«Klassisches Zielgruppenmarketing hat ausgedient»

Serviceplan Culture unterstützt als eigene Einheit für Cultural Marketing Kunden dabei, Kulturen und Subkulturen wirklich zu verstehen. Managing Director Franziska Gregor erklärt im Interview, warum das heute so wichtig ist – und welche Rolle klassische Zielgruppen spielen.

Ihr seid mit einer eigenen Einheit für Cultural Marketing ins Jahr gestartet – warum ist das Thema genau jetzt wichtiger denn je?

Es ist kein Geheimnis, dass die Frage, was eine Marke heute wertvoll und erfolgreich macht, auf vielen Ebenen zu beantworten ist. Eine davon ist: Spreche ich als Marke die Sprache meiner Kund:innen? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Eine Vielzahl von Marken hat das Potential von großartigem Storytelling und datenbasierter Kommunikation erkannt. Aber warten Konsument:innen wirklich auf die nächste Corporate Story? Denken Sie beispielsweise an die Gen Z, die Storytelling sehr nah an den eigenen Bedürfnissen und Erlebnissen festmacht. Hören Marken nur zu, oder verändern sie wirklich nachhaltig ihre Sprache und das Marketing-Verhalten? Ist es nicht viel wichtiger, den Schritt in Kulturen und Subkulturen zu gehen, um dort stattzufinden, wo Trends entstehen? Cultural Marketing ist nicht neu – und vor allem kein Marketing-Buzzword. Cultural Marketing muss fester Bestandteil im Advertising-Mix von Marken werden. Und das nicht nur im naheliegenden B2C Umfeld. Employer Branding, NGOs oder Business-to-Policy sind spannende Felder für Cultural Marketing. Dabei ist entscheidend, dass wir nicht von Cultural Campaigning oder nur von einer Kultur oder Subkultur sprechen. Relevanz entsteht dann, wenn Marke und Kultur langfristige Partnerschaften eingehen.

Euer Anspruch ist es, Subkulturen nicht nur besser zu erreichen, sondern wirklich zu verstehen. Wie unterscheidet sich dieser Ansatz von klassischem Zielgruppenmarketing – hat das heute ausgedient?

Wir sind nicht angetreten, um alles gänzlich neu zu erfinden. Das wäre arrogant und auch nicht glaubwürdig. Über Zielgruppenmodelle gerade im digitalen Raum wird an vielen Stellen im Advertising Mix nachgedacht – und das ist gut so. Denn Lebensrealitäten von Konsument:innen sind längst vielfältig und nicht mehr mit einfachen demografischen Daten zu beantworten. Sie stoßen also an Grenzen. Denken Sie an die Vielzahl von Subreddits, daran wie Plattformen wie Discord aufgebaut sind, oder wie Algorithmen personalisierter denn je Nutzer:innen ansprechen. So hat beispielsweise die Technologie-Forscherin Amy Webb auf der SXSW in den USA von der „Generation T“ – für Transformation – gesprochen und damit die Debatte um Zielgruppen aus Generationsdenke für Werbende neu entfacht. Was wir erreichen wollen, ist ein Verständnis dafür zu schaffen, dass Trends heute nicht mehr durch Massenmedien oder durch Marken vorgegeben werden, sondern in Communities und Subkulturen entstehen. Das kann ein vermeintlich einfaches TikTok oder auch Instagram Reel sein, ein Community-Event oder tief aus einem Online-Spiel kommen, dass den Massenmarkt noch nicht mal ansatzweise erreicht hat. Um Ihre Frage also konkret zu beantworten: klassisches Zielgruppenmarketing hat ausgedient, ja.

Ihr habt ein eigenes Tool, mit dem ihr die richtigen Maßnahmen identifiziert. Was steckt dahinter und wie funktioniert es? Welche Ergebnisse liefert es? Wie werden Trends außerdem identifiziert?

Cultural Marketing muss messbar sein – sonst bleibt es wirklich nur ein Buzzword, ein einfaches Marketing-Bla-Bla ohne echtes Budget. Dabei spielen Daten und Insights eine große Rolle. Genau wie die Stimme der Kultur selbst. Denn wenn es darum geht, das richtige Match zwischen Kultur/Sub-Kultur und Marke für eine langfristige Partnerschaft zu finden, brauchen wir beides. Unser Ansatz bei Serviceplan Culture bedient deshalb beides gleichermaßen. Grundsätzlich helfen wir Marken dabei, die richtige Kultur oder Subkultur zu identifizieren – und diese dann zu entschlüsseln, zu aktivieren und nutzbar zu machen für eigene Botschaften. Und auch im Rahmen der Aktivierung und einer langfristigen Partnerschaft machen wir Trends innerhalb der Kultur sichtbar, aber eben erneut messbar. Wir hinterfragen also immer wieder. Wir sprechen von einer Art CVP, einer Cultural Value Proposition für Marken. Ein Wert, der auch den Einsatz von Budget rechtfertigen und ganzheitlich steuern kann.

Was ist wirklich Trend, was nur ein kurzfristiges Phänomen – und wie lässt sich das unterscheiden?

Das kann und muss man sicherlich aus verschiedenen Perspektiven beantworten. Was wir allerdings voranstellen müssen, ist, dass sich Trends heute anders entwickeln als noch vor ein bis zwei Jahren. Sie entstehen in Subkulturen, in Communities. Und Marken müssen in der Lage sein, noch schneller, noch dynamischer, noch agiler darauf zu reagieren. Ein „Culture as a Service“-Tool, das wir anbieten, klingt vielleicht zunächst sperrig, aber es hilft ungemein, die Relevanz einzuschätzen – für den Wirkungsgrad, aber auch für die Marke selbst. Ist es ein Zeitgeist oder Modetrend, der vielleicht nur für eine Fashion-Saison relevant ist? Ist es ein kurzfristiger Hype auf Social Media, der zu mir als Marke passt? Stammt er wie das, was wir gerade bei KI erleben, aus der Technologie und wird tiefgreifende Veränderungen für unser Arbeitsleben auslösen? Hat ein Trend das Potential, sozialkulturelle Bewegungen anzustoßen, um vor allem Lebensstile und Einstellungen von Menschen, um Wertorientierungen, Bedürfnisstrukturen und Wünsche ganzheitlich zu verändern? Oder sprechen wir vielleicht sogar von einem so genannten Blockbuster-Trend mit großem epochalem Charakter, der ganze Gesellschaften und Generationen formt? Der Wirkungsgrad entscheidet auch, ob wir von eher oberflächlichen Aktivitäten sprechen oder ob eine Marke tief in das eigene Produkt eingreift und sich umfassend transformiert.

Wie gelingt es euch, wirklich am Puls der Zeit und tief drin in den Subkulturen zu stecken, um genau zu wissen, was gerade Trend ist? Was sind dabei die größten Herausforderungen?

Die Herausforderung steckt in Ihrer Frage. Immer am Puls der Zeit zu bleiben, ist schier unmöglich. Und es wäre unseriös, Marken und Partnern das exakt so zu versprechen. Wir beantworten diese Frage mit einem datengetriebenen, aber auch stark in der Kultur verwurzelten Ansatz – und lernen dabei jeden Tag selbst dazu. Zudem empfinden wir unsere Aufgabe als Cultural Marketing Agentur auch als eine edukative Aufgabe – gemeinsam mit Kund:innen und Marken, aber auch im Schulterschluss mit den tollen Partnern innerhalb der Serviceplan Group. Wir wollen nicht nur Projekte umsetzen, sondern das Bild von Cultural Marketing im europäischen Werbemarkt ganzheitlich prägen. Und dazu gehört es dann auch, zu verstehen, dass Cultural Marketing mehr ist als bloß Hip-Hop. Und mehr als nur einen K-Pop-Song auf die nächste Werbeanzeige bei TikTok zu legen oder Mitarbeitende für Employer Branding rappen zu lassen.

Mit einem eigenen Council besetzt ihr das Team für jeden Kunden so, wie er es für seine Culture braucht. Wie funktioniert das genau und was sind die Vorteile für Kunden?

Auch wenn Niko, Sven und ich als Leadership-Team sowohl kulturell als auch skill-basiert gänzlich verschieden sind, eint uns, dass wir alle drei weiß und privilegiert sind. Dass drei weiße Kommunikator:innen – zwei davon männlich – Marken erzählen, was Kultur ist und wie sie sie nutzen können, ist in sich ein Fehler. Trends entstehen nicht durch Massenmedien und Kultur nicht am Schreibtisch von Werbeagenturen. Mit der Gründung von Serviceplan Culture haben wir ein international wachsendes Cultural Council ins Leben gerufen. Eine Art Beratungsgremium, das in all seinen Facetten vielfältig ist. Dabei geht es uns nicht zwingend um große Namen, sondern um Haltung, um Wissen und Insights aus Communities, um ehrliches Feedback auf Augenhöhe. Für uns selbst, für unsere Agenturen innerhalb der Serviceplan Gruppe und für Kund:innen. Nie über die Kultur ohne die Kultur. Das Council ist also eine Art Produkt, was für uns bei der Zusammenarbeit mit Marken essentiell ist, und in früher Projektphase eingebunden wird – passgenau im Rahmen der Analyse, aber auch in der Aktivierung selbst. Völlig unabhängig, ob wir von einer umfassenden Marketing-Kampagne, einem Event oder der Bespielung von Social Media sprechen.

Habt ihr Kampagnenbeispiele, die ihr umgesetzt habt und die den Cultural Ansatz verdeutlichen? Was ist anders als bei anderen Kampagnen?

Unser Produktansatz ist in erster Linie strategisch. Wir erarbeiten also aktuell mit tollen Marken, welche Kultur oder Subkultur bestmöglich zu ihnen passt und wie sie sie langfristig aktivieren können. Dazu zählen Bestandskunden der Serviceplan Gruppe, aber auch Neukunden. Dabei steht unser Ansatz „De/Coding Culture“ vor allem dafür, Kultur oder Subkultur ganzheitlich zu verstehen – Werte, Normen, Sprache, Kanäle, Influencer:innen, Trends. Zu lernen, wie man innerhalb dieser Kulturen navigiert. All das sind Codes, die wir für Marken buchstäblich de-codieren. Damit einher geht auch der relevante Unterschied: Wir wollen kein kurzfristiges On/Off-Campaigning erreichen, sondern kulturell sensitives Marketing ermöglichen, mit und für die Kultur, mit und für Marken. Relevanz – oder besser Substanz – sind für uns bei Serviceplan Culture Normen, die am Ende den Unterschied machen und die Ernsthaftigkeit einer Marke im Umfeld von Cultural Marketing belegen.

Was meint ihr: Wie könnte sich die Kommunikation auf längere Sicht verändern, wenn ein Cultural Ansatz Einzug bei den meisten Unternehmen findet?

In erster Linie wird sie passgenauer an den Lebensrealitäten der Konsument:innen stattfinden. Es ist schon jetzt schön zu beobachten, wie sich Cultural Marketing in der Beratung nativ einfindet und dabei nicht alle Prozesse, Regeln oder Maßnahmen auf den Kopf stellt. Aber eben der „Kopföffner“ sein kann, um Zielgruppendenken, Content Creator Relations und Kreativmaßnahmen mal ganz neu zu denken. Und ich glaube fest daran, dass der Learning-Faktor in einer dynamischen Marketing-Welt nicht unterschätzt werden darf. Wenn Marken von der Stimme der Kultur lernen, aber auch die Stimme der Kultur Marken und ihre Ziele versteht, dann ist das ein großer Schritt getan, um Cultural Marketing zu einem zentralen Baustein des Advertising-Mixes zu machen.

 

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