«Ich möchte mich für Wertschätzung, Nachwuchs und Transformation einsetzen»
Andrea Bison ist «Werberin des Jahres» 2024. Im Interview spricht die Mitgründerin und Beratungschefin von Thjnk Zürich über den Wandel und die Schwächen in der hiesigen Branche – und worauf sie in ihrer Amtszeit den Fokus legen möchte.
Andrea Bison, als frischgebackene «Werber:in des Jahres» 2024 darf ein wenig Eigenlob sein: Haben Sie ein absolutes Lieblings-Projekt, an das Sie denken, wenn Sie den «Egon» in den Händen halten?
Andrea Bison: Als Marken-Liebhaberin ist es die Transformation der Marke Ochsner Sport als Gesamt-Case, der zeigt, zu welchen Ergebnissen eine gute Strategie und konsequente ganzheitliche Kommunikation in der Lage ist und welchen Wert sie haben kann.
In seiner Laudatio sagte Ihr Vorgänger André Hefti: «Die Frage ist nicht, ob Du ‹Werberin des Jahres› werden wirst, sondern wann». Weshalb, denken Sie, wurden Sie dieses Jahr mit dem Titel ausgezeichnet?
Neben der Kontinuität der letzten Jahre hat in diesem Jahr der Swiss-Pitchgewinn vermutlich einen Ausschlag gegeben. Im Gesamtpaket mit den sichtbaren kreativen Erfolgen wie zweimal Gold beim Edi für den Denner-Film «The Good Life» und die Migros Bio Animonials sowie der Kampagne des Jahres beim Woohw!-Award für Denner «Stark reduziert». Und vielleicht hat auch der Sunrise Publikumsliebling «The Elevator» mit Federer und Odermatt noch ein paar Stimmen gesammelt, sodass es in diesem Jahr zur Auszeichnung gereicht hat.
In den vergangenen Jahren kam vereinzelt die Frage auf, ob der Titel «Werber:in des Jahres» überhaupt noch zeitgemäss sei, ob «Kommunikator:in» vielleicht nicht besser geeignet wäre. Wie passt das Prädikat «Werberin» zu Ihrem Selbstbild?
Wenn wir eine Bezeichnung finden würden, die der heutigen Ganzheitlichkeit unserer Branche und der Bedeutung von Kommunikation mehr Rechnung trägt und die in allen Landesteilen gleichermassen verstanden wird, dann würde ich das eindeutig bevorzugen. Da ich allerdings keine Texterin bin, kann ich nur einen inhaltlichen Vorschlag machen in Richtung «Agency Person of the Year», weil der Preis eindeutig für Agenturen sein soll und es alle Agenturen umfasst. Und in meinen Augen könnten auch mal zwei oder drei tolle «Agency People» gemeinsam ausgezeichnet werden, um den Teamgedanken zu integrieren.
Inwiefern hat sich Ihrer Meinung nach die Schweizer Werbe- respektive Kommunikationsbranche seit dem Start von Thjnk Zürich im Jahr 2016 verändert?
Die Corona-Pandemie hat die gesamte Arbeitswelt verändert. Nach einer anfänglichen Bewegung Richtung Remote Work als Zukunft, zeichnen sich interessanterweise zunehmend auch erkennbare Nachteile in den Arbeitsergebnissen ab. Ich glaube an die Qualität und Dichte in der gemeinsamen Arbeit vor Ort – neben dem sozialen Aspekt, der für viele auch ein Mehrwert ist. Die Auftragsvergabe ist in meiner Gesamtwahrnehmung noch volatiler geworden, was für das stabile Führen einer Agentur herausfordernd ist. Zudem werden die Pitch-Regeln von Kundenseite immer schärfer, sodass vernünftige Timings und eine angemessene Honorierung nicht immer gesichert sind.
Die Branche steht immer wieder vor der Challenge, sich als Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette «beweisen» zu müssen. Was sind die Schwachpunkte, wo müsste man ansetzen?
Die Schwachpunkte liegen in der Definition und Auswahl der KPIs, mit denen der Erfolg unserer Arbeit gemessen wird. Wir glauben an die Wirksamkeit von guten Strategien und daraus abgeleiteter kreativer Kommunikation. Deshalb setzen wir uns gerne klare gemeinsame Ziele und prüfen deren Erreichung. Wenn sich aber der Blick primär Richtung Performance-Marketing orientiert und der Gesamterfolg von Marken nicht der Markenstrategie und Kommunikation zugeschrieben wird, dann verlieren wir den wahren Wert, den unsere Arbeit haben kann, aus den Augen. Zum Glück gibt es noch Kunden, die das erkennen.
Wofür wollen Sie sich in Ihrer «Legislaturperiode» einsetzen, und wo wird Ihr Fokus liegen?
Für Wertschätzung, Nachwuchs und Transformation. Ich möchte die Wertschätzung, was Kommunikation leisten kann, hervorheben – sowie auch die Wertschätzung unserer Leistung. Auch ist es mir ein Anliegen, Nachwuchs zu inspirieren und für unsere Branche zu begeistern. Zudem möchte ich die Transformation durch generative AI aktiv vorantreiben, um die neuen kreativen Möglichkeiten zu nutzen und im Interesse der Agenturen zu steuern, damit die Qualität der Kommunikation unser Wert bleibt.
Über welche Themen in Zusammenhang mit Werbung und Kommunikation wird zu selten gesprochen?
Werbung prägt unsere Wahrnehmung im Alltag, weil wir ständig damit in Berührung kommen. Deshalb haben wir die Kraft, mehr zu sein als nur Abverkauf – und gleichzeitig die Verantwortung, uns dem Einfluss auf Verhalten und auf die Wahrnehmung im Hinblick auf gesellschaftliche Themen und Werte bewusst zu sein und verantwortlich damit umzugehen. Ein schönes Beispiel, wie aus einem Briefing für Service-Kompetenz mehr werden kann, ist Ochsner Sport Limmatbike. Das Geld für die Versteigerung der Recycling-Bikes wird an den WWF gespendet für den Gewässerschutz.
Sie sind Beraterin. Was sind die Stärken, die es braucht, um diesen wichtigen Teil im Agenturuniversum abzudecken?
Die Beratung ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen Kunde, Strategie und Kreation. Neben dem tiefen und ganzheitlichen Verständnis aller Teilbereiche und einem diplomatischen Talent, sind Neugier und Mut wichtige Eigenschaften. Zusammen mit grosser Leidenschaft für unser Produkt und dem Willen, sich dafür in alle Richtungen einzusetzen, kann die Beratung zu einem Schlüsselelement guter Kommunikation werden. Weil das ein bisschen einfacher klingt, als es dann tatsächlich oft ist, gehört auch echtes Durchhaltevermögen noch dazu.
Gab es jemals einen anderen Beruf, den Sie sich hätten vorstellen können?
Ja, viele. Aber mein Job fühlt sich an wie viele, deshalb hatte ich immer genug Gründe, um zu bleiben.
Haben Sie eine Vision, wo die Agentur Thjnk in fünf Jahren in ihrer Entwicklung steht?
More of the same. Ich wünsche mir auch in fünf Jahren einen Ort, an dem Menschen gerne zusammenarbeiten, sich entfalten und entwickeln können und Kreativität der gemeinsame Treiber ist.