Nebenwirkungen inbegriffen

Der US-Werbemarkt für Medikamente boomt, doch die Kampagnen sind uniform und provozieren Parodien

Der US-Werbemarkt für Medikamente boomt, doch die Kampagnen sind uniform und provozieren ParodienVon Thérèse BalduzziVor über drei Jahren wurde in Amerika die Werbung für rezeptpflichtige Medikamente liberalisiert. Umstritten ist nach wie vor der Einfluss der obligatorischen Auflistung der Nebenwirkungen auf die Werbewirksamkeit. Klar ist nur, dass Medikamentenwerbung zu einem bekannten Genre geworden ist, das schon gerne parodiert wird.
Ein TV-Spot für das Allergiemedikament Allegra beginnt mit einer dreiköpfigen Familie, die ins Grüne fährt. Vater und Sohn steigen aus dem Auto und freuen sich aufs Wandern. Nur die Frau bleibt im Auto sitzen und niest, weil sie unter Allergien leidet. Etwas später geniesst sie jedoch dank des rezeptpflichtigen Allegra die frische Naturluft ebenso, atmet sie tief ein. Die Off-Stimme verkündet, dass Allegra (Wirkstoff Fexofenadine) als Nebenwirkungen Kopfschmerzen, Infektionen der oberen Luftwege und Rückenschmerzen hervorrufen kann.
In einem Spot für den Appetitzügler Meridia verkünden verschiedene Frauen, sie hätten ihre Essgewohnheiten unter Kontrolle. «Cheesecake doesn’t turn me on» (Cheesecake macht mich nicht an), deklariert die eine, «I don’t confuse Love and Lasagne» (ich verwechsle Liebe nicht mit Lasagne), die andere. Danach warnt eine Stimme aus dem Off, Meridia sei nicht für Menschen mit hohem Blutdruck, Depressionen, Magersucht, Parkinson, Glaukoma oder für Herzkranke, Schwangere und Stillende geeignet. Nebenwirkungen könnten Kopfschmerzen, Verstopfungen, Schlaflosigkeit und einen trockenen Mund einschliessen. Zudem bestehe die Gefahr, süchtig zu werden.
Liberalisierung löste Anzeigen- und Spot-Boom aus
Als die Food and Drug Administration (FDA) 1997 die Bestimmungen für die Werbung rezeptpflichtiger Medikamente liberalisierte, bahnte sie damit den Weg für eine unglaubliche Inflation von Spots und Anzeigen. Täglich flimmern Dutzende von Medikamentenspots gegen alle möglichen Leiden über den Bildschirm: Depressionen, Allergien, Herpes, Übergewicht, Asthma, Grippe, Erkältungen, Impotenz, Reizblase, multiple Sklerose, Alzheimer, Herzkrankheiten, Osteoporose, Arthritis, Migräne. Und in den Zeitschriften wimmelt es von entsprechenden Anzeigen.
Milliarden fliessen in das Direct to Consumer Advertising (DTC), wie die Medikamentenwerbung genannt wird. Im letzten Jahr stellte DTC die sechstgrösste Werbekategorie dar. Die Ausgaben haben sich im Jahr 1999 (1,8 Mrd. Dollar) gegenüber 1997 (1 Mrd. Dollar) fast verdoppelt. Die Ausgaben für TV-Spots allein haben sich zwischen 1997 (309,6 Mio. Dollar) und 1999 (1,1 Mrd. Dollar) mehr als verdreifacht.
Die «Fair Balance Guidelines» der DTC-Richtlinien bestimmen, dass die Nebenwirkungen aufgezählt werden müssen. Trotzdem bemängeln Kritiker, die Patienten würden nur bruchstückhaft informiert, was oft falsche Erwartungen wecke. Da Patienten heutzutage ohnehin mit einer Ladung ausgedruckter Information aus dem Internet den Arzt aufsuchten, stifte die Medikamentenwerbung nur zusätzliche Verwirrung. Ärzte würden von den mit Werbung vollgepumpten Patienten unter Druck gesetzt, ihnen bestimmte Medikamente zu verschreiben, selbst wenn sie andere für sinnvoller oder eine Medikation für unnötig hielten.
Selbst die FDA ist gespalten. Einerseits lässt sie das Argument der Befürworter gelten, dass die Medikamenteninformation die Patienten emanzipiere und die Diskussion zwischen Ärzten und Patienten fördere. Letztes Jahr sah sich die FDA allerdings zu einem «Public Health Advisory» gezwungen. Dieses warnte die Konsumenten davor, dass Ärzte sich zu sehr auf die Wirkung des neuen antiviralen Grippemedikaments Relenza verliessen, was vielleicht sogar den Tod gewisser Patienten verursacht haben könnte, die möglicherweise eine stärkere Behandlung benötigt hätten.
Veränderungen in der
Arzt-Patient-Beziehung
Ausserdem macht das beschleunigte Tempo der FDA Sorgen, mit dem neu zugelassene Medikamente über Nacht zum Kassenschlager werden können. Unter der alten Regulierung erfuhren neue Medikamente eine langsamere Verbreitung, was der Amtsstelle Zeit gab, allfällige Nebenwirkungen zu beobachten, die erst bei breiterer Anwendung auftreten können.
Verschiedene Studien zur Wirkung der neuen Kampagnen zeigen auf, wie diese die Beziehung zwischen Arzt und Patient verändert haben. Eine Studie der FDA ergab, dass von 960 Patienten, die in den vorhergehenden drei Monaten einen Arzt besucht hatten, 27 Prozent durch Commercials dazu gebracht worden waren, mit dem Arzt ein gesundheitliches Problem zu besprechen, das sie zuvor nie erwähnt hatten. Sieben Prozent haben ein Rezept für ein bestimmtes, aus der Werbung bekanntes Medikament gefordert. Der Hälfte davon wurde dieser Wunsch genehmigt.
In einer weiteren Studie wurden 329 zufällig ausgesuchte Bewohner Kaliforniens gefragt, wie sie reagieren würden, wenn ihr Arzt ihren Wunsch nicht erfüllen würde. Ein Viertel sagte, sie würden sich das Rezept in diesem Fall woanders besorgen. 15 Prozent würden deswegen in Betracht ziehen, den Arzt für immer zu wechseln.
Wie sehr Ärzte dem Druck der Patienten nachgeben, hängt allerdings von der Spezialisierung der Ärzte und der Ernsthaftigkeit der Krankheit ab, wie eine Untersuchung der Firma Scott-Levin in Pennsylvania ergab, die die Werbewirksamkeit der DTC-Werbung misst. So sind beispielsweise Spezialisten für Infektionskrankheiten, die Aidspatienten behandeln, weniger geneigt, sich bei ihren Entscheidungen dreinreden zu lassen. Fussspezialisten hingegen würden sich eher zu einem Rezept für das Nagelpilzmedikament Laprisil bewegen lassen. Frauen, die ein Rezept für die Antibabypille Ortho-Tri-Cyclen wünschen, die auch gegen Akne wirkt, erhalten dieses fast immer.
Laue Werbewirksamkeit durch Nennung der Nebenwirkungen
Die Werbewirksamkeit von Medikamentenanzeigen und -spots ist wie in vielen anderen Kategorien umstritten. Verschiedene Zahlen werden dabei publiziert und herumgereicht. So ergab eine Umfrage des Television Bureau of Advertising (TVB), das die Lokalfernsehstationen in 210 US-
Märkten vertritt und von der Medikamentenwerbung profitiert, dass 32,4 Prozent der Befragten auf Grund von DTC-Werbungen den Arzt aufsuchten. Ein Drittel davon erhielt ein Medikament verschrieben.
Eine Umfrage der Beratungsfirma Morpace Pharmaceutical Group ergab dagegen, dass nur gerade vier Prozent auf Grund einer aktuellen Kampagne um ein bestimmtes Medikament baten. Wobei auch nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung, die ein bestimmtes Medikament erbitten, für einen Pillendreher einen ansehnlichen Markt darstellen können.
Manchmal bewirken die Kampagnen aber auch das Gegenteil: Die durch die «Fair Balance Guidelines» verlangte Auflistung der Nebenwirkungen kann negative Reaktionen hervorrufen und Patienten davon abhalten, ein Medikament einzunehmen, selbst wenn sie es dringend nötig hätten. Es wird vermutet, dass der Absatz des Hoffroche-Produkts Xenical unter den in den Anzeigen und Spots genannten möglichen Nebenwirkungen wie «Blähungen», «vermehrter Stuhlgang» und «ölige Ausscheidungen» ziemlich gelitten hat.
In solchen Fällen ist die Lösung in den so genannten Generic Ads zu finden: Sie machen auf ein bestimmtes gesundheitliches Problem aufmerksam und muntern die Konsumenten dazu auf, mit ihrem Arzt darüber zu sprechen, ohne ein bestimmtes Medikament zu nennen. Damit sind sie auch nicht verpflichtet, Nebenwirkungen zu erwähnen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Namen eines Medikaments zu erwähnen, aber nicht das gesundheitliche Problem, zu dessen Linderung oder Heilung es bestimmt ist. Auch in diesem Fall müssen die Nebenwirkungen nicht aufgelistet werden. Die neue Kampagne für Xenical verfolgt genau diese beiden Strategien.
Diese Art von Werbung verlässt sich auf ihre indirekte Wirkung. Darauf nämlich, dass ein gewisser Prozentsatz der Zuschauer den Arzt aufsuchen und wiederum ein Teil der Ärzte das bestimmte Medikament verschreiben wird.
Guidelines machen die
Kampagnen glaubwürdiger
Obwohl die «Fair Balance Guidelines» den Pharmafirmen unangenehm sind, legt eine weitere Umfrage des TVB nahe, dass die Auflistung der Nebenwirkungen der Glaubwürdigkeit zuträglich ist. So antworteten in einer Untersuchung 62 Prozent von 2000 Befragten, dass sie Medikamentenwerbung für glaubhafter halten als die Werbung aller anderen Kategorien. 61,3 Prozent schenkten der Werbung für nicht rezeptpflichtige Medikamente Vertrauen und 56,4 Prozent der Werbung für die Gesundheitsproduktepalette.
Damit übersteigt die Glaubwürdigkeit der Medikamentenwerbung jene für andere Produkte bei weitem. Dafür wird die Auflistung der Nebenwirkungen in den Kampagnen verantwortlich gemacht. Im Vergleich dazu erzielten etwa Kampagnen für Kleinlaster mit 50,6 Prozent eine geringere Glaubwürdigkeit. An die Aussagen in Anzeigen und Spots für Versicherungen glaubten noch 41,8 Prozent der Befragten. Allerdings sagt der Grad an Vertrauen in die Medikamentenwirkung nichts darüber aus, wie sehr die Befragten bereit sind, die möglichen Nebenwirkungen auf sich zu nehmen.
Bereits gibts Spotparodien auf Medikamentenkampagnen
Viele Kampagnen für Medikamente sind nach Schema X konzipiert: Sie beginnen mit einer mehr oder weniger gelungenen visuellen Darstellung des gesundheitlichen Problems, stellen das Medikament und seine Wirkungsweise vor und zeigen danach glückliche, geheilte Menschen. Zum Schluss kommt die obligatorische Litanei der möglichen Nebenwirkungen, die meistens von einer sanften Stimme mit unglaublicher Geschwindigkeit aufgesagt wird. Wegen ihrer Häufigkeit sind sie zu einem Klischee geworden, über das sich bereits zahlreiche Spots für andere Produkte lustig machen.
Eine Werbung für Energizer-Batterien von TBWA/Chiat/Day beginnt wie ein Spot für ein Mittel gegen Haarausfall: Ein junger Mann in einem Swimmingpool erklärt, wie erfolgreich das Medikament war, dreht sich danach um, wobei sein unansehnlich stark behaarter Rücken zu sehen ist. Und just in diesem Moment marschiert das Energizer-Bunny ins Bild. Zwei Spots von DeVito Verdi für TheStreet.com, eine Onlinewirtschaftszeitung, bedienen sich der Strickmuster für Alzheimer- und Impotenzmedikamente und parodieren sie, indem sie die Zuschauer auf die Möglichkeit aufmerksam machen, dass man beim Aktienkauf desorientiert sein könnte.
Auch Goodby, Silverstein & Partner bedient sich gerne unfreiwilligen Lacher und benutzt DTC-Parodien für zwei verschiedene Kampagnen, für E-Trade und TiVo. Ein Spot für E-Trade, eine Adresse für Onlineinvestoren, veräppelt die häufigen Spots für Allergiemedikamente. Ein Investor sieht einen Spot für das fiktive Allergiemittel Nozulla. Darin tanzt eine Frau dank des Medikaments glücklich auf einer blühenden Wiese herum. Als die Stimme aus dem Off jedoch die Nebenwirkungen aufzählt, darunter Haarausfall am ganzen Körper und Babys, die mit Hundeköpfen geboren werden, verkauft der junge Mann sofort seine Nozulla-Aktien.
Am meisten Sinn mit dem Unsinn macht ein Spot der gleichen Agentur für TiVo, den digitalen Recorder, mit dem Werbung beim Fernsehen ausgeschaltet werden kann. Sie beginnt mit einem unappetitlichen Spot, in dem zwei ältere Männer über «masculine itching» sprechen, eine Anspielung auf Spots für «feminine itching» (Scheidenentzündung). Doch bevor der eine dazu ansetzt, dem anderen mit einer Hand voll unansehnlicher weisser Paste in die Hose zu greifen, unterbricht eine Stimme aus dem Off: «Get TiVo. Skip the stuff you don’t want to see. TiVo, TV your way.»

Weitere Artikel zum Thema