«Forschen und Krimischreiben liegen nahe beieinander»
SRG-Forscher Matthias Steinmann lanciert Radiocontrol und hat Stoff für weitere Krimis
Seine Vielseitigkeit ist sagenhaft: Matthias Steinmann ist nicht nur Leiter des SRG-Forschungsdienstes, sondern auch Uni-Professor und Pilot. Mit der neuesten Entwicklung Radiocontrol scheint ihm zu gelingen, was Telecontrol versagt blieb: die weltweite Vermarktung. Aber die eigentliche Vision geht noch weiter. Steinmann will Radiocontrol als multimediales und intermediales Forschungstool etablieren.
Dieses Jahr sind zwei besonders Aufmerksamkeit erregende Dinge von Ihnen auf den Markt gekommen: Radiocontrol und ein Kriminalroman, der von Betrug und Mord in der Medienszene handelt. Werden Sie bald vor allem in Ihrem Schloss sitzen und Krimis schreiben?
Matthias Steinmann: Nein, so weit wird es kaum kommen. Forschen ist eine Leidenschaft, die zu mir gehört. Ich bin überzeugt: Wer die Neugierde verliert, verliert einen wesentlichen Teil seiner Vitalenergie. In diesem Sinne sehe ich auch meine schriftstellerischen Aktivitäten. Einen Kriminalroman schreiben heisst ja nichts anderes, als ein Umfeld, eine gesellschaftliche Situation zu erforschen und fiktiv zu gestalten. Forschung hat viele Gesichter.
Aber Radiocontrol ist gebaut, Telecontrol ist es längst. Die ganz grosse Spannung ist weg.
Steinmann: Nein, überhaupt nicht. Radiocontrol wird mich noch auf Jahre hinaus beschäftigen. Was wir jetzt beim Start damit machen, ist erst der Anfang. Dieses System hat ein grosses Potenzial, das weit über das Messen von Radiohörerschaften hinausgeht. Und Telecontrol ist ebenfalls längst nicht fertig gebaut: Die rasante technologische Entwicklung bei TV- und Videogeräten sowie bei den Übertragungstechniken macht immer wieder neue, noch ausgeklügeltere Versionen notwendig.
Wie viele Länder sind neben der Schweiz an Radiocontrol interessiert?
Steinmann: Wir sind zurzeit mit gegen zwei Dutzend Ländern im Gespräch. Mehrere von ihnen stehen kurz vor Tests. So zum Beispiel Frankreich und Holland. In Deutschland haben wir einen Testvertrag mit der GfK für verschiedene europäische Länder. Wir haben einen Vertrag mit Norwegen und führen Testverhandlungen für Grossbritannien. Es gibt Anfragen aus den USA, aus Mexiko, Brasilien, Südafrika und den Golfstaaten sowie aus Griechenland. Für den Raum Asien, Australien, Neuseeland wird soeben ein Optionsvertrag unterzeichnet. Es ist erstaunlich: Alle wollen vorerst Tests machen. Radiocontrol ist ein eigentlicher Paradigmenwechsel. Das stösst natürlich auf grosses Interesse, aber auch etwas auf Unsicherheit darüber, wie die Änderungen ausfallen.
Radiocontrol wird demnach auch ein voller kommerzieller Erfolg für Sie?
Steinmann: An Radiocontrol verdient im Moment noch gar niemand etwas. Hinter dem System stecken zehn Jahre Entwicklungsarbeit und Investitionen von rund sieben Millionen Franken. Geld verdient die Telecontrol-Gruppe erst ab zirka 20000 verkauften Geräten. Bis jetzt sind wir erst bei etwa 2700. Das Ziel bis zum Geldverdienen ist also noch zwei, drei Jahre entfernt.
Die Nachfrage nach Radiocontrol ist viel grösser als nach Telecontrol. Letzteres konnten Sie lediglich in Europa und Südamerika weiterverkaufen. Warum kommt Telecontrol nicht über diese Länder hinaus?
Steinmann: Die Märkte in Nordamerika und Asien sind von anderen grossen Marktforschungsinstituten besetzt. Die TV-Forschung umfasst die grössten Forschungsaufträge, die es in der Marktforschung überhaupt gibt. Entsprechend ist dieser sehr lukrative Markt hart umkämpft. Als ich in den Sechziger- und Achtzigerjahren anfing, gab es erst zwei grosse Forschungsinstitute, die TV-Forschung betrieben und die Märkte unter sich aufteilten.
Wie sind Sie trotzdem in diese, wie Sie sagen, abgeschotteten Märkte reingekommen?
Steinmann: In Europa ist es mir damals gelungen, grosse Marktforschungsinstitute für uns zu gewinnen. Institute, die eine Alternative suchten, um gegen die grossen internationalen Player zu bestehen, die bis zur Lancierung von Telecontrol alleine über die entsprechenden TV-Forschungstechnologien verfügt hatten. Mein Marketing bestand darin, das Telecontrol-System, das ich Mitte der Achtzigerjahre gerade für die SRG entwickelt hatte, diesen europäischen Instituten zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Strategie ist es gelungen, im Bereich TV-Forschung in Europa als Technologielieferant Marktführer zu werden. Gegen internationale Grossunternehmen notabene, für mich ein kleines Wunder.
Aber über Europa und Südamerika hinaus sind Sie dennoch nicht gekommen. Nordamerika und Asien sind riesige und finanziell attraktive Märkte. Weshalb haben Sie dort den Fuss nicht reinbekommen?
Steinmann: Mit Technologie und Software allein kann man diese Länder nicht erobern. Dafür bräuchte es zusätzlich eine enorme Finanzkraft. Aber wir sind ein vergleichsweise kleines Unternehmen. Letztes Jahr machten wir 18 Millionen Franken Umsatz, plus noch etwas Lizenzerträge. Hinzu kommt, dass es in der Zwischenzeit weltweit nicht mehr drei, sondern fünf oder sechs grosse Anbieter für TV-Forschung gibt. Das limitiert natürlich den Markt des Einzelnen.
Die Verflechtungen zwischen dem SRG-Forschungsdienst und Ihren eigenen Firmen scheinen extrem kompliziert und geben der Gerüchteküche immer wieder Stoff. Wer verdient eigentlich an Radio- und Telecontrol, wem gehört was?
Steinmann: Das ist tatsächlich keine so ganz einfache Angelegenheit, die sich mit zwei Sätzen erklären liesse. Aber alles ist klar und sauber zwischen den beteiligten Gruppen geregelt und in einem umfassenden Vertrag festgehalten. Man muss zwischen Telecontrol und Radiocontrol unterscheiden. Bei Telecontrol, dessen Entwicklung von Anfang an von der SRG mitfinanziert wurde, gehören sämtliche Namen- und Patentrechte der SRG. Sie erhält dafür fünf Prozent der Auslandumsätze aus der Hardwarelizenz und ein Drittel aus den Softwarelizenzeinnahmen. Übrigens wurden die Beteiligungsverhältnisse vor zwei Jahren durch eine Kommission untersucht. Sie kam zum Schluss, dass sich Telecontrol für die SRG gelohnt habe. Auch weil das Schweizer System deutlich billiger ist als vergleichbare Auslandsysteme.
Bei Radiocontrol hingegen sind Sie selber der Hauptnutzniesser?
Steinmann: In Radiocontrol stecken zehn Jahre Entwicklungsarbeit, da konnte man von der SRG natürlich nicht erwarten, dass sie diese finanziert. Wir haben es so geregelt, dass die SRG von Radiocontrol die Namenslizenz und einen Teil der Softwarelizenz erhält. Hingegen gehören die Patente der Telecontrol-Gruppe, welche die sieben Millionen Franken Entwicklungskosten finanziert hat – und auch die an der Entwicklung beteiligten 13 Firmen und 5 Universitätsinstitute bezahlte.
Wie sind die Besitzverhältnisse bei der Telecontrol-Gruppe?
Steinmann: Die Telecontrol-Gruppe gehört zurzeit zu 51 Prozent der Firma Eiphos AG, die ich kontrolliere, und zu 49 Prozent dem deutschen Marktforschungsunternehmen IH/GfK. Bei meinen Aktivitäten muss man zwischen drei Bereichen unterscheiden: Der erste ist die Schweiz. Hier bin ich Leiter des SRG-Forschungsdienstes und vertrete alleine die Interessen der SRG. Beispielsweise beim neuen Servicevertrag mit der Liechti AG, welche die Hardwarekomponenten herstellt, trat ich in den Ausstand. Das zweite Tätigkeitsgebiet ist Europa, mein eigentlicher Home-Jagdmarkt. Hier kümmere ich mich persönlich um die einzelnen Länder. Der dritte Bereich umfasst die USA, Asien und die übrige Welt. Hier habe ich Allianzen mit Partnern, die sich um die Vermarktung unserer Messsysteme kümmern.
Welches ist Ihre Vision mit Radiocontrol?
Steinmann: Zunächst hat Radiocontrol jetzt die Vermarktung im Radiobereich vor sich. Und dies, wie bereits gesagt, weltweit. Zweitens lässt sich Radiocontrol für das Messen von TV-Programmen einsetzen, bei denen Telecontrol ergänzt werden kann. Wir erfassen in der Schweiz mit Radiocontrol ja nicht nur 128 Radiostationen, sondern auch 59 TV-Sender. Das Ergebnis ist frappant: Radiocontrol liefert genau die gleichen Werte wie Telecontrol. So eignet es sich beispielsweise zum Messen von TV-Sendern, deren Publika dermassen klein sind, dass man sie auch mit einem noch so grossen Telecontrol-Panel nicht erfassen kann.
Welche Perspektiven hat Radiocontrol für die Out-of-Home-Nutzung?
Steinmann: Radiocontrol ist ein ideales Messsystem für jede Form von Out-of-Home-Nutzung, etwa für das terrestrische digitale Fernsehen. Dessen rasche Einführung ist in Deutschland und Frankreich eine beschlossene Sache, und ich bin überzeugt, dass es auch schnell und sehr bald in die Schweiz kommen wird. Und darauf sind wir bestens vorbereitet. Wir unterhalten in unserem Land bereits heute ein Radiocontrolpanel mit 22000 Personen, welche die Uhr zweimal im Jahr während einer Woche tragen. Meine ganz grosse Vision ist jedoch, Radiocontrol als multimediales und intermediales Erhebungstool zu etablieren.
Können Sie in Bezug auf diese Vision etwas genauer werden?
Steinmann: Die Radiocontrol-Uhr kann ja nicht nur Radio- und TV-Programme sowie Umgebungsgeräusche komprimieren und digitalisieren, sondern auch bestimmte Texte, die der Träger oder die Trägerin spricht, zum Beispiel Printtitel. Dank dieser Eigenschaft könnte man die Uhr auch für die Printforschung einsetzen. Etwa so: Liest der Uhrträger eine Zeitung oder eine Zeitschrift, spricht er jeweils kurz den Titel des entsprechenden Blattes in die Uhr. Das heisst, mit demselben Gerät lassen sich Print, Radio und TV erfassen. Aber es geht noch weiter: Man kann die Radiocontrol-Uhr auch als Mediaergänzung in jedem beliebigen Konsumpanel einsetzen.
Wollen Sie ein Printpanel einrichten, als Konkurrenz zur Wemf?
Steinmann: Sicher nicht. Was die Multimedianutzung betrifft, habe ich im Moment überhaupt nicht die Schweiz im Visier. Ich denke auch da mal «global». Es geht vor allem darum, Radiocontrol kostenmässig attraktiver zu machen, denn das neue System verdoppelt die Kosten für die Radioforschung. Die Radiomärkte reichen alleine nicht aus, um ein solches System voll auszuschöpfen. Jemand, der Radiocontrol einführt, muss sich auch fragen, wie er das System zusätzlich vermarkten kann.
Radio- und Telecontrol zeichnen sich ja beide durch hohe Messgenauigkeit aus. Trotzdem ist die Messgenauigkeit in einem anderen Forschungsbereich, an dem Sie ebenfalls beteiligt sind, auch wieder in Frage gestellt: Der SRG-Forschungsdienst erhebt ja die Daten für das Internetpanel von MMXI. Nun wiesen aber die beiden praktisch identischen Internetpanels von MMXI und ACNielsen für April höchst unterschiedliche Resultate aus: Bei ACNielsen resultierte eine halbe Stunde mehr Nutzungszeit als bei MMXI, Letzteres eruierte dafür aber 600000 mehr aktive Internetuser. Das sind dramatische Unterschiede.
Steinmann: Ja, das ist so.
Das ist aber schlecht für das Image der Marktforschung. Wie kommt sie da wieder raus?
Steinmann: Ich kann nur für uns reden. Für die Überprüfung der Messmethode haben wir weder Kosten noch Aufwand gescheut. Wir führten eine Basisstudie mit 43000 Interviews zur Repräsentanz unseres Panels durch. Die Daten von MMXI sind nirgendwo anders in der Welt so gut kontrolliert wie in der Schweiz. Wir arbeiten auf sehr hohem wissenschaftlichem Niveau und lassen alle unsere Instrumente durch die Medienwissenschaftliche Kontrollkommission kontrollieren. So auch die MMXI. Wenn aber jemand feststellt, dass unsere Methode einen Fehler hat, bin ich der Erste, der eingreifen wird. Das ist doch selbstverständlich. Wir wollen richtige Forschung, das ist immer das Hauptziel.
Wann kommt die nächste Generation von Telecontrol auf den Schweizer Markt?
Steinmann: Telecontrol VIII dürfte in etwa einem Jahr marktreif sein. Es ist auf die künftige Entwicklung wie das digitale Fernsehen und die digitalen Aufnahmemöglichkeiten ausgerichtet, die eine Anpassung der Messgeräte erfordern. Wir werden in Zukunft zwischen zwei Haushalttypen unterscheiden: zwischen den «high-sophisticated households», welche die digitale Technik voll nutzen, und den «low-sophisticated-households», die weniger auf die neuen Möglichkeiten setzen werden. Diese beiden unterschiedlichen Haushalttypen benötigen nicht dasselbe Telecontrol-Gerät.
Das heisst, ab dem nächsten Sommer haben wir bei den Schweizer TV-Haushalten ein Zweiklassensystem?
Steinmann: Das hat mit den hohen Kosten zu tun. Jenes Gerät, das insbesondere im Umgang mit digitalen Sendern alles kann, kostet rund doppelt so viel wie das einfachere Gerät. Würden wir alle Haushalte damit ausrüsten, würden die Panels zu teuer.
Wie heisst Ihr nächster Krimititel? Wird er wieder in der Medienszene handeln?
Steinmann: Die «Weynzeichen-Recherche» war sicher nicht mein letzter Krimi. Aber der nächste wird wohl in einem anderen Milieu stattfinden. Man muss sich in einem Bereich sehr gut auskennen, damit man darin einen Roman stattfinden lassen kann. Bei der «Weynzeichen-Recherche» ist der Kommerz der Medien Thema, das kenne ich aus eigener Erfahrung. Es gibt noch einige weitere Bereiche, wo ich mich ebenfalls zu Hause fühle: die Forschung, die Fliegerei und die Universität. Das sind nahe liegende Milieus für einen nächsten Krimi. Interview: Daniel Schifferle
”Was wir mit Radiocontrol jetzt bei dessen Start machen, ist erst der Anfang.”
”Die TV-Forschung umfasst die grössten Forschungsaufträge, die es in der Marktforschung überhaupt gibt.”
Matthias SteinmannGeboren 27. Mai 1942
Wohnort Ursellen
Zivilstand Verheiratet. Zwei Töchter im Alter von 9 und 17 Jahren.
Werdegang Nach dem Lizenziat an der Universität Bern (rer. pol.) im Jahre 1967 während fünf Jahren stellvertretender Geschäftsleiter bei der AG für das Werbefernsehen. Dazwischen Doktorat zum Thema
«Radiowerbung in der Schweiz», Habilitationsschrift «Massenmedien und Werbung». Ab 1973 Delegierter für Publikumsforschung der SRG. 1983: Gründung der Radio ExtraBern AG (50 Prozent), ein Jahr später Verkauf des Anteils an die heutige Espace Media Groupe. 1984: Honorarprofessor für Medienwissenschaft an der Uni Bern. 1985: Einführung des Telecontrol-Systems. 1986: Übernahme der Liechti AG (51 Prozent) und Gründung der Telecontrol-Gruppe. 1989: Nebenamtlicher
ausserordentlicher Professor und Kodirektor des Instituts für Medienwissenschaft an der Uni Bern. 1993: Gründung der Publica Data AG (100 Prozent SRG). 2000: Radiocontrol wird als Messsystem eingesetzt und erhält den Technologiestandort-Schweiz-Preis 99. Lancierung der Internetforschung MMXI.
Lebensqualität «Je mehr Inhalte man selber gestalten kann, je weniger fremdbestimmt man ist, desto mehr Lebensqualität entsteht – vorausgesetzt, man ist gesund. Dabei spielt es für mich weniger eine Rolle, wie viel man tut, und auch nicht, wie viel Unterschiedliches man tut.»
Berufspilot «Die Bezeichnung betrifft natürlich nur meine B/JFR-Lizenz auf Turboprops. Es gab aber eine Zeit, da hatte ich an den Wochenenden auch mal als Pilot gearbeitet. Heute bin ich nur noch , wenn ich beruflich nach Berlin zu meiner Firma Modata muss. Dann fliege ich jeweils selber.»