Die Grenzen der Indiskretion: Wie nah ist zu nah?

Die mutmasslich massenweise Weitergabe von Interna aus dem Innendepartement während der Corona-Zeit an Ringier-Chef Marc Walder wirft Fragen auf. Ging Bundesrat Berset zu weit? Was wollte Walder damit erreichen? Eine einmalige Affäre als Teil des Courant normal.

Ein paar Gassen rund um das Bundeshaus in Bern markieren den Kern eines Geflechts aus Politik, Verwaltung, Lobby und Medien. Hier spielt sich auch ein Teil der Affäre Berset/Walder ab. Aus dem Innendepartement an der Inselgasse 1 soll der frühere Berset-Kommunikationschef Peter Lauener Ringier-Chef Marc Walder in Zürich regelmässig über Interna zur Covid-Politik informiert haben. In einzelnen Fällen fanden sich diese Informationen tags darauf auf der Blick-Titelseite.

Der Vorgang an sich ist banal und in Bundesbern alltäglich. Ein Grossteil der Berichterstattung basiert auf Informationen, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt wären. Oder wenn, dann später, wie auch im Fall der Information über den Vertrag für die Impfdosen mit Pfizer, die Blick einen Tag vor der offiziellen Kommunikation durch den Bundesrat verbreiten konnte.

Wie sich Walder und Berset – respektive Lauener – gefunden haben, darüber erzählen Verleger Michael Ringier und der frühere Sonntagsblick-Chefredaktor Peter Rothenbühler eine gleichlautende Version; Rothenbühler äusserte sich dazu in der «Arena» und Ringier tönte das bei einer internen Vollversammlung an.

Als es Anfang 2020 mit Corona losging, zog sich Walder schnell und konsequent in sein Homeoffice zurück. Dort informierte er sich intensiv über Covid und was dagegen zu tun wäre. Er habe wirklich alles zum Thema gewusst, erinnern sich Ringier-Angestellte. Walder meinte wohl auch zu wissen, wie es der Bund machen sollte und wollte zeitnah erfahren, wie die Behörden mit der Pandemie umzugehen gedenken. Darum kontaktierte er Bundesrat Berset, den er persönlich kennt (aber nicht freundschaftlich mit ihm verbunden ist). Die Kommunikation fand dann hauptsächlich zwischen Bersets Informationschef Lauener und Walder statt. Ob und inwieweit der Chef des Innendepartements und sein Sprecher mit der Belieferung Walders das Amtsgeheimnis verletzt hatten, will nun Sonderermittler Peter Marti untersuchen, sofern ihm ein Gericht den Zugriff auf die Daten erlaubt, die Lauener und Walder ausgetauscht hatten.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Diskussion über das Corona-Leck im Departement Berset nur wegen eines anderen Lecks geführt werden kann. Ermittler Marti hatte in einem Verfahren um die sogenannten Crypto-Leaks die Kommunikation Lauener-Walder entdeckt und als Beifang abgegriffen. Auf irgendeinem Weg fanden sie dann zur Redaktion von CH Media, die mit ihrer Berichterstattung Mitte Januar eine Welle losgetreten hat.

Auch wenn die Dimension der Affäre um den allzu vertrauensseligen Umgang zwischen dem Berset-Sprecher und dem Ringier-Chef nun als erstmalig und einmalig gilt, gemessen an der Intensität des Austauschs und der involvierten Akteure, so sind die Vorgänge doch alltäglicher als sie – ob all der medialen Aufregung – erscheinen mögen. Medien und Politik stehen strukturell in einem Naheverhältnis.

Doch: Wann ist nah zu nah?

Für eine saubere Einordnung des vorliegenden Falls fehlen derzeit zu viele Informationen. Die ganze bisherige Diskussion findet auf der Grundlage der Berichterstattung der Artikel in der Schweiz am Wochenende statt. Aber was heisst 180 Kommunikationsvorgänge? Zählt jede Mail-Antwort dazu und sei es nur ein Dank oder eine Empfangsbestätigung? Sind 180 viel? Gibt es Vergleichszahlen?

Und auf der Empfängerseite, bei Ringier, steht weiterhin die insinuierte Weitergabe der Informationen von Walder an den Blick gegen die Aussage der Redaktion, die eine Instrumentalisierung abstreitet. Sie hätten selbst recherchiert und sich nicht vom CEO füttern lassen, hält die Blick-Chefetage um Christian Dorer und Ladina Heimgartner fest.

Zum besseren Verständnis der Vorgänge begeben wir uns wieder zurück in den Perimeter um das Bundeshaus in Bern. Wer sich länger in diesem Mikrokosmos bewegt, entwickelt über die Jahre vertrauliche Bekanntschaften mit Politikerinnen und Politikern, respektive vice versa mit Medienschaffenden. Die «Standleitung», durch die Covid-Informationen aus Bersets Büro direkt in Walders Office geflossen sein sollen, ist Teil eines Systems: Durch Bundesbern spannen sich komplexe Geflechte solcher Kommunikationskanäle, wenn auch im Durchmesser meist schmaler als die Leitung im vorliegenden Fall.

Wenn 30 Personen von einem brisanten Bundesratsbeschluss im Vorfeld Bescheid wissen, was einem realistischen Wert entspricht, dann sind das 30 Leute, die auch wissen, dass es noch 29 andere gibt mit den gleichen Informationen. Eine Weitergabe erscheint unter diesen Umständen vertretbar. Andere hätten es ja auch tun können – und tun es auch.

Hier kommen wir nun zur Antwort auf die Frage, wann nah zu nah ist.

Das Problem beim Kontakt Berset/Lauener-Walder liegt zum einen in der Systematik der Informationsweitergabe, zum anderen – und fast noch wesentlicher – in der Personalie des Adressaten. Hätte ein einfacher Bundeshausredaktor von Blick oder Tages-Anzeiger mit Lauener eine Standleitung unterhalten, dann wäre das eine andere Konstellation gewesen, auch wenn am Ende die gleiche Berichterstattung herausgekommen wäre. Als ehemaliger Chefredaktor bei mehreren Ringier-Titeln sieht sich Walder auch als CEO noch dem Journalismus nahe und greift mitunter selbst ins redaktionelle Geschäft ein. Etwa mit eigenen Gastbeiträgen oder wenn er die Redaktion anhält, einen Covid-Aufruf zu veröffentlichen.

Ein Herz für den Journalismus auf der Chefetage erweist sich für die Redaktionen in der Regel als Glücksfall. Bei Ringier gereicht es ihnen zum Nachteil.

Für seine als vertraulich deklarierte Aussage in einem öffentlich gewordenen Video, er habe seine Redaktionen angewiesen, mit ihrer Berichterstattung die Regierungen bei der Bewältigung der Pandemie zu unterstützten, hat sich Walder entschuldigt. Für seinen verfänglichen Mailaustausch mit Lauener steht eine Entschuldigung noch aus, obwohl er mit seinem Verhalten (soweit es bekannt ist) die Redaktionen dem ungeheuerlichen Verdacht aussetzt, sie hätten der Regierung als Corona-Sprachrohr gedient.

Auch wenn nun die SVP mit Anschuldigungen und Rücktrittsforderungen an SP-Bundesrat Berset aus der Affäre politisches Kapital zu schlagen versucht, dürfte das Interesse irgendwann abklingen. Gleichzeitig wird sich die juristische Aufklärung der Vorgänge in die Länge ziehen, da sie sich auf drei miteinander verwobenen Schauplätzen abspielen.

Die Kungelei eines einflussreichen Medienchefs mit einem Bundesrat während einer staatspolitisch heiklen Phase war genauso erwartbar, wie deren spätere Enthüllung in Konkurrenzmedien. So gesehen steht der Fall auch für eine funktionierende Selbstkontrolle.

Für Marc Walder sollte das erneute Auffliegen von Interna, die sein Unternehmen in ein schlechtes Licht stellen, eine Lehre sein: entweder nicht erwischen lassen – oder es einfach sein lassen.

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