Literarisch lügen wiegt schwerer
Joint Venture von Werbung und Literatur: zwei öffentliche Kommunikationsplattformen im Vergleich
Joint Venture von Werbung und Literatur: zwei öffentliche Kommunikationsplattformen im VergleichVon Anita VaucherZum brisanten Thema «Wahrheit, Lüge, Kunst und Werk – der Werbetext unter der Lupe» gaben sich Literatur und Werbung am traditionellen Literaturpodium in Bern ein Stelldichein. So gross die Unterschiede auch sein mögen: Beide sind darauf angewiesen, dem Publikum zu gefallen.
Er bewundere eigentlich vorbehaltlos die Fähigkeit zur Kürze, mit der sich die Werber ausdrücken könnten, schmeichelte der Schriftsteller Daniel Ganzfried («Der Absender») den zahlreich erschienenen Werbern gleich zu Beginn des Literaturgesprächs im Kramgasskeller in Bern.
Der Literatur stünde es gut an, sich kurz zu halten, dann würde es für sie auch einfach, lang zu sein, meinte Ganzfried weiter. Der Zürcher Autor, der von sich reden machte, weil er den Aufsehen erregenden Autobiografieschwindel des vermeintlichen Holocaustopfers Binjamin Wilkomirski aufdeckte, ist überzeugt, dass Werbung durchaus literarische Qualitäten habe, wenn sie zu überraschen und mit Worten zu spielen verstehe.
Beim Literaturgespräch zum unbequemen Thema «Wahrheit, Lüge, Kunst und Werk – der Werbetext unter der Lupe» vertrat Simon Freiburghaus von der Berner Werbeagentur Freiburghaus und Banderini die Werberseite: Spannende Werbung sei eigentlich kein Hexenwerk. Entgegen der weitverbreiteten Meinung gebe es viele Auftraggeber, die den Agenturen freie Hand liessen und Mut zum Aussergewöhnlichen hätten.
Je ausgeklügelter die Strategie, desto öder die Werbung
Simon Freiburghaus, auch Kolumnist der WerbeWoche, sieht aber das eigentliche Übel in den ausgeklügelten Marketingstrategien, Analysen und Pretests, die in den meisten Fällen einer ursprünglich originellen Idee den Gnadenstoss geben würden.
Solche Tests bestünde allenfalls eine Werbung, die das Wort «neu» zehnmal verwende und den Preis eines Produktes permanent ins Spiel bringe. Zudem spielten die finanziellen Mittel eine grosse Rolle, die es einem Auftraggeber erlaubten, Werbung so intensiv zu verbreiten, dass sich der Konsument ihr nicht mehr entziehen könne. Viel Geld garantiere wohl eine breite Streuung, korreliere aber nicht notwendigerweise mit guter Werbung. Im Gegenteil: Ein kleineres Budget sei, was die Idee und die Umsetzung betreffe, für jeden Werber die grösste Herausforderung. Er selbst sei in seinem kreativen Schaffen nur einmal von einem Auftraggeber massiv zurückgepfiffen worden, nämlich als er für die Bewerbung eines Gartengrills den Slogan «Ein Platz für Tiere» geschaffen habe. Dieser sei seinem Kunden dann doch zu makaber gewesen.
Mehr Metaphern, mehr
Unterhaltung in der Werbung
«Niemand will Werbung, sie kommt ungefordert und unverhofft auf den Betrachter zu», führte Freiburghaus aus. Für ihn sei deshalb der Unterhaltungswert eines der wichtigen Qualitätskriterien der Werbung.
Sie soll die Leute als intelligente Wesen ansprechen, ohne immer gleich tiefenpsychologische Wirkungsmechanismen anwenden zu wollen. Die gängige Waschpulverwerbung sei ein Paradebeispiel dafür, wie man die Leute für blöd verkaufe. Bei Pretests und Marketinganalysen jedoch erzielten sie glänzende Resultate.
Eigentlich dürfe in der Werbung nie vom Produkt per se die Rede sein; in der Werbung brauche es mehr Metaphern, ist Freiburghaus überzeugt. Damit eine Frau einen bestimmten Schuh kaufe, solle sie über das schöne Bein angesprochen werden und nicht direkt über das Produkt.
Im Gegensatz zu den Werbern lässt man den Schriftstellern offenbar freie Hand bei Auftragsarbeiten für Zeitungen und Zeitschriften. Einschränkungen bestünden allenfalls dort, wo es um heikle Themen gehe, wie zum Beispiel um den Zweiten Weltkrieg, Antisemitismus oder Feminismus, erklärt Daniel Ganzfried.
Ansonsten fühle er sich in seiner Branche wie in einem grossen Spielzimmer mit viel Narrenfreiheit. Er glaubt, dass Literatur nachhaltiger wirke als Werbung, dafür jedoch weniger Leute erreiche. Die Werbung bediene sich oft und gerne der Provokation – ein wichtiges, Effekt haschendes Mittel, das die Qualität aber selten sicherstelle. Im Gegensatz zur kurzlebigen Werbekampagne überlebe ein literarisches Werk unter Umständen Jahrhunderte, und dies bleibe so, so lange die Menschen eine Sprache verstünden.
Urteilsfähigkeit als geistiger Prozess ist am Verschwinden
Beiden – der Werbung wie der Literatur – sei aber gemeinsam, dass sie sich in der Öffentlichkeit abspielten. Aus diesem Grund komme dem Kriterium Wahrheit eine grosse Bedeutung zu, so Ganzfried. Dabei meint er eine Tendenz feststellen zu können, wonach der Wille, die Urteilsfähigkeit als geistiger Prozess im öffentlichen Leben wahrzunehmen, mehr und mehr nachlasse und das Streben nach Authentizität anstatt nach literarischer Qualität zunehme. Das zeige das Beispiel Wilkomirski, das kritiklos und ohne Hinterfragung verlegt und rezipiert wurde. Werbung habe die spezifische Eigenschaft, dass sie als solche erkannt werde und man ihr Unwahrheiten und Verdrehungen, gar bewusste Lügen eher verzeihe. In der Literatur sei die Verantwortung gegenüber der Realität und den Leserninnen und Lesern grösser, findet Daniel Ganzfried. Daher sei es in der Literatur schwieriger zu lügen und gleichzeitig gut zu sein.
Werbung untersteht strengen Kontrollen der Konkurrenz
Dem hielt Simon Freiburghaus entgegen, dass in der Werbung nicht einfach drauflosgeschwindelt werden könne, da die Konkurrenz die Werbeaussagen haargenau überprüfe und letztlich der aufgeklärte wie kritische Konsument sich auch nicht ohne weiteres hinters Licht führen lasse. Eine vergleichbare Kontrolle finde in der Literatur so nicht statt.
So interessant und viel versprechend das Thema des Abends war, dem Moderator Daniel Rothenbühler gelang es nicht, seine wortgewandten Gesprächspartner aus der Reserve zu locken. So blieb im Publikum ein zwiespältiger Eindruck zurück, was von einer Zuhörerin auf den Punkt gebracht wurde: «Ich habe eigentlich ein interessantes Spiel erwartet, in dem die Bälle in rascher Folge zugespielt, aufgefangen und weitergegeben werden, stattdessen warf jeder seinen Ball nur in die Luft.»
Er bewundere eigentlich vorbehaltlos die Fähigkeit zur Kürze, mit der sich die Werber ausdrücken könnten, schmeichelte der Schriftsteller Daniel Ganzfried («Der Absender») den zahlreich erschienenen Werbern gleich zu Beginn des Literaturgesprächs im Kramgasskeller in Bern.
Der Literatur stünde es gut an, sich kurz zu halten, dann würde es für sie auch einfach, lang zu sein, meinte Ganzfried weiter. Der Zürcher Autor, der von sich reden machte, weil er den Aufsehen erregenden Autobiografieschwindel des vermeintlichen Holocaustopfers Binjamin Wilkomirski aufdeckte, ist überzeugt, dass Werbung durchaus literarische Qualitäten habe, wenn sie zu überraschen und mit Worten zu spielen verstehe.
Beim Literaturgespräch zum unbequemen Thema «Wahrheit, Lüge, Kunst und Werk – der Werbetext unter der Lupe» vertrat Simon Freiburghaus von der Berner Werbeagentur Freiburghaus und Banderini die Werberseite: Spannende Werbung sei eigentlich kein Hexenwerk. Entgegen der weitverbreiteten Meinung gebe es viele Auftraggeber, die den Agenturen freie Hand liessen und Mut zum Aussergewöhnlichen hätten.
Je ausgeklügelter die Strategie, desto öder die Werbung
Simon Freiburghaus, auch Kolumnist der WerbeWoche, sieht aber das eigentliche Übel in den ausgeklügelten Marketingstrategien, Analysen und Pretests, die in den meisten Fällen einer ursprünglich originellen Idee den Gnadenstoss geben würden.
Solche Tests bestünde allenfalls eine Werbung, die das Wort «neu» zehnmal verwende und den Preis eines Produktes permanent ins Spiel bringe. Zudem spielten die finanziellen Mittel eine grosse Rolle, die es einem Auftraggeber erlaubten, Werbung so intensiv zu verbreiten, dass sich der Konsument ihr nicht mehr entziehen könne. Viel Geld garantiere wohl eine breite Streuung, korreliere aber nicht notwendigerweise mit guter Werbung. Im Gegenteil: Ein kleineres Budget sei, was die Idee und die Umsetzung betreffe, für jeden Werber die grösste Herausforderung. Er selbst sei in seinem kreativen Schaffen nur einmal von einem Auftraggeber massiv zurückgepfiffen worden, nämlich als er für die Bewerbung eines Gartengrills den Slogan «Ein Platz für Tiere» geschaffen habe. Dieser sei seinem Kunden dann doch zu makaber gewesen.
Mehr Metaphern, mehr
Unterhaltung in der Werbung
«Niemand will Werbung, sie kommt ungefordert und unverhofft auf den Betrachter zu», führte Freiburghaus aus. Für ihn sei deshalb der Unterhaltungswert eines der wichtigen Qualitätskriterien der Werbung.
Sie soll die Leute als intelligente Wesen ansprechen, ohne immer gleich tiefenpsychologische Wirkungsmechanismen anwenden zu wollen. Die gängige Waschpulverwerbung sei ein Paradebeispiel dafür, wie man die Leute für blöd verkaufe. Bei Pretests und Marketinganalysen jedoch erzielten sie glänzende Resultate.
Eigentlich dürfe in der Werbung nie vom Produkt per se die Rede sein; in der Werbung brauche es mehr Metaphern, ist Freiburghaus überzeugt. Damit eine Frau einen bestimmten Schuh kaufe, solle sie über das schöne Bein angesprochen werden und nicht direkt über das Produkt.
Im Gegensatz zu den Werbern lässt man den Schriftstellern offenbar freie Hand bei Auftragsarbeiten für Zeitungen und Zeitschriften. Einschränkungen bestünden allenfalls dort, wo es um heikle Themen gehe, wie zum Beispiel um den Zweiten Weltkrieg, Antisemitismus oder Feminismus, erklärt Daniel Ganzfried.
Ansonsten fühle er sich in seiner Branche wie in einem grossen Spielzimmer mit viel Narrenfreiheit. Er glaubt, dass Literatur nachhaltiger wirke als Werbung, dafür jedoch weniger Leute erreiche. Die Werbung bediene sich oft und gerne der Provokation – ein wichtiges, Effekt haschendes Mittel, das die Qualität aber selten sicherstelle. Im Gegensatz zur kurzlebigen Werbekampagne überlebe ein literarisches Werk unter Umständen Jahrhunderte, und dies bleibe so, so lange die Menschen eine Sprache verstünden.
Urteilsfähigkeit als geistiger Prozess ist am Verschwinden
Beiden – der Werbung wie der Literatur – sei aber gemeinsam, dass sie sich in der Öffentlichkeit abspielten. Aus diesem Grund komme dem Kriterium Wahrheit eine grosse Bedeutung zu, so Ganzfried. Dabei meint er eine Tendenz feststellen zu können, wonach der Wille, die Urteilsfähigkeit als geistiger Prozess im öffentlichen Leben wahrzunehmen, mehr und mehr nachlasse und das Streben nach Authentizität anstatt nach literarischer Qualität zunehme. Das zeige das Beispiel Wilkomirski, das kritiklos und ohne Hinterfragung verlegt und rezipiert wurde. Werbung habe die spezifische Eigenschaft, dass sie als solche erkannt werde und man ihr Unwahrheiten und Verdrehungen, gar bewusste Lügen eher verzeihe. In der Literatur sei die Verantwortung gegenüber der Realität und den Leserninnen und Lesern grösser, findet Daniel Ganzfried. Daher sei es in der Literatur schwieriger zu lügen und gleichzeitig gut zu sein.
Werbung untersteht strengen Kontrollen der Konkurrenz
Dem hielt Simon Freiburghaus entgegen, dass in der Werbung nicht einfach drauflosgeschwindelt werden könne, da die Konkurrenz die Werbeaussagen haargenau überprüfe und letztlich der aufgeklärte wie kritische Konsument sich auch nicht ohne weiteres hinters Licht führen lasse. Eine vergleichbare Kontrolle finde in der Literatur so nicht statt.
So interessant und viel versprechend das Thema des Abends war, dem Moderator Daniel Rothenbühler gelang es nicht, seine wortgewandten Gesprächspartner aus der Reserve zu locken. So blieb im Publikum ein zwiespältiger Eindruck zurück, was von einer Zuhörerin auf den Punkt gebracht wurde: «Ich habe eigentlich ein interessantes Spiel erwartet, in dem die Bälle in rascher Folge zugespielt, aufgefangen und weitergegeben werden, stattdessen warf jeder seinen Ball nur in die Luft.»