Publicitas: vom Leuchtturm zum Irrlicht
Fassungslos blickt die Schweizer Medienbranche seit Dezember 2016 auf ihren einstigen Leuchtturm, der sich innert zweieinhalb Jahren in ein Irrlicht verwandelt hat. Publicitas und ihre Mutter PubliGroupe sind die dramatischsten Beispiele für den Medienwandel in der Schweiz.
Im April 2014 hat die börsenkotierte PubliGroupe, die noch zu Beginn der 2000er-Jahre mit einer Kriegskasse in dreistelliger Millionenhöhe unterwegs war, ihre wichtigste Beteiligungsgesellschaft Publicitas für ein Trinkgeld an die deutsche Private Equity-
Firma Aurelius verkauft. Diese hat jetzt die Publicitas wieder abgestossen. Als Käufer in einem Management Buyout traten der bisherige Global-CEO der Publicitas, Jörg Nürnberg, und sein Finanzchef Carsten Brinkmeier auf, zwei Persönlichkeiten, die in der Schweizer Medienszene bisher unbekannt waren. Derzeit sind die Herren auf Vorstellungstour bei den wichtigen Publicitas-Kunden. Sie stossen auf brennendes Interesse und lebhaftes Misstrauen zugleich.
Das hat weniger mit ihren Persönlichkeiten zu tun als mit einer dritten Figur, die aber im Hintergrund bleibt. Der Branchendienst «Persönlich» hat Nürnberg am 5. Dezember gefragt: Wem und zu welchen Teilen gehört nun Publicitas? Nürnbergs Antwort: «Drei Partner sind jeweils paritätisch an Publicitas beteiligt.» Seltsamerweise wurde dieser «dritte Mann» bis jetzt nicht weiter thematisiert. Wer ist er? Warum will er unerkannt bleiben? Die Werbewoche fragte bei Jörg Nürnberg nach. Er war nicht bereit, den Namen zu nennen; es handle sich um einen stillen Gesellschafter ohne operative Funktionen, und er komme nicht aus der Branche.
Möglicherweise war der schnelle Management Buyout auch börsentechnisch bedingt. Seit Anfang 2016 ist die Aurelius-Aktie von 40 auf 57,04 Euro (20. 12. 2016) gestiegen. Mehrere Vorstandsmitglieder haben eigene Aktien in Millionenhöhe verkauft. Wenn die Party weitergehen soll, kann man in der Bilanz keine Verlustpositionen brauchen.
Zweieinhalb Jahre lang haben die Vorgänger von Nürnberg und Brinkmeier alles versucht, die einst marktbeherrschende Anzeigenvermittlerin wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen. Aber die Einnahmeausfälle infolge stark rückläufiger Printumsätze und gekündigter Regieverträge wogen immer schwerer als die neu generierten Einnahmen aus dem digitalen Geschäft und die zum Teil brutalen Einsparungen. Dazu kommt: 2016 war für die Printwerbung deutlich schlechter als der Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre. Umso interessanter wäre an sich gerade heute das Modell P. für kleine und mittlere Verlage, um am Werbemarkt gegen Admeira und Tamedia zu bestehen.
Im Hintergrund steht das alte Problem, dass vor allem die Agenturen zu wenig für die Dienstleistungen der Publicitas bezahlen. Seit das Volumen in dramatischen Schritten kleiner wird, kann diese ihre Kosten nicht mehr decken. Dazu kommen, unabhängig von der Marktleistung und der Tüchtigkeit der heutigen Organisation, widrige Trends, vor allem derjenige zum Direktbuchen. Das macht den Mediaagenturen zwar mehr Arbeit, wird aber von den Medienunternehmen mit Sonderrabatten belohnt.
Um Kosten zu sparen wurden bei der Publicitas immer mehr administrative Funktionen nach Bratislava ausgelagert, wo die Leute billiger arbeiten als in Zürich. Qualitätsmängel, von denen in diesem Zusammenhang die Rede ist, sind für das neue P.-Management nicht nachvollziehbar. Martys Nachfolger als CEO der Publicitas, Wolfgang Schickli, hatte diesbezüglich eine dezidiert andere Meinung als die neuen Besitzer. Das soll einer der Hauptgründe dafür gewesen sein, dass er schon nach zwei Monaten als CEO zurücktrat.
Ungewöhnliche Sparmassnahmen haben einen ungünstigen Eindruck erweckt. So wurden alle rund 300 Angestellten gefragt, ob sie bereit wären, freiwillig ihr Pensum zu reduzieren. Da im Hintergrund die Alternative von Änderungskündigungen stand, hat dem Vernehmen nach etwa die Hälfte der Belegschaft grundsätzlich Ja gesagt. In der dritten Adventswoche wurde das Ausscheiden von gleich zwei Leistungs- und Know-how-
Trägern mitgeteilt, den Verkaufsleitern Res Spycher und Roger Mazenauer. Als Grund dafür wurden ausdrücklich «wirtschaftliche Gründe» angegeben, was nicht vertrauensbildend gewirkt hat.
Vordergründig halten sich alle bedeckt; niemand ausser Jörg Nürnberg will zitiert werden. Hinter den Kulissen aber wird Klartext gesprochen. Der Chef einer Mediaagentur rät den beunruhigten Verlegern, die ihn anrufen, unverblümt dazu, die Debitoren hart zu bewirtschaften, offene Rechnungen einzutreiben und wenn immer möglich, direkt mit den Kunden und den Agenturen zu verkehren.
Inzwischen kommt es immer wieder zu peinlichen Augenblicken der Ratlosigkeit wie zum Beispiel am Freitag, 9. Dezember, an der Sitzung des Kommunikationsrats (ehemals Dachverband Schweizer Werbung). Unter dem Präsidium von Ständerat Filippo Lombardi wurden wie üblich die Mitglieder des Präsidiums und die Vertreter der einzelnen Interessengruppen (Auftraggeber, Medienanbieter, Media- und Werbeagenturen usw.) für das folgende Jahr bestimmt. Zur Zuwahl war der damalige Publicitas-CEO Wolfgang Schickli vorgesehen. Der kam zwar zur Sitzung, hatte aber tags zuvor demissioniert.
Ein Teilnehmer mit grossem Erfahrungshintergrund kommentiert: «Damit war die Frage gestellt: Kann man der Publicitas noch trauen?» Gute Frage, zumal sie ausgerechnet eine Firma betrifft, die – neben Goldbach, Admeira und APG – mit ihrem Logo die Homepage der Website Ks-cs.ch als «Premium Partner» schmückt. Der neue Mitbesitzer Jörg Nürnberg antwortet klar: «Die Massnahmen waren und sind nötig, weil wir vom hohen Kostenniveau herunterkommen müssen. Über unsere Finanzkraft muss sich niemand Sorgen machen. Wir haben unser Geschäft erheblich restrukturiert, sodass wir für 2017 ein ausgeglichenes Ergebnis erwarten.»
Fassungslos blickt die Schweizer Medienbranche seit Dezember 2016 auf ihren einstigen Leuchtturm, der sich innert zweieinhalb Jahren in ein Irrlicht verwandelt hat. Publicitas und ihre Mutter PubliGroupe sind die dramatischsten Beispiele für den Medienwandel in der Schweiz.
Karl Lüönd ist freier Publizist und Buchautor.
Dieser Beitrag stammt aus der Werbewoche 1/2017 vom 13. Januar 2017.