Roger Büchel, CEO Kongresshaus Zürich: «Die digitale Infrastruktur war mir ein grosses Anliegen»
Nach vier Jahren Um- und Ausbau ist es jetzt soweit: Kongresshaus und Tonhalle präsentieren sich am Zürcher Seebecken aufgefrischt und aufgeräumt, flexibel und klimaneutral und mit vielen neuen digitalen Möglichkeiten. Die besten Voraussetzungen für die Gegenwart mit Corona – und auch für die Zeit danach, sagt Kongresshaus-CEO Roger Büchel im exklusiven Interview.
Werbewoche/m&k: Das Kongresshaus war seit Jahrzehnten ein heiss diskutiertes Thema in Zürich. Es gab verschiedenste Projekte, auch mit Neubauten an andern Orten in der Stadt. Schliesslich hat man sich für Renovation, Um- und Ausbau des bestehenden Gebäudes entschieden. War dies rückblickend eine gute Entscheidung?
Roger Büchel: Im Nachhinein muss man sogar sagen, zum Glück haben wir kein Riesending hingestellt. Im Moment über Grosskongresse zu reden, wäre wirklich der falsche Zeitpunkt. Denn die grossen Kongresse, die man mit einem grossen Zentrum anlocken wollte, die gibt es im Moment gar nicht. Im Moment ist die Bereitschaft international zu fliegen und zu reisen, ja nur in einem ganz bescheidenen Ausmass vorhanden. Das führt dazu, dass grosse internationale Kongresse im Moment gar nicht stattfinden. Bis es wieder so weit ist, wird es noch zwei Jahre dauern, denke ich.
Werden Sie diese Zeitspanne gut überbrücken können?
Ja, bei uns werden viele nationale Veranstaltungen stattfinden. Darum sind wir mit der Grösse, die wir jetzt haben mit dem Haus – mit einer 2000er-Kapazität im Kongresssaal und einer Gesamtkapazität vom gesamten Komplex von 4’500 Personen sind wir für die aktuelle Situation sehr gut aufgestellt.
Stichwort «Hybride Events» – das Kongresshaus hat neu auch ein modernes TV-Studio – ist das jetzt erst mit Corona zum Thema geworden?
Das TV-Studio und weitere Ausbauten der digitalen Infrastruktur hatten wir schon vor Corona geplant – dies war mir persönlich auch ein grosses Anliegen. Ich komme aus der Eventtechnik-Branche und bin entsprechend technikaffin. Als ich mich 2019 erstmals mit dem Projekt befasste, stellte ich fest, dass das Thema Technik, also Audio-, Video- und Lichttechnik – Digitalisierung – bis anhin sehr stiefmütterlich behandelt worden war. Ich habe mich dann dafür eingesetzt, mehr in die Digitalisierung und in digitale Vernetzung zu investieren. Auch in Beschallungssysteme, moderne Beleuchtungsanlagen und Kamerasysteme. Ein steigendes Bedürfnis für hybride Events gab es schon in der Zeit vor der Pandemie. Damals dachten die Leute, jetzt kommt der Büchel und will hier alles auf den Kopf stellen. Doch dann kam Corona – mit Zoom- und Team-Calls und man hat angefangen, mich zu verstehen – und hat verstanden, dass die digitale Vernetzung essentiell wichtig ist. Es braucht die Möglichkeit, den Content, den wir live produzieren, auch ins Internet transferieren zu können. Meine These ist, dass die grossen Kongresse nicht mehr zurückkommen werden: Man wird anfangen die verschiedenen Destinationen miteinander zu verbinden. Dann werden die Amerikaner in Amerika bleiben, die Franzosen bleiben in Frankreich, die Schweizer bleiben hier und das vernetzt man dann digital.
Es gibt ja weitere – und auch einige neue Angebote am Standort Zürich.
Man kann sagen, der Wettbewerb hat stark zugenommen, unter anderem mit der Samsung Hall und dem Circle Convention Center, dem Hallenstadion, bei dem jetzt der ZSC auszieht und das neue Eishockeystadion das auch für Eventformate zur Verfügung stehen soll. Aber auch national und international hat der Wettbewerb stark zugenommen. Deshalb habe ich immer gesagt, wenn wir in dem Markt mitspielen wollen, müssen wir uns gut positionieren – eben auch im Technikbereich. Wir sind mit Hallenstadion und The Circle im Austausch. Das befruchtet und unterstützt sich gegenseitig und macht die Destination Zürich attraktiver. Unsere Häuser sind ja auch sehr verschieden und können sich gegenseitig ergänzen. Man muss einfach zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten. So besteht sicher kein Überangebot. Man redet noch von einem zusätzlichen Kongresszentrum – zumindest war dies vor Corona noch der Fall. Aber wenn in Zürich jetzt ein weiteres Kongresszentrum oder eine Eventhalle gebaut würden, wäre das wahrscheinlich mehr als genug.
Welches sind Ihre wichtigsten USPs?
Von der zentralen Lage in der Stadt her haben wir eine Triple-A-Situation – wir sind ja bestens an die ÖV-angebunden. Jetzt haben wir sicher ein paar USPs hinzugewonnen, im Sachen Technik und in Sachen Klimaneutralität, die von den Kunden sehr geschätzt wird. Gerade internationale Konzerne legen Wert darauf, dass Events klimaneutral stattfinden. Wir sind stolz darauf, seit 2019 das erste komplett klimaneutrale Event- und Kongresszentrum der Schweiz zu sein. Alles was nicht reduziert werden kann, wird über ein Waldschutzprojekt in Peru kompensiert. Das führt dazu, dass wir komplett klimaneutral sind – ohne Zusatzkosten für den Veranstalter. So ist jede Veranstaltung bei uns komplett klimaneutral. Wir haben auch eine Seewasserzentrale im Haus. Darüber wird Seewasser hergepumpt – mit der Energie wird 70 Prozent des Kälte- und Wärmebedarf unseres Hauses gedeckt.
Das Zürich Film Festival wird das neue Kongresshaus ebenfalls nutzen.
Ja, das ist bestimmt ein Leuchtturmprojekt. Bei uns wird auch die Opening Night stattfinden, sowie ein Teil der Filmvorführungen. Der Kongressaal wird mit Abstand der grösste Kinosaal des ZFF sein, oder sogar schweizweit. es gibt in der ganzen Schweiz keinen so grossen Kinosaal mit einer so grossen Leinwand. Dass dann auch noch der neue James Bond Film im Kongresshaus seine Schweizer Premiere feiern wird, ist fantastisch.
Wie ist die aktuelle Marktsituation?
Für die aktuelle Situation dürfen wir mehr als zufrieden zu sein. Seite Mitte August haben wir eine Veranstaltung nach der anderen, sogar Mehrfachbelegungen, was bei uns möglich ist, weil wir ja mehrere Eingänge haben. So kann auch organisiert werden, dass die Besucher sich nicht kreuzen; das ist, möglich weil wir verschiedene Räume und Eingänge haben, die weit auseinander liegen. Grundsätzlich sind wir zuversichtlich, dass wir das Haus gut auslasten können. Es braucht Kreativität und Innovation. Alle die da mitspielen können, haben auch die Chance in Zukunft zu bestehen. Im Event- und Locationmarkt wird es mit Sicherheit eine gewisse Bereinigung geben.
Wie sieht nach Ihrer Einschätzung die Zukunft der MICE-Branche aus?
Wir sind verhalten zuversichtlich. Wir beobachten sehr gut, wie sich die ganze Lage weiterentwickelt. Man spricht von der neuen Normalität, doch die Situation wird nie wieder so sein wie vor Corona – die Formate kommen nicht mehr genau gleich zurück. Aber es eröffnen sich neue Möglichkeiten und Chancen. Als Location muss man kreativ sein und Antworten finden, wie zum Beispiel mit einem TV-Studio. Oder wie unsere Flächen anders als für Events genutzt werden können. Da denken wir sehr offen. Es werden nicht nur Events stattfinden – die Flächen können auch anderweitig genutzt werden.
Zum Beispiel?
Was jetzt im Trend ist sind zum Beispiel Pop Up Stores. Wo man in kurzer Zeit Produkte anbietet, mit einer Verkaufsfläche, und für solche Vorhaben sind wir sehr offen. Das ist dann nicht in erster Linie eine Veranstaltung, sondern eher eine Verkaufsplattform. Bei Messen gab es ja schon vor Corona einen Rückgang der klassischen Messeformate, es braucht dort neue Ideen, neue Formate, mehr Networking, mehr Wissensvermittlung. Nur Ausstellungen reichen nicht mehr – alle Messeplätze mussten das ganz hart spüren. Ein normales klassisches Messeausstellungsformat funktioniert nicht mehr. Jetzt sind neue Formate gefragt, die sich dann auch mit hybriden und digitalen Möglichkeiten kombinieren lassen.
Der 47-jährige Roger Büchel führt seit Anfang 2019 als Direktor und CEO das Kongresshaus Zürich. Er studierte Musik, Sales & Marketing und General Management und hält einen Executive MBA der Universität Zürich. In jungen Jahren als professioneller Musiker und Dozent tätig, gründete und führte er eine Eventtechnik-Firma und war dann 25 Jahren in mehreren Positionen im Topmanagement internationaler Event- und Live Communication Unternehmen tätig.
Kongresshaus und Tonhalle Zürich erstrahlen in neuem Glanz
Vier Jahre dauerte der Umbau von Kongresshaus und Tonhalle in Zürich – und es war viel mehr als eine blosse Renovation: Das Kongresshaus präsentiert sich heller, moderner und grosszügiger. Der Panoramasaal, eine «Bausünde» aus den Achtzigerjahren, wurde entfernt. Vom Konzertfoyer hat man jetzt wieder freie Sicht auf See und Berge. Das neue Restaurant im 1. Stock punktet mit einem für Zürich einzigartigen Aussicht auf das Seebecken. Zurück zu früherem Prunk und Pracht geht es in der Tonhalle – übermaltes Blattgold wurde wieder freigelegt. Hier wie überall im neuen Gebäudekomplex glänzt nicht nur das Optische, immens wurde auch in die Technik investiert. Das geht von der baulich optimierten Akustik über die digitale Vernetzung bis zum hauseigenen TV-Studio mit gebogener LED-Videowand.
Tickets für die Eröffnungstage am 4. und 5. September gibt es auf Deeyouamsee.ch