«Wir sind nicht das Problem»

Noch immer gibt es keine TV-Quoten. Ende April nahm an dieser Stelle Mediapulse zum Quoten-Debakel Stellung. Nun erzählt Dominik Kaiser, CEO und Gründer des Privatsenders 3+, weshalb er die Datenfreigabe auf dem Rechtsweg verhindert und welche Forderungen erfüllt sein müssen, damit er einer Datenveröffentlichung zustimmt.

kaiser

WW: Dominik Kaiser, Sie sind nicht der Einzige, der mit den neuen TV-Daten unzufrieden ist. Doch nur Sie gingen vor Gericht, nur Sie sind ständig in den Medien. So gesehen sind Sie ein einsamer Kämpfer …
Dominik Kaiser: Der Eindruck täuscht. Telesuisse kommuniziert ebenfalls medienwirksam; gerade haben zehn regionale TV-Sender ihren Vertrag mit Mediapulse gekündet, weil sie kein Vertrauen in die Korrektheit der Zahlen haben. Aber es stimmt: Goldbach, der Vermarkter der deutschen Privatsender in der Schweiz und auch von uns, wirkt mehr im Hintergrund. Auch wir haben lange gewartet, bevor wir unsere Forderungen öffentlich geäussert haben, denn grundsätzlich gehört das Quoten-Problem nicht in die Medien, sondern müsste anders gelöst werden. Bis Ende März haben wir versucht, eine interne Lösung mit Mediapulse zu finden. Erst als dies nicht funktionierte und weil wir keine Antworten auf unsere Briefe und Forderungen erhielten, gingen wir vor Gericht. Gleich nachdem das Obergericht die superprovisorische Verfügung erteilt hatte, boten wir Mediapulse an, ohne Öffentlichkeit eine Lösung zu finden. Mediapulse hat sich für einen anderen Weg entschieden und ging an die Medien. Seither kommunizieren auch wir offen über das Quoten- Debakel.

Goldbach hält sich, wie angesprochen, sehr zurück. Als Beobachter könnte man den Eindruck gewinnen, man schicke 3+ vor und lasse Sie die Fehde austragen.
Das ist Ihre Interpretation. Goldbach ist im Hintergrund sehr aktiv. Soeben hat das Unternehmen zusammen mit Publisuisse und Mediapulse einen Massnahmenplan mit rund 50 Punkten erstellt. Dieser beinhaltet nahezu alle Punkte, die auch wir fordern. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Es braucht Mut und Durchhaltewillen, den Kopf hinzuhalten. Aufgrund der bisherigen Zusammenar- beit mit Mediapulse und Publica Data glaube ich allerdings, dass dies der einzig richtige Weg ist.

Was meinen Sie damit?
Die Zusammenarbeit war in der Vergangenheit oft nicht konstruktiv. Bereits im alten System haben wir Unregelmässigkeiten in den Daten festgestellt und hinterfragt. Unsere Anfragen wurden in den wenigsten Fällen vollständig beantwortet und wenn immer erst nach mehrmaligem Nachfragen. Ein anderes Beispiel: Wir versuchen seit acht Jahren von Mediapulse gegen Bezahlung die international üblichen und auch im alten System vorhandenen Pindaten zu erhalten – bis heute ohne Erfolg.

Doch in die Umstellung des Messsystems war die Branche einbezogen. Der Verwaltungsrat und die User Commission, die sich beide aus Interessenvertretern zusammensetzen, haben die Umstellung durchgewinkt. Die Diskussionen gingen erst los, als die Daten da waren.
Die Diskussion ging los, nachdem Mediapulse die Daten im Januar veröffentlicht und gleich wieder gesperrt hatte und klar wurde, dass etwas nicht stimmen konnte. Wir haben bereits Ende Januar einen Test des ganzen Systems gefordert. Die User Commission (UC) wurde in viele Entscheidungen nicht einbezogen. So viel ich weiss, wurde in der UC beispielsweise nur eine Zuordnungsregel im Detail besprochen. Die weiteren wurden gar nicht diskutiert oder nur sehr oberflächlich angesprochen. Zuordnungsregeln sind beim neuen Audiomatching- System entscheidend, da das System nicht wie früher direkt weiss, was geschaut wird, sondern oft keine eindeutigen Informationen hat. Bis heute, nach viel Druck, ist der UC nur ein kleiner Teil der Zuordnungsregeln bekannt. Werden Gremien nicht informiert, können sie nicht aktiv mitreden. Dass die UC alles abgesegnet hat, stimmt deshalb nicht.

Ein heikler Punkt. Können Sie dies belegen?
Da 3+ bis anhin keinen Sitz in der UC hatte, verfüge ich über keine Protokolle. Erst seit dem 13. Mai dürfen wir einen Vertreter stellen. Meine Informationen habe ich aus Gesprächen mit Kommissionsmitgliedern.

Trotzdem: Müssten sich die Sender und Vermarkter nicht selbst an der Nase nehmen? Sie hätten reagieren können, bevor die Daten vorlagen.
Ich kann nur für 3+ sprechen. Wir haben letztes Jahr, als Mediapulse informierte, zu wenig insistiert. Wir fragten, ob die Panelhaushalte in der kurzen Zeit repräsentativ rekrutiert werden konnten und pünktlich angeschlossen wurden, ob mit dem Audiomatching die unterschiedlichen Feeds der deutschen Sender abgebildet werden können oder ob sich ein Spielfilm, der gleichzeitig auf drei verschiedenen Sendern läuft, dem richtigen Kanal zuordnen lasse. Die Antwort war stets: kein Problem. Nach welchen Regeln die Signale zugeordnet werden, wurde uns nicht erklärt. Da hätten wir nachfragen und insistieren müssen. Dass wir das letztes Jahr nicht getan haben, ist nachträglich ein grosser Fehler. Gerade beim Beispiel mit dem Film oder der Serie, die auf mehreren Sendern läuft und ohne Werbung wiedergegeben wird, ist es technisch, mit dem Audiosignal alleine, unmöglich zu erkennen, auf welchem Sender diese aufgezeichnet wurde. Das System muss raten. Ausserdem haben wir bis zum Schluss vergeblich gebettelt, dass es wenigstens einen Monat mit Parallelbetrieb geben sollte.

Das angesprochene Problem der Zuordnung liesse sich mit Watermarking umgehen.
Deshalb haben wir uns bereits letztes Jahr für Watermarking eingesetzt. Doch Mediapulse versicherte, das sei nicht nötig, das Watermarking werde wenn, erst später eingeführt. Wir hätten auch hier mehr Druck machen müssen.

Sie betonen stets, 3+ sei an einem konstruktiven Dialog interessiert. Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?
Die Branche braucht Zahlen – nicht nur unsere Kunden und die Agenturen, sondern auch wir selbst. Solange wir keine Daten haben, können wir unsere Programmplanung nicht optimieren und nur schwierig entscheiden, welche Sendungen wir einkaufen oder produzieren sollen. Darum sind wir sehr an einer schnellen Lösung interessiert. Wir haben deshalb zum ersten Mal Ende Januar konkrete Forderungen gestellt, wie man die Glaubwürdigkeit des Systems wieder herstellen könnte, danach einen grossen Aufwand betrieben, um Fehler zu finden, und schliesslich einen Katalog zusammengestellt mit Punkten, die angepasst werden müssten. Grundsätzlich geht es um drei Ebenen: a. entspricht das Panel der Schweizer Bevölkerung und ist damit repräsentativ, b. wird richtig gemessen und funktioniert das System und c. kennt die Branche die Hintergründe und Details der TV-Forschung, ist das System mit anderen Worten transparent. Auf allen Ebenen gibt es grossen Anpassungs- oder Nachholbedarf.

Was unternehmen Sie, damit es möglichst schnell wieder Zahlen gibt?
Wir sind bereit, aktiv mit zuarbeiten. Doch Mediapulse schien bis vor Kurzem wenig daran interessiert. Auch Mediapulse hat bisher nicht bestritten, dass die Verbreitungsarten sowie die Stadt-Land- Verteilung nicht richtig gewichtet sind und dass die PC-only-Haushalte (Haushalten, die über keinen TV verfügen) wie von uns vorgeschlagen abgebildet werden können. Die unbestrittenen Fehler müssen rückwirkend korrigiert werden. Sie führen zu einer merklichen Verzerrung der Zuschauerzahlen im Durchschnitt und zu erheblichen Unterschieden auf der Ebene der Werbeblöcke und Sendungen.

Können Sie dies erläutern?
Wenn wir die Zahlen des Panels mit denjenigen des Bundesamts für Statistik vergleichen, ist zum Beispiel die Landbevölkerung stark überrepräsentiert. Die Anteile der Verbreitungsarten (IPTV, Kabel digital und analog etc.) müssten den Informationen der Anbieter angepasst werden. Und ein dritter Punkt: Solange die TV-Nutzung auf Tablets und Smartphones nicht erfasst werden kann, dürfen die Haushalte ohne Fernseher nicht berücksichtigt werden. Wir wissen von Online-TV-Anbietern wie Zattoo, Teleboy und Wilmaa, dass der weitaus grösste Teil der Web-TV-Nutzung über Tablets und Smartphones erfolgt. Insbesondere bei PC-only-Haushalten wird die TV-Nutzung massiv unterschätzt, wenn Tablets und Smartphones nicht mit erfasst werden.

Das ist allerdings nicht nur ein methodisches Problem, sondern hängt mit Apple zusammen, deren Richtlinien es nicht erlauben, dass Apps untereinander kommunizieren.
Das stimmt und ohne diese ist es nicht möglich, die PC-only-Haushalte repräsentativ zu messen. Deshalb sollte man gar nicht erst so tun, als sei es so. Dass Tablets und Smartphones nicht gemessen werden ist erst seit Anfang Winter bekannt. Wäre das früher bekannt gewesen, hätte man sicher anders entschieden.

Sind das alle Forderungen?
Wir schlagen zudem vor, das System im laufenden Betrieb und über die Rohdaten zu testen. Die Schweiz ist wahrscheinlich das komplexeste Land für Audiomatching. Das Signal muss mit fast 400 TV-Sendern und vielen weiteren Radiosignalen verglichen werden. Der Zweikanalton führt bei einigen Sendern zu einer Verdoppelung, Sender mit länderspezifischen Werbefenstern wie RTL haben drei Feeds (Schweiz, Deutschland, Österreich). Hinzu kommt, dass viele Sendungen mehr oder weniger zeitgleich auf verschiedenen Sendern laufen. Der Test würde zeigen, ob das System auch in schwierigen Situationen die Signale richtig zuordnet. Eine weitere Forderung: Transparenz. Wir wollen, dass die Forschungsgrundlagen offengelegt werden. Wir möchten die Zuordnungs- und Gewichtungsregeln kennen und Einsicht in den New-Establishment- Survey haben, um die Grundlage des Panels zu verstehen. Das entspricht dem internationalen Standard GGTAM (General Guidelines for Television Audience Measurement) der EBU.

Das sind einige Forderungen. Demnach kann man sich auf eine längere Zeit ohne Quoten einstellen.
Wir haben unsere Forderungsliste so strukturiert, dass eine Veröffentlichung der Daten relativ bald, innerhalb von ein paar Wochen möglich wäre, würde man sich endlich an die Umsetzung machen. Länger dauern der Labortest und die Einführung des Watermarking. Dort wollen wir eine verbindliche Zusage, dass dies initiiert wird. Die Umsetzung selbst kann nach der Datenfreigabe erfolgen.

Ihr Terminplan setzt voraus, dass Mediapulse, Goldbach und die SRG mit Ihren Forderungen einverstanden sind …
Deshalb ist es sehr wichtig, dass sich nun endlich alle Parteien an einen Tisch setzen. Wir fordern das seit mehr als drei Monaten, zum ersten Mal Mitte Februar. Statt den Fehlern auf den Grund zu gehen, hat Mediapulse in einem intransparenten Prozess versucht, die Mängel mithilfe von oberflächlichen unvollständigen Expertisen schönzureden und damit die Kritik am System zum Schweigen zu bringen. Mediapulse versucht verzweifelt den Eindruck zu erwecken, wir seien das Problem, während die Probleme des Systems ignoriert werden. Mediapulse hat nicht nur überhastet, schlecht vorbereitet und ungetestet ein komplett neues System mit einem neuen Panel eingeführt, sondern managt das nun entstandene Quoten-Debakel auch sehr schlecht. So verkündete Mediapulse etwa in der Werbewoche (Ausgabe 7, 26.04.13), es gebe intensive Gespräche mit uns, während gerade mal ein einziges Treffen stattgefunden hatte und Mediapulse unsere weiteren Terminvorschläge wochenlang unbeantwortet liess. Zum Glück wird nun wieder kommuniziert.

Sie haben es angesprochen: Mit dem Erwirken der provisorischen Verfügung haben Sie sich nicht nur Freunde gemacht. Welche Reaktionen erfuhren Sie?
Alle möglichen, von sehr positiven bis sehr negativen. Selbst Drohungen erhielt ich.

Wie reagierten die Werbekunden?
Viele Kunden möchten endlich Daten. In der Regel zeigten sie allerdings Verständnis, sobald wir ihnen die Hintergründe, die Fehler in den Grundlagen und die Komplexität des Systems erklärten. Die allermeisten Kunden, die ich in den letzten Wochen persönlich getroffen habe, stimmen mit mir überein: Die Branche braucht nicht möglichst schnell irgendwelche Daten, sondern vor allem valide Daten – und diese möglichst bald.

Befürchten Sie eine Abwanderung der Werbung von 3+ zu anderen Sendern?
Nein. Wir haben keine Anzeichen von Kunden, noch stellen wir eine Abwanderung fest.

Auftraggeber können problemlos ohne 3+ TVWerbung schalten.
Die Auswahl der buchbaren Sender ist grundsätzlich sehr gross. Viele Sender sind jedoch oft voll und können nicht zusätzlich gebucht werden. Auch gibt es keinen anderen Sender mit schweizerdeutscher Unterhaltung in der Art und Qualität, wie sie 3+ bietet. Wir sind eine gute, beliebte und günstige Ergänzung zu den grossen Sendern.

Wie handhaben Sie die Leistungsgarantie?
Da hat Goldbach den Lead. Bis April erhielten Kunden 100%. Jetzt sind es 80–90%. Wie viel die Kunden zugute haben, hängt von den Zuschauerzahlen ab. Sobald die Fehler angepasst sind, können die Guthaben berechnet werden. Guthaben sind zu erwarten, da die Fernsehnutzung über alle Sender mit dem neuen System tiefer liegt als mit dem alten und der Unterschied zwischen Programm und Werbeblock grösser wurde. Wir buchen im Moment proaktiv mehr Spots ein, um einem Aufbau von hohen Guthaben entgegenzuwirken.

Wie sieht die Positionierung von 3+ künftig aus?
Wir werden 3+ im Rahmen der aktuellen Positionierung weiterentwickeln. Die Hauptzielgruppe sind weiterhin die 15- bis 49-Jährigen, zudem hat 3+ etwas mehr weibliche Zuschauer. Wir werden das Programm wie bisher ausbauen, jedes Jahr etwas mehr Schweizer Programm zeigen und eine Mischung aus US-Serien, schweizerdeutschen Doku- Soaps, Spielfilmen und ab und zu emotionale Doks.

Wird es Anpassungen durch den geplanten Sender S1 von Hardy Lussi/Mike Gut geben? S1 will weitaus mehr Schweizer Inhalte senden als 3+.
Zu S1 kann ich nicht viel sagen, da ich zu wenig Details kenne. Ich rate den Machern, konservativ zu budgetieren. Der Schweizer TV-Markt ist, als privater Sender ohne hohe Gebühren, sehr hart und anspruchsvoll. Ich wünsche Hardy und Mike viel Glück und bin gespannt auf das konkrete Programm und wann es losgehen soll. Gemäss Angaben der Macher soll sich das Projekt an ältere Zuschauer wenden. Damit sprechen wir unterschiedliche Zielgruppen an. Im Übrigen ist die Idee, deutsche Sendungen zu wiederholen, nicht neu. Auch wir haben schon «Rosamunde Pilcher» und «Tatort» eingekauft. Diese Sendungen laufen auf ARD oder ZDF sehr gut. Doch was auf dem einen Sender klappt, muss beim anderen nicht gleich erfolgreich sein. Bei uns liefen die Sendungen enttäuschend, deshalb haben wir sie schnell wieder aus dem Programm genommen.

Zum Schluss eine Frage zum Sender 4+, der letzten Herbst lanciert wurde. Wie läuft es dort?
Wir sind mit der Lancierung von 4+ sehr zufrieden: 4+ ist gut gestartet.

Ist das Ausbleiben der Quoten für 4+ nicht noch ein grösseres Problem als für 3+? Schliesslich hat der neue Sender auf dem Markt noch keinen Beweis erbracht …
Wir dürfen im Moment keine Angaben zu Zahlen machen. 4+ ist gut gebucht. Doch wir warten auf die neuen Daten, um das Programm zu optimieren. Solange wir keine richtigen Zahlen haben, können wir das leider nicht. Das ist gerade bei einem neuen Sender nicht optimal.

Interview: Isabel Imper und Pierre C. Meier
Foto: Pierre C. Meier

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