«Man wechselt nicht die Front, sondern die Perspektive»
Daniel Perrin über die Entkrampfung des Verhältnisses von Journalismus und PR
Daniel Perrin: Im FH-Studiengang Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation geht es um diesen Wechsel der Perspektive. Bei der Unternehmenskommunikation müssen häufig die gleichen Inhalte kommuniziert werden wie im Journalismus – aber mit anderen Absichten. Wie sich diese in der Sprache niederschlagen, ist eines der Themata meiner Forschung. Die Position eines Schreibenden oder Sprechenden zieht ihre Spur bis in die Sprache hinein.
Können Sie konkret einen solchen Unterschied formulieren?
Perrin: Zum Beispiel in der Verwendung von Quotes oder in der Bewertung von Positionen. Es kann jemand sagen: «Ich bin überzeugt, dass…» In der Unternehmenskommunikation wird diese Überzeugung deutlich kundgetan. Beim Journalismus baut man Distanz ein: «X sagt, er sei überzeugt» statt «X ist überzeugt». In der Unternehmenskommunikation argumentiert man im Auftrag des Arbeitgebers. Im Journalismus berichtet man im Auftrag der Öffentlichkeit. Ein Journalist, wenn er nicht gerade kommentiert, hält sich zurück, versucht verschiedene Akteure auf die Bühne zu holen. Der Unternehmenskommunikator vertritt nur eine Position, während der Journalist gleichzeitig mehrere Positionen gegeneinander setzt.
Wäre das nicht auch eine Chance für den Unternehmenskommunikator, das Unternehmen kritisch zu begleiten mit verschiedenen Stimmen und Gegenstimmen, um dadurch mehr Glaubwürdigkeit erreichen zu können?
Perrin: Die Unternehmenskommunikation unterscheidet zwischen dem Auftritt nach innen und dem Auftritt nach aussen. In einer Reflexion nach innen ist es sicher der richtige Weg, verschiedene Positionen einzunehmen. Das kann sogar geübt werden. Ein Unternehmenskommunikator muss bei der Entscheidungsfindung dabei sein und dort «Ja, aber» sagen können. So kann man sich trainieren. Dann aber muss die Aussage entschlossen sein, auch wenn sie differenziert ausfällt. Es wird nach aussen nur eine Position kommuniziert werden.
Oder die Gegenargumente sind bereits geschickt eingebaut und entkräftet…
Perrin: Eingebaut ja, aber unter der eigenen Position.
Wie wird solches Wissen nun an Ihrem Kurs vermittelt?
Perrin: Der Unterricht behandelt als Kern den Perspektivenwechsel. Bei allem, ob wir online oder für Print schreiben, Radio- oder Fernsehformen trainieren oder Auftritte vor Publikum üben, prüfen wir ständig: Wie sieht das die Unternehmenskommunikation? Wie sieht das der Journalismus? Dazu arbeiten wir in Gruppen von rund zehn Studierenden. Diese werden abwechselnd geleitet
von Unternehmenskommunikatoren und Journalisten. Mit ihnen zusammen löst die Gruppe Aufgaben, schreibt oder gestaltet einen TV-Beitrag. Dann schauen wir die Ergebnisse gemeinsam an. Wie haben Unternehmenskommunikatoren das Problem, wie haben es Journalisten gelöst? Wo liegt der Unterschied? Wir wollen lernen, wie die andere Perspektive wirkt, wie die andere Position verstanden wird und umgekehrt. Wir vollziehen ständig diesen Perspektivenwechsel, nicht um die Perspektive zu verwischen, sondern um sie präziser abzugrenzen.
Wer entscheidet sich für diesen Kurs? Journalisten, welche die Perspektive wechseln wollen?
Perrin: Solche Umsteiger im klassischen Sinn werden in unserem Nachdiplomstudiengang angesprochen sein. Er wird jetzt aufgebaut und startet im Frühling oder Herbst 2002. Bereits heute bieten wir aber einen dreijährigen Hauptstudiengang an. Dieser Vollzeitkurs richtet sich an Leute, die von Beginn weg in Kommunikationsberufe einsteigen und eine bewegte Laufbahn vor sich sehen, die sie bewusst antreten wollen. Die meisten dieser Studentinnen und Studenten haben eine erste kurze Berufserfahrung hinter sich und sind zwischen 20 und 26 Jahre alt.
Ihr Institut ist eine Hochschule. Wie steht es um die Studienkosten?
Perrin: Der Studiengang ist vom Bundesrat bewilligt und wird von ihm unterstützt und kontrolliert. Im Gegenzug bekommen wir pro Student einen Beitrag, sodass der Studiengang für den Einzelnen nicht mehr kostet wie jedes andere Hochschulstudium, also 500 Franken pro Semester.
Im aktuellen Boom für Medienberufe dürften Sie viele Bewerber haben. Nach welchen Kriterien erfolgen die Aufnahmeprüfungen?
Perrin: Für den Start im nächsten Herbst haben wir 580 Interessierte. 60 davon möchte ich nehmen. Nach dem ersten Jahr gibt es eine Vordiplomprüfung. Das passiert jetzt gerade mit den Leuten vom ersten Kurs. Da muss ein Projekt in der Praxis überzeugen und zeigen, dass die Studierenden fähig sind, komplexe Gedanken einfach und klar auszudrücken. In dieser Prüfung reduzieren sich die 60 auf 40. Mehr Studentinnen und Studenten will ich in den ersten Jahren nicht an den Arbeitsmarkt bringen, weil ich alle noch persönlich kennen möchte. Ich will mit der Qualität dieser Leute sicherstellen, dass die neue Ausbildungsebene Fachhochschule wirklich auch geschätzt wird in der Praxis.
Ähnlich wie bei einer Schauspielakademie prüfen Sie in Ihrem Aufnahmetest auch ein bestimmtes Charisma beim Kommunizieren. Ist das eine Folge der elektronischen Medien, dass heute mehr Wert darauf gelegt wird, wie jemand auftritt? Früher haben auch völlig zurückgezogene Schreiber aus dem Hintergrund sehr gute PR gemacht.
Perrin: Wir testen Auftritt und die Intelligenz beim Kommunizieren. Der Kern des Berufes ist für mich das kritische Denken sowie die Fähigkeit, auch in komplexen Strukturen eine Botschaft zu erkennen. Was ist die Hauptaussage? Was ist dahinter gemeint? Telegen zu sein, ist nicht die Conditio sine qua non eines Kommunikators. Aber auch der Texter einer Meldung muss beim Recherchieren mit Leuten reden und seine Ideen einem Gegenüber präsentieren können.
Es fällt auf, dass in den verschiedensten Kaderpositionen der Unternehmenskommunikation heute viele Frauen tätig sind. Zeigt sich das auch in der prozentualen Verteilung der Bewerbungen?
Perrin: Drei Fünftel sind Frauen, zwei Fünftel Männer.
Gibt es eine Erklärung dafür, etwa die, dass Frauen als Überbringerinnen einer oft schlechten Nachricht diese erträglicher machen, weil sie sympathischer wirken?
Perrin: Die jungen Leute, die jetzt in den Studiengang kommen, überlegen sich das sicher nicht so. Das ist ein altes Rollenklischee. In der täglichen Berufspraxis sieht man aber schon, dass an verschiedenen Fronten mit direktem Kundenkontakt auffällig viele Frauen wirken. Frauen sind vielleicht nicht kommunikativer. Aber viele Frauen agieren anders in der Kommunikation. Sie können entspannter mit ihren Emotionen umgehen. Entspannt bedeutet dabei nicht, einfach den Emotionen freien Lauf zu lassen, sondern diese dosiert am richtigen Ort zu deponieren, statt sie zu unterdrücken und dann am falschen Ort loszuwerden.
In Ihrem Buch «Schreibcoaching» bieten Sie interessante Übungen zum Planen, Schreiben und Überarbeiten eines Textes an. Aber ist das nicht wie beim Klavierspielen: Man kann Techniken zwar üben, richtig gewinnend spielen kann man aber nur mit dem nötigen Talent?
Perrin: Es ist immer eine Verbindung von Talent und Ausbildung. Das gilt für Chirurgen genauso wie für Taxifahrer. Eignung und Neigung verbunden mit einer optimalen Förderung und Forderung. Talent muss da sein. Dann kann aber verglichen werden: Wie machen es andere? Wieso zieht der Kommunikator bei einem Gespräch gerade bei diesem Satz seine Jacke aus? Macht der das absichtlich? Gibt es Regeln, die diesen Leuten nicht bewusst sind? Die aber auf mich wirken, ohne dass ich es weiss? Was geht da auf der Ebene der Körpersprache ab? Dieses Wissen kann verfeinert werden. Wenn das Talent da ist, dann braucht es die richtige Ausbildung. Dann geht es viel effizienter.
Auf der Website www.schreibcoa ching.com kann man lesen, dass Sie in verschiedensten Branchen Kurse geben. Waren auch schon Werbetexter dabei, und was kann man von ihnen lernen im speziellen Umgang mit der Sprache?
Perrin: Wenn jemand gute Werbetexte kreieren kann, bringt diese Person etwas sehr Wichtiges mit: die Fähigkeit, den Kern zu erkennen. Es ist eine Kunst, in einem langweiligen Produkt, das es schon zwölfmal gibt, das Besondere zu erkennen und diese Eigenschaften mit knapper Sprache zu treffen. Ein Defizit sehe ich, wenn es darum geht, in längeren Texten logisch zu argumentieren. Das sind zwei verschiedene Arbeitsmodelle. Das Charisma der Sprache und die solide Denkarbeit. Die gute Idee kann man nicht einplanen – aber das logische Argumentieren kann ich analysieren und trainieren.
Wieso arbeiten die meisten Textleute am besten unter Druck? Gibt es eine sprachwissenschaftliche Erklärung dafür?
Perrin: Ja, aus dem gleichen Grund, wie die meisten Leute unter Druck am schnellsten rennen. Wenn mich ein Hund verfolgt, dann bin ich einfach schneller. Im Hirn geschieht etwas, wenn man unter Druck oder im Endspurt ist. Das hat etwas Berauschendes. Das reisst die Schleusen auf im Kopf.
Was hat Sie bewogen, eine wissenschaftliche Laufbahn anzutreten und nicht Journalist zu werden?
Perrin: Ich schreibe gern und viel, zum Beispiel wissenschaftliche Publikationen oder Fachbücher. Ich schreibe aber lieber über ein Thema, mit dem ich mich gründlich auseinander setzen konnte und über das ich etwas zu sagen habe. Oder dann gerade ganz leicht, so wie beim Chat. Was ich nicht mehr gerne mache, ist das Schreiben und Recherchieren für den Tag. Redigieren hingegen macht mir Spass. Zum Beispiel Onlinenachrichten, wie jetzt beim Tages-Anzeiger.
Es werden sicher noch viele Bücher zu diesem Thema geschrieben werden. Aber schon vorweg: Welches sind die wichtigsten Regeln beim Schreiben für Onlinemedien?
Perrin: (lacht) Ich schreibe tatsächlich bereits an einem Buch zu diesem Thema. Ich unterscheide darin das E-Mail-Schreiben und das Verfassen von Onlinenachrichten. Die spontanen Schnellantworten in Chat-Foren verändern das Schreiben sehr massgeblich. Der Sprachfluss wird anders, unkompliziert und fast geschwätzig. Der E-Mail-Verkehr, der ein bisschen das Telefon ablöst, bedeutet auch, dass jetzt Leute wieder schreiben, die vor zehn Jahren gar nicht mehr geschrieben haben. Das widerspricht allen Kulturpessimisten, die gesagt haben, dass mit den neuen Medien das Schreiben verloren gehe.
Haben Sie das auch schon in der Berufspraxis festgestellt?
Perrin: Grosse Unternehmen wie Versicherungen und Banken lassen an unserer Fachhochschule Kurse organisieren, in denen ihre Kaderleute lernen müssen, ein
E-Mail zu schreiben. Diese
Direktoren haben früher nur noch diktiert. Jetzt schreiben sie selber wieder und lassen sich darin coachen.
Eine andere Form sind die Onlinenews. Wo sehen Sie hier einen Handlungsbedarf?
Perrin: Bei diesen kurzen Nachrichten haben wir das Problem, dass sie in einer sehr leseunfreundlichen Umgebung mit gepixelter Schrift und viel Ablenkung rund um den Text trotzdem verständlich sein müssen. Diese Form der Kommunikation ist eine Herausforderung. Jetzt muss ich nämlich in drei kurzen Absätzen das Wesentliche sagen können. Da möchte ich mit Carl Popper fordern: «Wer nicht klar und einfach schreiben kann, soll schweigen und weiterarbeiten, bis er es klar und einfach sagen kann!» Das kann man trainieren. Das ist ein spannender Vorgang. Jetzt können wir nämlich Texte so vernetzen, wie es unser Hirn schon lange macht. Die Vorstellung von Hypertext ist sehr nahe dem menschlichen Denken.
Zurück zur Unternehmenskommunikation. Derzeit müssen verschiedene Schweizer Unternehmen unter Hochdruck kommunizieren, weil sie zum Teil in Krisen stecken. Was fällt Ihnen dabei auf?
Perrin: Es ist immer ungeschickt, wenn die Medien etwas aufdecken und die Unternehmenskommunikation darauf reagieren muss. Das ist immer die undankbarere Variante. Glaubwürdig ist die Unternehmenskommunikation, die rasch und offen informiert.
Was verlockt im heutigen Markt viele Journalisten umzusteigen?
Perrin: Es funktioniert genauso in die andere Richtung. Beim Tages-Anzeiger wie bei der NZZ kenne ich genug Leute, die aus der Unternehmenskommunikation gekommen sind und heute als Journalisten arbeiten. Der Arbeitsmarkt der Kommunikation verändert sich sehr schnell und zieht neugierige Leute an. Ich finde es spannend, möglichst auch andere Seiten kennen zu lernen. Man merkt auch langsam: Es gibt nicht eine gute und eine böse Seite, nicht Polizisten und Räuber. Man wechselt also nicht die Front, sondern man wechselt die Perspektive. Und dieser Perspektivenwechsel ist jetzt langsam enttabuisiert. Weil die Information immer transparenter werden muss, sollen beide Seiten wissen, was die andere macht. Ich stelle eine Entkrampfung fest, und da ist es klar, dass sich neugierige Leute im Arbeitsmarkt bewegen und weiterentwickeln wollen.
Werden damit aber nicht auch die Profile der Zeitungen verwässert?
Perrin: Im Gegenteil. Wenn jemand beide Seiten kennt, kennt er auch die Mechanismen und kann mit ihnen umgehen. Perspektivenwechsel heisst nicht Perspektiven verwässern, sondern Perspektiven abgrenzen und Positionen klären. Interview: Andreas Panzeri
Daniel Perrin
GEBOREN
6. Oktober 1961
WOHNORT
Männedorf
ZIVILSTAND
verheiratet mit Christine Albrecht, zwei Kinder
WERDEGANG
Nach der Matura Journalist bei Radio DRS. Fachjournalist für verschiedene Zeitungen, Der Bund, Die Zeit. In einem ersten Studium berufsbegleitend Mittelschullehrer, dann Doktorat in Sprach- und Medienwissenschaft. Studienleiter am MAZ und Dozent an Journalistenschulen in Deutschland.
Schreibcoaching bei Medien und Unternehmen. Textchef beim Tages-Anzeiger bis 2000 und heute noch dort mit einem Mandat als Textcoach. Seither Schulleiter an der Zürcher Hochschule Winterthur (ZHW) für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation.
BERUFSTRAUM
«Die Erfüllung eines langen Wunsches war es, Medienausbildung als anerkannteBerufsausbildung anbieten zu können. Das haben wir jetzt an der ZHW erreicht. Nächste Ziele werden sein, an der Schule weitere Angebote zu lancieren sowie an der Universität Bern meine Habilitationsschrift abzuschliessen.»
ARBEITSSTIL
«Ich brauche immer ein ‹Home› zum Arbeiten sowie daneben auch ein Fenster in der
Forschung oder in der Praxis. Es ist mir aber wichtig, einen klaren Arbeitsschwerpunkt zu haben, ein Hauptprojekt.»
WAS WÜRDE IHN AM JOB ALS KOMMUNIKATIONSCHEF DER SWISSAIR LOCKEN?
«Der Aufbau von null auf.»
WARUM HAT DIE EXPO.02 PROBLEME BEI DER KOMMUNIKATION?
«Mehrere krasse Vorfälle hintereinander sind nicht mehr ein Problem der Unternehmenskommunikation, sondern ein Problem des Unternehmens.»