Manipulation vs. Inspiration
Kann man Einfluss auf die Entscheidungen des Traffics nehmen?
Steht ein Nutzer vor einer, für den Betreiber betriebswirtschaftlich relevanten Entscheidung (zB. Artikel in Warenkorb legen oder ein Kontaktformular ausfüllen), dann muss die Website den jetzt potentiellen Kunden dazu auf eine, für ihn richtige und relevante Weise zur Handlung motivieren. Da das Gehirn kognitiven Aufwand bei jeder Gelegenheit umgeht, sollte diese Motivation möglichst implizit sein. Quasi in Form einer Brücke zwischen Shop-Artikel und Konsumentengehirn, über die eine subtile “los, entscheide Dich das zu machen” – Nachricht transportiert wird.Willenlose Zombie-Kunden? Nein, so schlimm ist es nicht. Es geht primär darum, die Entscheidungen im Sinne der Nutzer-Motive zu vereinfachen, um zB. nicht nur höhere Zielerreichungsraten, sondern auch zufriedenere Kunden zu haben.Die implizite Motivation zu einer Aktion, bzw. die “Beeinflussung” des menschlichen Verhaltens kann entweder durch Manipulation oder Inspiration erfolgen. Beides funktioniert sehr gut, verfolgt aber grundverschiedene Ansätze in Strategie und Kommunikation. Generell gilt: Während Manipulation kurzfristige Ergebnisse ermöglicht, zählt die Inspiration zu den mittel- und langfristigen Strategien.Welcher dieser Motivatoren prägt das E-Commerce-Umfeld von heute? Richtig, die Manipulation. Klingt erstmal erschreckend, aber bei genauer Betrachtung fällt auf, dass es eigentlich fast jeder macht. Hier ein paar Beispiele dazu:Manipulation über PreiseDer Preis ist wohl das effektivste Argument. Senke die Preise tief genug und die Kunden werden kaufen. Geiz ist ja noch immer geil! Vor allem aber ist Geiz, respektive der Preis aus Sicht des Neuromarketings ein äusserst emotionaler Wert – und kein streng rationaler (man könnte es anders vermuten), denn mit (viel) Geld lassen sich (alle) Wünsche erfüllen. Wünsche wiederum sind tief in der emotionalen Welt verankert und motivieren von dort aus sehr stark. Darum funktioniert es so gut (Entscheidungen sind emotional getrieben).Manipulation über Köder und PromotionenBring’ mir Dein altes Auto und wir schenken Dir CHF 5’000 beim Neukauf eines lilablassblauen SUV. So oder so ähnlich gehört es für viele Autohändler, bzw. Autohersteller mittlerweile schon zum guten Ton. Das Prinzip dahinter: Verschenke etwas, minimiere dadurch das gefühlte Risiko und erleichtere dem Kunden die Qual der Wahl.Es gibt viele Möglichkeiten, wie man diesen sog. Decoy-Effekt einsetzen kann. Dabei ist die Relativität das entscheidende Element. Unser Gehirn ist besser darin, Werte und Vorteile miteinander zu vergleichen als absolute Daten in ein Verhältnis zu bringen. Sehen sich Kunden mit einer zu grossen Auswahl konfrontiert, dann werden diese regelrecht entscheidungsunfähig (Paradox of Choice).Besonders der Longtail-verwöhnte Onlinehandel ist gefordert, das richtige Mass relevanter Artikelvielfalt zu finden, bzw. dem potentiellen Kunden zu präsentieren. Geschickte Promotionen entflechten hier und helfen, eine kognitiv einfache Relationen zwischen Artikeln herzustellen – um so die Entscheidung ganz implizit zu „vereinfachen“. Das gilt übrigens nicht nur für abgeschlossene Warenkörbe. Auch Newsletter werden viel interessanter, wenn sie einen relevanten Vorteil (zB. Gutscheine) versprechen.Manipulation über das Spiel mit der AngstAlle dreissig Sekunden stirbt ein Mensch an einem Herzinfarkt! Zugegeben, sicherlich eine Verkaufsargumentation der härteren Sorte. Für Versicherungen aber funktioniert es, wenn es darum geht, im Falle eines Falles die geliebte Familie abzusichern. Dass es gut 7 Mrd. Menschen auf der Erde gibt und die statistische Wahrscheinlichkeit doch eher gering ist, dass es einen selbst trifft spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.Die Idee dahinter ist: Wenn Du dieses Produkt nicht kaufst, dann könnte Schlimmes passieren. Wenn Ängste hervorgerufen werden, dann sind Fakten nur noch Nebensache. Dies ist in unserem Urverhalten verwurzelt und soll das eigene Überleben sichern.Weit weniger martialisch als der oben genannte Herzinfarkt ist zB. das Verknappungsprinzip. Wenn von einem rabattierten Artikel nur noch wenige verfügbar sind („nur noch 2 Artikel zu diesem Preis“), dann wirkt die „Angst“ den interessanten Deal nicht mehr machen zu können wie ein Brandbeschleuniger auf die Kaufmotivation.Es gibt viele mögliche Varianten, eine „Angst“ zu erzeugen. Natürlich funktioniert es nicht für alle Websites gleich, aber fast jede kann mit mindestens einer Variante davon ihren Umsatz steigern.
Der Preis der Manipulation
Man kann immer wieder beobachten, dass diese Manipulationen zum Teil sehr gut funktioniert und einen starken Einfluss auf die Handlungsentscheidungen der Besucher einer Website nehmen. Da diese Entscheidungen direkt mit dem betriebswirtschaftlichen Ergebnis korrelieren, kann es ja nur gut sein möglichst viel an der Manipulations-Schraube zu drehen.Aber …Die Manipulation der Motivation bringt nur einen kurzfristigen Uplift. Mittel- oder Langfristig gesehen ist es zu teuer und fördert die Austauschbarkeit der Betreiber, da es für den Kunden primär um tiefste Preise zu maximaler Leistung geht. Da sich der E-Commerce heute in einem ausgesprochen wettbewerbsorientierten Umfeld befindet und sich dabei immer mehr in Richtung Verdrängungsmarkt entwickelt, sind sinkende Margen und zunehmende Austauschbarkeit genau das, was man als Betreiber nicht möchte.Daneben rufen Preissenkungen und Promotionen natürlich den Wettbewerb noch mehr auf den Plan, so dass die Netto-Preise für Produkte und Dienstleistungen tendenziell weiter fallen. Vor allem das Internet hat auf diesem Wege eine Erwartungshaltung bei den Kunden (selbst) manifestiert.So gaben der HSG nach ganze 76.7% der befragten Online-Käufer an, dass der Preis das wichtigste Kriterium für das Online-Shopping sei. Dieser hausgemachten Erwartungshaltung mit weiteren Preissenkungen zu begegnen führt immer tiefer in einen Teufelskreis hinein, denn die Kunden wieder dorthin zu bekommen, dass sie bereit sind höhere Preise für etwas zu bezahlen erfordert wirklich sehr gute Argumente – und eine neue Strategie!Nur über den Preis zu verkaufen ist teuer und kann daher nur solange propagiert werden, bis der Zweiteffizienteste die Rentabilitätsgrenze unterschreitet. Es spricht sicher nichts dagegen für einzelne Artikel und kurze Zeiträume verkaufsfördernd auf die Handlungsentscheidungen der Besucher einzuwirken. Aber die strategisch wichtigen Erfolgsfaktoren im E-Commerce haben sich zu Werten wie Customer Lifetime Value, echtem Mehrwert und Service Excellence verschoben. Der Kunde, die Beziehung zu ihm und das Wissen über ihn sind mittelfristig wichtiger als kurzfristige Uplifts bei Skalierung über den Traffic. Kurz: Es geht um die Loyalität der Kunden.
Websites wollen loyale Kunden
Manipulation funktioniert, kostet aber viel Geld und verhindert echte Kundenloyalität. Sollte das zur Manipulation notwendige Budget einmal nicht mehr vorhanden sein, dann ist das Fehlen loyaler Kunden sehr schmerzhaft für das gesamte Geschäftsmodell. Die Preisjäger sind dann weg. Loyale Kunden dagegen bleiben. Wenn der Customer-Lifetime-Value in den Vordergrund rückt (und das ist aktuell schon der Fall), dann müssen Neukunden zu Wiederkäufern werden. Und somit ist der Wert eines Kunden untrennbar an dessen Loyalität gebunden.Als Unternehmen möchte man loyale Kunden haben. Davon abgesehen sind loyale Kunden auch die glücklicheren Kunden, was unter anderem positive Auswirkungen auf die Retourenquote hat. Auf Loyalität zu setzen ist für beide Seiten also eine Win-Win-Situation. Die muss jedoch erst hergestellt werden. Anders als bei der Manipulation lassen die sichtbaren Ergebnisse jedoch meist etwas auf sich warten. Aber es lohnt sich. —————————————————————————————————————————————————————* Timo Oelerich ist Spezialist für Projekte aus E-Business, E-Commerce und Online Marketing mit Schwerpunkt auf Steigerung der Gesamteffizienz von Onlinevertriebslösungen durch Conversion Optimierung als übergeordnete Meta-Disziplin. Weitere Schwerpunktthemen: Projektleitung, Webanalyse, Informationsarchitektur, Usability, E-Commerce-Recht (CH/EU) und Qualitätssicherung.