Der Einzug der Verbannten

20 Minuten und Metropol erhalten einen zusätzlichen Vertriebskanal: die Kiosk AG

20 Minuten und Metropol erhalten einen zusätzlichen Vertriebskanal: die Kiosk AGVon Markus KnöpfliDas gibt Wirbel: Ab 5. Februar können die Pendlerzeitungen
20 Minuten und Metropol auch an ausgewählten Kiosken der Kiosk AG bezogen werden. Letztere will damit ihr Monopolistenimage durchbrechen und erhofft sich mehr junge Kunden.
Die Idee, die Pendlerzeitungen (auch) über Kioske zu vertreiben, ist nicht neu. Schon vor rund einem Jahr haben sowohl 20 Minuten als auch Metropol bei der zur Valora-Gruppe gehörenden Kiosk AG angeklopft. Damals kam aber von der Kiosk AG noch ein klares Njet, «zum Schutz der bestehenden Verlagshäuser», wie Valora-Pressesprecherin Stefania Misteli heute erklärt.
Doch dieses Bollwerk der Verlage bröckelt. Ab dem 5. Februar stellt die Kiosk AG auch den beiden Pendlerzeitungen einen Dispenserplatz an ausgewählten Kiosken und bei Lizenznehmern (Tabakläden, Grossverteilern) zur Verfügung – versuchsweise und während sechs Monaten. Metropol wird gemäss Geschäftsführer Urs Zeier an je 30 Stellen in Basel und St. Gallen präsent sein, 20 Minuten hingegen soll laut Verlagsleiter Rolf Bollmann an je 60 Kiosken in Basel, Bern und Zürich aufliegen. Allerdings sind Bahnhofkioske vorläufig für beide Gratisblätter kein Thema.
Doch weshalb diese Kehrtwende bei der Valora-Tochter? «Seit 20 Minuten und Metropol auch von Schweizer Verlagshäusern gedruckt werden, müssen wir keine Rücksichten mehr nehmen», sagt Misteli bestimmt.
Mit den Pendlerzeitungen mehr Zeitungen verkaufen
Laut der Valora-Presseprecherin haben aber beim Entscheid auch noch einige weitere Überlegungen eine Rolle gespielt. Erstens will die Kiosk AG damit ihr Monopolistenimage durchbrechen. Immer wieder sei zu hören, die Kiosk AG behindere mit ihrer mächtigen Position den Markt, sagt Misteli. «Jetzt aber zeigen wir, dass wir als Pressevertrieb die Pressefreiheit gewährleisten wollen.»
Zweitens werde mit den Pendlerzeitungen die eigene Vertriebsorganisation besser ausgelastet. Und drittens erhofft sich die Kiosk AG laut Misteli mehr Jugendliche an ihren Verkaufsstellen, ein Kundensegment, das dort noch untervertreten, aber durchaus kaufkräftig ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Der ohnehin rückläufige Einzelverkauf von Tageszeitungen hat sich wegen der Pendlerzeitungen akzentuiert, was auch die Kiosk AG zu spüren bekam (siehe WW 31/00). Das bestätigt auch Misteli. «Zahlen geben wir keine heraus», sagt sie und betont, dass die Pendlerzeitungen jedoch kaum Einfluss auf den Absatz von Zeitschriften und weiteren Kioskprodukten hätten. «Insgesamt haben die Kioskumsätze im letzten Jahr eher zugenommen.»
Ganz anders gelagert sind Erwartungen, die die beiden Pendlerzeitungen an den Versuch haben. «Wir haben derzeit unsere Zielauflage erreicht und suchen keinen zusätzlichen Vertriebskanal. Mit der Kiosk AG testen wir deshalb bloss, ob wir über die Kioske unser Zielpublikum besser und günstiger erreichen können als mit den bisher eingesetzten Mitteln», sagt Zeier von Metropol. Und betont: «Wir wollen nicht irgendwen erreichen.»
Demgegenüber betrachtet Bollmann den Vertrieb über die Kioske als «Ergänzung zur klassischen Distribution». Da die ausgewählten Kioske alle an gut frequentierten Lagen, aber eben nicht an Bahnhöfen stünden, «erhalten wir die Möglichkeit, mehr an Nichtpendler wie Hausfrauen, Binnenpendler (Fussgänger) oder Autopendler heranzukommen.»
Beide gehen zudem davon aus, dass die Kioskpräsenz ihrer Titel einen Wirbel unter Verlegern auslösen dürfte. Anders sieht es Misteli. «Wir nehmen nicht an, dass die Emotionen hoch gehen.»
Und wie will man reagieren, wenn auch andere Verleger auf den Geschmack kommen und ihre wie auch immer gearteten Gratistitel über Kioske vertreiben wollen? «Dafür sind wir durchaus offen», sagt Misteli – und verweist auf die Pressefreiheit.
Kommentar

Revolution in der Kioskauslage
Von Markus Knöpfli
Stellen Sie sich vor, im Kaffeeregal von Migros oder Coop finden Sie neben diversen Kaffeesorten in Halbkiloverpackungen (fünf bis sieben Franken) fortan eine neue Sorte – in kleineren Packungen zwar, aber gratis und auch mit regelmässigem Nachschub.
Unvorstellbar. Doch was Coop und Migros nie tun würden, wagt die Kiosk AG. Als erster Schweizer «Grossverteiler» bietet sie in gut 200 «Läden» gleich zwei Produkte – Tageszeitungen – gratis an. Regelmässig und täglich frisch.
So gesehen ist dieser Schritt der Kiosk AG revolutionär. Andererseits ist der zu erwartende Protest der vereinigten Verleger verständlich.
Doch halt! Lässt sich Kaffee mit Gratisblatt vergleichen? Kommen die Pendlerzeitungen und ihr Inhalt nicht eher einem Kleidungsstück gleich, das nur in einer Kindergrösse angeboten wird? Wem es zu kurz oder knapp ist, der lässt es auch liegen, wenn es gratis ist. Alle wachsen da mal raus.
So gesehen ist der Schritt der Kiosk AG «nur» pionierhaft, während der zu erwartende Protest der vereinigten Verleger etwas überängstlich wirkt.
Doch auch der Vergleich mit dem Kleidungsstück hinkt. Denn Zeitunglesen und Informationen verdauen ist Arbeit. Und dazu habe ich nicht immer gleich viel Zeit oder Lust. Also wähle ich je nach Situation jenes Menu, das meiner verfügbaren Zeit, meinem Hunger und meinem Geldbeutel entspricht. Mit anderen Worten: Die Kiosk AG ist am ehesten vergleichbar mit einem Restaurant, das auf seiner Speisekarte auch ein kleines Gratissandwich führt – was am ehesten Kindern und Jugendlichen entgegenkäme. Genau jenem Publikum also, das die Kiosk AG vermehrt ansprechen will.
So gesehen ist der Schritt der Kiosk AG zwar innovativ, aber überfällig. Denn weshalb bietet sie nicht schon längst noch jugendspezifischere Gratistitel an (Junior, MEX oder wie sie alle heissen)? So gesehen klingt zudem der zu erwartende Protest der vereinigten Verleger hohl und heuchlerisch. Denn sie hätten schon lange auf diese Idee kommen können. Zudem schielen sie ja sowieso alle nach den Druckaufträgen der Pendlerzeitungen.
Es soll also ja keiner protestieren!

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