Von Pionieren, Passion und Passaia
Das exotische Erfrischungsgetränk Passaia aus dem Hause Rivella feiert seinen 50. Geburtstag – eine Markengeschichte voller Pioniergeist, Leidenschaft und Black Beautys.
Ein Pionier. Vor dem geistigen Auge steht ein bärtiger Mann mit einer Waschbärenfell-Mütze und einer doppelläufigen Flinte in der Hand. Bereit, Neuland zu betreten, zu erobern, Dinge zu tun, die noch keiner zuvor getan hat. Streift man die Lederstrumpf- Romantik ab und wendet sich der Schweizer Wirtschaftswelt zu, so finden sich auch ein paar Pioniere – zumindest in der jüngeren Vergangenheit: Gottlieb Duttweiler, die Lichtfigur der Migros, Mövenpick-Gründer Ueli Prager und – um im weiteren Sinne im Gastronomie- und Lebensmittel-Sektor zu bleiben – Robert Barth, Firmengründer von Rivella. Ihnen ist mindestens etwas gemein: das kultige Tafelgetränk Passaia.
Keinem Menschen war bis 1952 in den Sinn gekommen, ein Erfrischungsgetränk auf der Basis von Milchserum zu kreieren. Wer damals von der Idee Robert Barths hörte, verzog oft angewidert den Mund und winkte ab. Das kann nicht gut schmecken. Die Erfolgsgeschichte von Rivella, dem ersten Sponsor der Schweizer Ski-Nationalmannschaft, ist das Beispiel einer Vision und des Willens eines wahren Patrons. «Wir erhielten immer wieder Anfragen von Unternehmern aus dem Ausland, die etwas Neues suchten», erinnert sich Kurt Minder, ehemaliger Marketing- und Verkaufsleiter bei Rivella und für die Firma von 1954–1995 tätig. Zu den Interessenten gehörte auch Cottee aus Australien, und so machte sich der reisefreudige Robert Barth auf nach Down Under, um Rivella zu verkaufen. Und er kam mit etwas noch nie Dagewesenem zurück: Passionsfruchtsaft und der Vision eines aromatischen Tafelgetränks, wie es Europa noch nie gekostet hatte.
«An einer Einladung in Melbourne genoss Dr. Barth eine mit Passionsfrucht-Coulis verfeinerte Torte», erzählt Kurt Minder. «Er war hin und weg von diesem erfrischenden Geschmack und sah darin die Chance, das Angebot von Rivella mit einer neuen Marke zu ergänzen.» Im hiesigen Labor wurde der importierte Saft analysiert, verdünnt und schliesslich ein Erfrischungsgetränk nach australischem Vorbild kreiert. Als die Formel einmal stand, wandte sich der Schweizer Getränke-Pionier im Dezember 1962 mit folgenden Worten an die Bevölkerung von Goroka, einem Hochland auf Papua-Neuguinea und Anbaugebiet von Passionsfrüchten: «Ologeta man i harim. Kumpani i rere nau long baim prut. Sapos man i karim prut long faktori pei enap long 9 d. long wan paun hevi.– Ihr allesamt Männer hört. Die Gesellschaft ist nun bereit, Früchte zu kaufen. Wenn ein Mann Früchte zur Fabrik bringt, wird genug bezahlt, 9 d. für ein Pfund Gewicht.»
Einfach Passi
1964 war es schliesslich so weit: «Sicherheitshalber haben wir damals die gleichen braunen Flaschen verwendet wie für Rivella, weil wir nicht wussten, ob wir den Geschmack der Leute treffen würden», so Minder. Die Werbetrommeln wurden gerührt. Exotisch kamen die Botschaften daher. Südsee-Charme und Blumenketten umspielten das gelbe Getränk auf dem Plakat. Passi-Oona hiess es. «Mit dem Namensanhängsel können die Kunden weit weniger anfangen als mit Getränk selber», meint Kurt Minder. «Sie nennen es einfach Passi und wir daraufhin auch.»
Kein Aufwand wird gescheut, um der Schweizer Bevölkerung den exotischen Genuss der Passionsfrucht zu bieten, sieht man doch in der Unterstützung der lokalen Bevölkerung Papua-Neuguineas auch eine sinnvolle Entwicklungshilfe. Zwischen dem 3° südlich des Äquators gelegenen Anbaugebiet im Hochland Gorokas auf 1800 m ü. M. und dem Hafen gibt es keine Verbindungsstrassen. «Also packte man die Kanister mit Passionsfruchtsaft in DC-3-Propellermaschinen und flog sie kurzerhand an die Küste. Dort wurde der Inhalt umgehend tiefgekühlt und Richtung Europa verschifft», erklärt Minder mit immer noch ungläubigem Lachen.
Zwei Pioniere finden sich
Wie Robert Barth erkennt auch Gastronomie-Pionier Ueli Prager das Potenzial von Passi und nimmt den Fruchtsaftdrink von Beginn weg ins Sortiment seiner beliebten Mövenpick-Restaurants auf. Ende des ersten Verkaufsjahres werden bereits eine halbe Million Liter des exotischen Erfrischungsgetränks getrunken. Doch die zunehmende Beliebtheit von Passi ruft auch Neider auf den Plan. «1967 droht der US-Getränkekonzern Pepsico mit einer gerichtlichen Klage, weil der Name ‚Passi’ zu Verwechslungen mit Pepsi führen könne», sagt Kurt Minder. «Statt es auf einen Prozess ankommen zu lassen, haben wir uns für eine Namensänderung entschieden. » Passaia ist geboren.
Um den kontinuierlichen Erfolg von Passaia zu garantieren, bauen Cottee und Rivella zu Beginn der 70er-Jahre in Kenia eine Passionsfrucht-Plantage auf. Lokale Bauern liefern ihre Früchte an, und die eigens gegründete Passi AG verarbeitet diese zu Saft und Konzentrat, die in die Schweiz sowie weltweit an weitere Firmen verkauft werden. Doch politische Unruhen zwingen zur Aufgabe des Betriebs. Statt das Handtuch zu werfen, macht man sich auf die Suche nach anderen Standorten. Angola dient für kurze Zeit als Zulieferer, doch Bürgerkriegswirren setzen den Handelsbeziehungen ein Ende. Den anhaltenden Schwierigkeiten zum Trotz hält Robert Barth an Passaia fest und findet in Brasilien das aromatische Konzentrat. Heute dient reiner Passionsfruchtsaft aus Ecuador als Basis für das erfrischende Tafelgetränk.
Hot Rhythm – cool Passaia
Allem Einsatz zum Trotz schläft Mitte der 70er- Jahre das Passaia-Geschäft etwas ein. Was tun? «Fürs Auge gibt die Passionsfrucht nicht viel her», erinnert sich der Hans Werner Zobrist, Verkaufsleiter von 1978–1995. Die kleinen, oft etwas schrumpeligen Bälle verströmen nichts vom majestätischen Anblick einer Ananas und: «Sie waren damals in unseren Breitengraden so gut wie unbekannt, einzig Delikatessläden führten sie gelegentlich.» Auf eigentlichen Informationsblättern leistete Rivella von Beginn weg Aufklärungsarbeit, die bis hin zu Ausspracheanleitungen reicht: «Passionfruit sprich Päschenfruut. » – «Auch auf die inneren Werte, die Rivella- Gründer Robert Barth begeisterten, konnte man für die Werbung nicht setzen», sagt Zobrist. Sein Team fand aber andere Wege, die Schönheit der Passionsfrucht zu illustrieren und die schweizweit gut 25 000 Absatzstellen zu überzeugen: «Wir haben Passaia in transparente Flaschen abgefüllt und die gelbe Farbe ins Blickfeld gerückt» erzählt Kurt Minder. Aber einen echten Marketing-Coup landete das Rivella-Verkaufsteam mit adrett gekleideten Black Beautys, attraktive dunkelhäutige Damen, die zusammen mit Aussendienstmitarbeitern den Restaurants Überraschungsbesuche abstatteten, schliesslich galt es, auch die Aufmerksamkeit der Restaurant- Betreiber zu erlangen. «Wann und wo eine solche Aktion über die Bühne gehen würde, war nicht bekannt», so Hans Werner Zobrist. «Die Beizer wussten bloss, dass eine solche Aktion in der Gegend am Laufen war und dass bei einem Besuch sämtliche Passaia-Flaschen, die auf den Tischen standen, von Rivella berappt wurden.» Für Spannung und Aufmerksamkeit war also gesorgt. Ganz schlaue Stammgäste hielten Ausschau nach den schwarzen Schönheiten und bestellten kurz vor deren Eintreffen ein Passaia. «Aus heutiger Sicht kann man eine solche Marketing-Aktion, die mit entsprechenden Plakat-Sujets unterstützt wurde, kaum glauben», grinst Zobrist verschmitzt. «Aber die Stammgäste fanden es sehr lustig, und für Gesprächsstoff war gesorgt.»
So erfolgreich die Black-Beautys-Aktion war, für Passaia musste ein Thema gefunden werden, das wie der Sport zu Rivella passte und ein junges Zielpublikum ansprach. Der Zufall kam Charly Buser, dem Leiter Sportservice von 1972–1985, zu Hilfe. Zusammen mit Kurt Minder entdeckte er an einem Udo-Jürgens-Konzert im Zürcher Hallenstadion die junge Band Boney M. just vor ihrem grossen Hit «By the Rivers of Babylon» (1978). «Die Band war perfekt und verkörperte das Exotische von Passaia», erklärt der spätere Erfinder des Publikumsspektakels Super- 10-Kampf. In der Folge wurde der deutsche Musikproduzent Frank Farian kontaktiert und im Frühling 1978 eine ausverkaufte Schweizer Tournee mit sechs Konzerten organisiert. «Der Erfolg bestätigte den Entscheid, dass Musik und Passaia ein perfektes Paar sind», so Buser. «Unter dem Slogan ‚Hot Rhythm – Cool Passaia’ unterstützten wir als Sponsor die Anlässe der frisch gegründeten Konzertagentur Good News. Das war ebenso einmalig wie der Entscheid von Rivella, als erster Sponsor der Schweizer Ski-Nati aufzutreten.» Fortan wurde das Getränkeangebot der Good-News-Auftritte vom exotischen Durstlöscher angeführt, und auf allen Konzertankündigungen sowie -posters prangte das Passaia-Logo samt Palmen. 1979 verkaufte Passaia rund 3,5 Millionen Liter und erreichte damit einen vorläufigen Produktionshöhepunkt.
Die Migros übernimmt
Mitte der 70er-Jahre wird eine zentrale Weiche in der Geschichte von Passaia gestellt, ein weiterer Pionier der Schweiz kommt ins Spiel: Es ist zwar nicht Gottlieb Duttweiler persönlich, der Gefallen an Passaia findet, aber die Einkäufer seiner Migros verstehen im Vergleich zu Coop den Reiz der Passionsfrucht. Unter dem Namen Passinel – eine von Rivella geschützte Marke – wird das Erfrischungsgetränk ins Sortiment aufgenommen. Anlässlich des 40. Jahrestages von Passaia, das auch in einer Light-Variante erhältlich ist, verzichtet Migros auf die Marke «Passinel». «Seither verkauft die Migros Passaia exklusiv und der Umsatz legt zu», freut sich Kurt Minder, der trotz Pensionierung den Erfolg «seiner» Firma weiter im Auge behält. Obschon das namensgebende Produkt bei Rivella im Fokus liegt und auch der Bärenanteil des Umsatzes auf das sportliche Erfrischungsgetränk entfällt, ist man immer wieder bemüht, Passaia im Gespräch und vor allem auf dem Tisch zu behalten. 2009 kommt es bei der Kultmarke zu einem Relaunch. Etiketten und Logos werden von Grund auf neu gestaltet und der frische Auftritt von einer humorvollen Werbekampagne unterstützt – mit Erfolg. Seither steigt der Absatz von Passaia wieder kontinuierlich.
Nun, zum 50. Jahrestag des gelben Getränks, sind wiederum diverse Aktionen geplant, welche die Tradition des Guerilla-Marketings fortsetzen. «Dieses Mal sind es nicht Trompe-l‘oeuil-Malereien von exotischen Oasen, die auf Plätze und Strassen gemalt werden», sagt Monika Christener, Leiterin Unternehmenskommunikation bei Rivella. «Via Facebook rekrutieren wir Markenbotschafter, die uns während dem Jahr begleiten.»
Diese Botschafter sollen die Marke und die Produkte von Passaia in ihrem privaten Umfeld auf eine positive und vor allem authentische Art repräsentieren. «Sie sollen Freunde zu einem Grillabend einladen und werden von uns und der Migros dabei unterstützt », erklärt Frau Christener. «An Open-Air-Festivals setzen sie mit Aktionen die Tradition von Musik und Passaia fort, und selbstverständlich ist etwas im Umfeld der Fussball-WM angedacht.» Natürlich winkt für die gewählten Botschafter auch ein Gewinn. Alle erhalten einen Reisegutschein im Wert von 200 Franken. «Der Gewinner des Hauptpreises fliegt nach Hawaii», verrät Monika Christener. Ebenfalls für Aufmerksamkeit wird die Automaten- Aktion sorgen, denn hier gibts Passaia gratis. «Auf öffentlichen Plätzen werden auffällige Automaten aufgestellt, die nur mit Passaia gefüllt sind», sagt Monika Christener. «Wer sich auf Facebook als Passaia- Fan outet, erhält einen QR-Code, mit dem kostenlos eine Flasche beim Automaten bezogen werden kann.» Na dann, Prost.
Marc Bodmer