Im Lokalen bleiben Geschichten liegen

Mit den Offshore-Enthüllungen hat der Recherche-Journalismus Auftrieb erhalten. Dominique Strebel, Präsident des Recherche-Netzwerks Investigativ.ch, äussert sich im Interview zu den aktuellen Geschehnissen und erklärt, wie Recherche gefördert werden kann.

Dominique Strebel ist Maz-Studienleiter, ehemaliger Journalist beim Beobachter und Präsident des Recherche-Netzwerks Investigativ.ch.

WW: Für die «Offshore-Leaks»-Recherchen haben Journalisten weltweit zusammengespannt. Welche Lehren können Journalisten aus der Affäre ziehen?
Dominique Strebel: Mit den Offshore-Leaks wurde eine Recherche-Qualität erreicht, die bisher nicht in Griffweite war. Zum ersten Mal fand ein globales Phänomen – das globalisierte Offshore-Business – einen ebenbürtigen Gegner – eben ein globales Netzwerk von Journalisten. Ein Netzwerk, das nicht nur über die Daten und die Kompetenz verfügte, diese aufzuarbeiten, sondern auch über die Journalisten, welche die Daten auf konkrete nationale und lokale Geschichten herunterbrechen. In der Schweiz sind die SonntagsZeitung und Le Matin Dimanche zum Handkuss gekommen. Das sind Medien, die den Recherche-Journalismus pflegen – etwa in Form des Recherche-Desks. Insofern zeigen die Offshore-Leaks: Nationale Medien müssen sich mit Recherche hervortun und sich international einen Namen machen. Nur so kommen sie bei grossen Geschichten zum Zug.

Medienunternehmen wie Tamedia können sich spezialisierte Recherche-Stellen leisten. Wie fördern kleine Medientitel die Recherche?
Bei kleineren Medientiteln ist es wichtig, dass sich einzelne Journalisten in Richtung Recherche spezialisieren und dabei von Vorgesetzten und vom Verlag gefördert werden. Wichtig sind dabei aber auch Initiativen wie jene des Schweizer Recherche-Netzwerks Investigativ.ch. Es bündelt das Recherche- Wissen von 150 Journalistinnen und Journalisten, fördert den Austausch und unterstützt die Journalisten bei der Recherche.

Recherchierte Stories sind für Medientitel eine Möglichkeit, sich zu profilieren. Wie stellt Investigativ.ch sicher, dass dieser Recherche-Anreiz erhalten bleibt?
Die mehr als 150 Mitglieder von Investigativ.ch recherchieren nicht gemeinsam an Geschichten, sondern helfen einander auf der Ebene der Werkzeuge. Über Wissensaustausch, Checklisten, Musterbriefe für Einsichtsgesuche und über konkretes Coaching helfen sich diese Journalisten gegenseitig, damit Geschichten, die einer für sein Blatt verfolgt, wirklich realisiert werden können.

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Im Lokalen bleiben Geschichten liegen

Mit den Enthüllungen um Offshore-Geschäfte hat der Recherche-Journalismus Auftrieb erhalten. Dominique Strebel, Präsident des Recherche-Netzwerks Investigativ.ch, äussert sich im Interview zu den aktuellen Geschehnissen und erklärt, wie Recherche gefördert werden kann.

Dominique Strebel ist Maz-Studienleiter, ehemaliger Journalist beim Beobachter und Präsident des Recherche-Netzwerks Investigativ.ch.

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WW: Für die «Offshore-Leaks»-Recherchen haben Journalisten weltweit zusammengespannt. Welche Lehren können Journalisten aus der Affäre ziehen? Dominique Strebel:
Mit den Offshore-Leaks wurde eine Recherche-Qualität erreicht, die bisher nicht in Griffweite war. Zum ersten Mal fand ein globales Phänomen – das globalisierte Offshore-Business – einen ebenbürtigen Gegner – eben ein globales Netzwerk von Journalisten. Ein Netzwerk, das nicht nur über die Daten und die Kompetenz verfügte, diese aufzuarbeiten, sondern auch über die Journalisten, welche die Daten auf konkrete nationale und lokale Geschichten herunterbrechen. In der Schweiz sind die SonntagsZeitung und Le Matin Dimanche zum Handkuss gekommen. Das sind Medien, die den Recherche-Journalismus pflegen – etwa in Form des Recherche-Desks. Insofern zeigen die Offshore-Leaks: Nationale Medien müssen sich mit Recherche hervortun und sich international einen Namen machen. Nur so kommen sie bei grossen Geschichten zum Zug.

Medienunternehmen wie Tamedia können sich spezialisierte Recherche-Stellen leisten. Wie fördern kleine Medientitel die Recherche?
Bei kleineren Medientiteln ist es wichtig, dass sich einzelne Journalisten in Richtung Recherche spezialisieren und dabei von Vorgesetzten und vom Verlag gefördert werden. Wichtig sind dabei aber auch Initiativen wie jene des Schweizer Recherche-Netzwerks Investigativ.ch. Es bündelt das Recherche- Wissen von 150 Journalistinnen und Journalisten, fördert den Austausch und unterstützt die Journalisten bei der Recherche.

Recherchierte Stories sind für Medientitel eine Möglichkeit, sich zu profilieren. Wie stellt Investigativ. ch sicher, dass dieser Recherche-Anreiz erhalten bleibt?
Die mehr als 150 Mitglieder von Investigativ.ch recherchieren nicht gemeinsam an Geschichten, sondern helfen einander auf der Ebene der Werkzeuge. Über Wissensaustausch, Checklisten, Musterbriefe für Einsichtsgesuche und über konkretes Coaching helfen sich diese Journalisten gegenseitig, damit Geschichten, die einer für sein Blatt verfolgt, wirklich realisiert werden können.

Können Sie dies an einem Beispiel erläutern?
Das Bieler Tagblatt interessierte sich für den Fall eines Lokalpolitikers, gegen den angeblich ein Strafverfahren lief. Da es Schwierigkeiten gab, an die Justizdokumente heranzukommen, wandte sich die Journalistin des Bieler Tagblatts an Investigativ.ch. Wir coachten sie und halfen ihr dabei, ein Einsichtsgesuch an die Staatsanwaltschaft zu stellen. Mit Erfolg. Die Journalistin Brigitte Jeckelmann kam an die Einstellungsverfügung heran und deckte auf, dass die Staatsanwaltschaft gepatzt hatte: Das Verfahren wurde nicht etwa eingestellt, weil nichts am Fall dran war, sondern weil die Sache verjährt war. Aus der Recherche wurde eine Aufmacher-Geschichte im Bieler Tagblatt.

In welchen Bereichen sind Recherchen dringlich?
Meiner Meinung nach bleiben besonders im Lokalen wichtige Geschichten liegen. Geschichten, in denen es darum geht, hartnäckig zu sein, dran zu bleiben und sich nicht in den Filz einbinden zu lassen. Ganz generell ist Recherche insbesondere im Justizbereich wichtig: Journalisten müssen hinschauen, wie Staatsanwaltschaften und Gerichte arbeiten.

Was ist das Problem beim Lokaljournalismus: der Ressourcen-Mangel oder die Beisshemmung, weil man nahe aufeinander lebt?
Beides. Deshalb sind das Medien-Ausbildungszentrum Maz und Investigativ.ch daran, eine neue Plattform zu entwickeln. Mit der Drehscheibe Schweiz (Drehscheibe-schweiz.ch) wollen wir den Lokaljournalismus stärken und neue Ideen generieren. Best- Practice-Beispiele aus anderen Regionen werden Lokalzeitungen Impulse liefern für eigene Geschichten. Journalisten können sich bei einer Recherche coachen lassen. Ausserdem wird es einen Blog geben, auf dem sich auch Verleger über neue Formen des Lokaljournalismus austauschen. Für eine Lokalzeitung wird die Beteiligung 500 Franken pro Jahr kosten.

Wann wird die Plattform aufgeschaltet?
Von der Basler Stiftung für Medienvielfalt von Beatrice Oeri haben wir bereits eine Gutsprache für zwei Jahre erhalten. Sie beträgt 150 000 Franken. Was uns für den Start noch fehlt, ist eine Absichtserklärung der Verleger, dass sie grundsätzlich bereit sind, langfristig bei der Finanzierung mitzuhelfen. Sobald die Verlage ihr Okay gegeben haben, kann das Geld der Stiftung abgerufen und mit dem Aufbau der Website begonnen werden. Das sollte im Laufe des Jahres der Fall sein.

Zurück zu den Offshore-Leaks: Die Dokumente, auf denen die Recherche basiert, wurden anonym eingereicht. Besteht da nicht die Gefahr, als Journalist instrumentalisiert zu werden?
Ich habe vollstes Vertrauen in die 90 investigativen Journalisten, die für das Internationale Konsortium für investigative Journalisten (ICIJ) am Fall arbeiten. Für Recherche-Journalisten gehört es zu den normalen alltäglichen Recherche-Aufgaben, die Wahrheit und Glaubwürdigkeit von Informationen beziehungsweise Informanten zu überprüfen.

Momentan wird diskutiert, ob die Journalisten die Dokumente an Politik und Justiz weitergeben sollen. Wie stehen Sie dazu?
Meiner Meinung nach dürfen die Dokumente – auf Grund des Quellenschutzes – nicht ausgehändigt werden. Journalisten sollen nicht zu Handlangern der Politik werden. Allerdings sollte das Recherche-Material in einer zweiten Phase weiteren Medien weitergegeben werden. Je mehr Augen die Daten sichten, desto eher werden die wichtigen Geschichten geschrieben. Das muss jetzt passieren.

Enthüllungen wie jene der Offshore-Geschäfte sind gute Werbung für den Journalismus. Sehen Sie das auch so?
Ja. Was dabei ganz besonders ist: Diese globale Vernetzung, wie sie dem ICIJ gelungen ist, wäre durch das politische System oder die Justiz niemals zustande gekommen. Es hätte jahrelange Rechtshilfeverfahren gegeben, bevor man die Länder zusammengebracht hätte. Diese einzigartige Gesamtschau eines globalen Phänomens kann fast nur die journalistische Arbeit leisten.

Isabel Imper

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