Stephen King hat auch die deutschen Verleger wachgerüttelt

Noch zögern Buchverlage beim Thema E-Book und Book on demand, während in den USA das Angebot an elektronischen Büchern rapide wächst

Noch zögern Buchverlage beim Thema E-Book und Book on demand, während in den USA das Angebot an elektronischen Büchern rapide wächstVon Aline GrafMit seinem E-Book «The Plant», das er allein übers Internet verkaufte, hat Stephen King einen neuen Pfad im Segment des Buchmarketings aufgezeigt. Was in den USA bereits zum Alltag der Buchbranche geworden ist, die Entwicklung von E-Books, wird in deutschsprachigen Ländern noch mit Argwohn beobachtet. Ein Streifzug durch die Büros deutscher Buchverlage.
Monatlich kann die in München ansässige Verlagsgruppe Droemer Weltbild weltweit 75000 «real visits» verzeichnen. Dazu meint Claus-Martin Carlsberg, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: «Wir gehen auf unserer Homepage immer mehr hin zur Userorientierung. Die Informationen werden entsprechend aufbereitet, mit dem Ziel, näher mit Internetbookshops zu kooperieren. Imagepflege ist nicht mehr primäres Onlineziel.»
Hinzu kommt laut Carlsberg noch ein weiterer Schwerpunkt: «Wenn wir in Richtung E-Commerce denken, sind die Verlagsprofile genauer gegeneinander abzugrenzen.» Droemer Weltbild sieht sich als klassischen Contentprovider, der über seine Bücher Inhalte zur Verfügung stellt. Für Carlsberg ist das E-Book insofern eine Konkurrenz für das Buch, weil es einen prägenden Faktor in der Mediensozialisation der Jugend darstellt. So betont er, dass das Buch mit seiner Haptik und seiner Sinnlichkeit für diese Generation nicht mehr so erfahrbar sei. «Es wäre naiv, dies einfach wegzudiskutieren.»
Über das Internetexperiment des amerikanischen Gruselstarautors Stephen King wurde auch im Berner Scherz Verlag diskutiert. Thomas Reisch, Assistent der Geschäftsführung, relativiert die Furcht vor dem Web: «Die Nachfrage hat nachgelassen. So verkaufte sich Kings zweite Erzählung, die er ins Netz gestellt hat, schlechter als die erste. Es gab demzufolge Probleme mit dem Lesepublikum.»
Vom ersten Buch von Frederick Reuss («Es gibt keine Strassenbahn in Oblivion») hat der Scherz Verlag die deutsche Lizenz gekauft. Das dritte Buch dieses Autors wird von seinem amerikanischen Verlag nur noch als E-Book angeboten. Frederick Reuss liegt Scherz sehr am Herzen, und die Frage, ob sich der Erfolg des
E-Books einstellt, ist abzuwarten.
Doch längst eilt den deutschen Verlagen die Entwicklung davon. Amazon.com hat im November den ersten E-Book-Store eröffnet und verkauft mit Partner Microsoft (Reader-Software) Bücher, die gar nicht mehr gedruckt werden, oder Bücher, deren Inhalte für E-Books aufbereitet werden, die auch auf Palm Pilots geladen werden können. Nicht zuletzt die guten Erfahrungen mit Stephen King haben den führenden Internethändler dazu bewogen, in dieses Business zu investieren, schliesslich rechnete Amazon. com für King die Einnahmen aus dem Verkauf von «The Plant» ab.
Amazon.de-Geschäftsführer Philipp Humm ist überzeugt, dass im laufenden Jahr jedes zehnte Buch bereits übers Internet verkauft wird, was in etwa einem Umsatzvolumen von rund 500 Millionen Mark entspricht. Und daran hält Amazon.de nach den Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung einen Marktanteil von 47 Prozent.
Book on demand beginnt sich erst langsam durchzusetzen
Der Verlag Klett-Cotta bietet so genannte literarische Fantasy an. Klett-Autor J. R. R. Tolkien ist das berühmteste Beispiel dafür. Mit einer spezifischen Homepage für den Autor Tad William («Otherland») ist es dem Verlag gelungen, das Interesse am Erscheinen von über vier Bänden aufrechtzuerhalten. Zudem haben sich, so Verleger Michael Klett, Chatforen gebildet, in denen rege diskutiert worden ist. Ob ohne Internet gleich viele Bücher verkauft worden wären, ist unklar. Klett könnte sich vorstellen, dass der Verlag im Internet eine Bündelung vornimmt und eine Art grosses Bildungskaufhaus installiert.
Das Stephen-King-Experiment hat auch das Kölner Verlagshaus Kiepenheuer & Witsch nicht in Besorgnis gestürzt, da man von seiner Zukunftstauglichkeit nicht überzeugt ist. Book on demand ist für den Verlag bei Kleinstauflagen interessanter. Lektorin Helga Resch denkt speziell an Gedichtbände, die sie sonst aus dem Programm nehmen würde.
Books on demand werden trotz hoher Kosten für die Masterfiles immer mehr den Schweizer Buchhandel dominieren, seit auch das Schweizer Buchzentrum diesen Dienst anbietet – in Kooperation mit dem deutschen Grossisten
Libri in Hamburg.
Kiepenheuer & Witsch rechnet trotzdem mit einer Zielgruppe von jungen Männern für das E-Book. Eine Tatsache, die schon eingetroffen ist: Die monatlichen Zugriffe auf die Verlagswebsite belaufen sich auf durchschnittlich gegen 400000 Besucher, wobei Deutschland an erster Stelle steht, gefolgt von den USA, der Schweiz und Österreich. Der Verlag selber benutzt das Internet vor allem für Leseproben und für Werbezwecke.
Der Europa Verlag, der heute in Hamburg domiziliert ist, wird von Vito von Eichborn geführt. Der Geschäftsführer fühlt sich der Tradition des Zürcher Gründers Emil Oprecht verpflichtet und setzt die Linie der Bücher zum Thema «Drittes Reich» fort. Das King-Experiment beschäftigt ihn nicht sonderlich, weil er eine Marke für sich sei. Es sei aber interessant zu verfolgen, dass jetzt englische Autoren wie Fay Weldon und Frederick Forsyth ihre neuesten Bücher im Internet publizieren würden.
Guerillamarketing im Web für ein Sepp-Maier-Buch
Bezüglich E-Book hat der Geschäftsführer überhaupt keine Alpträume. Er macht sich vielmehr folgende Gedanken: «Vor über 100 Jahren kamen Zeitschriften auf den Markt und erreichten gigantische Auflagen. Die Verlage und die Buchhändler haben damals geschrien, ‹die nehmen uns die Leser weg›. Dann kam das Radio, das dieselbe Verunsicherung auslöste. Ähnlichen Effekt hatte das Aufkommen des Fernsehens in den Fünfzigerjahren, und jetzt passiert dasselbe mit den neuen Medien. Für mich ist das Unsinn.»
Vito von Eichborn geht den umgekehrten Weg. Ihn beschäftigt, welche Inhalte er aus dem Netz generieren und in Buchform giessen oder wie er im Internet Mitarbeiter für Inhalte finden kann. Oder wie er das neue Medium als Werbeträger benutzen kann. Letztes Frühjahr beispielsweise hat von Eichborn Guerillamarketing im Netz betrieben, indem er jemanden beschäftigte, der zielgruppenorientiert in Chatrooms über Sepp Maier diskutierte. Inwiefern diese Aktion zum besseren Erfolg des Buches beigetragen hat, weiss er selber nicht, aber er meint, man müsse über solche Möglichkeiten nachdenken.
Martin Spieles, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Traditionsverlag S. Fischer in Frankfurt, betont, dass das Internet entgegen allen Erwartungen bisher eine Unterstützung des Buches sei. Es habe sich herausgestellt, dass in dieser Anfangszeit des E-Commerce sich nichts so gut verkaufen lasse wie das Buch. Die mögliche technologische Entwicklung kann aber auch Martin Spieles nicht übersehen. «Das, was wir heute Internet nennen, werden wir in fünf Jahren gar nicht mehr so erleben.»
Book on demand ist im Moment auch für den S. Fischer Verlag noch kein probates Mittel. Warum? Der unlängst von McKinsey durchforschte Verlag sieht bei einer Druckauflage von 6000 Exemplaren für ein Buch die unterste Rentabilitätsgrenze.
Den neuen Medien stehen die Geschäftsführer des Berlin Verlages, Arnulf Conradi und Hans Graf von der Goltz, noch skeptisch gegenüber, dies wird sich jedoch in nächster Zeit ändern, weil es beim Minderheitseigner Bertelsmann grosse Bestrebungen gibt, auf das Medium Internet als grossen und wichtigen Vertriebskanal zu setzen. Beim Berlin Verlag wird vor allem die Pressearbeit gross geschrieben, meint dazu Carsten Sommerfeldt, Presseverantwortlicher.
Sommerfeldt bedauert, dass sich Buchhändler immer weniger auf ihren Geschmack verlassen. Er ist der Ansicht, dass sich Buchhändler und Verlage umstrukturieren und Nischen etablieren müssen. Dafür könnte es bald zu spät sein. Nicht nur in der Schweiz, auch in Deutschland entstehen neue Powerbrands, wie die jüngste Fusion der Buchhandelsketten Thalia und Phönix zeigt. Und der Gedanke von Internetguru Seth Godin (siehe auch Seite 29), wonach Internetbuchhändler wie Amazon.com dank ihrer hohen Kundenzahl selber zu Verlegern werden, ist so abwegig auch nicht.

Weitere Artikel zum Thema