«Hier herrscht ein Notstand»

Philip Meier, Stratege bei Guye & Partner, über interne Kommunikation

Philip Meier, Stratege bei Guye & Partner, über interne KommunikationIn einer Dissertation hat Philip Meier theoretische und empirische Aspekte zur Organisation und Sprache der internen Kommunikation grosser Unternehmen untersucht. Sein Buch, das von Kommunikations- und Unternehmensverantwortlichen regelrecht verschlungen wird, trifft offenbar einen neuralgischen Punkt.Wie lange beschäftigen Sie sich schon wissenschaftlich mit interner Kommunikation?
Philip Meier: Ich betreibe seit sieben Jahren Forschung im Bereich der internen Kommuni-
kation. Bereits für die Lizenziatsarbeit habe ich die internen Kommunikationsstrukturen und -prozesse eines Unternehmens untersucht. Mit der Dissertation testete ich nun auf repräsentativer Ebene das Bild in der Schweiz.
Woran krankt die interne Kommunikation hierzulande?
Meier: Die meisten Unternehmen täuschen sich, wenn sie glauben, dass ihre interne Kommunikation in Ordnung sei. Es besteht zwar ein Bewusstsein für diesen wichtigen Kommunikationsbereich, doch man strukturiert die Kommunikation nicht. Man kommuniziert intern lediglich deshalb, weil man, wie es ein Kommunikationsaxiom von Paul Watzlawick besagt, nicht um die Kommunikation herum kommt. Ausserdem glaubt man, zu interner Kommunikation fähig zu sein, ohne Spezialisten wie etwa Betriebswirtschafter oder Linguisten beizuziehen. Begünstigt wird diese Auffassung durch die Intimität des Themas: Kommunikationsberatung setzt die Offenheit des Topmanagements voraus, das bereit sein muss, dem Berater Zugang zum innersten Kreis des Unternehmens zu gewähren. Ferner kann der Wille zu interner kommunikativer Veränderung nicht delegiert werden, sondern muss immer auf oberster Ebene faktisch und nicht lediglich als Lippenbekenntnis vorhanden sein.
Welches sind die Gegenstände Ihrer Untersuchung?
Meier: Im ersten Teil der Untersuchung interessierte mich, wie die Strukturen und die Organisation aussehen, wer für interne Kommunikation verantwortlich ist, welches die Aufgaben eines Verantwortlichen sind, welche Medien er einsetzt und auf welche Fachkräfte er sich dabei verlässt. Ich fand heraus, dass die meisten Grossunternehmen in der Schweiz nicht über die Instrumente verfügen, die eine umfassende interne Kommunikation verlangt. Beispielsweise führt nur rund ein Drittel regelmässige Mitarbeiterbefragungen durch. Das heisst, gerade einmal ein Drittel der Betriebe kennt die Einstellungen und Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden. Der ganze Rest tappt im Dunkeln. Etwa derselbe Prozentsatz verfügt über eine spezialisierte Abteilung, die sich um diese Prozesse und Vorgänge kümmert. Eine Zusammenarbeit mit Fachkräften wie in der externen Kommunikation findet praktisch nicht statt. In einem zweiten Schritt wollte ich testen, ob sich diese Tendenz auch in der Sprache der Unternehmen zeigt.
Welche sprachlichen Missstände haben Sie entdeckt?
Meier: Angesichts der stets wachsenden Menge von Textmaterial habe ich mich auf die Untersuchung einer Textsorte konzentriert: auf die Editorials der Mitarbeiterzeitungen. Sie enthalten die meisten Informationen über Geschäftsgang und Zukunftsentwicklung. In diesen Editorials herrschen grundsätzlich zwei ganz unterschiedliche Kommunikationsstrategien vor. Einerseits gibt es die verschleiernde Strategie, die Informationen ausspart und vorenthält, die ohne einen relevanten Grund
zu liefern, ohne transparent über die Ist- und die zukünftige Situation des Unternehmens aufzuklären, Mitarbeitende zu Höchstleistungen motivieren will. Die zweite Strategie berichtet offen und ehrlich etwa über eine konkrete Problemsituation. In diesen transparenten Editorials werden auch Fehler eingestanden. Zu einem grossen Teil sind die Texte in einem erschreckenden Mass gekennzeichnet von einer ungeschickten Wortwahl und von der fehlenden Darstellung von Gesamtzusammenhängen.
Welche Rolle spielt interne Kommunikation bei der Instandstellung und Instandhaltung der Hierarchie?
Meier: Informationen bedeuten auch Macht. Man setzt sie ein, um seinen Vorsprung zu wahren. Es gibt zwei Lager. Das eine sieht die Stärke in der Offenheit, das andere möchte seine Position durch Informationskanalisation und Informationsblockade absichern. Veränderungsprozesse werden gerade im zweiten Fall mit viel Aufwand geführt werden müssen, weil sich mit der Zeit kommunikative Subkulturen bilden, Kommunikationsverbände, die sich teilweise über verschiedene Abteilungen und Hierarchiestufen erstrecken, deren Stimmen mehr Gewicht haben können als die Stimme der offiziellen internen Kommunikation.
Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie?
Meier: Interne Kommunikationsberatung ist dann sinnvoll, wenn sie die Kultur eines Unternehmens als Basis für ihre Analyse nimmt. Zunächst sollten organisatiorische Verbesserungsmassnahmen realisiert werden. Priorität hat sicher die regelmässige Durchführung von Mitarbeiterbefragungen sowie ferner der Aufbau einer internen Medieninfrastruktur, bei der jedes Medium eine Funktion zugeteilt bekommt. Danach sind sprachkultivierende Massnahmen einzuleiten wie die Verbesserung der verbalen Ausdrucksfähigkeit von Key People oder die Installation von Dialogtrainings für Mitarbeitende mit Kundenkontakt.
Wie kann sich ein sprachlicher Ausdruck ändern, wenn die Grundhaltung des Sprechenden respektive Schreibenden dieselbe bleibt?
Meier: Von grosser Bedeutung ist es, Kommunikationsrichtlinien zu definieren. Ein auf Kommunikationsrichtlinien beruhendes internes Kommunikationsklima steckt nämlich den Toleranzrahmen für den Umgang untereinander ab. Mobbing etwa besteht grösstenteils aus in ihrer Radikalität stetig zunehmenden sprachlichen Entgleisungen, die auf keine Kommunikationsmaximen bezogen sind.
Wie erklären Sie sich die Vernachlässigung interner Kommunikation?
Meier: Sehr wahrscheinlich ist der Grund des internen Kommunikationsnotstandes ein kurzfristiges Denken: Man hat das Gefühl, mit externer Kommunikation verkaufe man mehr Produkte, trage zur Markenbildung bei. Doch man vergisst dabei, dass sich auch das vordergründige Investment der internen Kommunikation langfristig auf die gesamte Marke eines Unternehmens auswirkt und dergestalt zur Wertschöpfung beiträgt.
Interview: Ernst Weber
Philip Meier:

«Interne Kommunikation von Unternehmen. Theoretische und empirische Aspekte zur Organisation und Sprache der internen Kommunikation grosser Unternehmen in der Schweiz» ist zu beziehen unter: www.in ternekommunikation.ch

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