgreich das Youtube custom gadget gelauncht», sagt Schulze weiter. Selbstverständlich sei auch der neue Youtube-Channel Mobile-optimiert: «Der neue Channel bietet eine viel bessere Benutzerführung, so können wir alle Filme zur Weihnachtskampagne geordnet und übersichtlich dargestellt auf unseren Youtube-Channel laden. Und die darin enthaltenen Produkte werden direkt auf dem Youtube-Channel zum Kauf angeboten.» Bei den Kampagnen setzt Swisscom im Mobile-Bereich ebenfalls stark auf Facebook.«Mobile Marketing ist Teil unserer Gesamtmarketingaktivitäten und erlaubt es uns, eine Mobile-affine Zielgruppe anzusprechen. Der Kanal ist durchaus geeignet, Aufmerksamkeit auf Angebote zu lenken», sagt Helsana-Sprecher Stefan Heini. «Beim Umgang mit Mobile Marketing muss aber berücksichtigt werden, dass wir uns auf dem Smartphone eines Users in einem sehr persönlichen Bereich bewegen. Werbung kann als störend empfunden werden. Daher sind Relevanz und Tonalität für den Erfolg massgeblich.» Sehr gut geeignet seien Apps, die Kunden und potenziel­len Kunden Mehrwerte bieten oder Erlebnisse schaffen, welche die Wahrnehmung der Marke positiv beeinflussen.Implementierung von Prozessen«Mobile Marketing ist auch in unseren Geschäftsfeldern immer bedeutender», sagt auch Amag-Marketingleiter Philipp Wetzel. «Dabei sprechen wir nicht mehr nur von den reinen Werbemassnahmen. Unsere personalisierten Newsletters werden beispiels­weise bereits heute zu mehr als 40 Prozent über mobile Endgeräte gelesen. Es ist also eminent wichtig, sämtliche digitalen Kommunikations- und Promotions­möglichkeiten mobil lesbar zu machen.» Derzeit ist Amag daran, die Promotionen nicht nur analog, sondern neu auch mittels einlösbarer digitaler Gutscheine anzubieten: «Die Herausforderung stellt sich uns hierbei weniger in der kommunikativen Umsetzung als bei der Implementierung von Verrechnungsprozessen im nationalen Händlernetz bis an den POS.»Und auch bei der Vereinigung Schweizer Milchproduzenten werden derzeit viele Überlegungen hinsichtlich mobiler Präsenz gemacht. Matthias Glauser, Abteilungsleiter Verlag & Media, sagt: «Bisher nutzen wir den Mobile-Kanal für unser Marketing noch wenig. Die Zunahme der mobilen Nutzung ist jedoch stark, womit dieser Kanal im Marketing sehr rasch wichtig wird. Entsprechend planen auch wir zukünftig Aktivitäten und Auftritte über Mobile Devices.» Aktuell bietet Swissmilk eine Mo­bile-optimierte Rezept-Site für die Web User, damit die Swissmilk-Rezepte auch unterwegs schnell gefunden werden und beim Einkauf die Zutaten­liste auf dem mobilen Einkaufszettel zur Verfügung steht. «Im Laufe der nächs­ten Monate werden wir unseren gesamten Webauftritt fully res­ponsive machen. Zusätzlich nutzen wir bei diversen Kommunikationsauftritten ergänzend zur Shortcut-URL auch QR-Codes», ergänzt Glauser. Noch wenig Erfahrung habe Swissmilk mit Ads auf Facebook oder Youtube. Der Youtube-Channel werde derzeit überarbeitet.Standortbezogene AktivitätenViele Überlegungen und erste Gehversuche werden derzeit auch beim standortbezogenen Marketing angestellt. Bei Coop werden mögliche Aktivitäten geprüft, um diese bald gewinnbringend beim Kunden einzusetzen, ohne diesen aber zu nerven. Bei der Migros laufen Versuche mit Geofencing für die gezielte Ausspielung von Inhalten am Point of Interest. Die UBS verfolgt das Thema mit Interesse, bisher hätte sich aber noch keine Kampagne dafür angeboten. Für die Weihnachtskampagne betreibt die Swisscom keine GPS-Location-based-Aktionen in der Nähe der Swisscom Shops. Die Amag hat bereits Ansätze geprüft, jedoch noch nicht national ausgerollt. «Probleme bereiten uns punktuell noch falsche Auslieferungen. Aktuell prüfen wir einen Pilot mit NFC- & QR-Code- Schnittstellen zu Anmeldeplattformen für Probefahrten», sagt Philipp Wetzel. Und auch Swissmilk hat bereits ein Auge auf das Thema standortbezogenes Marketing geworfen: «Wir prüfen einen Einsatz von iBeacons für unsere Events, stehen jedoch noch in der Konzeptphase,» sagt Matthias Glauser.Doch trotz der immensen Möglichkeiten und der umfangreichen Tests scheinen die Exponenten sich auch der Grenzen und der Sensibilität des Themas Mobile Marketing bewusst zu sein. «Das eigene Smartphone ist ein sehr persönliches Gerät und bei Nutzung für Kommunika­tionsauftritte muss entsprechend sensibel damit umgegangen werden. Wer dem User jedoch einen effektiven Mehrwert – zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und zudem transparent vermittelt – bieten kann, wird sich die Akzeptanz holen können», ist Matthias Glauser überzeugt. «Sowohl bei Push- als auch Banner-Kommunikation muss mit grosser Sorgfalt vorgegangen werden», sagt Urs Meier, «eine App ist schneller gelöscht als installiert und zudem wirkt sich penetrante Mobile Werbung negativ auf das Markenerlebnis aus.»«Mobile ist sicherlich ein besonderer Kanal, da das Handy ein sehr persönlicher Gegenstand ist», sagt auch Ralph Heidemann von der UBS. Auf der einen Seite brauche es für Werbeauftraggeber auf dem Smartphone grossflächige Werbeformen, andererseits dürfen diese nicht stören und den User verärgern. Diesen Spagat zu lösen, bleibe die grosse Herausforderung im Mobile Marketing.Autor: Gregor Waser

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