Jahrbuch «Qualität der Medien» 2017: sechs Hauptbefunde

Die Hauptbefunde des Jahrbuchs «Qualität der Medien» 2017 des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich wurden am Montag in Bern vorgestellt.

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Sie belegen, dass der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit weiter voranschreitet. Das Internet und besonders die Plattformen der globalen Tech-Intermediäre haben sich demnach zur zentralen Instanz der Öffentlichkeit entwickelt. Damit verändern sich Form und Struktur der Öffentlichkeit. Schaut man auf die Medienanbieter mit ihren Angeboten und auf die Reichweiten, die solche Angebote erzielen, nimmt die Öffentlichkeit die Form eines «langen Schweifes» an (vgl. Darstellung unten).

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«Vorne im Schweif» gibt es nur einige wenige reichweitenstarke Anbieter – dazu gehören in der Schweiz (noch) die professionellen Medienanbieter. «Hinten im Schweif» gibt es eine grosse Menge an Anbietern und Angeboten, die jeweils deutlich weniger Personen erreichen. Dazu gehören unter anderem die neuen professionellen Angebote, die professionellen PR-Dienste, die im Netz mittels Corporate Publishing einen direkten Zugang zum Publikum haben, und auch die umstrittenen sogenannten «alternativen» Informationsangebote.

Alle Anbieter «vorne» und «hinten» im Schweif geraten in den Sog der globalen Tech-Intermediäre und Plattformen. Manche scheinen momentan von ihnen zu profitieren, aber für die meisten Medienanbieter gestaltet sich die Beziehung zu den Tech-Intermediären und Plattformen äusserst schwierig und vor allem unvorhersehbar. Diese «Plattformisierung», die besonders von Google und Facebook ausgeht, setzt den professionellen Journalismus in der Schweiz unter Druck.

Vor diesem Hintergrund rückt das Fög in diesem Jahr folgende sechs Hauptbefunde ins Zentrum:

1. Professionelle Informationsmedien sind so wichtig wie nie zuvor: Der digitale Strukturwandel befördert in der Schweiz die Ausbildung einer «Long Tail»-Onlineöffentlichkeit. Diese ist durch eine weiter wachsende Konzentration im Bereich professioneller Informationsanbieter gekennzeichnet, die eine hohe Reichweite erzielen. Gleichzeitig wächst ein «langer Schweif» an Anbietern, die nur eine geringe Reichweite erzielen und sich nicht oder nur partiell an traditionellen Standards des professionellen Informationsjournalismus orientieren. Professionelle Informationsmedien sind deshalb so wichtig wie nie zuvor. Ihnen kommt die unverzichtbare Aufgabe zu, in der freien Wildbahn des digitalen Netzes eine Kuratierungs- und Kontrollfunktion wahrzunehmen.

2. «Digital First» auch in der Schweiz: Der digitale Strukturwandel zeigt sich auch darin, dass der Medienkonsum in der Schweiz immer mehr auf digitalen Kanälen stattfindet. Auch in der Schweiz informieren sich bereits 41 Prozent der Bevölkerung hauptsächlich über Newssites oder Social Media. Für Schweizer Medienanbieter ist zwar positiv, dass in der Schweiz die Onlinenutzung im internationalen Vergleich etwas mehr direkt über die Newssites und damit die Medienmarken selbst läuft als über Suchmaschinen oder über Social Media. Doch auch in der Schweiz sind die globalen Tech-Intermediäre als Zuleitungskanäle für News zunehmend wichtig und bei der jüngsten Altersgruppe sogar bereits das wichtigste Zugangsportal zu News. Dieser entbündelte Medienkonsum schwächt die Medienmarken der hiesigen professionellen Informationsanbieter. Zudem setzt die wirtschaftliche Dominanz der globalen Tech-Intermediäre den Informationsmedien auch ökonomisch zu.

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3. Wildwuchs im digitalen Netz: Die Strukturkrise im professionellen Journalismus begünstigt «hinten im Schweif» das Entstehen kontrovers diskutierter alternativer Medien, die sich in unmittelbarer Opposition zu den etablierten Informationsmedien positionieren und teilweise Verschwörungstheorien verbreiten. Diese fristen derzeit in der Schweiz noch ein Randdasein. Die geringe Polarisierung und das hohe Vertrauen in professionelle Medien schränken die Verbreitung von alternativen Medien in der Schweiz derzeit noch ein. Mit einzelnen Beiträgen können Alternativmedien allerdings, auch als Folge der Vernetzung untereinander, situativ hohe Reichweiten erzielen.

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4. Die Qualität von Newssites steigt: Viele professionelle Informationsanbieter «vorne im Schweif» betreiben nach wie vor messbar qualitätsvollen Journalismus auf mehreren Kanälen und die Qualität hat sich bei einigen Anbietern in den letzten drei Jahren verbessert. Vor allem die Qualität der professionellen Onlinenewssites, die lange Zeit schlechter waren als ihre Pendants aus Presse und im Rundfunk, ist merklich gestiegen. Zwar erzielen in der Summe in der Schweizer Medienarena nach wie vor Angebote mit geringer Qualität die grösste Reichweite. Doch auch mit guter Medienqualität lässt sich ein Massenpublikum erreichen. Beispiele für Medien, die gute Qualität mit Reichweite verbinden, sind neben Informationssendungen des öffentlichen Rundfunks unter anderem die Sonntagstitel Il Caffè, Le Matin Dimanche und die NZZ am Sonntag oder die Abonnementstitel Corriere del Ticino, 24 heures und der Tages-Anzeiger.

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5. Facebook drückt die Qualität der Informationsanbieter: Die sozialen Medien sind von ihrer basalen Funktionslogik her betrachtet Emotionsmedien und können einen qualitätsnivellierenden Effekt auf professionelle Informationsmedien ausüben, wenn sie sich dieser Logik zu stark beugen. So zeigt unsere neue Analyse des Angebots auf Facebook, dass viele untersuchte Informationsmedien auf Facebook und damit auf einer zunehmend bedeutenden Plattform für News eine geringere Qualität anbieten als auf den eigenen Kanälen. Anbieter von Abonnementszeitungen entziehen sich diesem Trend aber ein Stück weit. Zudem beweisen einzelne Medienanbieter, dass sie auch mit qualitativ guten Beiträgen auf Social Media Nutzerreaktionen auslösen können. Dies trifft auf Qualitätsmedien zu, die «profilkonform» auch auf Social Media Qualitätsbeiträge anbieten, auf die das Publikum reagiert.

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6. Konzentrierter Medienmarkt: «Vorne im Schweif» hat sich die in der Schweiz bereits hohe Medienkonzentration bzw. abnehmende Anbietervielfalt weiter akzentuiert. In der Deutschschweiz dominieren die drei grössten Schweizer Medienhäuser im Jahr 2016 71 Prozent des Online-Reichweitenmarktes der professionellen Informationsmedien. In der Suisse romande und in der Svizzera italiana sind es sogar je 88 Prozent. Die Vielfalt der Medienanbieter ist eindeutig eingeschränkt. Dazu kommen die jüngsten Entwicklungen bei Tamedia, einem dominanten Akteur im Schweizer Presse- und Online- Informationsmarkt. Die Ankündigung, in den nächsten Jahren verschiedene Titel noch stärker in zentralisierte Redaktionen zu integrieren, bedeutet eine weitere Einschränkung der Vielfalt der Medieninhalte, u.a. auf der Ebene der nationalen und internationalen Hardnews-Berichterstattung. Auch andere Medienhäuser werden vermutlich nachziehen. Zu diesem Bild passt die NZZ-Gruppe, welche die Einstellung der Printausgabe der Ostschweiz am Sonntag bekannt gegeben hat.

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