«Haptische Elemente steuern das Unterbewusstsein direkt an»

Werbeartikel sollten weniger als nettes Nice-to-have, sondern vielmehr als ernstzunehmendes Element einer Gesamtkommunikation verstanden und eingesetzt werden. Dieser Überzeugung ist Michael Mätzener. Die Werbewoche hat mit ihm über «Hapticals» und ihr Potenzial gesprochen.

Werbewoche: Michael Mätzener, «Werbegschenkli» ist nicht gerade Ihr Lieblingswort. Besser und treffender finden Sie es, wenn von haptischer Werbung oder Hapticals gesprochen wird. Warum?

Michael Mätzener: Ja, das mit den «Werbegschenkli» tut der Sache nicht gut. Mehr noch: Es mindert den Wert der haptischen Werbung und impliziert zusätzlich etwas Falsches: Ein Werbeartikel ist kein Geschenk! Er ist eine Kommunikationsmassnahme, ein Kommunikationskanal, und die verschenken wir ja auch nicht. Es würde niemandem einfallen, einen Onlinebanner oder einen Kinospot als «Gschänkli» zu bezeichnen. Natürlich kommt bei einem Haptical ein Gebrauchswert zum kommunikativen Zweck hinzu, aber die Kommunikation ist die Motivation, nicht das Schenken.

Werbeartikel werden also unterschätzt. Warum ist Ihnen die Haptik in der Werbung so wichtig?

Weil sie wichtig ist, ganz einfach (lacht). Wir können den Tastsinn nicht abschalten. Augen und Ohren zuhalten geht, Tastsinn abstellen nicht. Wir können uns verhören oder «vergucken », aber nicht «vertasten». Haptische Sinneserfahrung ist überlebenswichtig! Sehund Hörsinn, auf den die meiste Werbung ausgerichtet ist, sind es nicht. Man kann blind leben oder gehörlos, aber ohne Berührung sterben die Menschen. Und: Was wir anfassen können, ist real, ist echt. Haptische Sinneseindrücke sind dafür prädestiniert, uns emotional anzusprechen. Dabei ist die spannende Frage: Wie codiert man eine Botschaft, einen Markenwert haptisch so, dass die richtigen Emotionen und Assoziationen geweckt und verankert werden?

Worauf muss dabei geachtet werden?

Sehr allgemein gesagt: auf die Wahl der passenden Materialien, Oberflächenstrukturen, Formen und Funktionen. Mit «passend» meine ich zur Marke, zur Botschaft passend. Wir assoziieren haptische Eigenschaften mit gewissen Qualitäten. Nehmen wir das Gewicht. Schwer bedeutet hochwertig. Okay, das gilt nicht für Mountainbikes, aber für typische Werbeartikel wie etwa den Kugelschreiber. Es bringt in den meisten Fällen wenig, wenn ich meinem Kunden einen leichten, superökologischen, nachhaltig produzierten Kugelschreiber aus recyceltem Kunststoff überreiche. Der vielleicht weniger ökologisch sinnvolle mit Edelstahlteilen versehene Stift, der viel schwerer ist, macht einen ganz anderen Eindruck. Er sagt: «Ich bin hochwertig», obwohl er «billiger » und «schlechter» sein kann als der Plastik-Kugi. So transportiert jedes Material über den Tastsinn andere Qualitäten: Holz ist warm, rustikal, natürlich. Metall kalt, Stoff weich und so weiter.

Gibt es Branchen, in denen Werbeartikel weniger gut funktionieren?

Nein, das würde ich pauschal nicht sagen. Was allerdings schon ein Unterschied macht, ist, ob ein Unternehmen etwas herstellt oder ob es eine Dienstleistung anbietet. Eine Dienstleistung ist tendenziell anspruchsvoller in der Kommunikation – das gilt aber für alle Kanäle. Ein Produkt kann man vorzeigen, eine Dienstleistung muss man viel stärker greifbar – begreifbar – machen und differenzieren. Einfach ist es etwa bei einem Auto, das spricht verschiedene Sinne sehr direkt an; man kann es anschauen, kann es hören und eben auch anfassen und Probe fahren. Schwieriger wird es bei einer Bank. Wie transportiert man deren Werte? Wie vermittelt man die Qualität einer Dienstleistung? Aber genau da können haptische Elemente in der Kommunikation sehr gut helfen; sie steuern mit ihrer Botschaft direkt das Unterbewusstsein an.

Warum denn das Unterbewusstsein – was meinen Sie damit?

Auf dem Feld der Neurowissenschaft wurde gerade in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren sehr viel zu Haptik geforscht. Heute weiss man, dass wir über zwölf Millionen Bits / Sekunde an Wahrnehmungskapazität verfügen. Aber nur 40 Bits sind bewusste Wahrnehmung, was ungefähr drei bis fünf Wörter pro Sekunde sind. An die restlichen 11’999’960 Bits, die eben unterbewusst bleiben, kommen wir über die Haptik sehr gut heran – und können sie so wieder in die bewusste Wahrnehmung bekommen. Etwas spüren, etwas berühren – das kann eine viel klarere Botschaft senden, als wenn man etwas nur hört, liest oder sieht. Können Sie uns dazu ein Beispiel geben? Wir kennen das von Kindern: Zwanzigmal sagen: «Achtung, das Feuer ist heiss», ist weniger effektiv, als wenn sich ein Kind einmal die Finger verbrannt hat. Oder: Versuchen Sie jemandem, der noch nie eine Zitrone gesehen hat, zu beschreiben, wie sich eine Zitrone anfühlt oder wie sie schmeckt: Das ist viel schwieriger und langwieriger, als wenn Sie jemandem eine Zitrone in die Hand geben und er dann mit der Zunge einen Tropfen spürt. Die ist echt. Das Spüren der Zitrone passiert im Moment, verankert sich sofort und bleibt abrufbar.

Das ergibt alles Sinn. Warum aber werden Werbeartikel trotzdem oft so stiefmütterlich behandelt?

Eben, weil man sie Werbeartikel nennt (lacht). Nein, ehrlich: Lange Zeit wurde die «kreative Leistung» als Kernelement der Werbung verstanden und nicht als eine gezielte Planung der kommunikativen Kanäle und ein gelungenes Storytelling. Und: Werbeartikel wurden nicht als Teil der Kreation verstanden, waren wie abgetrennt vom Rest der Kommunikation. Dabei lassen sie sich so gut ins Storytelling einbinden und können viel leisten in der Kommunikation!

Ihre Begeisterung für haptische Werbemittel ist gross. Sie betreiben nicht nur eine Agentur für haptische Werbung und organisieren Seminare und Workshops, sondern haben auch eine Messe rund um die haptische Werbung ins Leben gerufen?

Ja, die Marke(ding), die am 13. März 2019 zum fünften Mal stattfinden wird. Ich bin der Meinung, dass die haptische Werbung ein eigenes Festival verdient hat! Die Marke(ding) soll ein Tag zum Greifen und Begreifen sein und allen Interessierten die Gelegenheit geben, sich ganz effizient einen aktuellen Überblick über haptische Werbemittel und ihre Einsatzmöglichkeiten zu verschaffen.

Zurück zur Praxis. Können Sie Beispiele nennen, wo Hapticals erfolgreich in der Kommunikation eingebunden werden?

Dialogmarketing-Kampagnen sind da oft ganz stark. In der Schweiz gibt es ein paar Agenturen, die darin richtig gut sind und auch ständig internationale Preise mit ihrer Arbeit abräumen. Dort ist der Werbeartikel oft zentraler Teil der Kommunikation – oder er ist sogar die Kommunikation. Genau solche Beispiele sehen und finden wir eben auch an der Marke(ding).

Was machen solche Dialogmarketing-Kampagnen mit haptischen Verstärkern richtig?

Ein beliebter und sehr sinnvoller Ansatz ist es, Produkte oder Materialien aus dem Unternehmensalltag zu verwenden für solche Hapticals. Diese sollten eine Affinität zur Botschaft haben, originell sein und auch einen tatsächlichen Nutzen haben. Das wird natürlich nicht nur im Dialogmarketing gemacht: Lufthansa hat zum Beispiel aus alten Flugzeug-Sitzbezügen Reisetaschen herstellen lassen. Firmengeschichte und Upcycling, verbunden in einem Produkt – super! Auch ein gutes Beispiel: Die Kooperation von Nespresso und Victorinox, bei der aus leeren Nespresso-Kapseln Sackmesser gemacht werden.

In welcher Phase der Kommunikation sollten Hapticals am besten eingesetzt werden?

Ganz einfach: in jeder! Hapticals können Kommunikation immer verstärken, man muss sie nur richtig einzusetzen wissen …

Gibt es Trends bei Werbeartikeln? Was ist gerade angesagt?

Das ist eine Frage, die eben wieder aus der klassischen «Werbegschenkli-Optik» gestellt wird (grinst). Trends müssen eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr geht es doch darum, das passende Haptical für eine konkrete Kommunikationsstrategie auszuwählen und natürlich eines, das zum Unternehmen und seinen Werten passt. Ganz aus den Trends herausnehmen wird man sich bei diesen Überlegungen natürlich nicht, aber der Ansatz: «Wow, cool, das haben jetzt gerade alle, ich will das auch!» ist nicht zielführend.

Aber es gibt sicher Artikel, die Dauerbrenner sind, oder?

Ja, klar. Kugelschreiber und Schreibutensilien bleiben in der Rangliste ganz vorne. Sackmesser sind auch konstant beliebt. Dann jetzt, vor Weihnachten, Adventskalender. Und natürlich Bekleidung. Diese ist ja auch ein Riesenthema bei allen Merchandising-Geschichten – denken wir an Caps, Mützen, Socken, T-Shirts und so weiter. Was auch gut funktioniert bei Verkaufsartikeln, sind «Zugabeartikel », also Werbeartikel, die einen Kaufanreiz geben. Das können In-Packs, On-Packs oder Bundles sein. Zum Beispiel ein kleines Necessaire zu Kosmetikartikeln oder ein schöner Flaschenöffner zu einem guten Wein, eine Tasse zu einem Heissgetränk, Taschentücher zu einem Nasenspray …

Und Artikel, die einmal populär waren und heute nicht mehr funktionieren?

Ja, Feuerzeuge etwa; die haben viel an Coolness eingebüsst. Oder USB-Sticks – die waren eine Weile lang sehr beliebt, heute sind sie veraltet. Wer rennt in Zeiten von Clouds noch mit einem USB-Stick herum?

Viel Kommunikation läuft heute im Digitalen. Werbeartikel hingegen sind real, «fassbar», offline. Welche Rolle können Hapticals in dieser digitalen Welt spielen?

Sie sind eine gute Ergänzung oder Abwechslung, eben weil nicht immer nur Hör- und Sehsinn angesprochen werden. Wir werden ständig und überall mit optischen und auch akustischen Markenbotschaften zugedröhnt und haben gelernt, sehr stark zu filtern. Wir nehmen also vieles über diese Sinne gar nicht mehr richtig wahr. Bei einem Haptical ist das anders: Das nimmt der Empfänger in die Hände, und das eigentlich nie nur einmal. Er kann dadurch eine Marke regelrecht be-greifen und dadurch werden immer Emotionen geweckt.

Michael Mätzener ist Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Diewerbeartikel. Mätzener entwickelt zusammen mit seinen Kunden Marketingkampagnen, bei denen der Werbeartikel als nachhaltiger «Botschafter» im Zentrum steht. Mit Promofacts veranstaltet er Seminare und Workshops rund um den crossmedialen Einsatz von Werbeartikeln im Marketing. Ausserdem ist er der Initiator von Marke(ding), der Messe für Werbeartikel, oder wie er es lieber beschreibt: dem «Festival für haptische Werbung».

werbegeschenke-1
interview-wa

Weitere Artikel zum Thema