«Whassuuuuuup» in Cannes?
Beim 47. Advertising Festival in Cannes holten die Schweizer einen Cyber- und einen Media-Löwen
Blitz, Donner, Hagelschlag. Souverän kurvt ein Mercedes-Fahrer durch das schlimmste Hundewetter, während sich seine Frau zu Hause mit einem Liebhaber vergnügt. Dessen Befürchtung, demnächst vom Ehemann überrascht zu werden, quittiert diese im TV-Spot von Springer & Jacoby mit einem schnippischen «Aber nicht bei dem Wetter!». Der Ehemann, am Ziel seiner stürmischen Reise – und in den Armen seiner Geliebten –, zerstreut deren Argwohn mit derselben Antwort. Humor, wie er in Cannes verstanden und von der Jury mit einem Silber-Löwen ausgezeichnet wurde.
Auch wenn sich die alljährlichen Zeremonien und Rituale im Werbemekka nach den immer gleichen Drehbüchern abspielen, die Zeit steht wenigstens in den TV-Spots nicht still: Erhielt der notorische Seitenspringer vor vier Jahren noch eine Ohrfeige, als er seine Verspätung auf eine Panne seines Mercedes abzuschieben versuchte, herrscht heute Tätersymmetrie: Mann und Frau bleiben sich nichts mehr schuldig. Dem Publikum hat es gefallen.
Es sollte die einzige Filmmedaille für den ganzen deutschsprachigen Raum bleiben. Es hätte genauso gut auch ein Gold-Löwe sein können, doch dafür kam der TV-Spot aus dem falschen Land – «German bashing» ist in Cannes nach wie vor Realität, obwohl nicht mehr so lautstark wie auch schon. In Cannes gibt man sich zwar politisch korrekt bis zur Schmerzgrenze, bleibt aber gefangen in einer unverständlichen Germanophobie.
Zum Vorteil gereichte dem Mercedes-Spot, dass er englisch synchronisiert und nicht untertitelt war. «Das Germanische ist immer noch ein Stolperstein in Cannes», versuchte Jury-Mitglied Feico Derschow die nach wie vor geringe Löwenausbeute der deutschsprachigen Länder zu relativieren.
Ansonsten dominierten wie eh und je die Angelsachsen das Werbefilmfestival. Souverän verteidigten die USA (26 Film-Löwen, darunter 10 Goldene) und England (24 Löwen, darunter 7 Goldene) ihren Ruf als kreativste Werbenationen der Welt. Den Rest liessen sie weit hinter sich.
Fest in der Hand der Bierindustrie waren die beiden Hauptpreise: Sowohl die Stella-Artois-Kampagne von Lowe Lintas, London, als auch die Spotserie «Whassup» von DDB, Chicago, wurden mit einem Grand Prix ausgezeichnet. Beide Arbeiten setzen auf den «Rotzeffekt», der von Advertising-Age-Redaktor Bob Garfield zur Teenageransprache empfohlen wird: «Wer 14-Jährige erreichen will, muss entweder Titten zeigen oder rotzfrech daherkommen.» Beide Arbeiten setzten auf Letzteres.
Bei den Stella-Artois-Anzeigen werden wertvolle Designmöbel oder Fahrzeuge gezeigt, die beim Öffnen einer Bierflasche beschädigt worden sind. Die Kampagne kommt ganz ohne die bekannten Elemente der Bierwerbung aus: Man sieht keine Flasche, keine glücklichen Menschen, keinen Bierschaum – nur ganz klein einen Bierdeckel und eine beschädigte Designikone. Diese Biertrinker müssen Vandalen oder Banausen sein oder so reich, dass sie sich solch exklusive Konsumgüter als Flaschenöffner leisten können…
Ganz anders dagegen die bierselige Männerfreundschaft, die in den Budweiser-Filmen «Whassup» von DDB, Chicago, zelebriert wird. Die Spotserie entpuppte sich als unbestrittener Publikumsliebling der Festivalgemeinde in Südfrankreich. Gezeigt werden ein paar Couch Potatoes, die vor der Glotze sitzend telefonieren und sich mit einem grölenden «Whassuuuuuup» (What’s up) begrüssen – in breitestem Slang gesprochen, mit ausgestreckter Zunge. Die Antwort bleibt immer dieselbe: «Watching the game, having a Bud».
In den USA geniesst die Kampagne mit den grölenden Dumpfbacken bereits Kultcharakter, und «Whassuuuuup» soll zurzeit die berühmteste Begrüssungsformel zwischen Los Angeles und New York sein. Die Spots kommen ohne Schnickschnack zur Sache, sind sec und realistisch gefilmt. «Whassup»-Regisseur Charles Stone – es ist übrigens sein erster Spot – wird seither als Shootingstar der amerikanischen Werbeszene gehandelt. Wie seine zahlreichen Fans in Cannes zeigten, wirkt sein Bierhumor auch in Europa dank seiner «Whassup»- Phrase äusserst ansteckend: Die kann jeder in seinen Sprachgebrauch übernehmen.
Und «Whassup» mit den Schweizern? Von ihren 120 Einreichungen schafften es drei auf die Film-Shortlist. Nominiert waren McCann-Erickson, Zürich, mit dem Spot «Polizeikontrolle» (siehe WW 22/00) für die Anonymen Alkoholiker (produziert von Pumpkin Film, Zürich), Seiler DDB, Basel, mit dem Stop-Aids-Spot «Knopf» (Wirz + Fraefel, Zürich) und AY&R mit dem Spot «Car» (siehe WW 21/99) für Kuoni (Outsider, London).
Letzterer erhielt vom Publikum viel Applaus, doch zu einer Auszeichnung reichte es trotzdem nicht. Laut Feico Derschow missfiel den Juroren beim «Knopf»-Spot die heroische Perspektive, aus der er gefilmt wurde. Der Kuoni-Spot dagegen sei von der Mehrheit der Jury als zu umständlich – die Idee wirke erarbeitet – eingestuft worden und deshalb schon früh aus dem Rennen geschieden.
Äusserst fantasie- und strategielos präsentierten sich dieses Jahr die Internetfirmen. Enttäuscht über das Niveau der Dotcom-Commercials äusserte sich auch Jury-Präsident Marcello Serpa an der Schlusspressekonferenz. So dynamisch sich die New-Economy-Industrie gebärde, so langweilig sei ihre Werbung.
Gefragt ist Lebensnähe – Hollywood ist out
Was liess sich sonst noch von Cannes lernen? Hollywood ist out – gefragt sind Realität und Authentizität. Sehr teure Spots waren die absolute Ausnahme. Auch wenn aufwändig produziert worden war, alle bemühten sich um einfache, gradlinige Geschichten ohne Schnickschnack. Überall menschelt es in den Spots, es scheint, dass mit dem Boom der Reality-TV-Shows, menschliche Stärken und Schwächen verstärkt für den Werbefilm attraktiv sind.
Die Arbeit der Jury wurde von den Schweizer Werbern zum Teil kritisch beurteilt. Sie habe wohl die interessantesten Arbeiten unter den 6000 Einreichungen herausgepickt, aber leider zu wenig rigoros ausgemistet, hiess es aus Kreisen der Schweizer Delegation. Dass die Jury nicht unfehlbar ist und jedes Jahr ein paar Spots unverdient mit Gold auszeichnet, wird aber von den meisten wie eine unabwendbare Naturkatastrophe hingenommen. Ärgerlich bleibt aber, dass auch dieses Jahr einige Spots völlig unmotiviert auf der Cannes-Rolle figurieren, die besser im Wettbewerb der Himbeeren für die schlechtesten Filme aufgehoben gewesen wären.
WHS gewinnt Media Lion
Weber Hodel Schmid gewann in Cannes einen Media Lion. Die Zürcher Agentur wurde in der Kategorie Special Events/ Stunts ausgezeichnet. Die gefälschten Ferienfotos, die WHS für Graubünden Ferien unter die Schnappschüsse von Fotolabor-Kunden schmuggelte, überzeugten die Juroren des Werbefestivals. Auf die Shortlist brachte es ausserdem Universal McCann, Genf, mit der Anti-Landminen-Kampagne für das IKRK.
Futurecom gewinnt Cyber Lion
Am Werbefestival 2000 in Cannes gewann der Advico-Multimedia-Ableger Futurecom Interactive einen Cyber Lion (Silber) mit ihrem Screensaver «Peeping Tom», der in Echtzeit Suchbegriffe bei Internetsuchmaschinen abhört und auf den Bildschirm bringt.
Press & Poster Cannes 2000
Insgesamt verlieh die Press-&-Poster-Jury unter Marcello Serpa einen Grand Prix, 29 Gold-, 40 Silber- und 63 Bronze-Löwen. Die kreativste Nation in dieser Disziplin war wie letztes Jahr England, das 22 Medaillen einheimsen konnte, darunter sieben Mal Gold. Die weiteren Gold-Löwen gingen an Frankreich (6), Brasilien (5), Spanien (4), USA (2), Japan, Thailand und Neuseeland (je 1). Wie bereits gemeldet (WW 24/00), ging die Schweiz leer aus. Sechs Schweizer Arbeiten schafften es immerhin auf die Shortlist: Beldoro «Nose Pierced» von Ruedi Wyler Werbung, Zürich, «Das Magazin» (TA-Media) von Ruedi Wyler Werbung, Zürich; Zelo Legs «Hairstylist» von Honegger von Matt, Zürich; Sportplausch Wider «Prince Charles» von Publicis, Zürich; Suva «The Gear» von McCann-Erickson, Zürich; IKRK «Stop landmines» von McCann-Erickson, Genf. (sh)
Skandinavier sahnen bei Young Creatives ab
Am Young Creatives Contest in Cannes setzte sich das schwedische Team Joakim Karlsson und Filip Lindquist von Euro RSCG Stockholm auf Platz eins, vor den Norwegern und den Briten. Die Schweizer Grischa Rubinick und Mark Rinderknecht kamen nicht in die Kränze, taten sich aber an der anschliessenden Young-Creatives-Party durch besondere Standfestigkeit hervor, wie WerbeWoche-Partylöwe Beat Fritsch beobachtete.