Corona und Desinformation: Bedeutung des Journalismus steigt
Qualitätsmedien leisten in der Corona-Pandemie eine Einordnungsfunktion und dämmen Desinformation ein. Doch die ökonomische Situation des Journalismus hat sich weiter verschlechtert. Die Akzeptanz für Medienförderung wiederum ist in der Schweiz relativ hoch.
Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft Fög der Universität Zürich hat am Montag sein Jahrbuch «Qualität der Medien 2021» veröffentlicht. Seit 2010 untersucht das Zentrum jährlich die Entwicklung der Schweizer Medien.
Dem Bericht zufolge sei das Thema Desinformation – also absichtlich verbreitete Falschnachrichten – mit der Corona-Pandemie definitiv in der Schweiz angekommen. Dies zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung, die das Fög Ende 2020 in der Schweiz durchgeführt hat.
Fast die Hälfte der Befragten (49%) schätzt Desinformation als «grosses» bis «sehr grosses» Problem ein, dies vor allem für die Bewältigung von gesellschaftlichen Krisen. Knapp ein Viertel gibt an, «oft» bis «sehr oft» auf Falschnachrichten zu stossen. Als Hauptquellen von Desinformation geben die Studien-Teilnehmenden soziale Medien (62%), Alternativmedien (39%), Videoportale (36%) oder Messenger-Apps (28%) an. Professionelle journalistische Medien wie Newssites (20%) oder das Fernsehen (13%) werden weniger oft als Quelle von Desinformation genannt. Im Gegenteil: Die Bevölkerung nutzt Informationen aus journalistischen Medien (61%) sowie von Bund und Behörden (68%), um den Inhalt von Fake News zu überprüfen.
Mehr Einordnung durch die Medien
Auch in der zweiten Welle der Pandemie schenken die Medien dem Thema Corona eine sehr hohe Beachtung – allerdings weniger als in der ersten Welle, trotz steigender Fallzahlen. Das Coronavirus wird auch seltener explizit als Bedrohung dargestellt (6%) als in der ersten Welle (16%). «Eine «Panikmache», wie dies den Medien häufig vorgeworfen wird, lässt sich somit empirisch nicht feststellen», sagt Medien-Experte und Fög-Direktor Mark Eisenegger. Der Anteil Medienbeiträge, die gegenüber den Behörden sehr positiv ausfallen, bleibt weiterhin tief (0,3%). Somit bestätigt sich der Vorwurf einer unkritischen «Hofberichterstattung» nicht. Zahlen und Statistiken werden im Vergleich zur ersten Welle von den Medien häufiger eingeordnet (21% vs. 12% in der ersten Welle), was positiv zu werten ist.
Eingeschränkte Vielfalt der Expert:innen
Ein weiteres Fazit des Berichts lautet, dass die Vielfalt der Expertinnen und Experten in der zweiten Pandemiewelle jedoch stark eingeschränkt bleibt. So dominieren weiterhin Stimmen aus der Medizin, Virologie und Epidemiologie, obwohl fast alle gesellschaftlichen Bereiche von der Pandemie betroffen sind. Weibliche Wissenschaftlerinnen sind zwar sichtbarer geworden (21% vs. 12% in der ersten Welle), bleiben jedoch weiterhin deutlich untervertreten gegenüber ihren männlichen Kollegen.
Diese Unterrepräsentation von Frauen besteht in der Medienberichterstattung auch jenseits der Corona-Berichterstattung, wie eine weitere Fög-Studie zur Darstellung von Frauen in Schweizer Medien zeigt. Eine eingeschränkte Diversität bestätigt sich ebenfalls bei der Untersuchung des Abstimmungskampfs zum Verhüllungsverbot vom 7. März 2021. Die betroffene muslimische Minderheit ist auf Twitter (13%) und in den Medien (11%) wenig sichtbar. Anstatt diese selbst zu Wort kommen zu lassen, wurde öfter nur generell über Musliminnen und Muslime gesprochen.
Mehr Qualität bei Pendler- und Boulevardmedien online
Dem Fög-Bericht zufolge bleibt die Medienqualität insgesamt stabil, verändere sich aber in einzelnen Dimensionen. Die Medien informieren mehr über Politik (37%, +5 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr) und weniger über Soft-News wie Sport (10%, -1,5 PP) und Human Interest (30%, -1,3 PP). Der Anteil Einordnungsleistungen in Form von Hintergrundbeiträgen gehe zum ersten Mal seit sechs Jahren nicht mehr zurück.
Medientypen wie der öffentliche Rundfunk und die abonnierten Newssites zeichnen sich weiterhin durch eine höhere Qualität aus. Doch die Pendler- und Boulevardmedien online können ihre Qualität aufgrund der Ereignislage und dem stärkeren Fokus auf Politik verbessern.
Die inhaltliche Konzentration, das heisst das Teilen von identischen Beiträgen in mehreren Medien, hat sich in der Deutschschweiz weiter akzentuiert. 2020 zeigt sich dies in fast allen Themenbereichen, insbesondere jedoch bei der Kulturberichterstattung.
Medienförderung wird stark akzeptiert
Die Corona-Pandemie hat die ökonomische Situation der Medien weiter verschlechtert, heisst es im Bericht. Erstmals seit 2014 sind auch die Einnahmen aus dem Online-Werbemarkt rückläufig. Zwar wächst die Zahlungsbereitschaft für Online-News leicht (17%, +4 PP). Dies reiche aber nicht aus, um den Journalismus nachhaltig zu finanzieren.
Eine aktivere Medienförderung stösst gemäss Fög nicht auf grundsätzliche Ablehnung. 37% der Befragten sind der Meinung, dass der Staat private Medien unterstützen soll, wenn diese in Schieflage geraten; 37% sind dagegen, 26% sind unschlüssig. Im internationalen Vergleich ist die Akzeptanz für eine direkte Medienförderung in der Schweiz damit auffallend hoch.
Guter Journalismus braucht Ressourcen
Die Resultate des Jahrbuchs zeigen, dass professionelle Medien durch die Pandemie nochmals an Bedeutung gewonnen haben. Medien bieten Orientierung, versorgen die Bevölkerung mit zuverlässigen Informationen und sind auch in der Lage, Falschnachrichten zu prüfen und zu widerlegen. Guter Journalismus, der seinen demokratischen Funktionen nachkommen soll, braucht Ressourcen. «Es zeichnet sich immer mehr ab, dass qualitativ hochwertiger Journalismus nur durch eine direkte Medienförderung zu finanzieren ist», ist Eisenegger überzeugt. Diese sollte insbesondere auch kleinere mediale Anbieter und Startups unterstützen, die zur Stimmenvielfalt und zur Information der Bevölkerung beitragen. (pd/swi)