Erfolgreicher Gisler Gipfel, zufriedene Präsidentin

Am Donnerstag trafen sich Mitglieder des Gislerprotokolls und Gäste zum ersten grossen Gisler Gipfel. Thema war die Facettenvielfalt in der Werbung. m&k Werbewoche.ch hat Stimmen aus dem Publikum sowie ein Fazit von Nina Bieli, Präsidentin des Vereins Gislerprotokoll eingefangen. Zudem gab es auch vom Werbeauftrageberverband SWA und von Kund:innenseite spannende Einblicke.

Nina Bieli, Präsidentin des Vereins Gislerprotokoll und Chief People & Culture Officer bei Jung von Matt.

Am 8. März 2021 wurde das Gislerprotokoll ins Leben gerufen. Nina Bieli und Annette Häcki, die Initiantinnen der Initiative, wollten sich für mehr Facettenreichtum in der Werbung einsetzen und hofften, dass sich Agenturen anschliessen würden. Gemeinsam wollte man sich der Charta verpflichten, intern und auch extern sensibel und vielfältig mit der Abbildung der bunten Gesellschaft in der Werbung  umzugehen. Knapp zwei Jahre später ist das Gislerprotokoll ein Verein mit 126 Mitgliederagenturen, einer Präsidentin und acht Vorstandmitgliedern. Diese Agenturen bekennen sich zu fünf Punkten, bei denen es unter anderem um inklusive Sprache, facettenreiche Rollenbilder und die Sensibilisierung von Kund:innen für das Thema geht. Ganz konkret setzen sie sich dafür ein, dass in der Schweiz insgesamt weniger stereotyp und eben mit mehr Facetten kommuniziert wird.

Der erste Gisler Gipfel kommt gut an

Am Donnerstag fand nun der erste Gisler Gipfel statt. Das Tanzwerk als Austragungsort bildete eine gute Kulisse für das zahlreich erschienene Publikum, bestehend aus Mitgliedern, Vorständ:innen, der Präsidentin Nina Bieli,  Gästen und den eingeladenen Speaker:innen Anna Rosenwasser, Nora Keller, Peter Schneider und einer Vertreterin der Initiative Equal Voice von Ringier. Bieli rückte in ihrer Begrüssung den Werdegang des Vereins ins Scheinwerferlicht, präsentierte dann die zweite Runde der Stereotypen-Analyse, die zeigt, dass Klischees zwar immer noch dominieren, aber sich etwas tut in der Diversität der Rollenbilder.

Dann gab Anna Rosenwasser, LGBTQ Aktivistin, Buchautorin und Polit-Influencerin tiefe Einblicke in vermeintliche Toleranz der Schweiz in Sachen queere Menschen. Fazit «Wir sind nicht modern, wir sind reich».

Anna Rosenwasser, LGBTQ Aktivistin, Buchautorin und Polit-Influencerin.

Nora Keller von der Universität St. Gallen zeigte in ihrer Keynote eindrücklich, gestützt durch Statistiken, auf, dass Vaterschaft und Karriere auch nicht einfach zu vereinbaren sind. Sie belegte, Väter sind nicht glücklich mit der Rolle des Versorgers. Sie wünschten sich Gleichheit. Zwar gäbe es die Begriffe «Rabenvater» und «Working Dad» im Sprachgebrauch nicht, trotzdem würde es Vätern in unserer Gesellschaft nicht leicht gemacht, in Teilzeit zu gehen, die Unternehmen seien oft nicht entgegenkommend. Der Gap zwischen dem Wollen und der Realität klaffe weit auseinander. aber manche Branchen seien weiter, wie die Pharmabranche.

Nora Keller von der Universität St. Gallen.

Peter Schneider, Psychoanalytiker, Buchautor und auch bekannt als Stimme des Detektives Philipp Maloney, teilte seine Gedanken zum Thema «Trans, der Kampf ums Geschlecht». Er startete mit den Worten «Ich habe einen Vortrag vorbereitet, mich aber spontan entschieden, einfach ein paar Gedanken mit ihnen zu teilen». Es war nicht immer leicht, den Gedankensprüngen zu folgen, aber aufgrund seiner humorvollen und akzentuierte Art zu sprechen, konnte er auf die Aufmerksamkeit des Publikums zählen. Seinen eigentlichen Vortrag hätte der eine oder die andere sicher noch gerne gehört.

Peter Schneider, Psychoanalytiker und Buchautor.

Zum Schluss erläuterte Karen Schärer die Initiative EqualVoice, die vom Verlag Ringier gegründete Initiative für mehr Sichtbarkeit von Frauen in den Medien. Dann traf Mensch sich zum Apero und netzwerken.

Nina Bieli (links) interviewte Karen Schärer von Equal Voice.


Fazit von Nina Bieli

m&k Werbewoche.ch erkundigte sich nach dem Event bei Nina Bieli, wie sie den Gisler Gipfel empfand.

m&k Werbewoche.ch: Nina Bieli, wie zufrieden sind Sie mit dem Gisler Gipfel?

Nina Bieli: Ich bin sehr zufrieden und happy! Dass so viele Menschen gekommen sind, wir so spannende Inputs hatten, generell eine wunderbare Stimmung geherrscht hat und dass wir als Vorstand so etwas auf die Beine stellen konmten, freut mich extrem.

 

Wer und Was hat Sie besonders beeindruckt? 

Ich fand die Beiträge von Anna Rosenwasser und Nora Keller toll – sie beleuchteten ganz unterschiedliche Aspekte von Repräsentation und waren genau darum tolle Impulsgeber für die Auseinandersetzung mit dem Thema. Und dass wir mit EqualVoice sozusagen eine Schwesterorganisation auf der Bühne hatten, fand ich auch sehr stimmig.

 

Wie haben sich die Mitglieder des Gislerprotokolls beim Apero geäussert?

Ich habe durchwegs positives Feedback erhalten – natürlich der grösste Erfolg für uns. Der Gisler-Gipfel wurde mit Mitgliederbeiträgen finanziert und es war mir daher ein sehr grosses Anliegen, dass wir unseren Mitglieder damit etwas zurückgeben konnten. Und hoffentlich alle Anwesenden inspirieren konnten.


Das sagen die Mitglieder über den Gisler Gipfel

m&k Werbewoche.ch hat ausgesuchten Mitgliedern und Gästen der Veranstaltung drei Fragen gestellt: Was sie am meisten beeindruckt, was gefehlt hat, wie sie die Umsetzung in der Praxis wahrnehmen, und wie der richtige Ton gefunden werden kann.

Rebecca Knobel, Bühler & Bühler

«Wie viel das Gislerprotokoll in so kurzer Zeit erreicht hat ist beachtlich und beweist, wie wichtig das Anliegen ist. Beim nächsten Gipfel wäre es schön, wenn sich die Unterstützung männlich gelesener Personen auch im Publikum zeigt.

Aussagen wie «Das haben wir immer schon so gemacht» sind zwar nicht böswillig, lassen wir jedoch nicht durchgehen. Innerhalb der Gislerprotokoll-Arbeitsgruppen tauschen wir gerne auch Argumente und Methoden aus, die im Umgang mit der Kundschaft helfen. Den richtigen Ton findet man durch Zuhören, Informieren, Umsetzen und Fehler eingestehen.

Susann Vogel, Swissfilm Association

«Am meisten beeindruckt hat mich die Vielseitigkeit der Referenten – Eine Schriftstellerin, eine Politologin, ein Psychoanalytiker und eine Journalistin – toll! Was mir gefehlt hat, war etwas Bodenständiges, Handfestes, jemand der direkt betroffen ist ohne Schriftstellerin zu sein. Sozusagen ein ‹Normalbürger›. Diese Erfahrungen hätten mich sehr interessiert, da man die in den Medien fast immer nur «reisserisch» erlebt.»

Uwe Schlupp, Krieg Schlupp Partner

«Die Unterschiedlichkeit der Referent:innen und der Vorträge wurde dem vielfaltigen Thema sehr gerecht. Für uns in der Praxis besteht noch das Problem, dass alle im Team zum Beispiel unsere sprachlichen Guidelines gut finden, aber es noch wenige wirklich umsetzen. Aber die progressiven Mitarbeitenden ziehen die anderen langsam mit. Im Moment wollen wor vor allem signalisieren, dass wir für das Thema sensibilisiert sind. Da spielt Perfektion noch nicht so eine grosse Rolle. Aber durch laufende Weiterbildung wollen wir uns von ‹gut gemeint› zu ‹wirklich gut› entwickeln.»


Matthias Kiess befindet sich hier in einer Doppelrolle: Er ist CEO von TBWA\Zürich und Vorstandmitglied des Vereins Gislerprotokolls. m&k Werbewoche.ch hat sich auch bei ihm über den GG und des Stand der Dinge aus Agentursicht erkundigt.

m&k Werbewoche: Matthias Kiess, wie haben Sie den Gisler Gipfel empfunden?

Matthias Kiess: Ich war von der ersten offiziellen Ausgabe des Gisler-Gipfels sehr angetan. Das Interesse war beachtlich und die Auswahl der Referent:innen vielfältig, was für mich genau die richtige Tonalität mit sich brachte. Einen Anspruch für Veränderung, ohne aber einseitig und dogmatisch zu sein.

 

Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Was mich besonders gefreut hat, war die Tatsache, dass im Publikum nicht nur Frauen sassen, sondern dass auch der Männeranteil doch auch mit fast einem Drittel ganz gut repräsentiert war. Man sieht also, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung ist da und somit der Wille zur Veränderung ebenfalls.

 

Aus Ihrer Sicht als TBWA-CEO: Wie sieht die Praxis aus? Stösst die Umsetzung der Sensibilisierungen bei den Unternehmen auf Resonanz? Oder zieren sie sich mehrheitlich?

Ich denke, wie ja auch die Stereotypen-Analyse aufgezeigt hat, dass immer noch Handlungsbedarf da ist, aber dass die Bedienung gewisser Muster in der Geschichtenerzählung nicht wegzudenken ist. Es findet eine Verschiebung von Grenzen statt, doch wird zum Beispiel Humor, der gerne auch seinen Ursprung in den Geschlechtereigenheiten hat, sich nicht einfach auslöschen lassen. Dennoch darf man klar sagen, dass die Unternehmen nicht nur sensibilisiert sind, sondern gar die entsprechende Beachtung in der Konzeption und Umsetzung einfordern. Da sind wir auf dem richtigen Wege.

 

Mein Eindruck war, dass das Thema Diversität für Verunsicherung sorgt. Wie muss man sprechen, was geht, was nicht. Äussere ich mich diskriminierend, ohne es zu wissen, obwohl ich es gut meine? Wie empfinden Sie das in Ihrem täglichen Umgang in der Agentur, aber vor allem mit Kund:innen?

Anna Rosenwasser hat richtig formuliert, dass sich Diversität innert einer Gemeinschaft ergibt und nicht ein Individuum als «divers» eingestuft oder gar klassifiziert werden sollte. Diversität geht weit über Sexualität oder Geschlechtlichkeit hinaus. Das heisst, dass wir letztendlich den Spiegel unserer Gesellschaft aufnehmen sollten und Minderheiten ebenfalls eine Stimme geben sollten. Dies hat mit Akzeptanz und Toleranz zu tun. Dies gilt für uns alle – egal ob intern oder nach extern. Ich glaube, dass wir dem Ganzen mit einer gesunden Prise Respekt, Vernunft und Pragmatismus begegnen müssen, ohne zu extrem zu werden. Wie so häufig im Leben, befinden wir uns gerade in einem Veränderungsprozess, in welchem aufeinander zugegangen werden muss und wir alle lernen müssen, mit den neuen Gepflogenheiten umzugehen. Auch hier plädiere ich für Toleranz.

 

Mir hat der Kommentar aus dem Publikum gut gefallen, Agenturen und Unternehmen sollten queere Menschen im Team haben, dann wäre die Auseinandersetzung mit dem Thema einfacher und das Glatteis nicht so rutschig. Wie empfinden Sie das ?

Dies ist meines Erachtens ein heikles Terrain, wenn einfach so pauschalisiert wird. Auch queere Menschen sind vielfältig und haben eigene Ansichten und Talente. So müssen wir nach wie vor die Eignung für eine Rolle, für welche wir bestimmte Personen einstellen, in den Vordergrund stellen. Heute sind in allen fortschrittlichen Unternehmen queere Personen zu finden, so auch bei uns. Doch geht eine seriöse Auseinandersetzung darüber hinaus und erfordert ein vertieftes Eingehen auf diese Gruppe und den Austausch mit Spezialisten.

 

Ist die Werbung auf dem richtigen Weg punkto DEI?

Nun, wie gesagt, was ist richtig und was ist falsch? Nina Bieli hat aufgrund der Stereotypen-Analyse gezeigt: vieles ist auch im 2022 im Positiven passiert, doch werden die gängigen Stereotypen immer noch zu häufig verwendet. Aber es gibt weder schwarz noch weiss – wir bewegen uns in Grauzonen und das grau wird zunehmend heller, was mich zuversichtlich stimmt. Doch es ist immer noch ein weiter Weg, bis wir sagen können, dass sich die Werbung nicht nur divers zeigt, sondern auch divers ist.


m&k Werbewoche hat zudem auch die Sicht der Auftraggeber:innen eingeholt und fragte Roland Ehrler, Direktor des Schweizer Werbe-Auftraggeberverband SWA nach den Fortschritten der facettenreichen Werbung in der Schweiz.

m&k Werbewoche.ch: Roland Ehrler, 126 Agenturen sind mittlerweile Mitglied beim Gislerprotokoll und verpflichten sich damit, sensibel mit den Themen Diversität, Gender-Gleichheit und Stereotypen-Aufbrechung umzugehen. Wie ist die Sicht auf diese Sensibilisierung aus Werbeauftraggeber-Seite?

Roland Ehrler: Ich bin mir sicher, dass die werbenden Unternehmen sich darüber im Klaren sind, wie wichtig heute die DEI-Themen Vielfalt, Gerechtigkeit und Integration sind. Gerade jetzt ist dazu die weltweite «The Global DEI Census 2023»-Studie unseres Werbeauftraggeber-Dachverbands WFA im Feld. Der SWA unterstützt und promotet diese Studie in der Schweiz. Dies zeigt somit gerade sehr konkret, wie ernst es den werbetreibenden Unternehmen ist, und wir sind jetzt schon gespannt auf die Resultate.

 

Wo steht die Schweiz beim Thema Vielfalt in der Werbung?

Als Land mitten in Europa haben wir eine etwas andere Werbegeschichte als vielleicht Afrika oder Amerika. Allerdings kam doch das Frauenstimmrecht etwas spät in unserem Land und das dürfte wohl auch ein Grund dafür sein, dass die Diskussion über Stereotypen in der Werbung bei uns später einsetzte. Wo genau wir in der Schweiz stehen, wird uns die erwähnte Studie teilweise aufzeigen. Allerdings geht diese nicht auf die Gestaltung von Werbung ein. In diesem Bereich haben wir aus meiner Sicht in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. So werden zum Beispiel heute in Printanzeigen Männer und Frauen beim Einkaufen gezeigt oder im Spot kommen ebenfalls beide Geschlechter vor. Die Werbung muss jedoch nach wie vor etwas «verkaufen» und einen Return on Investment erreichen. Wenn Menschen gezeigt werden, bedient sich die Kreation dann oft mit der Darstellung der anvisierten Zielgruppe. Ausser wir machen es wie Denner und zeigen die Hunde der Einkaufenden. Das kann sehr sympathisch sein!

 

Besteht von Seiten der Auftraggeber:innen Interesse, dem Verein beizutreten?

Das Gisler-Protokoll ist von Agenturvertreterinnen und Vertretern gegründet worden und das ist auch gut so. Insbesondere weil die Agenturen am Puls der Gestaltung von Werbung sind, haben diese einen sehr grossen Hebel. Ob werbende Unternehmen dem Gisler Protokoll beitreten wollen, müssen diese für sich entscheiden. Für mich zählt fast mehr, dass deren Agenturen dabei sind und bereits früh in der Kreation an diese Thematik denken.

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