Kontrollierter Aus- statt Abbau

Der Entlassungssturm in amerikanischen und europäischen Onlineredaktionen zieht an der Schweiz vorbei

Der Entlassungssturm in amerikanischen und europäischen Onlineredaktionen zieht an der Schweiz vorbeiVon Clemens Hörler Über viele amerikanische und auch europäische Onlineredaktionen rollen unterbittlich die Entlassungswellen hinweg. Keine Panik herrscht hingegen in der Schweiz: Die meisten Onlineredaktionen wurden so bedächtig aufgebaut und sind noch so klein, dass man fast nichts abbauen könnte. Eine der wenigen Ausnahmen: Swisscontent.
NBCi, ein Joint Venture von NBC und CNET, hat kürzlich angekündigt, über 100 Mitarbeiter zu entlassen. Auch bei Time Warner und Murdochs News Corp. wird in den Onlineredaktionen kräftig geholzt. Das Onlineunternehmen der New York Times will einem Sechstel der Beschäftigten den blauen Brief geben, um schneller in die Gewinnzone zu gelangen. Einige neu gegründete Internetcontentprovider sind ganz von der Bildfläche verschwunden. Auch in Deutschland sind erste Entlassungen zu beklagen.
Ist in der Schweiz bald Ähnliches zu befürchten? Wohl kaum, denn hierzulande gibt es praktisch kaum Unternehmen, die massiv in den Aufbau von Onlineredaktionen investiert haben. Und so können die hiesigen Medienunternehmen bei ihren künftigen Internetabenteuern wieder einmal von den Erfahrungen des viel reiferen und risikofreudigeren amerikanischen Marktes profitieren.
Die alte Schweizer (Un-)
Tugend: Nur nichts überstürzen
Peter Wyss, Leiter Neue Medien beim Bund Verlag: «Das Problem von Pionieren ist, dass sie sehr oft Redundanz und unnötige Dienste aufbauen, die dann wieder beseitigt werden müssen. Wir können natürlich aus diesen Erfahrungen lernen.» Auch Martin Diem, Geschäftsführer der Bern Online AG, der Internettochter der BTM AG, glaubt, dass sich die Schweizer Vorsicht gelohnt haben könnte: «Es ist denkbar, dass es sich nun auszahlt, dass in der Schweiz nichts überstürzt wurde.»
Wer sich so zurückhaltend verhält, kann selbst im Zeitalter der New-Economy-Hysterie kaum zurückbuchstabieren. So stehen denn auch bei praktisch allen Medienunternehmen die Zeichen weiterhin auf kontrollierten Ausbau der Onlineredaktionen.
Die grösste Onlineredaktion hat noch wenig Abnehmer
Zumindest personalmässig ein Senkrechtstarter und quasi ein Unikum in der Internetlandschaft Schweiz ist die Swisscontent Corp., hinter der die Beat Curti Medien Holding AG und die Medien Z Holding AG stehen. Erst vor einem Jahr gegründet, beschäftigt das Unternehmen heute über 100 Mitarbeiter, 80 davon sind Journalisten. Einziger Grossabnehmer von Inhalten ist bisher aber die Post mit ihrem Portal Yellowworld, das seinen multimedialen Content über Yellowcontent bezieht, ein Joint Venture von Swisscontent und der Post.
Die Frage ist, ob eine so grosse Crew noch in einem gesunden Verhältnis zum doch eher kleinen Abnehmerkreis mit einem KeyKunden steht. Schliesslich beziehen derzeit die meisten grossen Websites der Schweiz ihren Content im Newsbereich von anderen Lieferanten: von SwissTxt
(Search.ch, Swissonline), Internet Medien (Tiscali, Orange, Sunrise) oder von Medienunternehmen (Bluewin, MSN, Mediensites).
Bendicht Luginbühl, CEO von Swisscontent, blickt der Zukunft optimistisch ins Auge: «Wir haben in zwölf Monaten das grösste internetspezifische multimediale Verlagsunternehmen der Schweiz aufgebaut. Erst jetzt haben wir die Grösse erreicht, mit der wir zahlreiche grosse Kunden beliefern können.» Luginbühl kündigte ausserdem an, in den kommenden Wochen weitere Kunden zu präsentieren: «Es wird sich einiges ändern im Contentmarkt Schweiz.»
Mit knappen Ressourcen
viele Portale bedienen
Und wenn die Dichte breitbandiger Anschlüsse erst einmal grösser wird, nimmt vielleicht auch das Interesse an den multimedialen Inhalten zu, die Swisscontent anbietet. Also kein drohendes amerikanisches Szenario…
Ganz anders präsentiert sich hingegen die Lage für die Internet Medien AG, einen der ersten unabhängigen Contentprovider fürs Internet in der Schweiz: Dank einem frühen Markteintritt und dem aufgebauten Know-how (auch im Consultingbereich) konnten einige Lieferverträge mit grossen Inhaltsabnehmern geschlossen werden, wie zuletzt mit T-Online. Im Gegensatz zu Swisscontent sind bei der Basler Firma die Ressourcen jedoch eher knapp. Das vor zwei Jahren gegründete Unternehmen beschäftigt derzeit «nur» 15 Redaktoren.
Das Resultat dieser personellen Situation: Ausser im Raum Basel liefert die Internet Medien AG mit ihrer Plattform News.ch vor allem bearbeitete SDA-Meldungen, die je nach Bedürfnis der Abnehmer selektiert werden. Trotz der übermächtigen Konkurrenz von SwissTxt und Swisscontent gibt sich Benjamin Aebischer, Chef der Internet Medien AG, im Blick auf weitere Vertragsabschlüsse noch gelassen und setzt weiterhin auf das Low-Cost-Modell. Dass man dabei immer noch vom frühen Markteintritt profitiert, weiss auch Aebischer: «Jetzt hätten wir mit dem gleichen Startkapital wie vor zwei Jahren keine Chance mehr.»

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