«PR im Social-Web ohne Strategie – diese Zeit ist vorbei»

Content is king, context is queen. Aber das ist noch nicht alles, was man beachten sollte, wenn man erfolgreich PR im Social-Web machen will. Wie Unternehmen, Organisationen und Private ohne Stolpern den Schritt in die Social-Media schaffen, wo sie sich Hilfe holen können und wie sie den Kommunikations-GAU umgehen, erklärt PR- und Social-Media-Spezialistin Marie-Christine Schindler im Gespräch mit der Werbewoche.

Werbewoche: PR bedeutet heutzutage nicht mehr nur, Pressemeldungen zu verfassen, die vom Vorstand des Unternehmens vor der Freigabe noch drei Mal umgeschrieben werden, einen Internetauftritt zu betreuen und vielleicht ein paar E-Mails zu beantworten. PR 2.0 ist Dialog auf allen Kanälen, oft mit sehr kurzen Reaktionszeiten. Was bedeutet das für Öffentlichkeitsarbeiter?

Marie-Christine Schindler: Das bedeutet, dass Öffentlichkeitsarbeiter heute etwas anderen Regeln folgen, wenn sie Informationen aufbereiten. Sie müssen sich nicht mehr allein nach den Spielregeln von Medien und Journalisten richten, die ganz genaue Vorstellungen davon haben, wie sie Informationen aufbereitet haben möchten, nämlich möglichst neutral, objektiv, als Arbeitsgrundlage eben. Zusätzlich haben Unternehmen heute die Möglichkeit, Informationen so zu gestalten, wie sie das möchten und einen Informationsfluss aufzubauen. Das heisst nicht, dass Medienarbeit tot ist. Aber Social-Media sind für Unternehmen und Organisationen eine ergänzende Möglichkeit, sich online zu profilieren.

Wenn eine PR-Abteilung rasch reagieren muss, zum Beispiel auf Tweets, ist es unmöglich, diverse Freigabeschleifen zu durchlaufen. Müssen Chefs und Vorstandsetagen in Zukunft mehr Vertrauen in ihr PR-Team haben? Ihm mehr Handlungsspielräume zubilligen?
Die Position von PR-Verantwortlichen hat sich mehrfach verändert und ist sehr komplex geworden. Denn die Broadcastkommunikation, bei der Pressesprecher im Namen von Unternehmen Meldungen herausgeben, ist vorbei. Gefragt sind inzwischen mehrere Stimmen aus dem Unternehmen. Es etabliert sich das Bewusstsein, dass jeder Mitarbeiter ein Teil vom Ganzen ist und jeder ein Fachmann in seinem Arbeitsgebiet. Das heisst nicht, dass jeder Einzelne im Unternehmen zum Kommunikator wird. Aber mehr denn je sollten die verschiedenen Abteilungen einen Social-Media-affinen Mitarbeiter benennen und ihn in der Kommunikation fördern. Das macht die Abstimmung noch viel anspruchsvoller, denn das minutiöse Abklären von Beiträgen ist nicht mehr möglich. Das geht noch beim Ursprungstext und bei der Kernbotschaft. Ist der Text publiziert, lassen sich die Reaktionen aus dem Social-Web nicht mehr kontrollieren und verlangen flexibles Handeln.

Im Unternehmen der Zukunft kümmern sich also mehrere Leute um die PR, es gibt nicht mehr einen Verantwortlichen, über dessen Tisch alles läuft?
Den PR- oder Kommunikationsverantwortlichen gibt es nach wie vor. Er hat zwei Aufgaben: Zum einen muss er die Fäden zusammenhalten, damit alles, was kommuniziert wird, gut zusammenspielt und miteinander einen Sinn ergibt. Damit nicht jeder macht, was er will, braucht ein Unternehmen eine Instanz, die die Gesamterscheinung steuert. Zum anderen muss der PRler eine Art Coachingfunktion übernehmen. Er sollte den Leuten, die aus ihrem Arbeitsbereich heraus viel authentischer als er berichten und Antworten geben können, beibringen, welches die Ziele und die Botschaften des Unternehmens sind, wie die Kommunikation im Social-Web läuft, worauf man achten und was man vermeiden muss. Die grösste Herausforderung ist, die Mitarbeiter auch sprachlich fit zu machen.

Lesen Sie mehr dazu in der aktuellen Printausgabe der Werbewoche
 

«PR im Social-Web ohne Strategie – diese Zeit ist vorbei»

Content is king, context is queen. Aber das ist noch nicht alles, was man beachten sollte, wenn man erfolgreich PR im Social-Web machen will. Wie Unternehmen, Organisationen und Private ohne Stolpern den Schritt in die Social-Media schaffen, wo sie sich Hilfe holen können und wie sie den Kommunikations-GAU umgehen, erklärt PR- und Social-Media-Spezialistin Marie-Christine Schindler im Gespräch mit der Werbewoche.

top1

Werbewoche: PR bedeutet heutzutage nicht mehr nur, Pressemeldungen zu verfassen, die vom Vorstand des Unternehmens vor der Freigabe noch drei Mal umgeschrieben werden, einen Internetauftritt zu betreuen und vielleicht ein paar E-Mails zu beantworten. PR 2.0 ist Dialog auf allen Kanälen, oft mit sehr kurzen Reaktionszeiten. Was bedeutet das für Öffentlichkeitsarbeiter?

Marie-Christine Schindler: Das bedeutet, dass Öffentlichkeitsarbeiter heute etwas anderen Regeln folgen, wenn sie Informationen aufbereiten. Sie müssen sich nicht mehr allein nach den Spielregeln von Medien und Journalisten richten, die ganz genaue Vorstellungen davon haben, wie sie Informationen aufbereitet haben möchten, nämlich möglichst neutral, objektiv, als Arbeitsgrundlage eben. Zusätzlich haben Unternehmen heute die Möglichkeit, Informationen so zu gestalten, wie sie das möchten und einen Informationsfluss aufzubauen. Das heisst nicht, dass Medienarbeit tot ist. Aber Social-Media sind für Unternehmen und Organisationen eine ergänzende Möglichkeit, sich online zu profilieren.

Wenn eine PR-Abteilung rasch reagieren muss, zum Beispiel auf Tweets, ist es unmöglich, diverse Freigabeschleifen zu durchlaufen. Müssen Chefs und Vorstandsetagen in Zukunft mehr Vertrauen in ihr PR-Team haben? Ihm mehr Handlungsspielräume zubilligen?
Die Position von PR-Verantwortlichen hat sich mehrfach verändert und ist sehr komplex geworden. Denn die Broadcastkommunikation, bei der Pressesprecher im Namen von Unternehmen Meldungen herausgeben, ist vorbei. Gefragt sind inzwischen mehrere Stimmen aus dem Unternehmen. Es etabliert sich das Bewusstsein, dass jeder Mitarbeiter ein Teil vom Ganzen ist und jeder ein Fachmann in seinem Arbeitsgebiet. Das heisst nicht, dass jeder Einzelne im Unternehmen zum Kommunikator wird. Aber mehr denn je sollten die verschiedenen Abteilungen einen Social-Media-affinen Mitarbeiter benennen und ihn in der Kommunikation fördern. Das macht die Abstimmung noch viel anspruchsvoller, denn das minutiöse Abklären von Beiträgen ist nicht mehr möglich. Das geht noch beim Ursprungstext und bei der Kernbotschaft. Ist der Text publiziert, lassen sich die Reaktionen aus dem Social-Web nicht mehr kontrollieren und verlangen flexibles Handeln.

Im Unternehmen der Zukunft kümmern sich also mehrere Leute um die PR, es gibt nicht mehr einen Verantwortlichen, über dessen Tisch alles läuft?
Den PR- oder Kommunikationsverantwortlichen gibt es nach wie vor. Er hat zwei Aufgaben: Zum einen muss er die Fäden zusammenhalten, damit alles, was kommuniziert wird, gut zusammenspielt und miteinander einen Sinn ergibt. Damit nicht jeder macht, was er will, braucht ein Unternehmen eine Instanz, die die Gesamterscheinung steuert. Zum anderen muss der PRler eine Art Coachingfunktion übernehmen. Er sollte den Leuten, die aus ihrem Arbeitsbereich heraus viel authentischer als er berichten und Antworten geben können, beibringen, welches die Ziele und die Botschaften des Unternehmens sind, wie die Kommunikation im Social-Web läuft, worauf man achten und was man vermeiden muss. Die grösste Herausforderung ist, die Mitarbeiter auch sprachlich fit zu machen.

Gibt es denn beispielsweise in einem Grossunternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern, von denen die meisten eine technische oder eine Ingenieursausbildung haben, Personen, die bereit sind, so einen Kommunikationsjob mitzumachen?
Ich denke, das muss sich erst weisen. Diese Erfahrungen gibt es noch nicht, denn erst in diesem Jahr beginnen Unternehmen so richtig zu realisieren, dass sie im Social-Web aktiv werden sollten. Ich hoffe, dass wir nun über die Phase hinaus sind, in der es hiess: «Wir machen einen Facebook-Auftritt und dann kommt das schon gut.» Unternehmen und Organisationen haben begriffen, dass mehr Planung und vor allem eine Strategie notwendig sind, um im Web zu reüssieren. Man kann eine zusätzliche Kommunikationsaufgabe nicht von allen Mitarbeitern verlangen, aber in leitenden Positionen sollte es allmählich zum Jobprofil gehören, dass man die Firma auch nach aussen vertritt. Unter Umständen ist das aber eine Generationenfrage, sicher geht das nicht von heute auf morgen.

Ist also immer der Abteilungsleiter derjenige, der zusätzlich zu seiner fachlichen Arbeit zum PR-Beauftragten wird? Oder kann es auch irgendeine Person aus der Abteilung sein?
Das kann auch eine Person aus der Abteilung sein, wenn sie das Vertrauen der Geschäftsführung geniesst, mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet ist, Lust dazu hat und dem Unternehmen gegenüber loyal ist. Es muss nicht notwendig der Abteilungsleiter sein – von dem kann man nur am ehesten erwarten, dass er eine solche Tätigkeit im Rahmen seiner Aufgaben übernimmt. Es sollten auf keinen Fall alle kommunizieren müssen, denn das hat ja auch etwas mit der Persönlichkeit zu tun. Es gibt Menschen, die sich nicht im Internet sehen wollen. Man muss die betreffenden Mitarbeiter mit viel Feingefühl aussuchen. Aber ich glaube, wenn die Leute einen Nutzen sehen, werden sie auch eher bereit sein, ihren Anteil zur Kommunikation im Social-Web beizutragen.

Ist eine bestimmte Unternehmenskultur notwendig, um in den Social-Media überzeugend agieren zu können?
Man redet immer von Offenheit und Transparenz. Aber das Wichtigste ist eigentlich das Vertrauen der Unternehmensführung zu ihren Mitarbeitern, das Vertrauen, dass sie das, was sie tun, gut machen. Es braucht eine Kultur, in der man Stärken stärkt, statt auf Schwächen herumzureiten. Und Mitarbeiter müssen sich an der Führungskraft orientieren und festhalten können. Wenn alle alles dürfen, ist das auch nicht gut. Es braucht einen Mittelweg zwischen Freiheiten geben und Grenzen setzen. Und natürlich muss die Unternehmensführung herausfinden, wer überhaupt fit ist für Kommunikation im Social-Web. Das können nicht alle und müssen auch nicht alle können. Ich empfehle übrigens, die «Do’s and Don’ts» in Social-Media-Guidelines festzulegen und Schlüsselpersonen zu schulen.

Welche zusätzlichen Eigenschaften und Fähigkeiten brauchen PRler heute im Vergleich mit PR-Leuten der 1980er- und 1990-Jahre?
Neben dem Festhalten auch das Loslassen. Es geht heute auch darum, andere Leute zum Kommunizieren zu befähigen. Neugier brauchten PRler schon immer, heute müssen sie ausserdem sehr flexibel und wendig sein. Natürlich brauchen sie auch ein gewisses Standing, denn es gibt immer Situationen, in denen man schnell reagieren muss und niemanden um Rat fragen kann. Bis man den Vorstand erreicht hat, kann ein Thema auf Twitter schon längst gelaufen sein. Wir brauchen weiterhin sehr gut ausgebildete PR-Leute, die wissen, worum es in der Gesamtkommunikation geht. Dann ist Social-Media einfach eine zusätzliche Dimension, die das Unternehmen im Einklang mit allem, was es bisher schon gemacht hat, gestalten kann.

Unterscheidet sich die Arbeit von unternehmensinternen PRlern von der einer PR-Agentur?
Vom Handwerk müssen beide gleich viel verstehen. Im Moment besteht einfach die Gefahr, dass auf der Basis geringer Fachkenntnisse gehandelt wird. In der Startphase ist es gut, wenn man sich eine Agentur ins Boot holt, in der Leute sitzen, die bereits Erfahrungen sammeln konnten und sich fundiert mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Es ist wichtig, dass die Agentur nicht in ein Unternehmen geht und sagt: «Jetzt ist alles neu und anders. Was Ihr bisher gemacht habt, ist nicht mehr State-of-the-art und nicht gut genug.» Man muss sehr vorsichtig auf die Leute zugehen, denn die haben sich ja bei allem, was sie bisher gemacht haben, etwas überlegt, und sind stolz auf ihre Arbeit. Nach einer Bestandsaufnahme kann man dann gemeinsam schauen, was das Unternehmen mit Social-Media erreichen könnte. Für den Start, also für Strategieentwicklung, Themensetzung und Ressourcenabschätzung, kann sich ein Unternehmen Wissen von aussen holen. Wenn es aber um die spätere inhaltliche und vor allem sprachliche Umsetzung geht, kann das eine Agentur auf Dauer nicht leisten. Denn sie bekommt die ganz feinen Bewegungen in einem Unternehmen nicht mit, sie kann das Gras nicht wachsen hören und kann so zu wenig schnell und sensitiv auf Reaktionen im Social-Web eingehen.

Ist PR heute schwieriger als früher?
Ja, PR ist heute viel anspruchsvoller. Wenn Sie sich als Unternehmen positionieren wollen, müssen Sie ganz viele Kanäle bedienen, sind mit einer riesigen Informationsflut konfrontiert und es gibt keine klaren Verläufe von Nachrichten. Hinzu kommt der Zeitdruck: Menschen tauschen sich aus wann und wo sie wollen. Ein Unternehmen, das zu einem Thema kommuniziert, das in die Freizeit hineinreicht, kann nicht von Montag bis Freitag zwischen 9 und 17 Uhr arbeiten und am Wochenende herrscht Funkstille. Denn seine Leser und Kunden sind vor allem am Wochenende aktiv. Wobei ich glaube, dass es ein Unternehmen ein Stück weit im Griff hat, die Erwartungen zu steuern. Es darf sich durchaus herausnehmen, dass es auch im Social-Web so etwas wie Öffnungszeiten hat. Wenn es nicht gerade eine Hotline ist, die erreichbar sein sollte, wenn es irgendwo brennt, ist das OK und wird mindestens in unseren Breitengraden im Moment auch problemlos akzeptiert.

Dennoch kann es für ein Unternehmen zum Problem werden, wenn sich am Wochenende auf Twitter oder Facebook eine hitzige Diskussion über seine Geschäftspraktiken oder Produkte entspinnt und es erst am Montag darauf reagiert.
Das stimmt, Kommunikationskrisen haben sich in der Vergangenheit gerne übers Wochenende aufgebaut. Aber man muss zwischen Beobachten und Handeln unterscheiden. Jedes Unternehmen muss beobachten, was über es im Social-Web geredet und berichtet wird. Darauf zu reagieren ist ein zweiter Schritt. Trotzdem merkt man den Unterschied zwischen einem herrenlosen Account und einem, der zwar kontrolliert wird, bei dem der Verantwortliche aber entscheidet, dass jemand ein Problem hat, das sich auch am Montag noch lösen lässt. Schaukelt sich dagegen etwas auf, sollte der PRler rasch reagieren. Aber auch dann muss er nicht bereits die Lösung parat haben. Oft reicht es fürs erste, zu signalisieren: «Wir haben Dich gehört und kümmern uns darum.» Im Social-Web gibt es ausserdem eine gute Selbstregulierung. Wenn es gerechtfertigte Kritik gibt, ein Service nicht funktioniert etc., dann muss das Unternehmen für eine adäquate Reaktion auf die Beschwerde sorgen. Ist Kritik aber nicht fair oder aus der Luft gegriffen, reagieren nicht selten andere User darauf. Ich habe zum Beispiel einen Fall verfolgt, bei dem ein Unternehmen einen Wettbewerb ausgeschrieben hatte und ein User kommentierte, er habe nichts gewonnen und würde nun bei diesem Unternehmen nichts mehr kaufen. Das Unternehmen hat das einfach so stehen lassen und es dauerte nicht lange, bis sich zwei andere User meldeten, die deutlich machten, wie lächerlich diese Reaktion ist. Diese Regulierung kommt relativ schnell.

Dann kann es in manchen Fällen also auch geschickter sein, dass der PR-Verantwortliche seine Reaktion ein wenig hinauszögert?
Ja. Manchmal ist es nicht schlecht, nicht umgehend zu reagieren. Man muss den Leuten auch Gelegenheit geben, etwas zu reflektieren und ihre eigene Meinung beizusteuern. Das verhindert man, wenn man immer sofort alles quittiert. Natürlich ist es anspruchsvoll, herauszufinden, wann Tempo gefragt ist und wann man ein wenig abwarten sollte.

Wie kann der PR-Verantwortliche denn den Überblick behalten? Es kann ja sein, dass er Youtube, Facebook und Twitter regelmässig checkt, aber eine Diskussion auf einem Blog an ihm vorbeigeht.
Das kann man mit professionellem Monitoring gut in den Griff bekommen – was trotzdem noch nicht heisst, dass man immer alles sieht. Fürs Monitoring gibt es diverse Tools, die man sich selber zusammenstellen oder als Lizenzprodukte kaufen kann. Mit den gleichen Suchvorgaben können da aber völlig unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Deshalb muss ein Unternehmen genau schauen, mit welchem Tool es am besten arbeiten kann.

Das Social-Web ist beinahe unkontrollierbar: Jeder kann zu jeder Zeit alles über jeden schreiben. Sollten Unternehmen und Organisationen gar nicht erst versuchen, hier steuernd und kontrollierend einzugreifen? Was empfehlen Sie?
Ich würde ausnahmslos jedem Unternehmen raten – und auch jeder Person –, sich selber zu monitoren. Das ist das Minimum. Man sollte schauen, was über einen geredet wird und was sich im Umfeld tut, das ist eine Mischung aus Konkurrenzbeobachtung, Weiterbildung und Zukunftsplanung. Daraus ergibt sich im Übrigen auch, welche Aktivitäten im Social-Web sinnvoll sind. Denn es muss nicht jeder einen Facebook- oder Twitter-Account haben. Wenn ich beispielsweise merke, dass sich mein Publikum sehr differenziert in speziellen Foren über mein Thema austauscht, dann ist es sinnvoll, ebenfalls dort aktiv zu werden. Man sollte nicht bestimmte Tools auswählen, nur weil sie viel im Gespräch sind, sondern man sollte nach den Inhalten entscheiden, wo man sich engagiert: Was wird geredet, wo sind wir gefragt, wo können wir gewinnbringend mitdiskutieren? Unternehmen müssen die Erlebniswelt rund um ihre Marken geschickt inszenieren und diese Inhalte in den Austausch im Social-Web einflechten. Denn Konsumenten kaufen bestimmte Marken nicht allein, weil sie die Produkte gut finden, sondern weil sie mit der Marke etwas verbinden. Das können und sollten Firmen nutzen.

Wie viel Vorbereitungszeit braucht ein Unternehmen, um im Social-Web eine gute Figur zu machen?
PR im Social-Web beginnt mit Zuhören. Für den Aufbau eines treffsicheren Monitoring mit den passenden Keywords würde ich sechs bis acht Wochen einrechnen. Wie lange es insgesamt dauert, kommt darauf an, wie weit ein Unternehmen mit den Vorarbeiten ist und welche Aktivitäten es im Social-Web plant. Aber ein halbes bis ein Jahr dauert es sicher, bis ein Unternehmen ein Standing hat, bis die Mitarbeiter gelernt haben, wie man mit dem Social-Web umgeht, und eine Routine aufgebaut haben, bis sie raus haben, welche Infos sie in welchem Kanal platzieren und wie sie die Känale miteinander verzahnen können. Für diejenigen, die später die Kommunikation übernehmen sollen, ist es zur Vorbereitung nicht schlecht, all das erst einmal an einem privaten Account zu üben. Am besten suchen sie sich ein Fachthema oder ein Hobby heraus, über das sie sich mit anderen austauschen können. So entwickeln sie ein Gespür dafür, wie das Social-Web funktioniert.

Sie beraten ja Unternehmen beim PR-Einstieg ins Social-Web. Wie gehen Sie dabei vor?
Bevor ich in einem Unternehmen eine Präsentation mache, nehme ich mir möglichst die erwähnten sechs bis acht Wochen, um erst einmal herauszufinden, wo das Unternehmen steht. Es muss eine bestimmte Periode verstrichen sein, damit sich ein Bild ergibt. Dann versuche ich, herauszufinden, was der Kunde will, und evaluiere die nächsten Schritte: Früher kam ein Kunde mit seiner Medienmitteilung und wollte sie von uns verschicken lassen. Da war es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Kunde seine Hausaufgaben macht. Wir fragten: «Was wollt Ihr genau sagen? Was antwortet Ihr, wenn Journalisten nachfragen? Habt Ihr Ansprechpartner ausgewählt und sind die vorbereitet? Habt Ihr Bildmaterial aufbereitet?» Und oft hat sich herausgestellt, dass die Medienmitteilung zu dem Zeitpunkt noch nicht die richtige Wahl war. Wenn es um eine Präsenz im Social-Web geht, muss sich ein Unternehmen ebenfalls fragen: Was will ich sagen? Was will ich erreichen? Es genügt nicht, einfach mal wieder in den Medien präsent sein zu wollen. Mein Ausgangspunkt sind nicht Massnahmen, sondern Ziele. Darum ist mir wichtig, was ein Kunde bisher gemacht hat, warum er ins Social-Web will, was seine Motivation ist. Manch einer will einfach dabei sein, andere haben bereits klare Vorstellungen. Da kann man schauen, wie realistisch sie sind, wobei auch wieder das Monitoring hilft. Im Moment sind wir in einer Phase, in der man noch erklären muss, wie Social-Web eigentlich genau funktioniert, wie die Leute dort reden, welche Mechanismen es gibt. Oft ist meinen Kunden gar nicht bewusst, dass im Social-Web wirklich Gespräche geführt werden und wie vernetzt die verschiedenen Kanäle miteinander sind: dass Blogbeiträge auf Twitter oder Facebook kommentiert werden oder ein Facebook- oder Flickrbeitrag bei Xing wieder auftauchen kann. Um diese Vernetzung zu verdeutlichen, rede ich von Social-Web und nicht von Social-Media. Ein Unternehmen kann sich sogar mit einem Youtube-Account profilieren, ohne jemals eigene Videos hochzuladen – einfach indem es Beiträge zusammenstellt. Wissen kuratieren ist im Social-Web etwas ganz Wichtiges. Aber auch das ist vielen Unternehmen nicht klar.

Es ist immer von DEM Unternehmen die Rede. Aber es sind natürlich einzelne Personen, die für ein Unternehmen twittern, den Facebook-Account betreuen oder in Blogs aktiv sind. Sollten die mit ihrem Namen und einem Foto in Erscheinung treten, oder besser anonym hinter dem Unternehmenslogo zurücktreten?
Es heisst ja immer, dass man dem Unternehmen im Social-Web ein menschliches Gesicht geben kann. Aber das ist eine Plattitüde – denn wie stellen Sie sich zum Beispiel das Gesicht der Swiss vor? Wenn der Pressesprecher der Swiss twittert oder facebookt, dann kann er natürlich mit Namen und Bild auftreten. Aber was macht die Swiss, wenn er einmal geht? Oder wie managt sie es, wenn mehrere Unternehmensvertreter kommunizieren? Muss sie die jetzt alle vorstellen? Hier gilt es, abzuwägen.

Das dürfte eine strategische Entscheidung des Unternehmens sein. Denn wie Sie sagen: Wenn die Person kündet, an die die Kommunikation geknüpft ist, verliert das Unternehmen im wahrsten Sinne sein Gesicht. Bedeutet das, dass ein Unternehmen die Kommunikation im Social-Web von Anfang an auf mehrere Mitarbeiter verteilen sollte?
Ja, auf jeden Fall. Denn das ist viel authentischer, breiter verteilt was die Wissensbereiche anbetrifft, es wird lebendiger und es entsteht eine Vielfalt auch in der Sprache. In den Social-Media gibt es nicht so eine klare Corporate-Language wie in der restlichen Unternehmenskommunikation, von bestimmten Begriffen einmal abgesehen. Also kommuniziert jeder mit einem etwas anderen Stil, die User werden unterschiedlich angesprochen. Das haben sie gern, schliesslich hat jeder andere Präferenzen. Eine Verteilung der Kommunikation auf mehrere Schultern ist ausserdem eine Entlastung für die PR-Leute. Zeigt ein kleines Unternehmen alle Köpfe, ist das OK, denn oft besteht das Team gerade mal aus zwei Leuten. Aber nicht jede Firma sollte alle ihre Kommunikatoren zeigen. Denn zum einen will nicht jeder Mitarbeiter sein Foto im Internet sehen, zum anderen geschieht die menschliche Ansprache bereits über die Sprache, dafür brauchts nicht unbedingt ein Gesicht. Im Radio sieht man das Gesicht ja auch nicht. Etwas anders sieht das aus, wenn es um Support und Beratung geht, hier hat der Konsument natürlich gerne eine Ansprechperson. Sobald man also miteinander einen Case hat, empfiehlt sich zumindest ein Kürzel.

Die ehemalige Pressesprecherin der Swissair, Beatrice Tschanz, hat sich mit ihrer offenen Kommunikation beim Grounding des Unternehmens 2005 einen Namen gemacht – nicht zuletzt, weil sie ganz genau steuern konnte, welche Information wann nach aussen drang. Meinen Sie, Tschanz hätte sich auch so gut geschlagen, wenn Social-Media damals schon ein Thema gewesen wären?
Ja, das glaube ich, aber sie wäre noch mehr gefordert gewesen als damals. Tschanz hatte einen entscheidenden Vorteil: Sie war direkt an den CEO angehängt. Heute ist es wichtiger denn je, dass man Rückendeckung und das volle Vertrauen von oben hat. Man muss sich schon mal schnell mit dem Chef abstimmen können, aber nicht jede Einzelheit mit ihm abstimmen müssen. Tschanz konnte die Infos zwar portionieren, aber sie musste sehr schnell sein. Bei ihr stimmte einfach die Mischung von Intuition, Erfahrung, Menschlichkeit, Rückhalt beim Chef und Handlungsfreiheit.

Ist es insbesondere bei Krisenkommunikation wichtig, im Social-Web präsent zu sein?
Ich würde eine Krise nicht zwingend ins Social-Web hinausstossen. Aber von einem kann man ausgehen: Wenn es eine Krise gibt, ist sie blitzschnell im Social-Web. Die Ermordung von Osama bin Laden hat sich zum Beispiel zuallererst in Twitter verbreitet, noch bevor Obama sich äussern konnte. Aber wenn man den speziellen Fall hat, dass es eine Krise gibt, die noch nicht im Web angelangt ist, würde ich das auch nicht pushen. Heute ist Krisenkommunikation viel anspruchsvoller. Früher konnte man sich zurückziehen, Fakten klären, beraten, wie man eine Stellungnahme formuliert und dann informieren. Heute ist das erste Foto vom Absturz eines Flugzeugs schon im Internet, bevor man im Unternehmen richtig begriffen hat, was passiert ist. Unternehmen werden heute zur Salamitaktik gezwungen. Denn es wird erwartet, dass sie in Echtzeit kommunizieren: Sie müssen laufend darüber informieren, was geschieht, was in komplexen Fällen enorm anspruchsvoll ist. Was man auf jeden Fall machen sollte, wenn im Social-Web über das Unternehmen diskutiert wird, ist signalisieren: «Wir haben Euch gehört und wir arbeiten daran.»

Social-Media sind eine riesige Herausforderung. Gibt es Organisationen oder Unternehmen, für die es sich grundsätzlich nicht lohnt, Kraft, Zeit und Geld in Facebook, Twitter, Blogs und Co. zu investieren?
Jedes Unternehmen muss fürs Monitoring einen minimalen Aufwand betreiben, da geht kein Weg mehr drumherum. Wer mit seinen Leistungen und Angeboten in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden will – und das wird für jedes Unternehmen zutreffen – der darf und muss davon ausgehen, dass auch über ihn geredet wird. Ich sage auch «darf», weil ja nicht immer nur schlecht geredet wird. Die Leute wollen eigentlich nicht kritisieren, sondern in Ruhe gelassen werden. In der Regel reklamieren sie nur dann, wenn es wirklich gravierende Mängel gibt. Ich jedenfalls kann nicht beobachten, dass Leute im Web einfach nur Streit suchen. Streithähne werden schnell abgekapselt. Wichtig ist, vieles aus dem Alltag mitzunehmen und mit gesundem Menschenverstand anzugehen.

Wie kontrolliert man seinen Erfolg im Social-Web? Die Zahl der Fans und Follower ist wohl nicht aussagekräftig.
Fans und Follower allein sind in der Tat kein guter Gradmesser, nur schon, weil man sie sich kaufen kann. Ein Erfolgsmerkmal ist der Austausch mit den Usern. Wenn ein Unternehmen auf Twitter nur Informationen bringt, ohne Links, wirkt das isoliert. Wenn es verlinkt, geht die Kommunikation schon ein wenig weiter. Aber es sollte auch darüberhinaus Interaktion stattfinden, bei Twitter zum Beispiel durch @Nutzername, was auf ein Gespräch hindeutet. Eine Ausnahme bilden Medien, denen es darum geht, News zu verbreiten – in diesem Fall sind Tweets oder Beiträge nur mit Links vertretbar. Aber bei jedem anderen Unternehmen verstehe ich nicht, dass es, wenn es Follower hat, keinem zurückfolgt. Das heisst für mich: «Wir wollen nicht mit Euch reden, Ihr sollt uns zuhören.» Ein weiteres Gütezeichen ist natürlich auch, wenn die Nachrichten eines Unternehmens weiterverbreitet und geteilt werden.

Welches sind die drei wichtigsten Regeln für gelungene PR im Social-Web?
Erstens muss das Unternehmen wissen, was es im Social-Web sagen und erreichen will. Zweitens muss es bereit sein, loszulassen. Wenn einmal eine Information draussen ist, geht es darum, zuzuhören, wie User darauf reagieren, welche Standpunkte sie haben und auf diese einzugehen. Und drittens muss das Unternehmen authentisch bleiben. Das Social-Web ist weder ein billiges Marketingtool, noch ein Transmitter für Markenbotschaften, sondern eine Chance, sich auf seine Weise über Inhalte zu profilieren und auszutauschen, die der Zielgruppe Mehrwert bieten.

Wie finden ein Unternehmen oder eine Organisation die richtige Person oder die richtige Agentur für ihre PR im Social-Web?
In unserem Buch* haben wir einige Punkte aufgelistet, auf die man bei der Auswahl einer Agentur achten sollte. Die Person, die die Betreuung übernimmt, sollte bereits über eigene Erfahrungen im Social-Web verfügen, aber auch etwas von Gesamtkommunikation verstehen. Ich halte nicht viel von Agenturen, die nur Social-Media anbieten – ich finde, das ist nicht der richtige Approach. Eine solide Kommunikationsausbildung, Erfahrung im Social-Web, die Fähigkeit, aktiv zuzuhören, das Gehörte zu analysieren und konzeptionell umzusetzen gehören für mich zu den Kernkompetenzen. Letztlich ist ausschlaggebend, dass die Chemie zwischen Unternehmen und Agentur stimmt. Wichtig ist ein Vertrauensverhältnis, das ein offenes Gespräch zulässt und bei dem beide Seiten gemeinsam herausfinden, welchen Weg das Unternehmen im Social-Web beschreiten könnte.

Wie lange wird es dauern, bis beim Thema PR im Social-Web eine Professionalisierung beginnt?
Das wird sich im Laufe dieses Jahres entwickeln. Letztes Jahr konnte man noch herumexperimentieren, als Agentur und als Unternehmen. Diese Zeit ist jetzt vorbei. Unternehmen können nicht mehr ohne Strategie ins Social-Web gehen.

Interview: Anne-Friederike Heinrich

In Kürze
Marie-Christine Schindler ist selbstständige PR-Beraterin und Master in Writing und Corporate Publishing. Acht Jahre arbeitete sie bei der internationalen PR-Agentur Trimedia Communications, wo sie Kunden wie Mövenpick, Federal Express, ABB, Lufthansa und Zürich Versicherungen betreute. Danach war sie 14 Jahre in der PR-Ausbildung tätig, unter anderem beim SPRI. 2010 gründete Schindler ihre PR-Agentur mcschindler.com. www.mcschindler.com

*Lesetipp:
Marie-Christine Schindler / Tapio Liller (2011): PR im Social Web – das Handbuch für Kommunikationsprofis. O’Reilly-Verlag; 36,20 Franken.
 

Weitere Artikel zum Thema