Optimismus trotz Nonprofit

WSJ.com-Herausgeber Rich Jaroslovsky sieht die zweite Morgenröte für Printprodukte online

WSJ.com-Herausgeber Rich Jaroslovsky sieht die zweite Morgenröte für Printprodukte onlineVon Daniel SchifferleKommerziell funktionierende Onlineangebote von Zeitungen sind Ausnahmen von der Regel. Doch der Herausgeber der viel gerühmten Finanzsite WSJ.com ist optimistisch für die Zukunft. Er glaubt, das Bezahlmodell sei zu früh beerdigt worden, und es sei jetzt an der Zeit, darauf zurückzukommen. Aber trotz einer halben Million Abonnenten verdient auch die Onlineversion des Wall Street Journal noch kein Geld.
Sie sind rar, die Onlineangebote mit kommerziellem Erfolg. Sehr rar. Das hat die traditionelle Zürcher «Dreikönigstagung» zum Thema «Erfolgsmodelle im Onlinegeschäft» einmal mehr offen gelegt. Die wenigen erfolgreichen Beispiele werden herumgereicht wie sakrale Gegenstände. Deshalb war Rich Jaroslovsky, Managing Editor der Finanzsite WSJ.com, nicht nur beim Event des Medieninstituts ein gefragter Mann.
Bereits vorher seien die Journalisten Schlange gestanden, berichtete Karl Lüond, Leiter des Medieninstituts. Alle wollten von Jaroslovsky hören, wie man Internetsites so weit bringt, dass sie auch finanziell attraktiv werden. Denn mit steigendem Alter der Interneteuphorie ist auch die Ernüchterung gewachsen, dass solche Angebote vor allem kosten, aber nur wenig Geld einbringen. Und dies trotz guter und weiterhin aufwärts zeigender Nutzung durch das Publikum.
Das 1996 lancierte Onlineangebot des Wall Street Journal hat den Erfolg reichlich. Das Jahr 2000 war für WSJ.com ein Boomjahr und ein Meilenstein: Allein im vergangenen Jahr steigerte die weltweit erfolgreichste Finanzsite ihre Abonnentenzahl um 52 Prozent. Im Herbst registrierte sich zudem der 500000. zahlende Abonnent. Fantastisch. Und jetzt könnte ein neuerlicher Schub kommen. Denn Rich Jaroslovsky tourt derzeit in Europa, um das hiesige Börsen- und Anlegerpublikum mit dem WSJ.com-Virus zu infiszieren. Und hier liegt sicher noch ein erhebliches Potenzial drin, denn von der halben Million Abonnentinnen und Abonnenten der Site leben bisher erst 15000 auf dem Alten Kontinent. Dies hat aber auch damit zu tun, dass WSJ.com erst vor wenigen Monaten mit Marketing in Europa begonnen hat.
Rosiger Publikumsmarkt,
dünne finanzielle Resultate
Doch trotz rosiger Perspektiven im Publikumsmarkt sind die Einnahmen nicht berauschend. Denn selbst das als Erfolgsbeispiel herumgereichte WSJ.com verdient noch kein Geld. Gerade mal 51 Millionen US-Dollar Umsatz erwartet die Finanzsite fürs Jahr 2000. 60 Prozent davon stammen aus dem Werbemarkt. Zwar gehts mit grossen Schritten vorwärts – um über 50 Prozent stieg das Werbevolumen im vergangenen Jahr –, doch das ist nur ein Klacks am gesamten Erlös von Dow Jones & Company. Und an diesem wenig attraktiven Grössenverhältnis dürfte sich so bald nichts ändern.
Aber ein Erfolg ist Jaroslovsky heute schon gewiss: Die Abos der Onlineversion gehen nicht auf Kosten des Heftes. «Zwei Drittel der Subscribers von WSJ.com waren nie Abonnenten des Wall Street Journal», sagt Jaroslovsky. Die befürchtete Kannibalisierung des Printproduktes ist in diesem Fall also klar ausgeblieben. Für Jarosolovsky ein Grund zum Jubeln: «Wir haben bewiesen, Print und Online können komplementär funktionieren.»
Für die 59 US-Dollar Jahresgebühr wird die neu erschlossene Nutzerschicht aber auch reichlich verwöhnt. Sie erhält nämlich für ein Drittel von dem, was das Blatt pro Jahr kostet (175 US-Dollar), das weltweit umfassendste Finanzinfoangebot von Dow Jones & Co im Gesamtpaket (siehe Kasten) geliefert. Und im Onlineangebot inklusive sind auch sämtliche Texte der aktuellen Printausgaben: das amerikanische Wall Street Journal sowie die europäische und die asiatische Ausgabe. Der Gewinner ist ganz klar der User, der nur den Bruchteil eines einzigen Printabos bezahlt, aber ein vielfaches an Information dafür bekommt.
Unter ihrem Wert verkauft sich auch die Werbeplattform WSJ. com. Rund 30 Millionen US-Dollar Einnahmen aus der kommerziellen Kommunikation im letzten Jahr ist nicht viel, gemessen an der zahlenmässigen Kraft der Zielgruppe und am geringen Streuverlust, die WSJ.com bieten kann. 98 Prozent legen Geld an. Die Hälfte der Nutzerinnen und Nutzer hat ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 125000 US-Dollar und arbeitet im Topmanagement. 56 Prozent greifen auch von dort aus auf WSJ.com zu.
Attraktives Userprofil, aber
wenig Geld aus Werbemarkt
Diese Nähe zum Beruf verweist auch auf eine weitere vorteilhafte Spezialität, auf welche die Sites anderer Printmedien nur neidisch sein können. Denn bei der Beziehung zwischen WSJ.com und seinen Nutzerinnen und Nutzern handelt es sich um ein eigentliches B2B-Verhältnis: Letztere suchen dort Informationen, die direkt auf ihre Transaktionsentscheide Einfluss nehmen. Das heisst nicht, dass etwa andere Zeitungen nicht auch Relevanz lieferten, doch Distanz und Verhältnis zur Handlung sind bei ihnen ungleich grösser und komplexer.
Trotz des viel weniger direkten Handlungsbezugs ist der WSJ.com-Herausgeber aber auch für die anderen Printmediensites optimistisch. Allerdings nur, wenn sie sich absolut dem einen Prinzip verschreiben: «Public will value products that meet their needs.»
Bekommt das Bezahlmodell doch noch eine Chance?
Höchste Zeit scheint es Jaroslovsky, auf das Bezahlmodell zurückzukommen. «Die Anbieter von Onlineinhalten müssen sich nochmals intensiv damit auseinandersetzen», rät er. Dabei müsse man auch einen Fehler der Vergangenheit ausbügeln. Den wichtigsten hätten die Anbieter nämlich selber gemacht, indem sie ihre Informationen einfach gratis abgegeben und daran bisher nicht mehr gerüttelt hätten.
«Wenn man das über längere Zeit macht und dann plötzlich kommt und Geld will, sind die Nutzer natürlich nicht einverstanden.» Deshalb müsse wohl ein Trick angewandt werden. «Wenn Sites das Bezahlmodell entwickeln wollen, dann kommen sie nicht darum herum, dies mit neuen Serviceangeboten zu rechtfertigen», ist Jaroslovsky überzeugt.
Damit es gelingt, neben Businessnews auch Unterhaltung und ein erweitertes Newsangebot als «wertvoll» zu positionieren, müssen aber einige weitere Bedingungen erfüllt sein. Jaroslovskys Rezept: «Exklusivität und Informationen in speziellen Nischen, dafür bezahlen die Leute.» Aber auch die Verpackung sei wichtig. Diese habe man bisher noch zu wenig auf ihre verkaufsfördernde Tauglichkeit getrimmt. «Man muss die Informationen so verpacken, dass die Nutzer den Wert sehen können, für den sie bezahlen. Das ist die Herausforderung.»
Aber bis das Bezahlmodell bei der Nutzung von Onlinecontents nicht mehr nur als exotische Ausnahme wie im Falle von WSJ.com funktioniert, steht noch ein langer Weg bevor, ist auch Jaroslovsky überzeugt. Doch grundsätzlich zeigt er sich optmistisch. Das Know-how in der Kreation von Onlineangeboten sei mittlerweile doch so weit gereift, dass es jetzt mehr und mehr möglich werde, die Potenziale des Internets auch zu nutzen. «Die Anbieter werden mit sehr individuellen Antworten kommen und es werden gute und wertvolle (valuable) Antworten sein.» Doch bis das «Valuable» dann auch wirklich in der Kasse klingelt, bleibt noch viel zu tun.
Für 59 US-$ gibt Dow Jones & Co. (fast) alles

Die über 100 Jahre alte Dow Jones & Company steht für das weltweit umfassendeste und renommierteste Infoangebot zum Thema Finanzmärkte überhaupt. Und daraus schöpft auch die Finanzsite. WSJ.com hat für seine Inhalte Zugriff auf ein Netzwerk von mehr als 1800 Wirtschaftsjournalisten und Reportern. Die Onlineredaktion alleine beschäftigt 250 Personen, davon sind 80 mit der Herstellung und Bearbeitung von Texten beschäftigt, die anderen mit Technik, Marketing und Administration.
Inhaltlich bietet WSJ.com alles, was das Herz des Anlegerprofis begehrt: Ein umfassendes Informationsangebot zum Wirtschaftsgeschehen mit Berichten, Analysen und Marktdaten von den Finanzmärkten rund um die Welt. Der Nutzer hat Zugriff auf 22000 Hintergrundberichte zu börsenkotierten Firmen. Und er kann für seinen Wissenshunger die gesamte Dow Jones Publications Library mit über 75 Millionen Artikeln durchstöbern. Zum exklusiven Service gehören selbstverständlich tägliche personalisierte E-Mails mit massgeschneiderten Topnews sowie Newsfolders mit bis zu fünf personalisierten Investmentportfolios.
Zusätzlicher Infopower, der in den 59 US-Dollar Jahresgebühr inbegriffen ist: Auch sämtliche aktuellen Inhalte aller drei Printausgaben (The Wall Street Journal, The Wall Street Journal Europe, The Asian Wall Street Journal) sowie das Sonntags-Finanzblatt Barron’s sind im Angebot von WSJ.com mit drin.
Kommentar

Viel gelernt – (noch) nichts verdient
Von Daniel Schifferle
Die Nachteile der Internetplattform gegenüber der Printausgabe sind frappant: Viel weniger Geld von den Nutzern, viel geringere Werbeeinnahmen – und das für ein viel reichhaltigeres Produkt, als es die Zeitung ist. Dies zeigt das Onlineangebot des Wall Street Journal ganz klar, auch wenn es jetzt als Hoffnungsbringer für ernüchterte Sitemacher herumgereicht wird. Tatsache ist: Der Abonnent von WSJ.com erhält Zugriff auf ein gewaltiges Informationspaket inklusive alle drei Ausgaben des Wall Street Journal. Und dies alles für einen Bruchteil des Preises, den er für ein einziges Zeitungsabo bezahlen würde.
Gewinner ist zurzeit in jedem Fall der Nutzer. Verlierer sind die Anbieter von Informationen, denn sie geben diese online viel günstiger oder sogar gratis ab. Das heisst, die Verleger erleben auf ihren Onlineplattformen einen drastischen Preiszerfall bei ihren Leistungen. Das ist gefährlich, denn je länger sie ihre Texte im Netz gratis oder viel billiger abgeben, umso nachhaltiger unterminieren sie beim Konsumenten das Gefühl für den Preis, den hochwertige Information hat.
Und auch als Werbeplattformen haben die Onlineangebote noch nicht den Wert, den sie haben könnten. Denn WSJ.com hat zwar eine riesige und äusserst attraktive Zielgruppe. Doch die Werbeeinnahmen, die man daraus generiert, sind ein Pappenstiel im Vergleich zu dem, was dieselbe Zielgruppe im Print einbringen würde.
Trotz der drohenden Gefahr einer Entwertung sowohl der Informationsleistung als auch der Werbeplattform, haben die Printmedien dank der Onlinewelt in einem Tempo dazugelernt wie kaum je zuvor. Insbesonders bei der Distribution vollzieht sich eine eigentliche Revolution. Mit neuen Plattformen und Kanälen gelingt es, die Informationsleistung zu diversifizieren, damit neue Nutzerschichten zu erschliessen und neue Formen der Kundenbindung zu erzeugen. Diese Power auch in Geld umzumünzen, ist die grosse Herausforderung für die Zukunft.

Weitere Artikel zum Thema