Myty Group: Netzwerke neu gedacht
David Rost und seine Myty Group AG rütteln die Kommunikationsbranche durch: 14 europäische Agenturen hat der Entrepreneur seit 2020 «gesammelt», ein Ende ist nicht in Sicht. Was macht Rost anders als die Konkurrenz?
Und plötzlich steigt David Rost aus dem Fenster. Der Gründer der Myty Group AG, einer der am schnellsten wachsenden Agenturgruppen in Europa, kann sich mit dem Co-Working-Background für das geplante Fotoshooting nicht so recht anfreunden; man hat das Gefühl, das sei alles ein bisschen zu klischeehaft für ihn, zu inszeniert. Tischkicker, Mood-Boards, bunte Bestuhlung: Das hat man auf Gründer:innenporträts schon oft gesehen. Also geht es kurzerhand ab durchs Fenster, in den eiskalten – und explizit nicht für die Nutzer:innen des Co-Workings freigegebenen – Innenhof, der durch einen eher rohen Industriecharakter besticht. Journalist und Fotograf kommen kaum hinterher, die Menschen in den umliegenden Büros wohnen dem Spektakel interessiert bei. Dann positioniert sich David Rost in der Mitte des Geschehens, ein Lächeln auf den Lippen. «So», sagt er, «jetzt können wir loslegen.»
Einer, der’s anders macht
Die Anekdote passt zu der Skizze, die der vorliegende Artikel von dem Unternehmer zeichnen wird: Rost kümmert sich nicht besonders um Konventionen, sondern transzendiert sie; macht das aber ohne Arroganz oder Grössenwahn, sondern mit Charme und enormer Geschwindigkeit. Er agiert und denkt so rasch, dass man manchmal Mühe hat, Schritt zu halten, es aber auch Freude bereitet, ihn dabei zu beobachten.
14 Firmen an 23 Standorten gehören mittlerweile zum internationalen Myty-Kosmos, jeweils mit autonom agierendem Management, aber zentral vernetzt und unterstützt aus dem Hauptquartier in Berlin. Das sind an die 800 Mitarbeiter:innen, von denen viele in ihrem jeweiligen Bereich als Toptalente gelten. In der Schweiz sorgte etwa die Akquise von Sir Mary in Zürich für Schlagzeilen, in Kroatien ist die dortige Agentur des Jahres 404 Teil des Portfolios, in der deutschen Hauptstadt operiert integr8, eine digitale Full-Service-Agentur, mit der David Rost einst seine Laufbahn als Entrepreneur gestartet hat. 14 Firmen seit Oktober 2020 – wie hat Rost mit seinem Managementteam dieses, wie er es nennt, «anorganische Wachstum» bewältigt? Und warum hält er das «Myty-Prinzip» für eine gute Idee – nein: für eine bessere Idee als jene, die hinter anderen Networks und Holdings steckt?
«Ich hatte echt keine Ahnung»
Um diese Fragen zu beantworten, muss man zum Beginn der Karriere des Founders zurückgehen. Zunächst wollte er seinem Vater, einem gestandenen Journalisten und ehemaligem Chefredakteur von Blättern wie der «Märkischen Allgemeinen», in die Medien folgen, sah dann aber erste Vorzeichen des Zeitungssterbens am Horizont. Also machte Rost ein Praktikum in einer Münchner Agency (O-Ton: «Ich hatte echt überhaupt keine Ahnung, was da läuft, aber ich war ausreichend ’street-smart‘, um ein geschätztes Teammitglied zu werden»), blieb dort zwei Jahre – und gründete, nach einer weiteren Zwischenstation, die bereits erwähnte Agentur integr8. An Design hatte er Spass, an der Digitalisierung eine Menge Interesse und wenn man das noch mit Marketing und Kreation kombinieren könnte … wäre das dann nicht ein hervorragendes «Full Service Offering» für eine breite Gruppe von Kund:innen?
«Ich hatte echt keine Ahnung, was da läuft. Aber ich war ausreichend ‹street-smart›.»
«Ich glaube immer noch, dass wir mit integr8 von Anfang an einen guten Job gemacht haben», erinnert sich David Rost, «aber ich habe auch gemerkt: Die Spezialist:innen in der Firma bräuchten eigentlich ihr eigenes Umfeld.» Die «Kreativen, die Techies, die Designer:innen … fühlen sich wohler, wenn sie in einem Habitat mit ihren Peers agieren können», spürte der Unternehmer. Parallel suchte er nach einem Hebel, um schnell grösser zu werden – aber das klassische Netzwerkprinzip («einkaufen und integrieren») kam, beruhend auf der eben zitierten Erkenntnis, nicht infrage. David Rost wollte ein Konstrukt schaffen, in dem Expert:innen einfach Expert:innen sein dürfen – auf individueller, aber auch auf Team- oder Agenturebene.
Ein Joint Venture mit einem Medienkonzern scheiterte an der Tatsache, dass «nicht alles, was auf dem Reissbrett gut aussieht, auch in der Realität funktioniert». Als der Konzern begann, Anzeigenverkäufer:innen auf Agency-Sales umzuschulen (ein Vorhaben, das Insider:innen bestenfalls als «gewagt» bezeichnen würden … und das wäre immer noch ein Euphemismus!), bastelte der Entrepreneur längst an einer Exit-Strategie.
Private Equity-Koop als Lösung
Bei einem Private-Equity-Fund in Pfäffikon am Zürichsee fand David Rost schliesslich jemanden, der seine Vision teilte: ein Netzwerk aus Agenturen zu schaffen, in dem alle ihre Historie, ihr Können, ihr Profil behalten und trotzdem Synergien bilden, wenn es darauf ankommt. Nach zahllosen Brainstormings wurde die Idee geboren, Agencies nicht bloss zu akquirieren, sondern die Besitzer:innen – im «Tausch» für ihr Unternehmen – an Myty zu beteiligen. Mit dieser Strategie vermeidet man nämlich nicht nur, dass sich Eigentümer:innen «auszahlen» lassen, einen zwei-oder dreijährigen Folgevertrag als Angestellte halbherzig erfüllen und sich dann in eine Finca auf Ibiza zurückziehen. Man macht den Erfolg jedes Myty-Mitglieds zum Erfolg aller Myty-Mitglieder.
«Die Kreativen, die Techies, die Designer:innen … fühlen sich wohler, wenn sie in einem Habitat mit ihren Peers agieren können.»
Aufmerksame Leser:innen mögen nun einwenden, dass auch bei anderen Networks gerne vom kollektiven Erfolg gesprochen werde. Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Dort sind die Mitarbeiter:innen nur motiviert, sich für «das Grosse, Ganze» zu engagieren, wenn die interne Kultur stimmt und das Management es versteht, ein Gemeinschaftsgefühl aufzurufen. Unmöglich ist das selbstverständlich nicht, aber es ist weniger greifbar und mit deutlich langwierigeren Prozessen verbunden. Bei Myty tritt zum kulturellen Aspekt ein wirtschaftlicher Faktor hinzu: Je besser eine Agentur performt, desto besser performen alle. Synergien bilden die an der Gruppe beteiligten Firmen da schon aus reinem Eigeninteresse – und Community wird nicht über forcierten Korpsgeist, sondern über das genaue Gegenteil kreiert.
Kein Fraktionszwang
Denn David Rost legt grossen Wert darauf, den Myty-Members keine unternehmerischen Entscheidungen vorzugeben, ihnen nicht ins Tagesgeschäft «hineinzuquatschen», wie er nonchalant erklärt. Dazu gehört auch, dass die Agencies im Netzwerk sich ihre Partnerschaften frei aussuchen dürfen: Sie können mit Myty-Kolleg:innen in einen Pitch gehen, aber auch mit externen Anbieter:innen, wenn sie diese für besser geeignet halten. «Ich glaube, das differenziert uns ganz enorm von unseren Marktbegleitern – und steigert die Autonomie und die Zufriedenheit der Firmen, die zu uns gehören.»
«Ich kann Ihnen heute noch nicht sagen, welche Agentur sich uns in einem halben Jahr anschliessen wird.»
Der Effekt? Die Networkagenturen schauen sich aus einem Gefühl der Freiheit heraus nach Partner:innen um, die ebenfalls zu Myty gehören, nicht aber, weil es ihnen aufoktroyiert wird. Das klappt mittlerweile derart reibungslos, dass David Rost mitten im Gespräch mit m&k von einer Handybenachrichtigung überrascht wird: Zwei Myty-Firmen haben gemeinsam einen Pitch gewonnen. Er muss schmunzeln: «Ich wusste nicht mal, dass die sich zusammen auf dieses Mandat bewerben. Super!»
Monsieur «laissez faire»?
Um hier aber einem möglichen Irrtum vorzubeugen: Der Unternehmer (und seine Private-Equity-Partner:innen) handelt nicht wie beschrieben, weil ihnen egal wäre, was im Unternehmen passiert. Was vielleicht nach «laissez faire» klingen mag, ist bis ins Detail kalkuliert, macht ökonomisch Sinn und zahlt sich aus. «Das klingt jetzt vielleicht etwas hart, aber ich habe keine Toleranz für irrationale Entscheidungen», meint David Rost, «und wir machen nichts, weil es sich aus einem Impuls heraus nett anfühlt … oder weil es schon immer so gemacht wurde.» Das bedeutet auch, dass die Autonomie der Myty-Agenturen zwar sakrosankt ist, dass Gedanken über neue Geschäftsfelder und -opportunitäten davon aber nicht blockiert werden dürfen. Der Founder verrät: «Wenn wir beispielsweise im Bereich Media mit den aktuell fragmentierten Ressourcen einzelner Agencies ein Angebot aufgleisen können, das eine höhere Schlagkraft hat, dann müssen wir darüber nachdenken.» Das könne unter einem neuen, einheitlichen Branding für eine Media-Unit auch remote funktionieren, als hybrides Kompetenzzentrum mit Personal in München, Zagreb, Zürich und Berlin. Der Vorteil: Die Menschen würden in ihren Agenturen, ihrem gewohnten Umfeld bleiben. Und zusätzliche Bürokosten könnte man sich auch sparen, zumal David Rost anmerkt: «In Berlin haben wir erst kürzlich aus voller Überzeugung heraus den Grossteil unserer Officeflächen abgeschafft.» Die Mitarbeitenden, die wirklich Lust auf einen fixen Schreibtisch haben, bekommen diesen – der Rest darf sich von überall aus an Projekten beteiligen oder sich in Telefonkonferenzen einwählen.
Quo vadis, Myty?
Flexible, hybride Kompetenzzentren als nächster logischer Schritt. Und dann? «Das Schöne ist, dass ich Ihnen heute nicht sagen kann, welche Agentur sich uns in einem halben Jahr anschliesst», so der Entrepreneur. Unablässig – manchmal alleine, manchmal zusammen mit einem hochkarätigen Advisory Board, das kürzlich die Arbeit aufgenommen hat – bereist David Rost Europa, trifft Agenturgründer:innen und -besitzer:innen, analysiert nationale Werbemärkte und den kulturellen «Fit» in Bezug auf das Gesamtkonstrukt. «London, auch nach dem Brexit, Skandinavien, das Baltikum, Südeuropa … wir schliessen überhaupt nichts aus», sagt Rost, ehe er sich verabschiedet. Und den Schreibenden mit dem Gefühl zurücklässt: Es gibt noch viele Fenster, durch die der Unternehmer klettern, noch viele Konventionen, die er brechen wird.
David Rost ist Gründer und CEO der Myty Group, einer europäischen Agenturgruppe mit Hauptsitz in Berlin. Gegründet im Oktober 2020, gehören der Gruppe mittlerweile 14 Unternehmen mit an die 800 Mitarbeiter:innen an, unter anderem in Deutschland, Kroatien und der Schweiz. Vor der Gründung von Myty betrieb Rost sieben Jahre lang die von ihm gegründete Agentur Integr8, die sich auf die Verbindung von Digitalisierung, Strategie, Marketing und Design konzentriert. Sie besteht weiterhin – und gehört heute zur Myty Group.