Was bedeutet eigentlich… «Grenznutzen»?
Benno Maggi befasst sich in seiner Kolumne «Was bedeutet eigentlich…?» mit Begriffen aus dem Marketing- und Kommunikationsbereich. Dieses Mal behandelt er den Begriff «Grenznutzen».
Was um Himmelswillen ist das denn jetzt, fragen sich wohl viele Kreativen gerade, wenn Kunden dieses Wort in den Mund nehmen. Es ist einer dieser Begriffe, die Empfänger schnell lernen sollten. Aber Obacht, es ist auch einer, deren Deutung man zu verstehen glaubt und dann doch überrascht wird, dass etwas ganz anderes damit gemeint ist. Der Begriff «Grenznutzen» stammt aus dem Bereich der Nutzentheorien – ja so etwas gibt es tatsächlich. Nutzentheorien sind Modelle, die das Wahl- oder Entscheidungsverhalten von Personen beschreiben.
Entscheidungen, die Menschen treffen, sind nämlich abhängig vom Nutzen, den wir unseren Entscheidungen zuschreiben. Kunden entscheiden sich beispielsweise für eine Agentur oder einen der drei Vorschläge, welche ebendiese Agentur präsentiert hat. Sie tun dies immer abhängig vom Nutzen, den dieser Entscheid für sie bringt. Kein Ärger mit den Verwaltungsräten, den Chefs, den Kolleginnen und Kollegen oder der Konkurrenz steht dabei oft im Vordergrund. Der Nutzen für die Sache steht hingegen meist eher im Hintergrund. Ausser vielleicht, wenn es um einen Award-Gewinn geht. Dort wiederum kann der Nutzen sowohl für den Kunden wie auch für die Agentur als Legitimation dienen, alles richtig gemacht zu haben – auch wenn Absatzzahlen das Gegenteil behaupten.
In der Theorie bezieht sich eine Entscheidung selten auf ein Attribut (Nutzen eines Merkmals) einer gewählten Option, sondern wie oben beschrieben halt meist auf eine Vielfalt von als wichtig erachteter Attribute. Diese können in der Praxis Empfehlungen des VRs, des Kumpels des Chefs, das Versprechen an die Kollegen oder eben das Award-Potential sein. Diese zusammen ergeben dann den Grenznutzen, wenn es eigentlich darum ginge, das Image einer Marke zu optimieren, eine Firma besser zu positionieren oder ein Konsumgut besser zu verkaufen.
Das Ende von «Nützt’s nüt so schadt’s nüt»
Vom abnehmenden Grenznutzen ist aktuell oft die Rede. Gemeint ist, dass mit jeder zusätzlich konsumierten Einheit eines Gutes der zusätzliche Nutzwert (also der Grenznutzen) in der Regel abnimmt. Erinnern wir uns an das erste Smartphone: Der Nutzwert dieses Zauberding war anfangs sehr hoch, weil es so viele Dinge in sich vereint hatte, dass wir fortan weder Laptop, Agenda, Fotoapparat oder iPods mit uns herumtragen mussten, sondern nur noch ein Smartphone. Notabene nennen wir es immer noch Telefon, obwohl die Screen-Time-Ansage zum Wochenbeginn aufzeigt, dass wir das Gerät mittlerweile kaum mehr zum Telefonieren brauchen. Der Grenznutzen wird also wichtiger als der eigentliche Nutzwert.
Dass jetzt dieser Begriff aus der Ökonomie die Kreativbranche flutet, ist für viele von grossem Nutzen. Denn er wird meist herangezogen, um zu bestimmen, wie viele Einheiten eines Produktes Konsumenten kaufen werden. Das sind zwar Marketing-Basics, aber in der Kreativbranche meist ein lästiges Element auf dem Weg, Awards für kreative und nicht zwingend nützliche Arbeiten zu erlangen. Hingegen den Kunden der Kreativagenturen dient der Grenznutzen dazu, ihre Entscheidungen zu optimieren – sie konsumieren die Dienstleistungen der Agenturen bis zu dem Punkt, an dem der Grenznutzen den Grenzkosten entspricht oder der Grenznutzen eben abnimmt. Also genau hinhören, wenn ein Kunde von sinkendem Grenznutzen spricht. Er oder sie könnte schon bald daraus wirtschaftliche Schlussfolgerungen ziehen.
* Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er lauscht seit über 30 Jahren in der Branche und entdeckt dabei für uns Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach so verwendet werden können.