Ist die Kirche eine Marke? Ein Gespräch zwischen Manfred Bruhn und Albrecht Grözinger
Viele Unternehmen sind der Überzeugung, dass sie ein starkes Produkt haben. Bei der Kirche wäre dies das Evangelium. Im Idealfall verkaufen gute Produkte sich von selbst. Heute gibt es aber einen immer grösseren Wettbewerb der Ideen und dieser Effekt bleibt somit häufiger aus. Wie geht die Kirche damit um? An wen verliert die Kirche ihre Kunden? Was sind Ideen für die Zukunft? Und ganz grundsätzlich: Ist die Kirche eine starke Marke?
Manfred Bruhn: Meinen ersten intensiven Kontakt mit der Kirche in einem Marketingkontext hatte ich im Jahr 1999 bei der Ökumenischen Basler Kirchenstudie. Ich frage mich, ob sich seitdem wirklich viel verändert hat. Wieso öffnet sich die Kirche nicht stärker nach aussen?
Albrecht Grözinger: Das hat vor allem historische Gründe. Denn historisch gesehen ist die Kirche marktablehnend. Und diese Gruppe von Kirchenvertretern gibt es noch heute. Daneben gibt es heute aber auch eine andere Gruppe. Und die sagt, wir müssen uns öffnen! Diese Gruppe hat übrigens auch ein anderes Marktverständnis. Sie sieht die Kirche auf dem Markt der Weltanschauung. Die jüngere Generation hat die Herausforderung also angenommen. Aber: Wir hatten jahrelang ein Monopol. Wir sind eine Firma ohne Erfahrung im Marketing!
«Historisch gesehen ist die Kirche marktablehnend.»
Sie sagen es selbst: Die Kirche hat die Monopolstellung verloren. An wen verlieren Sie denn heutzutage Ihre «Kunden»?
Wir verlieren natürlich an die Freikirchen. Aber das ist nicht der Kern. Vor allem verlieren wir an Museen, Kunst usw. Also an den Markt der Sinndeutung. Die Ressourcen für Lebensfindung/Sinndeutung haben sich heute vervielfacht. Zum Beispiel ist das Thema Achtsamkeit geradezu ein Trend. Aber dazu geht man eben nicht zur Kirche, sondern sucht sich den Rat anderswo.
Um in diesem Wettbewerbsumfeld zu bestehen, gibt es ein paar wesentliche Erfolgsprinzipien für Dienstleistungsunternehmen. Ganz voran Interaktion mit den Zielgruppen und Dialog auf Augenhöhe. Pflegt die Kirche nicht zu wenig Interaktion? Müssten nicht Beziehungen besser gepflegt werden?
Die Baselstädtische Kirche versucht gerade, dies mit einer Mitgliederbefragung herauszufinden. Aber ich bin mir sicher, das wird versickern. Man kann nicht nur eine Studie machen, man muss dann auch liefern. Und das ist abhängig von den Pfarrern in den Gemeinden. Die einen wollen einen Rennwagen verkaufen, die anderen einen Oldtimer.
Das klingt, als wenn Sie ein Führungsproblem hätten?
Sie haben in gewisser Weise recht. Das Problem ist auf unterer und mittlerer Führungsebene. Das Hauptproblem aber ist: Wir haben keine Corporate Identity. Das ist auch nicht einfach, aber schauen Sie die USA an, dort gibt es Kirchen mit einer starken Corporate Identity. Wir waren zu lange eine Obrigkeitskirche.
«In den USA gibt es Kirchen mit einer starken Corporate Identity.»
Neben der Stärkung der eigenen Corporate Identity versuchen heute viele Unternehmen sog. Influencer aufzubauen. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Es gibt wieder Intellektuelle, die sich für die Kirche interessieren. Aber die Kirche ist zu zögerlich, das zu nutzen. Man fragt sich zu oft, ob das dem Evangelium angemessen ist. Es war schon ein Fortschritt, dass wir reaktiv geworden sind! Allerdings war der Fehler, dass wir in den letzten 20 Jahren viel Kraft darauf verwendet haben, an eigenen Strukturen und der Ausbildung zu arbeiten. Aber nicht an den Beziehungen nach aussen.
Es findet demnach zu oft kein Dialog statt. Keine Öffnung! Unternehmen, Menschen, Kirche müssen sich aber dem Wandel stellen. Ist die Kirche da richtig aufgestellt?
Auf jeder Website von Kirchen steht «Offenheit» – aber das kommt nicht an. Es gibt viele empirische Umfragen: Dort, wo über Pfarrer geredet wird, sind die Erlebnisse positiv. Aber nicht, wenn über die Institution gesprochen wird.
Es findet also kein Transfer von der Beziehung zum Pfarrer/Pfarrerin vor Ort und der Institution Kirche statt. – Dies würde aber eine starke Marke ausmachen. Denn Marke bedeutet, dass klar ist, wofür eine Institution bzw. ein Produkt steht. Und starke Marken haben Anziehungskraft. Aber genau dies scheint bei der Kirche nicht klar zu sein. Es fehlt eine Marke, für die die Leute gerne spenden, wo sie gerne hingehen, wo sie gerne arbeiten…
Wir haben eine starke Marke: das christliche Menschenbild und jahrhundertelange Erfahrung.
«Wir haben eine starke Marke: das christliche Menschenbild.»
Aber das ist die Innensicht! Wenn Ihr nach innen stark seid, wieso nicht auch nach aussen?
Wir haben die Chancen nicht erkannt. Wir haben uns zu lange mit unserer eigenen kritischen Geschichte beschäftigt. Heute ist Religion in unterschiedlichem Kontext wieder ein Thema, aber die Kirche hat es nicht geschafft, sich dort richtig aufzustellen.
Was denken Sie, sind dafür die Ursachen?
(denkt lange nach…) Die Kirche muss auch mit vielen Schwierigkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung kämpfen. Zum Teil sind unsere Probleme selbst verschuldet. Die Kirche ist heute völlig anders, aber das bringt man nicht rüber.
Marken müssen Themen besetzen: Agenda Setting, Content Marketing. Jede Marke würde sich freuen, wenn sie so viele Themen wie die Kirche hätte. Wieso nutzt Ihr das nicht mehr?
Ich bin überfragt! – Aber wir machen Fortschritte. Es gibt wieder neue Eintritte.
Es hört sich so an, als wenn Sie die Inhalte hätten, aber es mangelt an Strukturen und Prozessen.
Das ist richtig. Hinzu kommt das Kantönli-Denken in der Schweiz. Die Dezentralität ist an dieser Stelle kontraproduktiv.
Welche relative Bedeutung hat die Marke denn schlussendlich für die Kirche?
Marke und Kirche… Das Problem ist, dass die Kirche sich maximal auf ein bestimmtes Label einigen kann. Sie ist hoch plural. Man ist sich noch nichtsmals einig, was der Kerninhalt des Evangeliums ist. Selbst wenn sich die Führung einigen könnte, würde die Mitarbeiterschaft nicht mitmachen. Die Kirche funktioniert nicht hierarchisch.
Wir sehen, es gibt noch einige offene Fragen und Aufgaben für die Zukunft. Unser Gespräch sollte ja vor allem eine Bestandsaufnahme sein. Aber haben wir Phantasie genug, was sich in 50 bis 100 Jahren ändern kann?
Für mich ist nicht das primäre Ziel, dass die Zahlen steigen. Mein Ziel ist, dass Leute, die kaufen, auch zufrieden sind. Sie sollen sagen, dass es sich gelohnt hat zu kommen. Aber die Dinge hängen natürlich zusammen. Wir müssen am Dialog mit unseren Zielgruppen arbeiten und gleichzeitig auch am Image unserer Marke.