«Im Alleingang gehts besser»
Urs Heller, Geschäftsführer Zeitschriften Ringier Schweiz, äussert sich im Gespräch mit Werbewoche-Chefredaktor Pierre C. Meier zu den Gründen für den Erfolg von LandLiebe, zu Auflagezielen, Erfolgsfaktoren und Glaubwürdigkeit.
WW: Was gab den Ausschlag zur Lancierung von LandLiebe?
Urs Heller: Ganz klar der Erfolg von LandLust in Deutschland. Es ist faszinierend, dass sich in Deutschland plötzlich ein so rustikales Magazin mit dem Spiegel am Kiosk duelliert. So etwas regt natürlich die Fantasie an. Zuerst haben wir die Entwicklung aus der Ferne verfolgt, dann haben wir mit dem LandLust-Verlag verhandelt.
Also war ursprünglich ein Zusammengehen mit der deutschen LandLust geplant?
Wir haben über eine Lizenz nachgedacht. Dann haben wir herausgefunden: im Alleingang gehts besser!
Warum kam es nicht dazu?
Wir konnten uns finanziell nicht einigen. Unsere Gesprächspartner hatten relativ hohe Vorstellungen für eine Lizenzgebühr; sie hätte sich in einem kleinen Land wie der Schweiz nicht rechnen lassen. Gleichzeitig haben wir gemerkt, dass die Synergien gar nicht so gross sind: Wir Schweizer sind eher «Bergliebe»-Menschen als den Flachland-Themen zugetan; mit Heidekraut- Reportagen kann man bei uns nicht punkten. Im Nachhinein sind wir froh, dass wir den Alleingang riskiert haben. Als Lizenzprodukt hätten wir diesen riesigen Starterfolg nicht.
Wer entwickelte das Schweizer Konzept?
Ich bin bei den Ringier-Zeitschriften für Neuentwicklungen und neue redaktionelle Konzepte zuständig. Also auch für die LandLiebe. Ich konnte dabei auf die Unterstützung von ein paar echten Profis zählen.
Woher stammt das Layout?
Die Grafik wurde inhouse gemacht. André Frensch, ein ehemaliger stellvertretender Art Director der Schweizer Illustrierten, hat die ersten Seiten gezeichnet und einen grossen Anteil am Erfolg. Ich habe dann noch Uli Beling und Nina Thoenen an Bord geholt. Die beiden jungen Frauen sind eigentlich immer dabei, wenn ich ein Magazin entwickle. Entdeckt habe ich sie für die Lancierung von SI Style.
Was ist die Philosophie hinter LandLiebe?
Es gibt die Sehnsucht nach Entschleunigung, der Mensch benötigt einen Ausgleich zum immer hektischeren Geschäftsalltag. Es drängt uns in der Freizeit wieder raus in die Natur, raus aufs Land. Ich kann mich gut an Zeiten erinnern, wo im Sommer an Sonntagen bei den Bergbahnen kein Andrang herrschte. Man wusste warten, bis irgendwann wieder mal ein Bähnchen fuhr. Heute ist der Parkplatz um sieben Uhr voll. Wandern ist ein Megatrend, den die Medien glorios verschlafen – von Kollege Thomas Widmer einmal abgesehen, der im Tages-Anzeiger hervorragend darüber schreibt. Gespräche mit den Chefs der Sportartikelbranche bestätigen: In der Schweiz ist Wandern mit riesigem Vorsprung Sportart Nummer eins. Mit weitem Abstand folgt dann mal ein Fussballschuh oder der Ski von Didier Cuche. Wir sind froh, dass wir im letzten Moment doch noch aufgesprungen sind auf diesen Trend.
Wie grenzt sich LandLiebe gegenüber SI GRUEN ab?
SI GRUEN war unser erster Vorstoss in die grüne Szene. Wir sind zufrieden, SI GRUEN läuft sehr gut. SI GRUEN hat eine ausgeprägte Lifestyle-Komponente. Das schreiben wir auch auf die Titelseite: 100 Prozent grün, 100 Prozent Lifestyle. Zielpublikum sind die berühmten Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability), Menschen also, die ihren Lebensstil auf Gesundheit und Nachhaltigkeit ausrichten. SI Grün kann auch einen internationalen Touch haben. LandLiebe ist sehr schollenverbunden, sehr schweizerisch, sehr normal. Luxus ist kein Thema. Ich kanns am Beispiel Essen aufzeigen: Für SI GRUEN kann durchaus mal ein naturverbundener Gault-Millau-Koch die Rezepte liefern. Das kommt für LandLiebe nicht in Frage: Da gehts um Landfrauen- Küche, um Hauswurst und Alpkäse. Nicht um GaultMillau-Punkte.
Wer ist der typische Leser?
Es gibt zwei Zielgruppen. Die einen leben auf dem Land. Die anderen träumen vom Leben auf dem Land. Letztere wohnen in der Stadt, überlegen sich aber ab Donnerstagabend, wie sie ihr Weekend in der Natur gestalten wollen. Die typische LandLiebe- Leserin pflegt wohl auch ihren kleinen Garten oder zumindest ein paar Töpfe auf der Terrasse. Sie lässt alte Hobbys wieder aufleben. Stricken zum Beispiel, ein echter Trend!
Heute erscheint LandLiebe viermal pro Jahr, nächstes Jahr fünfmal. Was ist das Ziel?
Wir möchten in Zukunft sechsmal jährlich erscheinen. Aber man kann die Natur nicht übertölpeln: Wir haben letztes Jahr zu wenig Vorproduktionen gemacht, um 2012 zwei Frühlingsnummern zu gestalten. Also kommen wir jetzt mit fünf Ausgaben raus und erhöhen erst 2013 auf sechs Ausgaben.
Warum erscheint die LandLiebe nicht monatlich?
Die zweimonatliche Erscheinungsweise ist auch eine Form von Entschleunigung. Unser Leser will nicht von zu vielen Ausgaben bedrängt werden. Er will das Magazin auf seinem Tisch haben, wieder ein wenig darin blättern, dann auf die Seite legen und später weiterlesen. Die Reizschwelle liegt bei sechs bis acht Ausgaben. Das zumindest sagt mein Bauchgefühl, und darauf ist in den meisten Fällen Verlass.
Die Startauflage war 200'000 Exemplare. Welche Marketingmassnahmen gab es bei der Einführung?
Wir fahren bei allen Neulancierungen die gleiche Schiene. Wir haben einen wunderbaren Adressenstamm, den wir auf die jeweilige Lancierung hin selektionieren können. Wir machen jeweils Grossversände, um den Titel schnell bekannt und begehrt zu machen; dazu gibts noch etwas klassische Werbung. Dann warten wir gespannt ab, wie viele Leser hängen bleiben. Zum ersten Mal haben wir das bei SI Style so gemacht und wurden vom Rücklauf völlig überrumpelt. Ich hatte damals mit 24 Prozent Wandlungsquote zum Abonnement gerechnet. Es waren aber 42 Prozent! Bei der LandLiebe geht die Rechnung wieder auf: es hat jetzt ein Weiterempfehlen-/ Schenken-Mechanismus eingesetzt, den wir uns in den kühnsten Träumen nicht vorgestellt haben. Die meisten Leserbriefe enden mit: «Ich habe meiner Mutter/Schwester/Freundin/ Tochter sofort ein Abonnement gemacht.»
Wie hoch ist der Abo-Preis?
Der Preis für ein Jahresabonnement ist mit 24 Franken für jedermann erschwinglich. Den Preis haben wir bewusst so günstig festgelegt. Das ist auch Bestandteil unseres Marketings. Als «new kids on the block» müssen wir ganz bescheiden im Markt auf- treten. In den 80er- und 90er-Jahren konnte man neue Zeitschriften noch zu stolzen Preisen an den Kiosk bringen. Heute akzeptiert das der Käufer nicht mehr. Er will für relativ wenig Geld viel Gegenleistung bekommen. Wir sind auch beim Festlegen der Anzeigenpreise freundlich und zurückhaltend. Beispielsweise bei SI Style: Obwohl wir die Annabelle mit 100'000 Leserinnen Vorsprung schnell überholt haben, sind wir bei den Anzeigenpreisen immer noch günstiger. Unsere Message an den Kunden: Die Annabelle ist schon seit siebzig Jahren auf dem Markt, das Magazin ist prima gemacht. Wir aber sind neu. Also bleiben wir (vorläufig) billiger – auch wenn wir bereits deutlich mehr Leser haben.
Wie viele Abonnenten hat LandLiebe heute?
Wir verkaufen heute nach vier Nummern 74'431 Exemplare. Davon sind 47'000 Abonnemente, und 27'000 werden am Kiosk verkauft. Seit zwei Wochen ist die Winterausgabe erhältlich, und wir haben schon wieder zusätzlich 2'000 Abo-Bestellungen. LandLiebe ist wirklich ein Volltreffer.
Wo liegt das Auflagenziel?
Ich setze mir nie ein Auflagenziel. Damit kann man nix kaufen. Mein Ziel ist es, Herrn Ringier die Anfangsinvestitionen innert zwei, drei Jahren zurückzuzahlen und schwarze Zahlen zu schreiben. Mit welcher Auflage wir dieses Ziel erreichen, ist zweitrangig. Magazine müssen schnell Geld verdienen, sonst macht eine Lancierung keinen Sinn.
Die Redaktionsstruktur ist klein.
Ja, das stimmt. In den schwierigen Startjahren kann man sich keine grosse Redaktion leisten. Ich übernehme für die ersten Ausgaben auch die Chefredaktion selber. Weil ich so Geld sparen kann und weil das zum Geschäft gehört: Magazine entwickeln und nicht selber starten und verantworten, hat etwas Eunuchenhaftes. Ich suche aber von der ersten Nummer weg nach Redaktoren, die das Blatt schnell übernehmen können. Das hat sich etwa bei SI Style sehr bewährt: Sabina Hanselmann-Diethelm war von der ersten Minute weg an Bord, wurde hart trainiert und hat gut aufgepasst. Heute ist sie eine hervorragende junge Chefredaktorin und braucht meine Hilfe kaum mehr. Ich sehe die mir eigentlich ans Herz gewachsene Style-Redaktion leider nur noch am Weihnachtsessen… Auch bei der LandLiebe will ich so vorgehen. Ich möchte mich bereits im Laufe des nächsten Jahres vom Redaktionsleiter-Job verabschieden. Wir haben gute Leute im Team!
…und dann kommt für Sie das nächste Projekt?
An Ideen fehlt es nicht. Aber zurück zur kleinen Land- Liebe-Truppe. Das Kernteam besteht zwar nur aus vier Personen, aber wir können auf die ganze SI-Familie zurückgreifen. SI Style stellt uns eine erstklassige Fotochefin zur Verfügung. Zwei der besten SI-Autoren schreiben regelmässig für LandLiebe. Sehr gerne übrigens, denn im neuen Heft sind die Geschichten länger, die Bilder grösser und der Zeitdruck geringer als in der Schweizer Illustrierten, die ein anderes Konzept hat. Ich bin da in einer privilegierten Situation: Brauche ich Verstärkung, finde ich sie gleich auf der Etage. So kann man beruhigt mit kleinem Team und vernünftigem Budget starten. Das gilt auch für den Verlag: Das Ringier- Zeitschriftenteam unter der Leitung von Thomas Passen hat LandLiebe angeschoben und kann jetzt auf den Erfolg anstossen.
Sie haben ja schon viele Magazine lanciert. Was war bei LandLiebe anders?
Identisch war der Pioniergeist. Alle geben alles, ziehen am gleichen Strick. Schwierig war für mich, dass ich selber nicht vom Fach bin. Meinen Garten pflegt der Gärtner, und Stricken kann ich auch nicht; so gesehen war es für mich einfacher, Gourmet-, Sportoder Frauenmagazine zu entwickeln. Mein fehlendes Fachwissen hatte aber auch einen Vorteil: Ich musste von der ersten Minute an Journalisten um mich scharen, die von diesem Thema viel verstehen. Und ich musste ihnen zu hundert Prozent vertrauen. Eigentlich war es ein fairer Deal: Ich zeige dem Team, wie man Magazine macht. Und das Team verrät mir, was für LandLiebe-Leser besonders wichtig ist. Etwas habe ich in der grünen Szene rasch gemerkt. Man darf nicht tricksen, jedes Detail muss stimmen. Deshalb liest unser Gärtnermeister Lippus jeden Artikel durch und garantiert, dass sich keine fachlichen Fehler einschleichen.
Sind Sie zufrieden mit dem Anzeigenaufkommen?
Sehr zufrieden! Wir haben in den vier Ausgaben 100 Seiten Anzeigen verkauft. Hilfreich, auch für den Anzeigenmarkt, ist unsere enge Beziehung zu den Lesern. Es ist eine wahre Liebesbeziehung. Wir erhalten Briefe «seit Jahren warten wir auf…», «Danke, dass Sie mir diesen Wunsch erfüllt haben». Wir erhalten Gedichte. Diese Nähe erreichen wir mit anderen Magazinen nicht. Bei den anderen Titeln verkehre ich mit den Lesern per Email. Bei der LandLiebe gibt es auch noch viele handgeschriebene Briefe, nicht nur Emails. Das spricht für eine hohe Glaubwürdigkeit.
Im Heft haben Sie sehr gute Link-Angaben zu den einzelnen Artikel. Wenn man aber die LandLiebe im Web besucht, dann ist es eher mager.
Wir sind mit einer kleinen Redaktion am Start, wollen die Kosten im Griff halten. Eine eigentliche Online- Redaktion können wir uns noch nicht leisten. Wir stellen aber zu jeder Geschichte die besten Links und versuchen so, die Lücke zu schliessen. LandLiebe ist ein Lay-back-Magazin; man liest sie auf dem Sofa oder auf dem Gartenbänkli, nicht am Compi.
Noch etwas zur Schweizer Illustrierten. Die SI wird 100 Jahre alt, seit 15 Jahren ist sie eine People- Zeitschrift. Wie sieht die SI in zehn Jahren aus?
Im Grundsatz gleich. Die Schweizer Illustrierte wird ein People-Magazin bleiben, mit klarem Schwerpunkt Schweiz. Aber sie muss sich weiter entwickeln. Die Aufgabe ist für die Redaktion schwieriger geworden, aber es bleibt dabei: Wir müssen wichtige Schweizer von ihrer privaten Seite zeigen, mit ihnen über ihre Talente und ihre Leidenschaften sprechen. Vor diesem Job dürfen wir uns nicht drü-cken. Glücklicherweise begegnet man uns nach 100 Jahren anständiger Arbeit mit einem gewissen Wohlwollen und öffnet uns immer wieder Türen, die sonst verschlossen bleiben.
Interview: Pierre C. Meier