Brands, die uns nicht «fallen lassen»
Lovebrand oder Trustbrand? Wer geliebt werden will, muss vertrauenswürdig sein – heute mehr denn je. Was heisst das für die Markenführung?
Was macht eine glückliche und stabile Beziehung aus? In dieser Frage sind sich Paare einig: Liebe, klar; Humor, immer gut; Sex, sowieso. Das Wichtigste aber, die elementare Basis, um lange und in Harmonie zusammenzubleiben, ist Vertrauen. Nur wer vertraut, kann sich auf andere verlassen, sich sicher fühlen und offen kommunizieren. Wer vertraut, weiss, woran er ist.
«Verbraucher:innen sind informierter und anspruchsvoller, was eine stärkere Betonung auf ethisches Verhalten und Vertrauensbildung seitens der Marken erfordert.»
Im Privaten war das schon immer so – doch inzwischen gewinnt Vertrauen, also Trust, auch im Marketing zunehmend an Bedeutung. Lange war es das oberste Ziel vieler Marken, eine Lovebrand zu werden. Aus gutem Grund, denn wer sich so nennen darf, wird von den Konsument:innen so sehr geliebt, dass diese wenig Lust auf Alternativen haben, gerne etwas mehr für ihre grosse Liebe ausgeben und diese sogar regelmässig weiterempfehlen. Ein Faktor, der nach wie vor wichtig ist. Doch die Zeiten ändern sich: Weltweite Krisen machen den Menschen zu schaffen, die Verunsicherung ist gross. Auch der Durchbruch von künstlicher Intelligenz wirkt für viele wie eine Bedrohung und macht es zunehmend schwer zu unterscheiden, was echt ist und was nicht. Die Menschen suchen nach einem Anker, auf den sie sich verlassen können – und dem sie vertrauen. Das zeigt auch die Sonderauswertung «Trust, the new brand equity» von Edelman: Danach werden die Marken langfristig erfolgreich sein, die sich das Vertrauen der Menschen sichern können.
Vertrauen ist wichtiger als Liebe
Liebe, heisst es darin, reiche heute nicht mehr aus: Das Vertrauen in eine Marke spielte für die Befragten bei der Kauf- oder Nutzungsentscheidung sogar noch eine grössere Rolle (80%) als die Liebe (72%). Und 38 Prozent gaben an, dass sie, obwohl sie eine Marke lieben, diese aufgeben würden, wenn sie dem Unternehmen dahinter nicht vertrauen.
Liebe ist gut, aber nicht ohne Vertrauen – das haben auch viele Marken erkannt: So positioniert sich etwa Schöffel, Outdoorausrüster mit 220-jähriger Geschichte, neuerdings ganz offen als Trustbrand. Gemeinsam mit Jung von Matt Brand Identity teilte die Marke im Juni mit, mit einem geschärften Markendesign die Position von Schöffel als Trustbrand ausbauen zu wollen. «Wir sind überzeugt, dass Trustbrands in einer krisengeschüttelten Welt für unsere Kund:innen künftig wichtiger und relevanter sein werden als Lovebrands», sagt Marketingchef Stefan Ostertag. «Unsere Strategie und die neue Positionierung erlauben es uns, den Aspekt ‚Trust‘ stärker zu betonen, um Schöffel als Marke klarer zu etablieren, der die Kund:innen nicht nur vertrauen, sondern die sie auch lieben und wertschätzen.» Dafür habe man Werte festgelegt, nach denen die Marke sämtliches Tun ausrichtet – wie Zuverlässigkeit, Freude und Selbstbestimmung. «Alles, was wir tun, muss in dieses Werteset passen. Damit garantieren wir, dass Schöffel für unsere Kund: innen eine absolute Trustbrand ist.»
Wie wird man eine Trustbrand?
Damit macht Schöffel lehrbuchmässig vor, wie es eine Marke schafft, wirklich auf Trust zu setzen und vertrauensbildende Faktoren nach vorne zu stellen. Denn das ist nichts, was Unternehmen von heute auf morgen einfach so entscheiden können, sagt Thomas Canzar, CEO von Saatchi & Saatchi. Der Experte weiss: Eine Trustbrand ist man – oder eben nicht. «Man bildet eine solche Marke nur, indem man sie lebt – und zwar konsequent» (siehe auch Interview). Erst dann kann die Marke auch kommunikativ nach aussen tragen, dass man mit ihr durch dick und dünn gehen und ihr vertrauen kann.
«Der gesellschaftliche Druck wird grösser, dass Marken nicht nur Gewinn maximieren, sondern durch ihr Tun einen Beitrag für die Gesellschaft leisten.»
Wer eine echte Trustbrand ist, erhebt Reader’s Digest bereits seit 2001 in der jährlichen Reader’s-Digest-Trusted-Brand-Studie. Sie untersucht, welche Marken besonderes Vertrauen geniessen – dieses Jahr waren das in Deutschland (unter anderem) in unterschiedlichen Kategorien Allianz, Bosch, C&A, Dr. Oetker, Edeka, Nivea und Persil, in der Schweiz Nivea, Fielmann, Raiffeisen-Bank, Voltaren, Ricola und die Mobiliar.
Seit Beginn der Erhebung hat sich in Sachen Vertrauen einiges getan: «Die Studie zeigt, dass sich das Markenvertrauen in den zurückliegenden Jahren stark gewandelt hat», erklärt Advertising-Managerin Georgia Stegmaier vom Reader’s-Digest-Verlag Das Beste. «Früher wurden Marken hauptsächlich mittels traditioneller Werbung und Marketingmassnahmen aufgebaut. Heute spielen Transparenz, Glaubwürdigkeit und das Engagement für gesellschaftliche und ökologische Verantwortung eine wichtige Rolle. Verbraucher:innen sind informierter und anspruchsvoller, was eine stärkere Betonung auf ethisches Verhalten und Vertrauensbildung seitens der Marken erfordert.»
Marken haben Verantwortung
Das heisst: Verbraucher:innen erwarten von Marken heute mehr als ein einwandfreies Produkt, das sie mögen und vielleicht sogar lieben. Marken haben Macht – und tragen immer mehr Verantwortung. In der Trendstudie «Transforming Brands» spricht das Zukunftsinstitut von einem «kollektiven Wertewandel hin zu einer sinnhafteren, ökologischeren und gemeinschaftlicheren Wirtschaft und Gesellschaft», der «die Erwartungen an Marken und Marketing rasant ansteigen lässt.» Konsument:innen, heisst es dort, erwarten Transparenz und Partizipation im Hinblick auf das, was Marken tun.
Vertrauen als Markenwert wird zum entscheidenden Hygienefaktor – gerade bei grossen Unternehmen. «Der gesellschaftliche Druck wird grösser, dass Marken nicht nur Gewinn maximieren, sondern durch ihr Tun einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Marken müssen heute etwas zurückgeben», sagt Thomas Canzar. Wer das nicht macht, läuft Gefahr, ausgetauscht zu werden. Denn die Markentreue nimmt ab, die Kund:innen sind immer besser informiert, können Marken besser vergleichen, haben mehr und mehr Einblick in Erfahrungen und Empfehlungen anderer und können zwischen immer mehr Alternativen im Regal wählen. In Deutschland sind 74 Prozent der Kund:innen heute weniger markentreu als vor zwei Jahren, zeigt eine neue Studie von Servicenow. Allen voran die hart umkämpfte Gen Z lässt sich nichts mehr vormachen, nur 19 Prozent der um die Jahrtausendwende Geborenen bezeichnet sich in einer Studie von NIQ als besonders markentreu. Um Trust kommt heute niemand mehr herum.
Die Dimensionen von Trust
Bei der Frage, welche Faktoren eigentlich Vertrauen bilden, kommt es auf zwei Dimensionen an: Die Kund:innen möchten darauf vertrauen können, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt und sie selbst ein verlässliches Produkt erwarten können. Aber auch darauf, dass die Marke mit ihrem Produkt anderen nicht schadet und einen positiven Impact schafft. Und weil Käufe in den meisten Fällen nicht rational sind, sei die Grundvoraussetzung, «dass die Menschen ein gutes Gewissen haben, eine Marke zu kaufen», sagt Thomas Canzar. Ein gutes Gewissen als Basis für Vertrauen. Und für eine lange, glückliche Beziehung.
NACHGEFRAGT
«Liebe allein reicht nicht mehr»
Thomas Canzar ist CEO von Saatchi & Saatchi. Er spricht im Interview mit m&k über Vertrauen, Liebe und Kund:innen, die eine lange und glückliche Beziehung zu ihren Brands aufbauen.
m&k: Thomas Canzar, Lovebrand oder Trustbrand: Was raten Sie Ihren Kund:innen?
Thomas Canzar: Ich zitiere immer gerne den Satz: «Ohne Vertrauen keine Liebe!» Beide haben ihre Berechtigung. Aber Trust ist in der heutigen Zeit das Fundament, um eine Lovebrand zu werden. Menschen suchen Sicherheit, gleichzeitig nimmt die Markenloyalität ab. Das heisst, die Marke bzw. ihr positives Vorurteil im Wettbewerb mit anderen Marken wird relevanter – und reine Lovebrands, die nichts Trust-bildendes machen, werden es schwerer haben. Denn die Menschen schauen genauer hin, Liebe allein reicht da nicht mehr aus.
Wie schafft man als Marke Vertrauen – und wird zur Trustbrand?
Marken können nicht einfach so entscheiden, von heute auf morgen eine Trustbrand sein zu wollen. Es geht darum, Trust konsequent zu leben – und es in der DNA zu verankern. Transparent und verantwortungsvoll zu handeln und die Bedürfnisse der Kund:innen zu verstehen. Nur den Marken, die Antworten auf die Unsicherheit in der Welt liefern, vertrauen die Menschen. Und nicht den Marken, die sich einfach einen neuen Anstrich geben. Marken müssen also zeigen: Ich verstehe dich besser als jede andere Marke.
Welche Rolle spielt dabei die Kommunikation?
Vor einigen Jahren ging es in der Werbung ja darum, möglichst authentisch zu sein und keine Klischees zu bedienen oder die perfekte Werbewelt. Das reicht heute nicht mehr aus. Es geht darum, einen echten Insight zu finden, der die Menschen bewegt – und darauf die Kommunikation aufzusetzen. Unsere Verantwortung als Agentur ist es auch, gemeinsam mit den Kund:innen datenbasiert zu definieren, welcher Faktor bei ihnen Trust bildet – und das kreativ übersetzt in den Mittelpunkt der Kommunikation zu stellen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der m&k Printausgabe 8-9/2024.