Richtig «grüne» Werbung?!
Aussenwerbung positioniert sich als eines der umweltfreundlichsten Medien von allen: Mit innovativen Lösungen und immer smarteren Werbeträgern könne die Gattung sogar die CO2-Bilanz des Mediaplans verbessern. Was ist dran an dem Versprechen?
Bevor der Monsun einsetzt, erklingt in manchen Teilen Indiens eine ganz besondere Melodie: Die Menschen sehnen sich nach Abkühlung, die Felder nach Wasser. Um den Regen einzuladen und die Natur zu beeinflussen, singen die Menschen den melodischen «Raag Megh Malhar» – einen emotionalen, mystischen Gesang, der die Atmosphäre, die Freude und Schönheit der Regenzeit zum Leben erwecken soll. Bei Regenfesten, Konzerten und Zeremonien geben Künstler:innen den «Raag» zum Besten – und seit Ende vergangenen Jahres singt der Regen das Lied sogar selbst: Möglich macht das ein mehr als 200 Quadratmeter grosses Riesenposter der Teemarke Taj Mahal Tea, das im ostindischen Vijayawada hängt.
«Aussenwerbung gehört zu den Musterschülern in Sachen CO2- Emissionen.»
Es ist das grösste Plakat der Welt, das mit der Umwelt interagieren kann – und bekam dafür im vergangenen September sogar einen Platz im berühmten Guinness-Buch der Rekorde. Der Clou: Die Werbetafel, die gemeinsam mit der Agentur Ogilvy India entwickelt wurde, spielt über spezielle Saiten und eine geschickte Anordnung von Gewichten, die sich mit Regenwasser füllen, bei jedem Schauer das traditionelle Lied. Und sorgt so nicht nur garantiert für Aufmerksamkeit, sondern zeigt eindrucksvoll: Aussenwerbung und Umwelt können sich offenbar hervorragend ergänzen.
Frischluft-Oase in der Stadt
Ob es analoge Plakate sind, die die Luft reinigen und Schadstoffe absorbieren, digitale Aussenwerbung mit autarker Stromversorgung aus alternativen Energien, bepflanzte Riesenposter und Fassaden, Posterplanen aus recyceltem Meeresplastik oder Bushäuschen, die Bienen anlocken: Die Branche zeigt sich – egal ob analog oder digital – äusserst kreativ, wenn es ums Klima geht. Das Start-up Green City Solutions bietet mit Goldbach Germany als Vermarktungspartner Moosfilter für Werbeflächen an, die kleinste Partikel wie Feinstaub, Viren, Bakterien, aber auch Gerüche und Gase aus der Luft filtert und diese mit Sauerstoff anreichert. Durch die Verdunstungskraft der Moose wird die Luft um ein paar Grad Celsius abgekühlt. So werden die digitalen Werbeträger zu kleinen Frischluft-Oasen mitten in der Stadt.
«Jede Sekunde weniger, die produziert, hochgeladen und ausgestrahlt werden muss, spart Energie – und auch Budget – ein.»
Mediaplus und Climatepartner errechneten kürzlich die CO2-Emissionen einzelner Mediengattungen, wonach Aussenwerbung im Vergleich zu anderen als einer der umweltfreundlicheren Kanäle gilt. In Zahlen: Danach fallen bei Out-of-Home (DOOH) 5 bis maximal 80 Gramm (Grossfläche) CO2 an Emissionen pro 1000 Kontakte an, während es etwa bei Online-Bewegtbild rund 280 Gramm und bei Zeitungen (nordisches Format) rund 9000 Gramm sind. Für Markus Ehrle ist klar: «Aussenwerbung gehört zu den Musterschülern in Sachen CO2-Emissionen.» Und damit meint der Präsident des Vereins AWS – Aussenwerbung Schweiz nicht nur das Medium selbst, sondern auch dessen differenzierenden und informierenden Charakter: «Werbekampagnen ermöglichen auch, dass ökologischere Produkte ihre Absatzmärkte finden. So sind z.B. die Aussenwerbe-Investitionen von Marken im Bereich der Elektromobilität 2023 deutlich gestiegen.»
OOH im Mediamix
Eine Studie des Fachverbands Aussenwerbung (FAW) und der Beratung Bynd hat untersucht, wie sich die Umweltverträglichkeit auf den Mediamix auswirkt – und ob Budgetverschiebungen zugunsten von Aussenwerbung auf den ökologischen Fussabdruck einen Impact haben. Ergebnis: Bei gegebenen Budgets zeigte sich eine gleichzeitige Verbesserung der CO2-Bilanz, aber auch der Wirkung bei verschiedenen KPIs, wenn OOH in den Mediamix hinzugenommen wird. Dabei könne laut der Untersuchung schon eine leichte Erhöhung von OOH für einen emissionsärmeren Mediamix sorgen, ohne dass sich die Wirkung auf die KPIs nennenswert verringere. Für die Branche steht damit fest: Jeder Euro, der von anderen Medien in OOH umgelagert wird, ist auch ein Euro für die Umwelt.
One-to-many-Medium
Und das spricht sich herum: «Das Thema ist bei den Werbe-Auftraggebern – auch dank der Initiativen des Schweizer Werbe-Auftraggeberverbandes (SWA), der sich starkmacht für Nachhaltigkeit in Marketing und Kommunikation – erst jetzt so richtig angekommen», sagt Markus Ehrle. Schliesslich hat das Medium gute Argumente in Sachen CO2-Bilanz: Als One-to-many-Medium erreicht Aussenwerbung mit einem Plakat oder digitalem Spot Tausende Personen – und nicht nur eine, wie es bei anderen Kanälen der Fall ist. Auch die Anbieter geben sich Mühe, ihr Geschäftsmodell so nachhaltig wie möglich zu gestalten. So verwendet etwa die APG|SGA bereits seit 2012 100 Prozent Ökostrom, deckt zugekauften Strom für Gebäude, elektrische Werbeträger und Fahrzeuge durch erneuerbare Energien ab und hat Photovoltaikanlagen auf einigen Betrieben. Bis 2035 möchte das Unternehmen netto null Emissionen erreichen. Auch für Ströer ist Nachhaltigkeit ein grosses Thema; der Aussenwerbekonzern landete mit seiner Strategie sogar im Finale des Deutschen Nachhaltigkeitspreises, Deutschlands grösster Auszeichnung für nachhaltig handelnde Unternehmen.
«Der Druck bei den Werbungtreibenden, auch in Bezug auf ihre Marketingmassnahmen eine möglichst ‹grüne› Weste zu haben, steigt.»
Gerade im Bereich der digitalen Aussenwerbung – DOOH – tut sich viel: Die Screens werden leistungsstärker und brauchen weniger Strom, werden langlebiger, häufiger erneuert und öfter zu bestimmten Zeiten abgeschaltet. Und: «Dank Programmatic ist DOOH nicht nur nochmal effizierter geworden, sondern auf diesem Gebiet auch wesentlich umweltfreundlicher als die übrigen automatisiert buch- und aussteuerbaren Kanäle», erklärt Nadia Abou El Ela, Geschäftsführerin des Institute for Digital Out of Home Media (IDOOH), eine Interessenvertretung für digitale Aussenwerbung. «Während bei One-to-one-Medien für jeden einzelnen Kontakt jedes Mal ein neuer Buchungs- und Ausspielungsprozess in Gang gesetzt und der Spot dabei auf jedes einzelne Device geladen werden muss, erzielt eine einzige Spotausstrahlung auf einem DOOH-Screen gleich zahlreiche Kontakte.» Dazu kommt noch eine andere Möglichkeit, wie bei Bewegtbildmedien relativ unkompliziert CO2 eingespart werden kann: nämlich über die Kürzung der Spotlängen. «Jede Sekunde weniger, die produziert, hochgeladen und ausgestrahlt werden muss, spart Energie – und auch Budget – ein. DOOH ist mit der idealen Spotlänge von zehn Sekunden hier bereits gut dabei», erklärt Abou El Ela.
Rekordjahr für DOOH
Diese Vorteile kommen an: So blickt DOOH laut aktuellem Nielsen-Werbetrend für 2023 (in Deutschland) auf ein Rekordjahr zurück und konnte die Umsätze im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel steigern. Auch innerhalb der Aussenwerbung steigt der durchschnittliche Marktanteil der digitalen Werbeträger auf nunmehr 41 Prozent. Liegt dieser Höhenflug an der erfreulichen Ökobilanz des Mediums? Nicht unbedingt, meint Nadia Abou El Ela. «Tatsächlich scheint die positive Ökobilanz von DOOH im Vergleich zu anderen Medienkanälen noch nicht überall im Markt durchgedrungen zu sein. Vor allem bei einigen klassischen Mediaagenturen und werbungtreibenden Kunden sehen wir Aufklärungsbedarf. Diese Einschätzung bestätigen auch die Plakatmedia-Agenturen: Zwar ist die Nachfrage nach Digital Out of Home in den letzten Jahren deutlich gestiegen, allerdings lässt sich dieses Wachstum nicht eindeutig an der Ökobilanz des Mediums festmachen. Vielmehr dürften andere wichtige Faktoren wie Kosten, Reichweite, Targeting-Optionen und allgemeine Marktkonditionen bislang einen mindestens ebenso grossen Einfluss auf die Buchungen gehabt haben. Wir sind aber überzeugt, dass wir hier erst am Anfang einer umweltbewussten Mediaplanung stehen und das Thema zügig an Relevanz gewinnen wird.»
Klimaneutrale Werbung immer wichtiger
Das bestätigt die Studie «Green Media 2.0» von Annalect. Ihr zufolge wird klimaneutrale Werbung für 40 Prozent der befragten Marketingverantwortlichen sehr wichtig. Für Abou El Ela ist das To-do fürs neue Jahr damit klar: «Dieses Momentum müssen wir nutzen und DOOH noch deutlicher als umweltfreundliche Alternative präsentieren.» Das IDOOH plant deshalb für 2024 die neue Arbeitsgruppe «Green DOOH», die wirtschaftlich sinnvolle Lösungsansätze erarbeiten soll, wie jeder einzelne Brancheteilnehmer klimaneutral werden oder zumindest seinen CO2-Ausstoss kompensieren kann. Darüber hinaus sollen Lösungen gefunden werden, wie die gesamte Branche ihren Fussabdruck verkleinern kann.
Und das ist bald kein Nice-to-have mehr, sondern für immer mehr Unternehmen wird Nachhaltigkeitsberichterstattung zur echten Pflicht. Der Druck bei den Werbungtreibenden, auch in Bezug auf ihre Marketingmassnahmen eine möglichst «grüne» Weste zu haben, steigt, sagt Nadja Abou El Ela. «Und diesen werden sie an die Werbe- und Kommunikationsindustrie weiterreichen, die dann um DOOH als eines der umweltfreundlichsten Medien nicht mehr herumkommen wird.