Das grosse Heucheln in Solothurn

Solothurner Zeitung und Berner Zeitung bekämpfen sich mit viel Geld und schrillen Tönen

Solothurner Zeitung und Berner Zeitung bekämpfen sich mit viel Geld und schrillen TönenVon Markus Knöpfli Im Wirtschaftsgebiet 32 wird derzeit mit harten Bandagen gekämpft. Die Solothurner Zeitung wehrt sich per Inserat, Interview und mit Stoppklebern gegen das von der Berner Zeitung lancierte Solothurner Tagblatt. Die BZ-Herausgeberin Espace Media Groupe hält sich dagegen im Ton zurück und greift dafür umso tiefer in die Marketingtasche.
«In der Schweiz gibt es immer weniger Zeitungen. Traditionsreiche Titel verschwinden oder werden mit andern Blättern zusammengelegt. Umso erfreulicher, wenn jetzt in unserer Region genau das Gegenteil geschieht: Eine neue Zeitung entsteht! Das Solothurner Tagblatt.» Dieser Text stand in einem ganzseitigen Inserat, das die Espace Media Groupe am
11. Oktober im konzerneigenen Gratisanzeiger Solothurner Woche geschaltet hatte.
Was so nett klingt, liess aber im Haus Vogt-Schild/Habegger Medien (VS/H) in Solothurn, Herausgeberin der Solothurner Zeitung (SZ), die Emotionen hoch gehen. «Das ist Heuchelei», schrieb SZ-Verlagsleiter Christian Müller mit grossen Lettern am 18. Oktober ebenfalls in einem Inserat, das als offener Brief an Charles von Graffenried, den VR-Präsidenten der Espace Media Groupe, gerichtet war. Müller wirft von Graffenried vor, die Berner Zeitung habe mehr andere Zeitungen verschwinden lassen «als jeder andere Verlagskonzern in der Schweiz». Wäre es nach von Graffenrieds Wünschen gegangen, hätte auch die SZ zum Kopfblatt der BZ werden sollen. Weil VS/H dies aber abgelehnt habe, wolle die Espace Media Groupe die SZ nun «in die Knie zwingen». Und weiter: «Sie lassen das Solothurner Tagblatt nur entstehen, damit es in Kürze die Solothurner Zeitung nicht mehr gibt.»
Am 19. Oktober doppelte VS/H-Direktor Rudolf Rentsch in einem SZ-Interview nach: Das Solothurner Tagblatt habe «erklärtermassen einzig zum Ziel, die SZ über die kommenden Jahre so zu schwächen, dass sie im Eintopf der BZ landet». Und gegenüber der WerbeWoche fügt er an: Der seinerzeitige Anzeigerkrieg in Bern zeige den wahren Stil der Espace Media, «deshalb sind wir auf der Hut und ziehen die harten Bandagen an». Angst habe man bei der VS/H aber nicht, «die Truppe» sei motiviert, zudem sei ja das Projekt Mittelland-Zeitung mit SZ, Aargauer Zeitung, Zofinger Tagblatt und Oltner Tagblatt am Entstehen.
Espace Media Groupe bewahrt kühlen Kopf im hitzigen Streit
Er sei nach wie vor der Meinung, sagt Rentsch weiter, dass dieses Projekt erfolgversprechender sei als eine Kooperation mit der BZ. So sei Presse 99, ein früheres Kombi mit SZ, BZ und Bieler Tagblatt, «nicht sehr erfolgreich» gewesen. Zudem hätte die VS/H im Fall einer Kooperation mit der BZ den gesamten Zeitungs- und Kundendruck zu Gunsten des Berner Druckzentrums aufgeben müssen.
Die Espace Media nimmt diese Vorwürfe gelassen. VR-Delegierter Albert P. Stäheli sagte auf Anfrage: «Wir lassen uns nicht provozieren und wollen dazu auch nicht Stellung nehmen.» Solothurn habe einen modernen Zeitgeist, und der werde sich auch durchsetzen, erklärt Stäheli optimistisch. Für ihr siebentes Kopfblatt macht Espace Media auch einige Marketingmillionen locker: Die 12000 Exemplare werden sechs Monate lang per Frühzustellung in alle Haushalte in Solothurn, Biberist und Zuchwil verteilt, das Abo kostet im ersten Jahr nur die Hälfte (WW 38/01), Anzeigenkunden erhalten bis 30. Juni 2002 vier Inserate zum Preis von zwei. Zudem gibt es Mailings, Radio- und TV-Spots, Dispenser in Bus und Zug, Inserate sowie Plakate mit neun verschiedenen Sujets. Erstaunlich für einen Konzern, der noch in den Sommermonaten kommunizierte, dass angesichts des Inserateeinbruchs und des schlecht gehenden TV-Geschäfts sparen und teils auch Entlassungen angesagt seien.
Stopp den Gratiszeitungen – ausser für Eigeninteressen
Rentsch hält dem schweren Geschütz aus Bern bislang «die Qualität unserer Zeitung» entgegen. Zudem versucht er konsequent, dem Solothurner Tagblatt das Etikett «Gratiszeitung» anzuheften – unter Verweis auf die sechsmonatige kostenlose Frühzustellaktion. Entsprechend liess er Tausende von Briefkastenklebern mit der Aufschrift «Solothurner Tagblatt – Nein danke!» verteilen. «Helfen Sie mit, die Flut der Gratiszeitungen zu stoppen», heisst es begleitend auf einem Flyer. Was auch nicht ganz frei ist von Heuchelei. Denn Rudolf Rentsch würde noch so gerne einen Teil der Auflage der Gratiszeitung 20 Minuten drucken (siehe Kasten).

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