Nackte Notwendigkeiten
Sexanzeiger Mitten in der Rezession erscheint Marktneuling Cherry nun wieder zwölf- statt nur sechsmal jährlich. Ein Indiz fürs Wohlergehen einer antizyklischen Branche? Weit gefehlt.
Sexanzeiger Mitten in der Rezession erscheint Marktneuling Cherry nun wieder zwölf- statt nur sechsmal jährlich. Ein Indiz fürs Wohlergehen einer antizyklischen Branche? Weit gefehlt.Der «grösste» (SAZ, gegründet 1977) und der «erfolgreichste» Kontaktanzeiger (Okay, 1984) waren beide schon volljährig, als im Mai letzten Jahres mit Cherry «das lustvollste Erotik-Magazin» den Schweizer Markt für Sexanzeiger aufzumischen begann. Glaubt man dem Herausgeber des frechen Früchtchens, Oscar Broghammer, hat Cherry mit seiner zweimonatlichen Druckauflage von gut 25000 Exemplaren den Platzhirschen unterdessen den Rang abgelaufen – was diese natürlich heftig bestreiten (siehe Kasten).Weit weniger auskunftsfreudig zeigt sich der (einzige!) Verwaltungsrat der Neue Publikationen AG auf die Frage nach der Herkunft des Startkapitals von gewiss deutlich über einer Million Franken. «Erstens war ich da noch nicht an Bord. Und zweitens weiss man ja selbst bei der Weltwoche nicht vollständig, wer sie finanziert.» Hört man sich jedoch im Milieu um, bleibt kaum ein Zweifel, dass Telefonsexkönig Philippe Gilomen – der bislang nur Grosskunde bei der Konkurrenz war – sich während der Rezession entschloss, mit Cherry einen eigenen Werbe- und Imageträger zu lancieren.
Der Markt verlangt Hardcore Konzeptionell und personell ist das jüngste Hormonblatt freilich aus dem Zürcher Okay Verlag hervorgegangen. Dessen damaliger Leiter Marcel Ljatifi und drei Gefolgsleute wollten mit noch mehr Lifestyle, Hochglanz und Ästhetik endlich raus aus der Schmuddelecke – und rein ins Abenteuer relativer Selbstständigkeit. Ein Schweizer Hustler mit erotischem Niveau und ohne gynäkologische Einblicke sollte Cherry mal werden. Wer die 180-seitige Oktoberausgabe durchblättert, hat indes jede Menge Gespreiztes und 0900er-Gestöhne zu gewärtigen. Neben Salon-Reports, Fetish-Fun, sexy News und seitenweise Privat- und Profikontaktanzeigen bietet das dralle Doppelkirschchen seit Ende 2002 als USP auch eine Pornosektion, die man – wie früher Buchseiten – vor dem Konsum erst aufschneiden muss. «Wir hatten die Wahl, entweder in Schönheit zu sterben oder den Wünschen unserer Leser nachzukommen», begründet Broghammer die vom Markt erzwungene Hardcoreisierung seines Produkts.
Reiche Kirschenernte
Aus der publizistischen Not, dass die Luft zwischen Männermagazinen und Pornoheftchen hier zu Lande zu dünn ist, hat Cherry also längst eine pornografische Tugend gemacht. Und damit auch kommerziell reüssiert. Übersetzt man jedenfalls die von Verlagsleiter Broghammer bestätigte Umsatzdrittelung zwischen Verkaufseinnahmen, Salon- und Privatinseraten in Zahlen, so ergibt sich bei einem Kioskpreis von knapp zehn Franken pro Nummer ein Gesamterlös von deutlich über einer halben Million Franken.
Kein schlechter Schnitt für einen Verlag mit sieben Teilzeitangestellten, drei davon im Anzeigenverkauf. Broghammer hofft, diese Rentabilität bei der per November erfolgenden Rückumstellung auf monatliches Erscheinen mindestens halten zu können. «Ob wir, wie jüngst, sechsmal oder nun wieder zwölfmal im Jahr kommen: Auf die redaktionellen und administrativen Fixkosten hat das wie bei einer Autozeitschrift kaum einen Einfluss.»
Glaubt man beim kessen Früchtchen also an den baldigen Aufschwung? Oder leidet die Sexpublizistik, wie häufig unterstellt, wirklich nicht unter der Rezession? «Weder noch», sagt Broghammer. Auch mit der Abstandsverkürzung zwischen zwei Ausgaben reagiere man lediglich auf Leserwünsche. Schliesslich sei auch Sex längst ein «fast turning consumer good». Sprich: Das Verfallsdatum professioneller wie privater («eine Unterscheidung, die sowieso zunehmend schwieriger wird») Kontaktanzeigen beträgt heute maximal einen Monat.
Zurzeit beschäftigt Cherry gerade mal einen Redaktor, den
auch nicht weiter erwähnenswerten Rest besorgen externe Ghostwriter. Warum da nicht gleich ganz aufs redaktionelle Feigenblatt verzichten? «Ohne Inhalte keine Abonnenten», bringt Broghammer eine Verlagsweisheit, die demnach auch bei triebgesteuertem Publikum gilt, auf den pekuniären Punkt. Als Ex-Fundgrueb-Verlagsleiter weiss er offenkundig, wovon er spricht. Und ist entsprechend stolz darauf, dass Cherry mit «einem guten Drittel Festbezügern» weit über dem Branchenschnitt liege.
Während der Kampf um etwas Seriosität inhaltlich faktisch aufgegeben wurde, hat Broghammer anzeigenmässig noch Ambitionen. Ganzseitige Imageinserate, wie sie die Whiskey-Marke Jack Daniel’s in den vergleichsweise prüden ersten zwei Ausgaben noch schaltete, dürften trotz Monatsrhythmus definitiv der Vergangenheit angehören.
Wemf-taugliche Sex-Magazine?Die Internetausgabe des Erotik- und Kontakt-Magazins Okay wird vom Net-Audit der AG für Werbemedienforschung schon länger beglaubigt. Interessiert wäre Geschäftsleiter Pietro Attardo grundsätzlich auch am Wemf-Siegel für seine Printauflage, «aber die wollen sich an uns scheinbar nicht die Hände schmutzig machen». Wemf-Chefbeglaubigerin Christel Plöger jedoch meint nur nüchtern: «Titel ist Titel.» Bedenken habe sie
höchstens in Sachen Objektivität bei etwaigen Reichweitenmessungen. Diese teilt sie mit Oscar Broghammer, der aus Erfahrung weiss, dass Cherry zwar alle kennen, aber niemand es je gelesen, geschweige denn gekauft haben will. Zudem werde die Doppelkirsche aus nahe liegenden Gründen eher liegen gelassen als weitergereicht, was sich auch nicht positiv auf diese Werte auswirke. (oc)
Skandalmarketing: Playmates mit Bundesrat auf dem Rütli.
Oliver Classen
Der Markt verlangt Hardcore Konzeptionell und personell ist das jüngste Hormonblatt freilich aus dem Zürcher Okay Verlag hervorgegangen. Dessen damaliger Leiter Marcel Ljatifi und drei Gefolgsleute wollten mit noch mehr Lifestyle, Hochglanz und Ästhetik endlich raus aus der Schmuddelecke – und rein ins Abenteuer relativer Selbstständigkeit. Ein Schweizer Hustler mit erotischem Niveau und ohne gynäkologische Einblicke sollte Cherry mal werden. Wer die 180-seitige Oktoberausgabe durchblättert, hat indes jede Menge Gespreiztes und 0900er-Gestöhne zu gewärtigen. Neben Salon-Reports, Fetish-Fun, sexy News und seitenweise Privat- und Profikontaktanzeigen bietet das dralle Doppelkirschchen seit Ende 2002 als USP auch eine Pornosektion, die man – wie früher Buchseiten – vor dem Konsum erst aufschneiden muss. «Wir hatten die Wahl, entweder in Schönheit zu sterben oder den Wünschen unserer Leser nachzukommen», begründet Broghammer die vom Markt erzwungene Hardcoreisierung seines Produkts.
Reiche Kirschenernte
Aus der publizistischen Not, dass die Luft zwischen Männermagazinen und Pornoheftchen hier zu Lande zu dünn ist, hat Cherry also längst eine pornografische Tugend gemacht. Und damit auch kommerziell reüssiert. Übersetzt man jedenfalls die von Verlagsleiter Broghammer bestätigte Umsatzdrittelung zwischen Verkaufseinnahmen, Salon- und Privatinseraten in Zahlen, so ergibt sich bei einem Kioskpreis von knapp zehn Franken pro Nummer ein Gesamterlös von deutlich über einer halben Million Franken.
Kein schlechter Schnitt für einen Verlag mit sieben Teilzeitangestellten, drei davon im Anzeigenverkauf. Broghammer hofft, diese Rentabilität bei der per November erfolgenden Rückumstellung auf monatliches Erscheinen mindestens halten zu können. «Ob wir, wie jüngst, sechsmal oder nun wieder zwölfmal im Jahr kommen: Auf die redaktionellen und administrativen Fixkosten hat das wie bei einer Autozeitschrift kaum einen Einfluss.»
Glaubt man beim kessen Früchtchen also an den baldigen Aufschwung? Oder leidet die Sexpublizistik, wie häufig unterstellt, wirklich nicht unter der Rezession? «Weder noch», sagt Broghammer. Auch mit der Abstandsverkürzung zwischen zwei Ausgaben reagiere man lediglich auf Leserwünsche. Schliesslich sei auch Sex längst ein «fast turning consumer good». Sprich: Das Verfallsdatum professioneller wie privater («eine Unterscheidung, die sowieso zunehmend schwieriger wird») Kontaktanzeigen beträgt heute maximal einen Monat.
Zurzeit beschäftigt Cherry gerade mal einen Redaktor, den
auch nicht weiter erwähnenswerten Rest besorgen externe Ghostwriter. Warum da nicht gleich ganz aufs redaktionelle Feigenblatt verzichten? «Ohne Inhalte keine Abonnenten», bringt Broghammer eine Verlagsweisheit, die demnach auch bei triebgesteuertem Publikum gilt, auf den pekuniären Punkt. Als Ex-Fundgrueb-Verlagsleiter weiss er offenkundig, wovon er spricht. Und ist entsprechend stolz darauf, dass Cherry mit «einem guten Drittel Festbezügern» weit über dem Branchenschnitt liege.
Während der Kampf um etwas Seriosität inhaltlich faktisch aufgegeben wurde, hat Broghammer anzeigenmässig noch Ambitionen. Ganzseitige Imageinserate, wie sie die Whiskey-Marke Jack Daniel’s in den vergleichsweise prüden ersten zwei Ausgaben noch schaltete, dürften trotz Monatsrhythmus definitiv der Vergangenheit angehören.
Wemf-taugliche Sex-Magazine?Die Internetausgabe des Erotik- und Kontakt-Magazins Okay wird vom Net-Audit der AG für Werbemedienforschung schon länger beglaubigt. Interessiert wäre Geschäftsleiter Pietro Attardo grundsätzlich auch am Wemf-Siegel für seine Printauflage, «aber die wollen sich an uns scheinbar nicht die Hände schmutzig machen». Wemf-Chefbeglaubigerin Christel Plöger jedoch meint nur nüchtern: «Titel ist Titel.» Bedenken habe sie
höchstens in Sachen Objektivität bei etwaigen Reichweitenmessungen. Diese teilt sie mit Oscar Broghammer, der aus Erfahrung weiss, dass Cherry zwar alle kennen, aber niemand es je gelesen, geschweige denn gekauft haben will. Zudem werde die Doppelkirsche aus nahe liegenden Gründen eher liegen gelassen als weitergereicht, was sich auch nicht positiv auf diese Werte auswirke. (oc)
Skandalmarketing: Playmates mit Bundesrat auf dem Rütli.
Oliver Classen