Gli spunti di Axel Eckstein dalla giuria di Cannes: giudicare nell'era degli algoritmi
Axel Eckstein, ECD bei Leo Burnett Schweiz, war dieses Jahr Teil der Cannes-Lions-Jury. Für die Werbewoche schildert er seine Eindrücke in einem Erfahrungsbericht.
Mitglied einer Jury des Cannes Lions Festival zu sein, sorgt in erster Linie für eins: einen heftigen Anstieg in der persönlichen Lernkurve. Ich hatte dieses Jahr die Ehre, das Festival läuft noch und jetzt ist der richtige Moment für einen Erfahrungsbericht.
In meiner Jury Promo & Activation gab es noch 42 weitere Juroren. Man unterteilte uns in sieben Untergruppen und zusammen mit fünf anderen Kreativen hatte ich 374 Arbeiten zu bewerten, gut ein Zehntel der 3429 Cases, welche Promo & Activation zur umfangreichsten aller Kategorien in Cannes machen. Die von mir online zu bewertenden Arbeiten wurden über einen Zeitraum von sechs Wochen tranchenweise auf das Intranet hochgeladen. Über 12 Stunden Case-Videos schaut man auch nicht an einem Tag. Und der gelegentliche Chat mit Jury-Kollegen half wach zu bleiben.
Doch zunächst gab unser Jury-Präsident Stéphane Xiberras in einem Conference Call seine Interpretation der Jurierungskriterien durch. Wir sollten nicht zu sehr über die Unterkategorien nachdenken und auch nicht darüber, ob eine Arbeit überhaupt eine Promotion sei. Er legte mehr Wert auf die Frage, ob die Arbeit tatsächlich aktiviert hat und einem echten Insight folgt oder bloss Tech-Namedropping betreibt.
Im Anschluss an das Prejudging begann ein deutlich kleineres Jury-Panel, die computergenerierte Shortlist zu sichten und die besten der 321 Arbeiten in 102 Löwen zu verwandeln. Damit war für mich und die meisten anderen Juroren die Bewertungsarbeit beendet, aber es stand uns frei, auf Einladung des Award-Managements eine Woche später ebenfalls nach Cannes zu reisen, um dort an Jury-Petitessen teilzunehmen.
Also hin. Zumindest für zwei Tage. Zur Pressekonferenz am vergangenen Montag, auf der es Gelegenheit gab, Stéphane und ein paar versprengte Jurymitglieder zu treffen. Wir klebten noch für einige Zeit aneinander und die Gespräche waren interessanter als die herumliegenden Medienmitteilungen. Es gab Kritik aus den vom neuen Bewertungsregime betroffenen Jurys. Zu wenig menschliche Interaktion und zu wenig Transparenz. Algorithmen könnten eingereichte Arbeiten zu jeder Zeit und ohne weitere Information vom Intranet verschwinden lassen, wenn sie als «ineligible» geflagt wurden. Und der Jurypräsident dürfe höchstens eine einzige Arbeit auf der vorgefertigten Shortlist in Frage stellen.
In der Tat werden Algorithmen in Cannes als durchwegs praktische Sache betrachtet. Sie sind auch der Grund, warum es sinnlos ist, einen Juror darum zu bitten, eine bestimmte Arbeit «wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen». Denn alle Bewertungen für Arbeiten aus dem eigenen Netzwerk oder dem eigenen Land werden vom System automatisch eliminiert. Ich bekam ein Dutzend entsprechende Anfragen aus aller Welt. Und noch aus einem zweiten Grund waren sie sinnlos – die Arbeiten waren gut bis sehr gut und landeten ohnehin weiter vorne.
«Ich bekam ein Dutzend entsprechende Anfragen aus aller Welt.»
Neu berechnen Algorithmen auch das Verhältnis zwischen eingereichten Arbeiten und gewonnenen Löwen auf Länderebene und liefern damit Ergebnisse für eine Praxis, die sich schon lange vor der Erfindung künstlicher Intelligenz von selbst verstanden hatte: Die grossen Awardnationen stellen auch die meisten Juroren.
Womit wir bei der Schweiz wären. Nein, das Festival verzichtet nicht auf Schweizer Juroren. Und es wurden auch keine Juryposten in den Kategorien gestrichen, in denen die Schweiz traditionell bevorzugt vertreten ist. Promo & Activation, Media und Direct haben so viele Juroren wie früher und nach wie vor sogar die meisten aller 23 Jurys, nämlich durchschnittlich je 40. Und in diesen Jurys sassen in diesem Jahr wieder zwei Menschen aus der Schweiz. Die 92 gestrichenen Plätze verkleinern sieben andere Jurys, in denen nunmehr je ca. 12 statt 25 Juroren sitzen. Damit wurden sie in ihrer Besetzung an die 13 restlichen Jurys angeglichen, die schon im letzten Jahr mit durchschnittlich 12 Leuten auskamen.
Richtig ist, dass es für den Grossteil der Juroren in Promo & Activation, Media und Direct keine Diskussionen mehr im Juryraum gibt, was ohne Zweifel bedauerlich ist. Dieser Umstand schmälert jedoch keineswegs die Einflussmöglichkeiten und Gewinnchancen von Schweizer Agenturen beim Cannes Lions Festival. Das erneut stattliche Abschneiden von Arbeiten aus der Schweiz zeigt, dass nicht die diskriminiert werden, die klein sind, sondern nur die, die nicht gut genug sind.
Vielleicht ist der Einfluss eines Jurors in einer Kategorie mit Prejudging sogar gestiegen. Wenn eine Gruppe von nur fünf bis sechs Personen Cases bewertet, dann bekommt jede Einzelmeinung ein gehöriges Gewicht. 90 Prozent der Arbeiten, die ich mit «sicher Shortlist» bewertet hatte, kamen auch auf die Shortlist. Zur Beruhigung all derer, die jetzt die totale Erosion der Repräsentativität befürchten: Die von mir als gut befundenen Arbeiten wurden auch in anderen Untergruppen, sofern dort eingereicht, meist nach oben gevotet. Es scheint für Kreativ-Juroren also tatsächlich so etwas wie objektive Qualität zu existieren.
Zum Schluss noch ein Blick auf das Wichtigste: die Ideen. Nur noch rund ein Drittel der Gewinnerarbeiten kann man als Promotion im klassischen Sinne betrachten. Nämlich mit dem Ziel, den Abverkauf eines Angebots zu unterstützen. Ein anderes Drittel verfolgt reine Imageziele, oft über PR-Mechanismen. Und eine wachsende Anzahl von Arbeiten lässt den direkten Bezug zum eigentlichen Geschäftsfeld des Absenders komplett hinter sich.
Das Strickmuster: 1. Suche ein Thema, das in der Öffentlichkeit (also in den Sozialen Medien) als Problem bereits etabliert ist und das verlässlich Mitgefühl oder Empörung auslöst. Dieses Jahr beliebt: Frauen verdienen weniger als Männer, die Fähigkeiten von Flüchtlingen bleiben ungenutzt, alte Leute sind einsam und alle Tabus rund um die weibliche Brust. 2. Erfinde ein Produkt (am besten eine App), welches den Problemberg an der originellsten Stelle anbohrt. 3. Schlage die Brücke zur Marke und sei es nur mit Worten. Ein Beispiel: Viele Unfälle in Haarnadelkurven, in die mit zu hohem Tempo hineingefahren wird. Vor diesen Kurven wird nun jeweils eine Säule platziert, die einfahrende Autos registriert und die im Gegenstück am anderen Ende der Kurve einen Hupton aktiviert, der die dort einfahrenden Autos warnt. Absender ist ein Motoröl mit dem Claim «Damit alles flüssig läuft». Wenn dieses Rezept perfekt angewendet wird, nicken sogar Leute wie ich. Der Case bekam dreimal Shortlist.
«Shortlist in Cannes, das ist wie Gold in nationalen Awards.»
Shortlist in Cannes, das ist wie Gold in nationalen Awards. Wer sich fragt, warum die eigene Arbeit nicht zum Zug kam, dem sei gesagt, dass sie wahrscheinlich nicht einmal schlecht war. Einige sehr, sehr gute Ideen schafften es nicht mal auf die Shortlist. Wenn über 40’000 Arbeiten in die Schlacht ziehen, dann haben gute Ideen viele Feinde: die besseren Ideen.
Axel Eckstein ist Executive Creative Director bei Leo Burnet Schweiz und jurierte bei den Cannes Lions 2017 in der Kategorie Promo & Activation.