Solidarisch bis zur Schmerzgrenze

Pressedistribution In Deutschland wälzen die Verlagshäuser ihre Verluste neuerdings teilweise auf den Zwischenhandel ab. Schon im laufenden Jahr verzichten die Grossisten auf 26 Millionen Euro Erlöse, Tendenz steigend.

Pressedistribution In Deutschland wälzen die Verlagshäuser ihre Verluste neuerdings teilweise auf den Zwischenhandel ab. Schon im laufenden Jahr verzichten die Grossisten auf 26 Millionen Euro Erlöse, Tendenz steigend.Weil die Umsätze der deutschen Verlage stetig weiter einbrechen, müssen die deutschen Pressegrosshändler deftige Margenkürzungen akzeptieren. In diesbezüglichen Verhandlungen fliegen immer wieder die Fetzen, schliesslich geht es um viel Geld. Im Prinzip sogar um die Existenz des deutschen Pressevertriebssystems, das im Wesentlichen in der flächen- deckenden Versorgung durch Gebietsmonopolisten besteht.
Nach einem monatelangen Hauen und Stechen wurden die abgelaufenen Verträge zwischen den Verlagen und dem Grosso nun erneuert. Ein Happyend also – zumindest für die Verlage. Denn die Grossisten müssen in den kommenden fünf Jahren den Gürtel bedeutend enger schnallen. Allein im laufenden Jahr streichen die Pressegrosshändler 26 Millionen Euro weg. Geld, mit dem die mehr oder minder angeschlagenen Verlage nun einen Teil ihres weggebrochenen Anzeigengeschäfts kompensieren können.
Rabiate Methoden
Zu den grossen Gewinnern des Margen-Fights gehört der Hamburger Axel Springer Verlag (ASV). Statt wie bisher 13,3 Prozent gibt es rückwirkend ab Januar für die Grossisten bei Bild nämlich nur noch 10,6 Prozent Rabatt. Zwar erhöht sich die Rabattstaffel während der Vertragslaufzeit (bis Ende 2008) jährlich um 0,2 Prozent. Trotzdem: Auf Grund des neuen Grosso-Vertrags spart Deutschlands umsatzstärkstes Verlagshaus nach Schätzungen von Insidern allein in diesem Jahr satte 5,5 Millionen Euro. Im Fall von Bild hoffen allerdings auch die Grossisten auf Mehrumsätze, und zwar durch die Preisanhebung von 40 auf 50 Cents, die bis Mai sukzessive im Bundesgebiet West durchgeführt wird. Der Einigungsprozess sei schwierig, letztlich aber konstruktiv gewesen, erklärt denn auch ein sichtlich zufriedener Rudolf Knepper aus dem ASV-Vorstand.
Neben Springer (Zeitungen) hat auch die Verlagsgruppe Bauer (Zeitschriften) als zweiter Verhandlungsführer besonders ausdauernd und kräftig an den Preisschrauben gedreht. Der Branchendienst Medien aktuell spricht gar von «der grössten Rabatt-Balgerei aller Zeiten». Weil sich die Auseinandersetzungen über Monate hinzogen, hatte Bauer seine Margen zwischenzeitlich sogar einseitig gekürzt. Proteste und Rechnungskürzungen beantwortete der Hamburger Magazinmulti (TV Movie, Bravo, Neue Revue) knallhart mit Mahnbescheiden. «Da ist eine Menge Porzellan zerschlagen worden», heisst es dazu aus Verhandlungskreisen.
«Ja, die Gespräche über die neuen Konditionen wurden mit einer bislang nicht da gewesenen Unerbittlichkeit geführt», bestätigt Gerd Kapp, Geschäftsführer des in Köln ansässigen Bundesverbands Deutscher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten. Nun müssten Wege gefunden werden, mit den hohen Einbussen fertig zu werden. Der Grosso-Geschäftsführer kündigt deshalb den «Wegfall bestimmter Leistungen» gegenüber den Verlagen an. Was das genau bedeutet, will oder kann Kapp derzeit noch nicht konkretisieren. Fest steht: Das Grosso lieferte den Verlagen bislang regelmässige, aktuelle und vor allem äusserst präzise Marktdaten. Wann und wo welches Magazin über die bundesweit verstreuten Ladentische geht – über die Datensysteme der Grossisten haben Bauer & Co. nahezu in Echtzeit Zugriff auf die Abverkaufsquoten. «Gerade im strategischen Bereich sind die Grossisten wichtige Partner», sagt denn auch Lutz Zimmermann vom Hamburger Milchstrasse-Verlag. Bleibt also abzuwarten, welche Gebühren-Neuordnung demnächst auf die Verlage zukommt.
Wieder zusammengerauft
80 Grosso-Firmen beliefern derzeit knapp 117000 Verkaufsstellen im deutschen Markt, Tendenz fallend. Vor drei Jahren noch waren es 91 Grossisten mit rund 200000 Verkaufsstellen (siehe Kasten «Grosso»). Als eine Folge der neuen Rabattregeln rechnet nicht nur der Verband der Grossisten mit weiteren Fusionen und Kooperationen. «Auch uns haben die schweren Anzeigen- und Auflageneinbrüche der letzten Jahre viele Kompromisse abgefordert», hielten die Verlagsbosse bislang dagegen. Nun heisst es plötzlich unisono, «nur gemeinsam können wir die Zukunft meistern». So kündigte Bauer an, zusammen mit dem Grosso «die vorhandenen Absatz- und Erlöspotenziale für Verlag und Grossisten» zu erschliessen. Und Springer will dem Vernehmen nach einen Arbeitskreis zur Optimierung von Qualität und Leistung im Pressevertrieb ins Leben rufen.
Mit vereinten Kräften will man noch näher an den Kunden. Keine einfache Sache. Mit einer Händlerdichte von immer noch 1,4 führenden Geschäften je 1000 Einwohner hält Deutschland, so Ludwig von Jagow vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), nach wie vor einen Spitzenplatz in Europa. Aber vielleicht können ja Aldi, Lidl & Co. helfen. Die Discounter sind seit Jahren die Musterschüler im darbenden deutschen Detailhandel. Nur zum Lesen gibts bisher nichts bei ihnen zu kaufen. Die Gründe: Zu geringe Margen, zu hoher Personalaufwand, zu aufwändige Abrechnungen.
Das soll sich nun ändern. Springer hat zusammen mit dem Grosso eine Vereinbarung mit der Tengelmann-Tochter Plus abgeschlossen. Demnach soll die Bildzeitung ab Anfang Mai in speziellen Containern an den Kassen der 2500 Plus-Filialen aufliegen. Ein zweiter Vorstoss ins Billig-Reich wird derzeit von einem Presse-Container auf dem Aldi-Parkplatz in Neu-Wulmstorf aus lanciert (siehe Kasten «Aldi»).
Das deutsche System der so genannten «Überall-Erhältlichkeit» von Presseprodukten hat also seine bisher schwerste Belastungsprobe überstanden. Zu diesem erfreulichen Ergebnis kam auch eine Anhörung vor dem Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags. Struktur und Aufgabenerfüllung des Presse-Grosso fanden in Berlin Anerkennung und Zuspruch. Ein Sprecher des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) erklärte daraufhin, dass es von Verlagsseite keine Bestrebungen gebe, Grosso-Betriebe aufzukaufen – und bestätigte damit indirekt die Unabhängigkeit dieses Vertriebssystems. Auch Jörg Laskowski, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, versichert: «Es gibt keinerlei Grund, sich in diesen funktionierenden Wirtschaftskreislauf einzumischen.» Zum vollkommenen Glück fehlt demnach nur noch eines: der Aufschwung im Auflagen- und Anzeigengeschäft.
Der Presse-Container neben dem hoch frequentierten deutschen Einzelhändler Aldi soll mithelfen, die Anzeigenmisere abzufedern.
Zeitschriften aus dem Aldi-ContainerAuf der Suche nach neuen Absatzmöglichkeiten sind Verlage und Grossisten bei Aldi und anderen Discountern gelandet: In Neu-Wulmstorf bei Hamburg steht auf einem Parkplatz vor Aldi Deutschlands erster Presse-Container. Hinter dem Pilotprojekt stecken die Verlagshäuser Heinrich Bauer, Axel Springer und Gruner+Jahr. Sie bieten dort rund 130 Magazine an. Offizieller Betreiber ist der Bauer-eigene Grossist Verlagsvertriebs KG (VKG). Nach einer harzigen Anlaufphase gilt das Projekt intern als geglückt. So spricht VKG-Manager Jens Wegener von «einem System, das gute Umsätze bringt».
Entsprechend sind für dieses Jahr noch vier weitere Teststandorte geplant. Am 6. Mai öffnet auf einem Lidl-Parkplatz in der Nähe von Kassel (Hessisch-Lichtenau) der zweite Presse-Container seine Pforten. Diesmal stehen sogar 150 Zeitschriften von sechs Verlagen (zusätzlich Burda, Spiegel und Milchstrasse) zur Auswahl. Mit dem Kiosk-Container will Wegener dem veränderten Konsumverhalten der Bevölkerung Rechnung tragen: «Die Nähe zu den Discountern ist auf Grund deren hoher Kundenfrequenz in diesen Märkten sehr attraktiv.» (pe)
Das deutsche Presse-GrossoDie 80 deutschen Zeitungs- und Zeitschriftengrossisten erzielten 2002 einen Branchenumsatz von 3,05 Milliarden Euro. Vor drei Jahren lag dieser (berechnet als Abgabepreise an den Einzelhandel ohne Mehrwertsteuer) noch 70 Millionen Euro höher. Interessant ist das aktuelle Ost-West-Verhältnis: Vom letztjährigen Umsatz wurden nur gerade 447 Millionen in den Neuen Bundesländern erzielt.
Das deutsche Grosso hat sich zum flächendeckenden Vertrieb für alle Presseerzeugnisse verpflichtet, stellt deshalb Gebietsmonopolisten und erhält von den Verlagen beim Einkauf Rabatte. Bei diesen Verhandlungen spielen die Verlage Bauer (für Zeitschriften) und Springer (für Zeitungen) die Hauptrolle. Die Produkte dieser Grossverlage sorgen für rund 50 Prozent des Umsatzes. In der zweiten Reihe stehen Gruner+Jahr und Burda. Der Rest folgt weit abgeschlagen. Entsprechend lautet ein ungeschriebenes Branchengesetz: Was die grossen Zwei aushandeln, gilt für alle.
Auf Grund seines Netzes ist das Grosso mit einem Marktanteil von 52 Prozent heute Deutschlands grösster Presseverkäufer. Danach folgen der Bahnhofsbuchhandel (mehrheitlich in den Händen der Valora-Gruppe), der Buch- und Zeitschriftenhandel, der Abo-Verkauf und die Lesezirkel. Das Grosso beliefert zurzeit knapp 117000 Verkaufsstellen und verkaufte 2002 dort fast 3,6 Milliarden Zeitungen und Zeitschriften, rund sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Das Ordersortiment beinhaltet über 4000 Titel. Das durchschnittliche Präsenzsortiment hingegen umfasst etwa 1850 Titel. (pe)
Peter Ehm

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