Bumerang-Effekt mit Wirkung

Die Kanadierin Naomi Klein hat sich mit einem Buch an die Spitze der «Sweatshop»-Bewegung geschrieben

Die Kanadierin Naomi Klein hat sich mit einem Buch an die Spitze der «Sweatshop»-Bewegung geschriebenVon Thérèse Balduzzi In Seattle legten «Anticorporate»-Aktivisten die Konferenz der World Trade Organization lahm, in Washington demonstrierten sie gegen das Treffen der World Bank mit dem International Monetary Fund. Die junge Kanadierin Naomi Klein verleiht dem heterogenen Protest ein Gesicht. Ihr Buch «No Logo: Taking Aims at the Brand Bullies», seit Januar auf mehreren Bestsellerlisten in Kanada und den USA, ist für die Jugendbewegung zur Bibel geworden.
Die wahren Anarchisten am WTO-Treffen in Seattle waren nicht die schwarz gekleideten Strassendemonstranten, die sich so nannten, sondern die Businessmänner, die sich gegen jegliche Regelungen des globalen Handels sträuben, behauptet Naomi Klein.
Die neue Jugendbewegung sei hingegen wohl die erste, die sich für mehr statt weniger Regeln einsetze, beobachtet sie. Gemeint sind internationale Bestimmungen, die die globale Wirtschaft regulieren und der an Sklaverei grenzenden Ausbeutung von Arbeitern in «Sweatshops» und der ungezügelten Umweltzerstörung in armen Ländern ein Ende setzen würden. Die verbreitete Auffassung, wonach die schwächeren Mitglieder trotz ungerechter Verteilung letztlich von der globalen Wirtschaft profitieren würden, denunziert Klein als Mythos.
Mit solch provokativen Aussagen füllt Klein seit Erscheinen ihres Buchs amerikanische und kanadische Hörsäle und Buchläden in Manhattan. «No Logo» wurde von der New York Times und USA Today besprochen und brachte ihr eine Kolumne im Toronto Star ein. Die darin stark angegriffene Firma Nike brachte auf ihrer Website eine Gegendarstellung, in der sie das Buch als parteiisch und unausgewogen kritisiert.
In «No Logo» erklärt Klein, welche Rolle das Branding bei der Entstehung der Bewegung gespielt hat. Sie bringt darin das multinationale Branding mit Missständen in der Ersten und der Dritten Welt in Zusammenhang und schildert lebhaft, wie es zum Backlash kam.
Spätestens seit Anfang der neunziger Jahre hätten Unternehmen wie Nike, Reebok, Microsoft, Disney, McDonald’s, Tommy Hilfiger, Levi’s und andere die traditionelle Produktewerbung hinter sich gelassen und stattdessen Milliarden ins Brand-Imaging investiert, schreibt sie. Statt Produkte wie Turnschuhe verkauften die Firmen neuerdings Lifestyle, Lebenseinstellungen und religiös anmutende Bedeutungsinhalte.
Die immer grösser werdenden Marketingbudgets seien unter anderem mit der Verlegung der Fabrikation in arme Länder finanziert worden. Das Branding nahm immer mehr Raum ein, sei es durch Gap-Filialen an jeder zweiten Strassenkreuzung Amerikas oder die Allgegenwart des Nike-«Swoosh». Die Bemühungen, die Konsumenten möglichst jung an Marken zu binden, führten zudem zu einer masslosen Überflutung mit Werbung in amerikanischen und kanadischen Schulen und Universitäten.
Allgegenwart der Werbung ruft Gegenreaktionen hervor
Als Marken wie Nike und Diesel die feministischen und antirassistischen Forderungen der damals an den Universitäten aktuellen «Identity Politics» für ihre Imagewerbung in Beschlag nahmen, waren ihre Werbungen bis in die Toiletten der Universitäten vorgedrungen.
Studenten, die die Vereinnahmung ihrer politischen Anliegen durch die Werbung als zynisch empfanden, ergriffen die Gelegenheit, ihrem Ärger Luft zu machen. Calvin-Klein-Modelle wurden mittels Filzstift zu Skeletten umgewandelt, der «Just Do it»-Slogan wurde zu «Justice. Do it» umgeschrieben. Apples «Think Different»-Werbung wurde mit einem Bild von Stalin verändert und zu «Think Really Different» umgetauft.
Laut Klein wurden die Unternehmen Opfer ihrer eigenen Imagepflege: Wenn Brands sich mit sozialen Zielen wie Toleranz gegenüber der Rassenvielfalt identifizierten, setzten sie sich unweigerlich der Kritik am eigenen Verhalten aus.
Wenn sie nicht nur Rockkonzerte, sondern auch Professuren, Forschungsprojekte und Schulmahlzeiten sponserten, würden sie verletzlich. Als Paradebeispiel führt Klein den Protest gegen den Verkauf von Pepsi-Cola in der Diktatur Myanmar an, der 1993 an der Carleton Universität in Ottawa begann und über Harvard und Stanford bis nach England reichte. Hätte Pepsi nicht an unzähligen Schulen um Exklusivverträge für den Verkauf von Pepsi-Cola und ihrem Taco-Bell-Fastfood gekämpft, hätten die Studenten kaum einen Anlass gesehen, die Handelspraktiken der Firma am anderen Ende der Welt scharf unter die Lupe zu nehmen. Der geballte Protest unzähliger Studenten führte jedoch 1997 zum Rückzug von Pepsi aus Myanmar.
Durch solche Erfolge angespornt, entdeckten Aktivisten, wie sie die zu monströsen Seifenblasen aufgepumpten Imagescheinwelten mit wenig Aufwand platzen lassen konnten. Je cooler der Brand, umso besser: Arme afroamerikanische Schüler, die soeben herausgefunden haben, dass ihre für über 100 Dollar erstandenen Nikes für nur fünf Dollar produziert wurden und wütend ihre alten Turnschuhe vor Nike-Filialen deponierten, haben mehr Wirkung als ein weiterer Aufruf einer unbekannten Drittweltorganisation. Und das Fernsehen hat auch gleich die Story dazu.
Eine Demonstration gegen «Sweatshops», die vor dem Disney-Flagshipstore am New Yorker Times Square beginnt und sich entlang riesiger Tommy-Hilfiger- und Nike-Anzeigen bewegt, ist ebenfalls medienwirksam. Auch aufgeregte Mütter, die mitten im Weihnachtsgeschäft erklären, sie würden ihren Kindern kein Spielzeug kaufen, das in Kinderarbeit hergestellt wurde, lassen sich Fernsehreporter nicht entgehen.
Bekannte Marken werden zu Symbolen für Missstände
Die Jiu-Jitsu-Strategie profitiert von der allgemeinen Obsession mit Markenlogos und kann auf die gleiche Aufmerksamkeit zählen, die Prominentenskandalen entgegengebracht wird.
Nike wurde zum Symbol für das Downsizing amerikanischer Stellen und der Ausbeutung asiatischer «Sweatshop»-Arbeiterinnen. Shell wurde durch ihr Vorhaben, die ausgediente Ölspeicherinsel Brent Spar im Atlantik zu versenken, zum Inbegriff des Umweltschutzsünders. McDonald’s und die Kaffeekette Starbucks wurden zu Paradebeispielen, wie Firmenimperien mit illegalen Bestechungen, Drohungen und Kündigungen die gewerkschaftliche Organisation ihrer Arbeiter verhindern und dabei ungeschoren davonkommen. Die Virgin-Megastores und die Buchladenkette Barnes & Noble, die in Amerika die Jugendzentren und den Dorfplatz ersetzen, wurden zu Exempeln statuiert, wie der öffentliche Raum immer mehr privatisiert wird.
In «No Logo» geht es Klein darum, den Verrat am zentralen Versprechen des Informationszeitalters – zunehmende Freiheit des Einzelnen, zunehmende Interaktivität und mehr Wahlmöglichkeiten – zu entlarven. Das Global Village bietet laut Klein genau das Gegenteil: Statt einer Kulturvielfalt wird per MTV dem ganzen Globus eine homogene One-Size-Fits-All-Kultur übergestülpt, in der einige wenige Interessengruppen immer mehr Macht erlangen.
Statt eines regen Austausches bietet die Markenkultur einen einseitigen Monolog: Klein erwähnt verschiedene Beispiele, in denen Künstler und Aktivisten, die sich zu kulturellen Symbolen wie Barbie-Puppen oder McDonald’s kritisch äussern wollten, mit Copyrightklagen zum Schweigen gebracht wurden.
Nichts gegen ein Global Village, aber mit gerechter Wirtschaft
Trotz aller Kampagnen, die mit einer bunten Palette voll süsser Kinder aus allen Erdteilen das Bild des Global Village verbreiten, wurde jedoch die Möglichkeit, dass Studenten in Harvard mit Textilarbeiterinnen in Manila E-Mails austauschen, offensichtlich unterschätzt. Das «Anticorporate Movement» verbindet höchst unterschiedliche Gruppen: Studenten, die über die «Identity Politics» zur «Sweatshop»-Bewegung gefunden haben, Umweltschützer, Drittweltorganisationen, die mit Arbeiterbewegungen in armen Ländern in Kontakt stehen, und Gewerkschaften, die gegen den Export ihrer Jobs und Deregulierungsmassnahmen im Westen kämpfen. Die Bewegung ist dank des Internets international so verknüpft wie keine zuvor.
Die Querverbindungen, die die Autorin zwischen den verschiedenen Ansätzen und Interessen aufzeigt, sind äusserst spannend zu verfolgen. Obwohl selber Aktivistin, fehlt es ihr nicht an analytischer Distanz. Klein zeichnet auch die Grenzen der Jiu-Jitsu-Strategie gegen bekannte Marken auf: Letztlich gehe es nicht um die Sünden einzelner Firmen oder darum Shell gegen Exxon auszuspielen. Das langfristige Ziel seien weltweit demokratischere Bedingungen, um die globale Wirtschaft gerechter zu gestalten.
Naomi Klein, «No Logo: Taking Aims at the Brand Bullies», Picador USA, US-Dollar 28.00, 528 Seiten, ISBN 0-31220343-8

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