Die Arbeit: Ein Stück vom Glück

Die meisten Erwachsenen verbringen einen Grossteil ihrer Zeit bei der Arbeit. Da scheint es ganz selbstverständlich, dass diese nicht nur Spass, sondern regelrecht glücklich machen soll. Bloss: Was ist das überhaupt, Glück? Und haben wir einen Anspruch darauf?

(Bild: Getty Images)

Die meisten Erwachsenen verbringen den Grossteil ihres Lebens bei der Arbeit. Obwohl diese oftmals anspruchsvoll, stressig und sogar überfordernd sein kann, gilt Arbeitslosigkeit als grösster Unglücksfaktor. Denn für viele Menschen ist die Arbeit nicht nur Gelderwerb, sondern die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen; Sinn und Glück im Leben zu finden. Doch ist es realistisch, von unserer beruflichen Tätigkeit zu erwarten, dass sie uns glücklich macht? Ist es nicht ausreichend, schlicht zufrieden zu sein mit dem Arbeitsalltag?

Leben im Hamsterrad

Die Vorstellung, im Beruf auch persönliches Glück zu finden, war lange Zeit undenkbar. Wer 14 Stunden pro Tag an 7 Tagen die Woche Eisen schmiedet, hat wenig Raum für die Reflexion über Glück. Zur Zeit der Industrialisierung und des aufkommenden Kapitalismus dominierten die Gedanken des Wirtschaftswachstums und materiellen Gewinns die Arbeitswelt. Eine Dynamik, die zu katastrophalen Arbeitsbedingungen führte: Die durch die Industriezentren beförderte Landflucht führte zu einem Überangebot von Arbeitskräften in der Stadt. Die einzelne Arbeitskraft war daher wenig wert und Fabrikbesitzer hatten die Freiheit, nach eigenem Ermessen Arbeitszeiten zu verlängern, Löhne zu kürzen und alte oder kranke Arbeiter:innen per sofort zu entlassen – denn es gab stets ausreichend Ersatz. Noch um 1860 waren Wochenarbeitszeiten von 78 Stunden die Norm.

«Die Vorstellung, im Beruf auch persönliches Glück zu finden, war lange Zeit undenkbar.»

In einer Welt, in der Arbeit zum Lebensinhalt geworden und der treibende Gedanke das wirtschaftliche Wachstum war, schienen Beruf und Glück in zwei völlig verschiedenen Realitäten zu existieren. Max Weber beschrieb diese Situation in einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienenen Abhandlung als ein Hamsterrad von Arbeit, Alltag und Konsum, um das Bruttosozialprodukt zu steigern. So viel Reichtum, so viel Armut hätte es noch nie in einem System gegeben, das die Beteiligten zu einem Leben und Arbeiten in einem stahlharten Gehäuse der Hörigkeit verpflichte. Das «Berufsmenschentum», konkludiert er, müsse «ohne Gott und Ideale» auskommen.

«Lebensinhalt wird (…) ein Hamsterrad von Arbeit, Alltag und Konsum.»

Doch der Schweiss scheint sich ausgezahlt zu haben: Der Kapitalismus hat uns nie dagewesenen Wohlstand beschert. Viele Maschinen sind heute so fortgeschritten, dass sie uns eine Vielzahl anstrengender und repetitiver Vorgänge abnehmen können. Politische Errungenschaften wie soziale Absicherung und Arbeitsschutz haben die Lebensqualität gesteigert. In der Folge hat sich auch die Einstellung zum Zweck des Wirtschaftens gewandelt: Insbesondere die jüngeren Generationen Y und Z sind sich bewusst, dass das Versprechen vom Wirtschaftswachstum nicht um jeden Preis eingehalten werden muss, wenn dabei Mensch, Tier und Umwelt Schaden nehmen. In einem langsamen, aber stetigen Prozess wird die Arbeitstätigkeit von der Profitsteigerung entkoppelt und durch Ideale wie Umweltschutz, soziale Verantwortung und persönliches Glück ersetzt.

Der Megatrend «New Work»

Dieser Wertewandel manifestiert sich ebenfalls in einer neuen Auffassung von Fortschritt und Konsum. Der Wert eines Produkts definiert sich nicht mehr nur über teure Materialien, sondern ergibt sich aus einer Kombination aus Qualität, Umweltbewusstsein und ethischen Werten, die mit dem ganzen Lebenszyklus des Produkts zusammenhängen. Corporate Social Responsibility hat sich sogar zu einem wirtschaftlichen Vorteil entwickelt. Denn nicht nur der Konsum kann dadurch in starken Zielgruppen wie den Glamour Greens angetrieben werden, eine Firma kann durch die Vertretung ethischer Werte auch als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden. Das ist ein Vorteil, der heute immer wichtiger wird: Diametral zum Überfluss von Arbeitskräften während der Industrialisierung verzeichnet der globale Fachkräftemangel heute Rekordzahlen. Ein authentischer Corporate Purpose motiviert die Mitarbeit an einer gemeinsamen sinnvollen Vision, und durch Arbeitsmodelle wie Remote Work sorgen sich die Unternehmen sogar um das psychische und private Wohlbefinden der Angestellten. All dies bewirkt eine fundamentale Umwertung von Beruf und Arbeit: Freizeit und Arbeitszeit sollen sich angleichen. Arbeit heisst nicht mehr mühsame Pflicht, sondern soll ein integraler Bestandteil eines erfüllten Lebens sein und kann diesem sogar Sinn stiften.

Was Glück ist

Vor dem neuen Arbeitstrend wurde vor allem Zufriedenheit mit der Arbeit in Verbindung gebracht. Auch heute antworten Menschen oft mit dem Begriff der Zufriedenheit, wenn sie nach Glück gefragt werden. Bei genauerer Betrachtung lassen sich die beiden eng verbundenen Begriffe aber differenzieren: Laut einer qualitativen Studie der Glücksforscherin Ricarda Rehwaldt aus dem Jahr 2017 entsteht Zufriedenheit eher «durch äussere Umstände wie die erwartete Belohnung extrinsisch motivierter Tätigkeiten (etwa das Gehalt)». Glück dagegen zeichnet sich durch intrinsisch motivierte, «aktive und selbstbestimmte Tätigkeiten» aus.

«Arbeit heisst heute nicht mehr mühsame Pflicht, sondern kann dem Leben sogar Sinn stiften.»

Dies erklärt, weshalb Glück erst nach Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit Arbeit in Verbindung gebracht wurde: Mit der Definition von Rehwaldt hat Glück am Arbeitsplatz erst dann eine Chance, wenn die berufliche Tätigkeit nicht allein auf die Akkumulation von materiellem Gewinn ausgerichtet ist. Glück in der Arbeit findet, wer diese unabhängig von äusseren Faktoren als Tätigkeit selbst, also intrinsisch erfüllend und sinnstiftend, wahrnimmt. Allerdings ist dies ein teurer Luxus: bei der Arbeit nicht nur auf Geldverdienen aus sein zu müssen.

Wie viel kostet das Glück?

Der moderne Trend vom Arbeitsglück ist von einer unauflöslichen Spannung durchsetzt: Einerseits kann Arbeit per definitionem nur dann glücklich machen, wenn sie nicht extrinsisch durch materiellen Gewinn motiviert ist – andererseits kann sich diese Arbeitseinstellung aber nur leisten, wer schon genügend materielle Ressourcen beiseite geschafft hat. In ihrer erst kürzlich publizierten Studie gelangen der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und Matthew Killingsworth zu der faszinierenden, wenn auch ernüchternden Erkenntnis, dass die glücklichsten 30 Prozent der Weltbevölkerung ein Jahreseinkommen von über 100 000 Dollar haben. Nach diesen Zahlen scheint Glück ein Luxus der Wohlstandsgesellschaft zu sein. – Ein Ergebnis, das jedoch zur Beschreibung von Glück als «intrinsisch motivierte, aktive und selbstbestimmte Tätigkeit» nur bedingt passt, weil Entlohnung einer Tätigkeit immer äusserlich bleibt.

«Mitunter bedarf Glück einer anderen Art von Interpretation: ‹Eudaimonia› statt Hedonie und Dopamin.»

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Glück auch ganz anders als durch Wohlstand erreicht werden kann: Circa 400 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung kam Diogenes zum Schluss, dass Glück und Besitz miteinander unvereinbar seien. Er entschied sich konsequent für ein Leben in völliger Unabhängigkeit und Armut. Als ihm Alexander der Grosse einen Wunsch freistellte, soll Diogenes gesagt haben: «Geh mir nur ein wenig aus der Sonne.» Alexanders Geleit begann zu spotten über den armen Mann, Alexander der Grosse soll vor Rührung und Bewunderung jedoch ausgerufen haben: «Wahrlich, wäre ich nicht Alexander, ich möchte wohl Diogenes sein!» Denn Diogenes wusste, dass Glück auch so einfach sein kann wie ein warmer Sonnenstrahl, der alles Gold der Erde in den Schatten stellt.

Glückseligkeit

So glänzend die Entwicklungsgeschichte vom «stahlharten Gehäuse der Hörigkeit» hin zum Glück am Arbeitsplatz durch Remote Work, New Work und Corporate Social Responsibility scheinen mag – dem Anspruch auf persönliches Glück am Arbeitsplatz droht der Elitismus. Er kann zur Abwertung gewöhnlicher Berufe führen und sogar bewirken, dass wir unglücklich werden, wenn wir kein Glück bei der Arbeit verspüren. Dabei ist der Zustand, in welchem man kein Glück verspürt, nicht unbedingt Unglück, sondern die Normalität: Wer den Müll von der Strasse räumt, den Bus fährt oder alte Menschen im Altersheim pflegt, wird bei seiner Arbeit eher selten vor Freude jauchzen. Doch das bedeutet nicht, dass diese Berufe nicht auch glücklich machen können. Nur bedarf diese Art von Glück einer anderen Interpretation: Es geht nicht um Sorglosigkeit, Selbstverwirklichung, Individualismus, Hedonie oder Dopamin, sondern um die Erfüllung einer sinnstiftenden Arbeit, die sich in das Selbstverständnis eines Lebens und in das Narrativ einer Kultur und Gesellschaft eingliedern lässt. Doch dieses Narrativ kann nicht in der Jobbeschreibung nachgelesen werden. Sinn kann nur der jeweils handelnde Mensch erschaffen. Und wem sein Tun Sinn macht, wird wahrscheinlich nicht jubeln – aber er wird erfahren, was ein anderer Grieche namens Aristoteles einst «Eudaimonia» genannt hat: Glückseligkeit.

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