ADC Creative Days: Was bleibt vom Genius?

Eine Zeit voller Impulse – zwischen Neuropsychologie, Kreativpraxis und kritischem KI-Diskurs. Die «Creative Days» des ADC Schweiz führten in Zürich in die Tiefen kreativer Prozesse und offenbarten ein Spannungsfeld zwischen Selbstverständnis und Zukunftsbereitschaft.

Panel mit Thomas Wildberger, Andrea Bison, Manuel Wenzel, Sherin Kneifl, Heidi Hauer und Johan Jervøe (von links)

Angst ist keine Krankheit

«Ohne Angst gäbe es keinen Mut.» Prof. Dr. Hennric Jokeit, Neuropsychologe und Fotograf, lieferte mit seinem Kurzreferat eine hochrelevante Einordnung für kreative Berufe – in Zeiten tiefgreifender Veränderung durch Technologie, Krisen und strukturellen Wandel. Angst sei nicht zwingend destruktiv. Wenn sie nicht chronisch werde, könne sie den kreativen Prozess sogar befeuern. Entscheidend sei der Kontext: In repressiven Arbeitsumfeldern, etwa Agenturen mit Angstkultur, werde Kreativität hingegen systematisch unterdrückt.

Prof. Dr. Hennric Jokeit

Jokeit warb für einen gelasseneren Umgang mit Unsicherheit – auch angesichts neuronaler Zusammenhänge. Kreatives Denken verlange Zugang zum sogenannten Default Mode Network, jenem Zustand des freien Assoziierens. Genau hier überlappt das Angstsystem im Gehirn. Wer dauernd unter Strom steht, kann nicht träumen. Und: Kreativität ist sozial. Unsere Gehirne sind evolutionär auf Zusammenarbeit ausgelegt – ein wertvoller Reminder für eine Branche, die sich oft in Einzelkämpfermentalität verliert.

Unlearning ist der neue Fortschritt

Layla Keramat wiederum warb in ihrer Keynote «Shaping Creative Intelligence» dafür, sich kontinuierlich von überholten Routinen zu verabschieden. Wer Neues gestalten will, müsse Altes loslassen können. Ihr Beispiel: Der Hochspringer Dick Fosbury revolutionierte den Sport, weil er eine neue Technik wagte – aus der Not geboren, aber zur Norm geworden.

Layla Keramat ist als Partnerin bei Prophet auf Product Experience & Innovation spezialisiert.

Ihre Ausführungen zur rasanten Adaption von Technologien – vom Internet bis ChatGPT – legten dar, wie sehr unsere Zeit vom «Delta des Unbehagens» geprägt ist. Dennoch sieht Keramat in KI kein Schreckgespenst, sondern ein Tool. Die besten Kreativen wüssten, wie sie sie gezielt nutzen. Sie warnte jedoch vor generischen Resultaten durch «lazy prompting» und rief dazu auf, den kreativen Prozess nicht durch Abkürzungen zu entwerten. Ihre These: Wer KI nutzt, um effizienter zu gestalten, aber weiter auf Intuition und emotionale Stimmigkeit setzt, macht den Unterschied.

Das Panel – zwischen Klartext und Komfortzone

Den Kern des Vormittags bildete das Panel «Die harte Währung Kreativität». Thomas Wildberger, Präsident des ADC Schweiz, trat nicht nur als kluger Moderator auf, sondern hob durch seine persönliche Erfahrung mit Johan Jervøe, auch er Teil des Panels, bei der UBS hervor, wie entscheidend die Bereitschaft des Kunden ist, Kreativität ‚wirklich‘ zu wollen, und wie diese Haltung jahrelang zu einer der ‚kreativsten Kundenbeziehungen‘ führen kann.

Andrea Bison betonte die Bedeutung eines angstfreien Biotops, in dem Fehler erlaubt sind. Heidi Hauer führte Intuition auf neurobiologische Netzwerke zurück – und plädierte dafür, kreative Räume stiller und bewusster zu gestalten. Manuel Wenzel wiederum brach eine Lanze für das Spielerische. Kreativität dürfe auch Spass machen.

Diese Perspektiven waren erfrischend – ebenso wie die Einigkeit in der Forderung nach echter Begeisterung als Währung im Kundenkontakt. Johan Jervøes Rückblick auf seine Zeit bei UBS zeigte, wie stark Kunden kreative Exzellenz prägen können – wenn sie sie wirklich wollen.

Panelisten «Die harte Währung Kreativität» – Andrea Bison, Sherin Kneifl, Manuel Wenzel, Thomas Wildberger, Heidi Hauer, Johan Jervøe

Und doch: KI bleibt ein rotes Tuch

So inspirierend viele Aussagen waren, so auffällig war die Einigkeit im Blick auf Künstliche Intelligenz. Alle betonten zwar ihre Nützlichkeit als Tool – doch echte schöpferische Leistung wurde ihr – Stand heute – durchweg abgesprochen.

Hier zeigte sich eine gewisse Denkschablone: KI als «Junior-Texter», nicht als Urheber. Die Argumente klangen nach Erfahrungswissen – aber auch nach Distanzierung. Gerade in einem Format, das der Zukunft der Kreativität gewidmet ist, bleibt die Frage offen: Wann öffnet sich die Szene für ein Denken, das das Menschliche nicht überhöht, sondern in Relation bringt?

Ein Appell an die Creative Class

Die Talks und Diskussionen in Zürich machten deutlich, dass kreative Exzellenz auch in der Schweiz ein starkes Fundament hat – in Wissen, Haltung und Anspruch. Aber sie zeigten auch: Wer sie halten will, muss bereit sein, Muster zu brechen. Kreativität braucht Mut, Intuition – und Offenheit. Der nächste kreative Quantensprung kommt nicht auf leisen Sohlen. Wer stehen bleibt, wird nicht überholt – er wird schlicht nicht mehr gesehen. Und: Wer ihn kommen sieht, sitzt besser schon auf gepackten Koffern. Die Nähe der Creative Days zum Zürcher HB als Wink mit dem Zaunpfahl?

Ab Montag ist das m&k-Team in Cannes unterwegs – auf der Suche nach Antworten auf jene Fragen, die auch an den Creative Days aufgeworfen wurden: Was bleibt vom Genius? Und woran misst sich Creative Excellence heute wirklich?

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